USA: Lehrer*innenstreiks gegen Schulöffnung möglich

Für den Fall, dass die Schulbehörden und konzernfreundliche Politiker*innen beim Schulstart nach den Sommerferien nicht für angemessene Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen sorgen, empfiehlt die US-amerikanische Lehrergewerkschaft AFT ihren Mitgliedern, „von jeder Aktion und Maßnahme Gebrauch zu machen, die zur Verfügung steht“.

Chris Carroll, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion der ISA in den USA)

Am 28. Juli hat die „American Federation of Teachers“ (AFT; neben der „National Education Association“ [NEA] die zweitgrößte Bildungsgewerkschaft in den USA) im Rahmen ihres alle zwei Jahre stattfindenden Gewerkschaftstags eine Resolution verabschiedet. Mit dieser Resolution unterstützt die AFT „lokale und/oder Streiks auf bundesstaatlicher Ebene im Sinne des Gesundheitsschutzes […] als letztes Mittel“.

Zuvor hatte die AFT einen Plan zur Wiedereröffnung skizziert, der auf Grundlage des aktuellen medizinischen Wissenstands umfangreiche Sicherheitsaspekte enthält. Dazu zählen die Beibehaltung von kommunalen Untergrenzen für Infektions- und Reproduktionszahlen, die Überwachung von Krankheitsverläufen, Nachverfolgung von Kontakten und wirksame Quarantäne bzw. Isolierung. Darüber hinaus lautet die Forderung, Schutzmaßnahmen wie z.B. Sicherheitsabstände zu gewährleisten, Mund-Nasen-Masken für das Schulpersonal wie auch die Schüler*innen zur Verfügung zu stellen, für ausreichend Handdesinfektion zu sorgen sowie Mittel und Personal zur Renigung und Desinfektion der Einrichtungen bereitzustellen. Die Modernisierung von Lüftungsanlagen und der Gebäudesubstanz wird ebenfalls als notwendig erachtet.

Wir stimmen Randi Weingarten, dem AFT-Vorsitzenden, zwar zu, der gesagt hat, dass „Fernbeschulung keine Alternative“ zum Unterricht im Klassenraum sein kann. Allerdings gehen wir noch ein paar Schritte weiter. Die Schulschließungen im März haben gezeigt, was für eine Katastrophe das Distanzlernen für die Mehrheit der Schüler*innen bedeutet. Aber die Tatsache, dass die Schulen auch fünf Monate später noch nicht in der Lage sind, eine sichere Wiedereröffnung zu gewährleisten, ist zu allererst ein Beleg für die Inkompetenz der Trump-Administration, angemessen auf die Corona-Krise zu reagieren. Abgesehen davon ist es eine schreiende Anklage gegen das kapitalistische System, das dem Bereich der öffentlichen Bildung über Generationen hinweg systematisch die Mittel entzogen und den öffentlichen Schulen die Ressourcen gekürzt hat.

Die Erklärung der AFT bringt den Mangel an Vertrauen hinsichtlich der von der Bundesregierung koordinierten Wiedereröffnung der Schulen zum Ausdruck, der bei der Mehrheit der Bevölkerung vorherrscht. Die AFT-Resolution zeigt aber auch, dass arbeitende Menschen nicht besonders zuversichtlich sind, was die Kompetenzen der örtlichen Behörden und Schulämter angeht. Diese müssten eigentlich alles daran setzen, Richtlinien für eine sichere Wiedereröffnung der Schulen aufzustellen, die dem heutigen medizinischen Kenntnisstand entsprechen.

Letztlich zeigt das Kompendium aber auch, dass der Vorstand der AFT unter dem Druck der Basis – von Lehrkräften und Eltern steht, die angesichts der Lage nachvollziehbarer Weise extrem besorgt sind. Eine große Zahl von Lehrerinnen und Lehrern ist bereit, aus Gründen des persönlichen wie allgemeinen Gesundheitsschutzes die Arbeit niederzulegen. Es ist sehr positiv, dass die AFT-Führung angesichts der allgemeinen Stimmung im Land diese Haltung eingenommen hat. Dies ist umso mehr bemerkenswert, da die AFT in der Geschichte allzu oft Kämpfe gebremst und zurückgehalten hat.

