Filmkritik: The Summer of Soul (…Or, When the Revolution Could Not Be Televised)

Das Harlem Cultural Festival fand über einen Zeitraum von sechs Wochen, vom 29. Juni bis zum 26. August 1969, im Mount Morris Park in Harlem statt, der als das Mekka des schwarzen Amerikas bekannt ist.

von Eljeer Hawkins (Socialist Alternative, ISA in United States)

Harlem, New York – Im Sommer 1969 fanden zwei historische Festivals statt, die epische Ausmaße für den Verlauf der Musikgeschichte haben sollten und eine der politisch turbulentesten Zeiten in der Geschichte der USA prägten. Die 1960er Jahre waren ein Jahrzehnt revolutionärer und konterrevolutionärer Ereignisse, die ihren Ausdruck in der Musik der Zeit fanden. Eines der Festivals, von dem jede*r schon einmal gehört hat – Woodstock – wurde durch die Auftritte von Jimi Hendrix, Janis Joplin, The Who und vielen anderen legendären Bands und Künstler*innen zu einer Legende.

Die zweite Veranstaltung, das Harlem Cultural Festival, fand sechs Wochen lang vom 29. Juni bis zum 24. August im Mount Morris Park in Harlem statt, der als das Mekka des schwarzen Amerikas bekannt ist. Zu den Höhepunkten gehörten die atemberaubenden Auftritte von Gladys Knight & The Pips, Sly and The Family Stone, dem jungen Stevie Wonder, der Hohepriesterin des Soul, Nina Simone, der Königin des Gospel, Mahalia Jackson, der Blues-Ikone BB King und zahlreichen anderen. Tragischerweise fristete das Harlem Cultural Festival ein Schattendasein, ohne dass die breite Öffentlichkeit etwas davon mitbekam, abgesehen von Ausschnitten von Nina Simones Auftritt auf YouTube und denjenigen, die beim Festival dabei waren – bis jetzt.

The Summer of Soul (…Or, When the Revolution Could Not Be Televised) beschreibt eine wichtige Zeit des Kampfes gegen Rassismus und Kapitalismus im schwarzen Amerika. Selbst nachdem Berühmtheiten wie Martin Luther King Jr., Malcolm X und Fred Hampton ermordet worden waren, gab es eine enorme Hoffnung und den Willen, für Veränderungen zu kämpfen. Mit der Ermordung ihrer besten Anführer*innen wurde die Bewegung jedoch enthauptet, und dieser Dokumentarfilm zeigt die Frustration und Leidenschaft dieser Stimmung. Für die heutige Generation von Musikliebhaber*innen, aktiven Arbeiter*innen und Jugendlichen bietet das Harlem Cultural Festival wertvolle Lektionen zum Verständnis des Bewusstseins, der politischen Organisation, des kulturellen Wandels und des Rhythmus sozialer Bewegungen zu pulsierenden Beats und Grooves.

Wiederentdeckung eines legendären Moments

Das sechswöchige Festival wurde gefilmt, aber nie veröffentlicht, wobei ein lokaler Fernsehsender in New York City einstündige Sondersendungen ausstrahlte. Nachdem die Bänder über 50 Jahre lang in Vergessenheit geraten waren, gelang es Ahmir Khalib Thompson, der der Welt besser als Questlove, Gründungsmitglied der legendären Roots-Crew, bekannt ist, das Filmmaterial zu sichern.

Organisator und Gastgeber des Festivals war der Nachtclubsänger Tony Lawerence, gesponsert von Maxwell House Coffee, die darin einen Aufschwung für Profit und Konsum in farbigen Gemeinden sah. Auch der republikanische Bürgermeister von New York City, John Lindsay, der von Tony Lawerence als “Blue-eyed Soul Brother” bezeichnet wurde, unterstützte das Festival enthusiastisch.

Lindsay war ein liberaler Republikaner – das klingt für heutige politische Verhältnisse schockierend. Er stand zur Wiederwahl und unterstützte Programme zur Armutsbekämpfung in den Ghettos von New York City angesichts der Unruhen nach der Ermordung von Dr. King im Jahr 1968. Lindsay wollte seine Popularität bei Schwarzen, Puertoricaner*innen und Juden und Jüdinnen für einen Wahlsieg nutzen, während er die weißen Arbeiter*innen, die in der Stadt wohnten, verprellte.

Schätzungsweise 300.000 Menschen, vor allem schwarze Arbeiter*innen, Arme und Jugendliche, besuchten die sechs aufeinanderfolgenden Sonntage. Jeder Sonntag stand unter einem musikalischen Motto wie Pop, Blues, Rhythm & Blues (R&B), Gospel, Funk und Jazz. Das Festival war ein Mikrokosmos für die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen in Harlem und im ganzen Land im Jahr 1969.

