Der Rubel rollt mit dem Ball: EM, Super-League und das große Geld

Ein “schmutziges Dutzend”, zwölf europäische Fußball-Mannschaften, hatten einen Plan: Sie wollten eine eigene Super-Liga an den “offiziellen” Stellen (FIFA & UEFA) vorbei gründen, um über Fernsehgelder und Sponsoren (JP Morgan) zusätzliche Milliarden zu scheffeln. Doch die Clubs hatten ihre Rechnung ohne die Fans gemacht: Nach massiven Protesten musste der Plan zurückgenommen werden. Ein kleiner Sieg der Gerechtigkeit – aber das Grundproblem bleibt – der Kommerz zerstört den Sport.

Von Sebastian Rave, Bremen

Der Satz “Fußball ist ein Geschäft” gehört längst zum Phrasenrepertoire wie “Der Ball ist rund” und “Ein Spiel dauert 90 Minuten”. In der Saison 2017-2018 spielte die DFL 1,16 Milliarden Euro über Fernsehgelder ein. In England sind es gar 2,3 Milliarden. Weitere Millionen bekommen die Vereine über Sponsorenverträge. Spieler gehen individuelle Werbeverträge ein, um einer gut zahlenden Marke ihr Gesicht zu leihen. Konzerne, Medien und der Spitzenfußball sind eng miteinander verflochten. 

Milliardäre, zum Beispiel aus Ölförderländern, nutzen ihr “Engagement” im Fußball, um sich ein besseres Image zu verschaffen. Ganze Clubs werden von solchen Investoren gekauft. Die englischen Traditionsklubs Liverpool, Manchester United und Arsenal gehören US-amerikanischen Investoren, Chelsea einem russischen Oligarchen, Manchester City einem Konsortium von arabischen Ölkonzernen. Ähnlich verhält es sich mit den anderen sogenannten Top-Clubs. Den Investoren ging es mit dem Plan der Super-League darum, ihre Investitionen abzusichern und nicht mehr dem Risiko sportlicher Misserfolge in der heimischen Liga ausgesetzt zu sein.

Der Sport, den viele nach Feierabend und am Wochenende zelebrieren, weil er eine Ablenkung vom anstrengenden kapitalistischen Arbeitsalltag ist, wird selbst vom Kapitalismus zersetzt. Es frustriert, Anhänger einer Traditionsmannschaft zu sein, die jahrelang gegen Abstieg spielt, und zwar nicht aus sportlichen, sondern aus rein wirtschaftlichen Gründen. Und der Sport verliert seinen Zauber vollends, wenn es jedes Jahr den gleichen Meister gibt, der sich mit absurd hohen Millionenbeträgen die teuersten Spieler kaufen kann: Der brasilianische Flügelstürmer Neymar wechselte 2017 für 222 Millionen Euro von Barcelona zu Paris Saint-Germain (Inhaber: Qatar Sports Investments), die sieben der letzten acht Meisterschaften in Frankreich gewannen. Bayern München ist gerade zum neunten Mal in Folge Deutscher Meister geworden. Gähn. 

Kapitalismus und Patriarchat zerstören den Fußball

“Reguliert” wird das Geschäft von den Verbänden FIFA und UEFA, die selbst von Korruptionsskandalen erschüttert wurden. Die Vergabe der WM 2018 an Russland sowie 2022 an Katar wurden gekauft; auch beim deutschen “Sommermärchen” 2006 wurde geschoben. Über Jahrzehnte wurden Bestechungsgelder von Medienkonzernen, Sponsoren und Vermarktungsunternehmen verteilt, um lukrative Sende- und Werbelizenzen zu erhalten. Mehrere hohe FIFA-Funktionäre wurden 2015 festgenommen. Dass die FIFA das Wort “Korruption” aus ihrem eigenen Ethikreglement kurzerhand strich, macht es nicht besser. 

Als letzten Monat ans Licht kam, dass der Trainer der argentinischen U-19 Frauennationalmannschaft Spielerinnen über Jahre missbraucht hatte kam, übernahm die FIFA die Untersuchung des Falles. Der Trainer darf bis zu einem möglichen Urteil aber weiter trainieren; der argentinische Fußballverband wies alle Verantwortung von sich. Die Selbstregulierung des Fußballs ohne jegliche demokratische Kontrolle führt dazu, dass solche Skandale unter den Teppich gekehrt werden, in der Hoffnung, dass die Öffentlichkeit sie bald wieder vergessen hat. 

Frauen müssen immer noch gegen sexistische Rollenbilder im Fußball kämpfen. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen die Gewinnerinnen der Weltmeisterschaft der Frauen 1989 mit einem Kaffeeservice “belohnt” wurden. Aber auch die US-Amerikanischen Weltmeisterinnen von 2019 kämpfen immer noch für “equal pay” – obwohl sie erfolgreicher sind als ihre männlichen Kollegen. Amateurinnen und weiblichen Profis fehlt es an Trainingsmöglichkeiten: Die Trainerin der Frauenmannschaft von Manchester United schmiss frustriert hin, nachdem sie ihre Mannschaft monatelang ohne Trainingsplatz trainieren musste. 

Trotzdem noch Leben in der Bude

Aller Skandale zum Trotz: Der alte Arbeiter*innensport hat immer noch Millionen treuer Anhänger*innen. Das liegt nicht nur am inszenierten Spektakel selbst, sondern auch daran, dass die Massen der Fans selbst dem Sport ihren Stempel aufdrücken. Sie schauen nicht nur zu, sondern protestieren in den Stadien, wenn diese nicht pandemiebedingt leer sind, seit Jahren lautstark und kreativ gegen die Kommerzialisierung des Sports (von “Fussballmafia DFB”,  “Gegen den modernen Fußball” bis hin zu persönlichen Anfeindungen gegen den Milliarden-Investor Dietmar Hopp). Die Ultra-Bewegung in Italien brachte schon in den 1950ern Gesänge, Fahnen und Trommeln der Arbeiter*innenbewegung in die Stadien. Fangruppierungen organisieren sich autonom, positionieren sich politisch, kämpfen in den Stadien gegen Rassismus, Homophobie, Sexismus, Unterdrückung usw. – oft auch über Vereinsgrenzen hinweg. Als Fans von Celtic Glasgow das erste Mal seit der Pandemie wieder ins Stadion durften, nutzten sie die Gelegenheit für eine Solidarisierung mit den Menschen, die in Palästina unter Krieg, Besetzung und Bombardierung leiden. 

Fußball ist politisch, weil er Teil der Gesellschaft ist. In den Stadien findet Klassenkampf statt: Zwischen den Investoren auf der einen Seite, die das Kapital repräsentieren, das immer weiter in alle Lebensbereiche eindringt. Und den Fans auf der anderen Seite, die ihren Sport, ihren Verein lieben, oft genug enttäuscht werden, aber immer weiter kämpfen – nicht nur für “ihre Farben”, sondern im besten Fall auch für politische Fortschritte in- und außerhalb der Kurve. Der Erfolg der Protestwelle gegen die Super-League ist ein kleiner Sieg des vermeintlichen Außenseiters. Um die zwei-Klassen-Gesellschaft im Fußball zu beseitigen, wird aber die Abschaffung der Klassengesellschaft insgesamt nötig sein.