Der Mythos der Überbevölkerung

von Manus Lenihan (Socialist Party / ISA in Irland)

Während schreckliche Brände und Überschwemmungen auf der ganzen Welt wüteten, wurde der jüngste Bericht über den Klimawandel vom IPCC veröffentlicht. Er ist die bisher eindringlichste Warnung vor dem Ausmaß der Katastrophe, die uns erwartet.

Dennoch herrscht große Verwirrung über die eigentlichen Ursachen der Klimakatastrophe. Hier zwei Schlagzeilen aus dem Guardian der letzten Tage:

  • Das Urteil des IPCC-Berichts über die Klimaverbrechen der Menschheit: so was von schuldig
  • IPCC-Bericht: Klimakrise „eindeutig“ durch menschliche Aktivitäten verursacht.

Der Klimawandel ist kein ‘Verbrechen durch die Menschheit’. Er ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Die meisten CO2-Emissionen und die Umweltverschmutzung werden von einer kleinen Anzahl von Unternehmen verursacht, die uns nicht gehören, die wir nicht kontrollieren und bei denen wir keinerlei Mitspracherecht haben.

Kapitalist*innen sind die wahren Schuldigen

Die superreiche Minderheit der Weltbevölkerung hat einen viel größeren CO2-Fußabdruck als der Rest von uns – ihre Privatjets stoßen beispielsweise pro Passagier*in zwischen fünf und 14 Mal so viel Kohlenstoff aus wie kommerzielle Flüge.

Aber das Hauptproblem ist, dass sie – die kapitalistische Klasse – so viel Reichtum besitzen und entscheiden, wo er investiert wird. Mit anderen Worten: Sie kontrollieren die Wirtschaft. Dass diese Entscheidungen uns alle betreffen ist bei der globalen Erwärmung am offensichtlichsten. Aber keiner von uns hat ein ein Mitspracherecht bei diesen Entscheidungen. Die globale Erwärmung ist schon seit Jahrzehnten bekannt, doch sie investieren weiterhin in zerstörerische fossile Brennstoffe. Zwischen 2015 und 2021 haben die 60 größten Banken 3,8 Billionen Dollar in diese Unternehmen investiert. Dies geschieht weil sie profitabler sind als Alternativen in Form von erneuerbaren Energien. Für Greenwashing-PR zu bezahlen ist billiger, als tatsächlich Verbesserungen umzusetzen.

Die Frage der “Überbevölkerung”

Eine Variante der Idee, dass “die Menschheit” für den Klimawandel verantwortlich ist, die zuletzt im Internet sehr beliebt war, ist die Behauptung, dass es zu viele Menschen auf dem Planeten gibt, oder dass diese Menschen zu viel konsumieren. Es wird behauptet, dass dies nicht nur zum Klimawandel, sondern auch zu einem Zusammenbruch der Nahrungsmittelversorgung und letztlich zum völligen Zusammenbruch der Gesellschaft führen wird.

Natürlich gibt es viele Beispiele, wo Ressourcen auf eine nicht nachhaltige Weise verbraucht werden, die zu Krisen führen wird: Landnutzung, Plastik, Umweltverschmutzung, Abfallentsorgung, Übersäuerung der Meere usw. Aber diese Beispiele beweisen nicht, dass es zu viele Menschen gibt, oder dass die bestehenden Menschen “zu viel” konsumieren.

Die oben genannten Beispiele zeigen vielmehr, dass wir eine ganze Reihe von Systemen haben, die unnötig verschwenderisch, irrational und absurd sind, weil sie für den privaten Profit und nicht für das öffentliches Wohl genutzt werden.

Ein System der Verschwendung

Zum Beispiel die Plastikwasserflaschen. Es wird viermal mehr Wasser für die Herstellung einer Flasche gebraucht, als die Flasche selbst enthält! Das ist eine unglaubliche Verschwendung. Und die Menschen würden diese Plastikflaschen gar nicht kaufen, wenn das Wasser an den Orten, an denen sie arbeiten, studieren und leben gesund, kostenlos und leicht zugänglich wäre. Initiativen in diesem Sinne wurden zum Beispiel in Paris ins Leben gerufen.

Und um beim großen Beispiel der fossilen Brennstoffe zu bleiben: Die Menschen hätten keine Dieselautos gekauft, wenn die Autofirmen nicht über deren Emissionen gelogen hätten. Und die Menschen würden weniger Autos benutzen, wenn, wie in Dünkirchen und Tallinn, die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos und gut ausgebaut wären.