Ein neuer Tag und neue Herausforderungen

Das Jahr 1969 sollte für die radikale schwarze Bürgerrechtsbewegung und den allgemeinen Klassenkampf im ganzen Land und in der Welt eine kritische und sich entwickelnde Epoche sein. Das Jahrzehnt war geprägt von Revolution und Gegenrevolution; der Dokumentarfilm beleuchtet die öffentlichen Ermordungen von John und Bobby Kennedy, Malcolm X und Dr. Martin Luther King, Jr. Im Januar 1969 trat der konservative Antikommunist Richard Nixon sein Amt an, der sehr auf Recht und Order bedacht war. Nixon setzte Mittel ein, um die radikalen sozialen Bewegungen, die Organisationen der Schwarzen und die revolutionäre Führung zu demontieren und zu demobilisieren. Um die Reichweite der konterrevolutionären Tagesordnung zu veranschaulichen, zeigt der Dokumentarfilm die Verhaftung und strafrechtliche Verurteilung von 21 Mitgliedern der Ortsgruppe der Black Panther Party in Harlem im Jahr 1969, darunter Afeni Shakur, die Mutter der Hip-Hop-Ikone Tupac Shakur.

Die massenhaften städtischen Aufstände wie in Harlem und Newark wurden von der Kerner-Kommission als die Folgen der Vernachlässigung und des Rassismus durch die Bundesregierung in den städtischen Zentren Amerikas beschrieben. Harlem war besonders wichtig. Als politisches, soziales und kulturelles Zentrum des schwarzen Amerikas hatte Harlem auch mit einer verheerenden Heroinepidemie zu kämpfen, die die gesamte Gemeinschaft erfasste, mit wirtschaftlicher Depression, endemischer Gewalt und einer Bewegung gegen Rassismus und Kapitalismus in der Krise.

Trotz dieser harten Realitäten gab es in Harlem ein lebendiges politisches und kulturelles Bewusstsein; die Ideen von Black Power dominierten die öffentliche Diskussion und den politischen Rahmen neben der Bürgerrechtsbewegung im Süden. In den urbanen Zentren Amerikas lehnten die Ideen der Black Power jahrelang die liberale, reformistische Politik der weißen und schwarzen Bürgerrechtsorganisationen ab, die die schrecklichen Zustände in den Ghettos im ganzen Land nicht behoben hatten.

Nach der Ermordung von Dr. King wurde die Frage der Führung entscheidend. Mit Jesse Jackson trat auf dem Festival eine öffentliche Persönlichkeit auf, die mit Dr. King in der Operation Breadbasket in Chicago, Illinois, zusammengearbeitet hatte. Jackson war jung, hip und charismatisch und vertrat eine Schwarze Politik, die der Zeit und dem Festival entsprach.

Nach der Ermordung von Dr. King und der gewaltsamen Konterrevolution gegen die radikalen Elemente der Schwarzen Befreiungsbewegung zeichnete sich der Aufstieg einer reformistischen Führung aus der Schwarzen Mittelschicht ab, die an das Zweiparteiensystem und die Tagesordnung der Wall Street angebunden war.

Die frühe Entwicklung der neuen schwarzen Fehl-Führungsschicht zeichnete sich mit ihrer Unterstützung von Präsident Richard Nixons Initiative für einen „schwarzen Kapitalismus“ und der politischen Spaltung auf dem entscheidenden Parteitag von Gary 1972 ab. Dort führten Schwarze Vertreter*innen der Demokratischen Partei – wie der künftige Bürgermeister von Detroit, Coleman Young – ihre Delegation während einer politisch umstrittenen Debatte mit Schwarzen Nationalist*innen aus dem Saal. Die Anwesenheit von Jesse Jackson und dem New Yorker Al Sharpton in dem Dokumentarfilm ist ein wenig überraschend, angesichts der Rolle, die sie in den folgenden 40 Jahren in der Schwarzen und nationalen Politik gespielt haben, als sie die angepasste Stimme des Kapitalismus waren.

