Tarifrunde der Länder: Inflationsausgleich erkämpfen – Forderungen voll durchsetzen

ver.di und GEW sind mit einer sehr bescheidenen Forderung in die Tarifrunde für die rund eine Million Angestellten der Länder gestartet. Die Forderung nach 5% bzw. mindestens 150 Euro mehr Lohn bedeutet eine leichte Erhöhung der Reallöhne – wenn sie zusammen mit der geforderten Laufzeit von einem Jahr durchgesetzt würde.

Von Thies Wilkening, Hamburg

Das ist den Gewerkschaften in den vergangenen Jahren nicht gelungen. Angesichts dieser Erfahrungen wäre eine höhere Forderung sinnvoll gewesen. Bei den üblichen Laufzeiten im öffentlichen Dienst über mindestens zwei Jahre bedeuten 5% Reallohnverlust, erst recht, wenn die Erhöhung wie üblich zu verschiedenen Zeitpunkten der Laufzeit gestückelt ausgezahlt würde. Daher ist die volle Durchsetzung der Forderung notwendig, um überhaupt einen Inflationsausgleich zu erreichen.

Schwierige Ausgangssituation

Kolleg*innen aus dem Geltungsbereich des TV-L berichten, dass in ihren Schulen und Dienststellen eine wenig kämpferische Stimmung herrscht. Viele sind durch die Folgen der Pandemie, die sich an den Unikliniken aber auch im Bildungsbereich mit Homeschooling, Quarantäne und Fern-Lehre an den Hochschulen massiv auf den Arbeitsalltag ausgewirkt hat, erschöpft und hoffen jetzt erst einmal auf „ruhige Zeiten“. Viele sehen die Löhne gerade nicht als das größte Problem.

Trotzdem ist ein entschlossener Arbeitskampf nötig und auch möglich – wenn es den Gewerkschaften gelingt, Kolleg*innen in die Tarifrunde einzubeziehen und ihnen zu vermitteln, dass durch die gestiegene Inflation nach den schwierigen Jahren der Pandemie jetzt auch noch Lohnverluste drohen, die sie durch Streik verhindern können.

Arbeitskampf demokratisch führen

Zur Einbeziehung der Kolleg*innen an der Basis setzt ver.di nach dem Vorbild der Tarifrunde bei Bund und Kommunen im letzten Jahr auf die sogenannten „Tarifbotschafter*innen“. Diese sollen ihre Kolleg*innen am Arbeitsplatz über die Forderungen informieren, sie zur Beteiligung an niedrigschwelligen Aktionen mobilisieren und vor möglichen Warnstreiks die Streikbereitschaft ermitteln.

Bei Bund und Kommunen gab es regelmäßige, bundesweite „Videokonferenzen“ der Tarifbotschafter*innen. Praktisch waren das Livestreams, in denen der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke und Mitglieder der Tarifkommission über aktuelle Entwicklungen informierten. Die Kolleg*innen konnten dabei Fragen stellen – in Form von schriftlichen Direktnachrichten an die Moderation. In einigen Bezirken gab es zusätzlich regionale Konferenzen, auf denen es interaktiver zuging, in anderen nicht.

Für echte Partizipation und Streikdemokratie braucht es mehr: Streikversammlungen bei jedem Warnstreik, Konferenzen von gewählten Vertrauensleuten und Tarifbotschafter*innen auf regionaler und bundesweiter Ebene, die im Sinne der Kolleg*innen an der Basis Einfluss auf Umfang und Durchführung von Warnstreiks nehmen können und über Angebote der Arbeitgeber beraten. Demokratie im Arbeitskampf muss mehr sein als die Möglichkeit, am Ende der Tarifrunde rituell ein Kreuzchen für oder gegen einen Tarifabschluss zu machen, den die Bundestarifkommission bereits angenommen hat und der durch Gewerkschaftsführungen und Medien als fest stehendes Ergebnis dargestellt wird.

Sonderfall Hessen

Das Land Hessen ist 2004 aus dem Länder-Arbeitgeberverband TdL ausgetreten und hat einen eigenen, schlechteren Tarifvertrag gegen seine Beschäftigten durchgesetzt, den TVH. In diesem Jahr findet die Tarifrunde in Hessen etwas früher statt als bundesweit, schon am 1. September wurde verhandelt. In Hessen haben die Gewerkschaften etwas bessere Forderungen aufgestellt: 5,5% bzw. 175 Euro mehr Lohn. Außerdem wurden das Thema Digitalisierung und vor allem die bei Landesbeschäftigten an Hochschulen allgegenwärtigen Kettenbefristungen in Form von „Erwartungen“ in den Forderungsbeschluss integriert. Diese Erwartungen sind zwar keine konkreten Forderungen, aber immerhin ein Versuch, Themen über die Entlohnung hinaus in die Tarifauseinandersetzung zu integrieren. So kamen durch Proteste von befristet Beschäftigten an den hessischen Hochschulen die ersten Aktionen der Tarifrunde zustande.

Aktion für Entfristung an der Uni Kassel. Quelle: Uni Kassel unbefristet