Nicht nur die AFT-Vorstände haben immer wieder als Bremsklotz gewirkt, wenn Lehrkräfte zu kämpfen bereit gewesen sind. Das Aufbegehren der Lehrerschaft in den Jahren 2018/-19 wurzelte in den Aktionen der Basis und einiger fortschrittlicher Funktionsträger*innen in den örtlichen Untergliederungen. Die Führung von AFT und NEA tat buchstäblich nichts, um diese Kämpfe weiter zu bringen, geschweige denn sie auszuweiten. In einem Interview in der „Education Week“ vom 6. August windete Becky Pringle, die neu gewählte Vorsitzende der NEA, sich um die Frage herum, ob ihre Gewerkschaft Streiks zur Durchsetzung von Corona-Sicherheitsmaßnahmen unterstützen wird oder nicht. Anstatt von offizieller Seite Rückhalt zuzusichern und ausdrücklich den Begriff „Streik“ (die mächtigste Waffe der Beschäftigten, um für sichere und vernünftige Bedingungen in den Schulen zu sorgen) zu benutzen, entschied Pringle sich dafür, den Fokus auf eine Endlos-Taktik zu lenken und sich für Lobbyarbeit unter den Mitgliedern des US-Kongresses auszusprechen.

Die Mitglieder der NEA sollten nun Beschlüsse fassen, mit denen sie den Streik als Mittel der Wahl forcieren, um einer gesundheitsgefährdenden Wiedereröffnung der Schulen vorzubeugen und um durchfinanzierte und sichere Pläne zur Schulöffnung einzufordern.

Im vom Corona-Virus besonders hart getroffneen Bundesstaat Arizona, organisierten mehrere hundert Lehrkräfte und Schulbedienstete eine kollektive Krankmeldung, die dazu führte, dass die Schulbehörde des nahe der Großstadt Phoenix gelegenen Distrikts J.O. Combs ihren waghalsigen Plan zur Wiedereröffnung der Schulen fallen lassen musste. 2018 erlebte Arizona eine Mitglieder-Ebene unter der gewerkschaftlich organisierten Lehrerschaft, die den Schneid hatte, den Druck im gesamten Bundesstaat zu organisieren, was die „Arizona Education Association“, die der NEA angegliedert ist, letztlich zwang, deren Arbeitskampf zu unterstüzen. Durch diesen Streik konnten am Ende wichtige Forderungen durchgesetzt werden. Genau diese Kampfbereitschaft wird von der Ost- bis zur Westküste der USA nötig sein, will man an der konservativ eingestellten Führung der NEA vorbei, die es ablehnt, Kämpfe der Pädagog*innen gegen unsichere und gesundheitsgefährdene Schulöffnungen zu unterstützen. Das wird auch der Erzieherin Kelley Fisher aus Arizona nicht entgangen sein, die mit dem Satz zitiert wird: „Ich würde mich freuen, wenn es bundesweit zu kollektiven Krankmeldungen kommt!“.

Welche Wirkung allein die Androhung eines Streiks haben kann, konnten wir bereits erleben. Erst vor wenigen Tagen drohten die „United Teachers of Los Angeles“ (UTLA) und die „Chicago Teachers Union“ (CTU), die beide der AFT angehören, mit Streikmaßnahmen, um die örtlichen Schulbehörden unter Druck zu setzen. Beide Gewerkschaftsgliederungen wollten, dass die Wiedereröffnung der Schulen zur zweiten Jahreshälfte verhindert wird. Sowohl in LA wie auch in Chicago ist ein sicherer Schulbetrieb unter den momentanen Umständen und angesichts des aktuellen Handelns der Politik derzeit nicht zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass die UTLA Verhandlungen über ein besseres Distanzlern-Programm geführt hat. Das bis zu dem Zeitpunkt von der Schulaufsicht vorgelegte Papier erachtete man als nicht ausreichend.

Dass die AFT nun bundesweit grünes Licht für Streikmaßnahmen gegeben hat, dürfte die Pädagog*innen an der Basis auch ermutigen, sich gegen trügerische Bemühungen auszusprechen, zu denen es in manchen AFT-Untergliederungen noch kommen mag und die auf überhastete Vereinbarungen mit der Arbeitgeberseite hinauslaufen werden, was eine mögliche Schulöffnung angeht.

Entscheidung für den Streik und die nötigen weiteren Aufgaben

Die Frage, wie eine sichere Wiedereröffnung der Schulen ablaufen kann, betrifft jeden Schulbezirk in den gesamten Vereinigten Staaten. Bildungsgewerkschaften sollten Versammlungen einberufen, in deren Rahmen das Schulpersonal, Eltern und andere Vertreter*innen aus den Schulbezirken in Austausch miteinander treten können. Betroffene Familien und Pädagog*innen können somit zusammengebracht werden. Um für breite Unterstützung innerhalb der betreffenden Bezirke zu sorgen und eine Einheitsfront zu schmieden, sollten Schulausschüsse gebildet werden, die darüber entscheiden, in welcher Form eine Wiedereröffnung der jeweiligen Schule möglich ist. Diesen Ausschüssen sollten Pädagog*innen, Vertreter*innen der medizinischen Berufe, Eltern und Schüler*innen angehören. Auf regionaler und bundesstaatlicher Ebene sollten diese lokalen Ausschüsse zusammengefasst werden. Das ist ein entscheidender Ansatz, wenn es darum geht, Unterstützung für einen etwaigen Streik zu generieren.

