Relevant oder tot

von Volker Lösch

Die Theaterszene im deutschsprachigen Raum ist, was die ökonomische Situation betrifft, dreigespalten. Da gibt es die festangestellten Künstler*innen in Stadt- und Staatstheaterbetrieben, die teilweise in Kurzarbeit sind, aber mindestens 90 Prozent ihrer Monatsgehälter weiter gezahlt bekommen. Dann gibt es die vielen Freiberuflichen – Regisseur*innen, Choreograph*innen, Ausstatter*innen usw. -, zu denen ich gehöre, und da sieht`s nicht so gut aus.

Produktionen wurden verschoben oder sind ganz ausgefallen, neue Arbeit gibt es weniger als vorher, die Produktionsbedingungen sind ungewiss. Unsere Gagen werden nicht vollständig ausgezahlt, wenn eine Arbeit nicht zur Premiere kommt. Die Zukunftsaussichten sind höchst ungewiss, jede begonnene Inszenierung kann jederzeit aufgrund eines veränderten Infektionsgeschehens wieder gestoppt werden. Ganz schlimm sieht es bei den Kolleg*innen in der freien Szene aus, die die Mehrheit ausmachen und schon vor Corona mit sehr wenig Geld auskommen mussten. Da bricht gerade alles weg, es gibt nicht wenige, die bereits jetzt aufgegeben haben.

Es gab – je nach Bundesland unterschiedlich – vereinzelt finanzielle Hilfe, in der Regel einmalig, oft beliebig, nirgendwo existenzerhaltend. Es überwiegt die Erfahrung, dass sich für uns niemand wirklich interessiert, wir sind nicht unersetzlich, obwohl viele von uns das glaubten. Trotz mancher Lippenbekenntnisse haben wir keine Lobby, Kunst und Kultur ist offiziell nicht „systemrelevant“, ist Luxus, nicht lebensnotwendig, ist Beiwerk. Umso bitterer ist es zu erleben, wie Milliarden in klimaschädigende Wirtschaftszweige wie den Flugverkehr oder in die Autobranche gepumpt werden, die mit Riesengewinnen aus den letzten Jahren milliardenschwere Rücklagen gebildet hat. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass in der neoliberalen politischen Ökonomie alles wichtiger ist als der Erhalt künstlerischer Strukturen.

Schon in den letzten Jahren wurden immer mehr Gelder für Kultur gestrichen. Honorare und Gagen sind stetig gesunken. Jede*r, der/die Arbeit hatte, gehörte zum Kreis der Privilegierten. Dennoch ging es vielen von uns besser als den Kulturschaffenden in den meisten anderen Ländern. Das könnte nun bald vorbei sein, spätestens dann, wenn die immensen Corona-Schuldenberge abgetragen werden müssen. Gewinner der Krise sind Netflix und andere Streamingdienste, die Live-Veranstaltungsbranche steht auf der Kippe. In unserer Branche wird gerne behauptet, Kunst und Kultur seien unverzichtbar. Dass der Mensch ohne Kultur keine Kultur hat. Das kann schon sein. Nur fühlt es sich gerade so an, als ob nur wir das so sehen.

Uns bleibt nichts anderes übrig, als mit den Möglichkeiten, die wir noch haben, gute und relevante Veranstaltungen zu machen. Wenn es gelänge, in der Breite politischer und kritischer zu werden, könnte aus der Krise eine kreative Kraft erwachsen, die sich mehr als vorher einmischt, sich gegen den neoliberalen Umbau der Gesellschaft künstlerisch positioniert, die für eine andere Gesellschaft kämpft. Die weniger selbstreferentiell daherkommt, sich mehr nach außen öffnet. Dann könnte das Wort „systemrelevant“ unwichtig für uns werden – ich zumindest wollte für dieses System noch nie relevant sein. Womöglich ist das unsere einzige Chance: sperriger, kompromissloser, kritischer, visionärer, mutiger und weniger rein unterhaltend zu werden. Um dann irgendwann doch noch unersetzlich zu sein – nicht für eine Kunstelite, sondern für die Mehrheit der Bevölkerung. Corona als Relevanzverstärker – dem Theater tät`s gut.

Volker Lösch gilt als einer der wichtigsten politischen Theatermacher und hat bisher über 100 Inszenierungen realisiert. In seinen Arbeiten bringt er häufig Vertreter*innen verschiedener sozialer Gruppen mit professionellen Darsteller*innen zusammen. Zuletzt inszenierte er »Volksfeind for Future« am Düsseldorfer Schauspielhaus mit dem Theaterensemble und Klimaaktivist*innen.