Die Diaspora-Dimensionen des Festivals werden verblüffend deutlich, da Questlove den Zuschauern das Privileg bietet, die Auftritte des Perkussionisten Ray Barretto und von Ramón “Mongo” Santamaría zu sehen. Der Diaspora-Charakter des Kampfes und der Rhythmen ist spürbar, und die afro-lateinamerikanische und puertorikanische Arbeiter*innenklasse und Jugend ist auf dem Festival deutlich präsent, unterstrichen durch die lokalen Organisator*innen der Young Lords Organization, die East Harlem (meine Heimat)(Anmerkung des Autors) bevölkern. Der Wandel in Politik und Kultur stand im Mittelpunkt der sechs Wochen. Das Wort “negro” wurde durch “Schwarze*r” ersetzt, als politische und kulturelle Bezeichnung für eine Masse von Menschen, denen durch rassistische Unterdrückung und kapitalistische Ausbeutung über Generationen hinweg ihre Menschlichkeit abgesprochen wurde. Die Idee der Solidarität, des gemeinsamen Kampfes gegen Unterdrückung und des afrikanischen Kontinents war ein wichtiger Bestandteil der Musik. Schwarze Arbeiter*innen und Jugendliche setzten mit ihrer Mode, ihrer Sprache, ihrem Sound, ihren Frisuren und ihrem Auftreten ein neues Paradigma, das das Jahr 1969 und darüber hinaus prägen sollte.

Whitey On The Moon

Taxes takin’ my whole damn check, The junkies make me a nervous wreck,
The price of food is goin’ up a
nd as if all that crap wasn’t enough,
A rat done bite my sister Nell,
With whitey on the Moon,
Her face and arms began to swell,
And whitey’s on the Moon…”

Gil Scott-Heron, Whitey on the Moon 1970

In den letzten Tagen haben die verachteten Milliardär*innen Richard Branson, Elon Musk und Jeff Bezos einen Ausflug in den Weltraum unternommen, zum großen Entsetzen der radikalisierten Arbeiter*innen und Jugendlichen, die mit wirtschaftlicher Not, COVID-19, Umweltzerstörung und den täglichen Fragen, wohin sich unsere Welt entwickelt, konfrontiert sind.

Am 20. Juli 1969 landeten die US-Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin vor 650 Millionen wachsamen Augen auf dem Mond; die Mondlandung wurde als Teil des Kalten Krieges mit der stalinistischen Sowjetunion um globale Hegemonie und Macht aufgenommen.

Reporter*innen aus dem ganzen Land suchten nach Reaktionen aus verschiedenen Gemeinden. Die Menschen in Harlem und die Besucher*innen des Festivals waren klar und offen; der Dokumentarfilm fängt die robuste Reaktion der Verachtung und des Zorns für die wirtschaftlichen Verschwendung der Mondlandung ein, zu einer Zeit da es den gewöhnlichen Arbeiter*innen, Armen und Schwarzen an den wesentlichen Ressourcen für das tägliche Überleben fehlte. Von 1969 bis heute hat das zersetzende profitgetriebene System des Kapitalismus die Arbeiter*innenklasse, die Armen und die Unterdrückten entbehrlich gemacht.

Warum das Festival wichtig ist

Ein Teilnehmer sagte über das Festival mehr als 50 Jahre später: “Ich würde es nicht glauben, wenn ich nicht dort gewesen wäre, und es erlebt habe.” Während er diese Aussage machte, kullerten Tränen über seine Wangen, denn er sah das Festival und erinnerte sich mit tiefer Zuneigung und Liebe an die vielen Schwarzen und PoC, die daran teilnahmen. Er sah seine erste Liebe, Marylin McCoo von der Schwarzen Popgruppe The Fifth Dimension, einen ihrer größten Hits (Medley: Aquarius/Let the sunshine in) aufführen – das Festival hatte eine nachhaltige Wirkung auf das Bewusstsein der Menschen.

Der herzzerreißende Auftritt von Mahalia Jackson und Mavis Staples von den Staple Singers, die Dr. Kings Lieblingsgospelsong “Take My Hand, Precious Lord” sangen, ist einfach umwerfend. Sly and The Family Stone brachten einen revolutionären Sound und eine radikale Präsentation als multiethnische Band, die verschiedene Musik- und Modestile vermischte. Ihre Popularität machte ihren Frontmann und Leadsänger/ Songschreiber Sly Stone zum Funk- und Rockgott einer neuen Generation von Musikfans. Die musikalische Entwicklung von Stevie Wonder begann auf dem Festival, als er begann, mit neuem Sound und Stil neue Wege zu beschreiten.

Der Dokumentarfilm ermöglicht es einer neuen Generation von Musikfans, die reiche Tradition von Musik und Politik aus der schwarzen Geschichte und der Lebenserfahrung der Schwarzen Arbeiter*innenklasse und der Armen zu entdecken. Im Rahmen des Schwarzen August sollte “Summer of Soul” Pflichtprogramm für alle sein, die die politische Macht und die Musikgeschichte, die an den sechs Sonntagen im Mekka des schwarzen Amerikas, in Harlem, USA, geschrieben wurde, voll erfassen wollen.

Der Film ist auf Disney+ mit deutschen Untertiteln verfügbar.

Bild: Gind2005, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons

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