In den Kommunen, in denen es auf Schulöffnungen hinausläuft, die nicht als sicher bezeichnet werden müssen, sollten die Lehrkräfte die nun vorliegende Resolution der AFT nutzen, um darauf aufbauend Streikerklärungen in ihren jeweiligen Untergliederungen einzubringen. Die Funktionsträger*innen an der Basis vor Ort sollten keine Zeit verlieren, um mit der Mobilisierung unter den Kolleg*innen, Eltern und weiteren Leuten in den Gemeinden zu beginnen. Eine Vorstellung, wie dies gelingen kann, bekommen wir, wenn wir uns das Beispiel des couragierten Vorgehens der Kolleg*innen in West Virginia vor Augen führen. In 55 Bezirken wurde gestreikt, was schließlich die US-weite Streikwelle der Lehrer*innen von 2018/-19 auslöste.

Die Mobilisierung per Email und Telefon kann ergänzt werden durch social media. Auf diese Weise bekommt man ein Gespür für die Stimmung und kann mit der Organisation von Streikmaßnahmen beginnen. Gastbeiträge in lokalen Zeitungen können mobilisierend wirken und die Grundlage für eine dem Streik positiv geneigte Einstellung in der öffentlichen Auseinandersetzung sorgen. Die Pädagog*innen können und sollten aber nicht für sich allein vorgehen. Sie sollten zu jedem Zeitpunkt mit Eltern und Schüler*innen in Diskussion über die richtige Stratgie treten, um Unzulänglichkeiten bei der Wiedereröffnung der Schulen auszuschließen. Es muss dabei immer auch um die Frage gehen, wie wir die Schulen unter Beachtung des Gesundheitsschutzes wieder öffnen können.

Jahrzehntelange Kürzungen im Bildungsbereich

Nach Jahrzehnten, in denen Schulen geschlossen und Klassenfrequenzrichtwerte erhöht worden sind, braucht es nun kleinere Klassen, will man die Schulen wieder aufmachen. Das macht die Einstellung von Lehrkräften und die Schaffung von mehr Räumen unumgänglich. Es müssen folglich Gebäude akquiriert werden, die bislang ungenutzt geblieben sind. Auch müssen kurzfristig Räume außerhalb der bestehenden Schulgebäude zur Nutzung in Betracht gezogen werden. Sämtliche Unterrichtsräume und alle Schulen müssen dringend mit angemessenen Belüftungssystemen ausgestattet werden.

Davon und von der Tatsache ausgehend, dass die Schülerschaft besonderen sozialen wie emotionalen Herausforderungen gegenüberstehen, ist es nötig – angesichts der Belastung und Sorge aufgrund der durch die Pandemie bestimmten Realität – weiteres besonders ausgebildetes Peersonal einzustellen: z.B. Beratungsfachkräfte und Sozialarbeiter*innen. Wir sprechen über personell wie materiell voll ausgestattete Schulen. Es geht um bis ins letzte durchfinanzierte Schulen!