Die Realität ist, dass die meisten Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika durch den Kapitalismus nicht weit genug entwickelt sind, und die Menschen dort müssen dahin kommen, dass sie mehr konsumieren können, nicht weniger. Wer aus der Klimakrise den Schluss zieht, dass die Hungernden (die es praktisch in jedem Land gibt) ihren Konsum einschränken müssen sollte seine Argumentationskette noch einmal überdenken.

Keine Frage der Zahlen

Die Zahl der Menschen ist weit weniger wichtig als die Art und Weise, wie diese Menschen organisiert sind. Selbst wenn die Weltbevölkerung nur halb so groß wäre wie heute, aber wir hätten immer noch den Kapitalismus und würden fossile Brennstoffe für den Profit verbrennen, wären wir auf dem gleichen Weg, in die gleiche Klimakatastrophe.

Andererseits könnte die Erde viel mehr als die derzeitigen sieben Milliarden Menschen ernähren und Hunger, Armut und Unterentwicklung ein Ende setzen, vorausgesetzt, wir entwickeln eine nachhaltige Beziehung mit der Natur – über eine demokratische, sozialistische Planwirtschaft.

Ein solches System würde auf dem öffentlichen Eigentum an den großen Lebensmittelkonzernen und der Agrarindustrie, sowie der Supermärkte, die diese Lebensmittel verkaufen, basieren. Arbeiter*innen, Kleinbauern und Kleinbäuerinnen könnten das Herzstück eines Plans sein, der sicherstellt, dass gesunde Lebensmittel auf nachhaltige und gerechte Weise produziert und verteilt werden. Die Tage der berüchtigten “Butterberge” könnten ein Ende haben und die Plastikverschwendung könnte vorbei sein.

Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte war die Bevölkerung der Erde sehr gering. Als die Menschen aufhörten Jäger*innen und Sammler*innen zu sein, und sich der Landwirtschaft zuwandten und sesshaft wurden, boomte unsere Bevölkerung. Unter agrarischen Gesellschaftssystemen wie dem Feudalismus, konnten 200-500 Millionen Menschen auf der Erde leben. Vor 250 Jahren lag die Bevölkerung des Planeten noch weit unter einer Milliarde.

Der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus (der mit enormer Brutalität und Vertreibung, politischen Revolutionen und schnellem technologischem Wandel einher ging) ermöglichte eine viel höhere Produktivität der Arbeit und damit die Entfaltung von mehr Leben. Nun hat der Kapitalismus schon längst seine Grenzen erreicht und die Klimakatastrophe herbeigeführt. Aber wie schon oft in der Geschichte, könnte ein Übergang zu einer produktiveren und effizienteren Gesellschaft neue Potenziale für den Fortschritt der menschlichen Zivilisation bringen.

Eine sozialistische Welt ist nötig

Technologischer Fortschritt kann Lösungen für das Klima bieten – aber nur als ein Teil eines revolutionären sozialen und politischen Wandels der die politische und wirtschaftliche Macht aus den Händen der Reichen und des Großkapitals nimmt und es ermöglicht, dass Investitionsentscheidungen demokratisch und zum Wohle der Allgemeinheit getroffen werden, jetzt und in Zukunft.

Was die angeblichen Verbrechen der Menschheit gegen das Klima betrifft: „Die Menschheit” hatte nie die Mittel, das Motiv oder die Möglichkeit. Die Mehrheit der Menschen – in Form der Arbeiter*innenklasse, der Armen und der Unterdrückten – ist die Lösung, nicht das Problem. Die Wirtschaft wird von den privaten, kurzfristigen Profitmotiven von Superreichen, Banken und Konzernen gelenkt. Sie wird nicht im Interesse der menschlichen Bedürfnisse geführt. Die Entscheidungen werden für die superreichen Aktionär*innen getroffen, nicht für „die Menschheit”. Deshalb wird die Umwelt weiter zerstört, selbst nach 30 Jahren düsterer Warnungen.

Wir können nicht zulassen oder uns leisten, dass diese Kräfte ihre zerstörerische Ausbeutung von Mensch und Natur fortsetzen – das muss jetzt aufhören. Die Ressourcen und Technologien, die in privaten Händen sind, müssen beschlagnahmt werden und demokratisch im öffentlichen Besitz im Interesse aller genutzt werden. Das ist die sozialistische Welt, die wir brauchen und für die wir heute kämpfen müssen.