Teile des Polit-Establishments werden versuchen, Eltern und Pädagog*innen auf zynische Weise gegeneinander aufzubringen. So soll abgelenkt werden, von dem, was im Interesse beider wäre: umfassende Investitionen für öffentliche Schulen, finanziert durch eine Reichensteuer. Wie „Socialist Alternative“ zuvor bereits dargelegt hat, müssen Pädagog*innen und die Familien mit schulpflichtigen Kindern gemeinsam vorgehen und für eine komplette Sanierung der Infrastruktur im Bereich der öffentlichen Bildung kämpfen. Was wir brauchen ist ein Moratorium bezüglich der „charter schools“ sowie eine Steuer für Milliardär*innen und Großkonzerne in den betreffenden Regionen. [Was sind „charter schools“? – Es ist ein Modell privat geführter Schulen, die öffentliche Gelder erhalten. Bei „private schools“ handelt es sich demgegenüber um Privatschulen, die meist ohne öffentliche Zuwendungen auskommen. Um die öffentlichen Schulen auszuhebeln, müssen öffentliche Gelder für Privatschulen zugänglich gemacht werden. Das läuft über die Argumentation für „freie Schulwahl“: Öffentliche Gelder folgen der Wahl der Eltern, die ihre Kinder in „charter schools“ schicken. Aber sind Gelder erst an private „charter Schools“ geflossen, gibt es weniger öffentliche Einrichtungen – also keine Wahl mehr, eine wohnortnahe öffentliche Schule zu besuchen. Die überwältigende Mehrzahl der „charter schools“ ist gewerkschaftsfrei, während die Lehrergewerkschaften in öffentlichen Schulen traditionell stark sind. (In den USA geht nichts ohne rassistische Komponente: Öffentliche Schulen sind vor allem in von Armen und von Dunkelhäutigen bewohnten Gegenden schlecht. Eines der Einfallstore für Privatisierungen ist die Suche von armen und dunkelhäutigen Eltern nach besseren Schulen. Sie unterstützen dann zum Teil „school choice“ („freie Schulwahl“) und „charter schools“ – und haben damit erneut das Nachsehen.); Anm. d. Übers.]

Die UTLA und die CTU geben weiter den Weg vor, indem sie sich an einem Bündnnis beteiligen, das sich „Demand Safe Schools“ („Für sichere Schulen“) nennt. Eine der Forderungen dieses Bündnisses lautet: Besteuerung der Milliardär*innen und der „Wall Street“. Diese Forderung bezieht sich zwar auf die Einführung einer US-weiten Steuer, sollte aber in den einzelnen Bundesstaaten und auf lokaler Ebene ebenfalls aufgestellt werden (da auch vor Ort Steuern erhoben werden können). So hat besipielsweise die UTLA auch die Forderung aufgestellt, die hunderte von Milliardär*innen und Millionr*innen, die in LA leben, zu besteuern. Eine derartige Forderung kann Modellcharakter für andere AFT-Untergliederungen und die gesamte Arbeiterbewegung bekommen.

Entscheidende Bedeutung wird couragierten AFT-Untergliederungen und der Solidaritätsarbeit der oben skizzierten Schulausschüsse zukommen. Allerdings hat diese Kampf-Strategie noch eine weitere Komponente.

Für Schulöffnungen unter Gewährung des Gesundheitsschutzes und bei voller finanzieller Ausstattung ist die Solidarität der gesamten Arbeitnehmerschaft nötig

Wenn es um Pläne zur Wiedereröffnung der Schulen geht, orientieren sich die Politiker*innen von „Demokraten“ wie auch der „Republikaner“ an den Interessen der Konzerne. Die organisierte Arbeitnehmerschaft muss das Vakuum füllen und die Führung übernehmen. Sie muss den Gesundheitsschutz der arbeitenden Menschen an erste Stelle setzen. Die AFT hat einen wichtigen Schritt in diese Richtung getan. Diese offizielle Genehmigung von eventuell nötig werdenden Streiks stellt eine bedeutsame Entwicklung dar. Damit gibt der organisierte Teil der Beschäftigten inmitten der Corona- und Wirtschaftskrise die Richtung für sämtliche arbeitenden Menschen vor. Dieser Aufruf muss aber von weiteren Gewerkschaften und in anderen Branchen aufgegriffen werden.

Wenn die nötige Solidarität unter der gesamten Arbeitnehmerschaft branchenübergreifend erreicht werden soll, so braucht es dazu den Einsatz der Mitglieder an der Basis und der aufrichtigen Funktionär*innen auf bundesweiter wie auf lokaler Ebene von der Ost- bis zur Westküste im ganzen Land. Gewerkschaften mit Mitgliedern im öffentlichen Dienst (wie die AFSCME und die SEIU) müssen sich schon jetzt auf Solidaritätsaktionen vorbereiten, wenn die Gewerkschaften der Pädagog*innen Streiks ausrufen. Das Pflegepersonal in den Krankenhäusern, Flugbegleiter*innen und Beschäftigte der Branchen Transport und Verkehr sollten an ihrer jüngst gezeigten Kampfbereitschaft festhalten und ihr ganzes Gewicht bei einer solchen Bewegung mit einbringen. Die organisierte Arbeitnehmerschaft sollte sich darauf vorbereiten, die Lehrkräfte zu unterstützen und eine Milliardärs-Steuer fordern, um darüber die öffentliche Bildung angemessen finanzieren zu können, sichere Wiedereröffnungen von Betrieben sämtlicher Branchen zu ermöglichen, ein grünes Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen und den Bau von Sozialwohnungen.