Hongkong: Meinungsfreiheit abgeschafft

Dritte Welle der Repression

Am 30. Juni erließ der „Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses der Volksrepublik China“ das „Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong“ und setzte es zum 1. Juli in Kraft. Es erlaubt der chinesischen Geheimpolizei und Agenten der KP Chinas unkontrolliert neben und anstelle der lokalen Sicherheitskräfte in Hongkong zu agieren.

von Ianka Pigors, Hamburg

Es wurden neue Straftatbestände eingeführt, mit Höchststrafen wie lebenslänglicher Haft- oder bei einer Auslieferung in die Volksrepublik sogar der Todesstrafe. Die „Vier Verbrechen“ sind „Subversion“, also Kritik an der KP-Diktatur, „Sezession“, die Forderung nach nationaler Unabhängigkeit für Hongkong, Taiwan, Tibet oder jedes andere Gebiet, das die chinesische Führung als ihr Territorium betrachtet, „Terrorismus“, die Teilnahme an oder Unterstützung von Protesten, wie zum Beispiel Blockaden öffentlicher Verkehrsmittel und „Konspiration mit ausländischen Kräften“, die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen oder ausländischen Personen gegen die Interessen des chinesischen Regimes. Das Gesetz ist so schwammig formuliert, dass mit ihm praktisch jede oppositionelle Tätigkeit kriminalisiert werden kann.

Der Angriff auf Kritiker*innen hat bereits begonnen. Anfang Juli wurden NGO und politische Organisationen aus Taiwan aufgefordert, dem chinesischen Geheimdienst ihre Mitgliederlisten und Finanzunterlagen zu übergeben. Vertreter*innen von Organisationen, die sich weigern, können nun in Hongkong festgenommen und wegen „Konspiration“ verurteilt werden. Durch das Regime verbotene Bücher wurden aus öffentlichen Bibliotheken und Unis entfernt.

Wahlen verschoben

Xi Jinpings Regime nutzt die Corona-Pandemie, um die Protestbewegung in Hongkong zu zerschlagen. Bei den Wahlen zu den eher machtlosen Bezirksräten im November 2019 gewannen regimekritische Kandidat*innen bei hoher Wahlbeteiligung die große Mehrheit der Stimmen. Die Wähler*innen brachten damit ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck. Beijing wurde vom Ausmaß der Kritik überrascht. So einen Schlag ins Gesicht will die Führung nicht noch einmal hinnehmen. Am 31. Juli wurde bekannt gegeben, dass die für den 6. September angesetzten Wahlen zum Legislativrat (LegCo) unter dem Vorwand der Corona-Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben würden.

Am 10. August durchsuchten 200 Polizist*innen die Redaktionsräume der beliebten Tageszeitung Daily Apple. Das liberale Blatt unterstützt die Demokratiebewegung und ist nicht nur berühmt für seine deftigen Klatschgeschichten, sondern auch für regimekritischen Journalismus. Der Herausgeber der Zeitung, Jimmy Lai, und seine beiden Söhne wurden festgenommen. Sie werden der „Konspiration mit ausländischen Kräften“ beschuldigt. Kurz nachdem der Vorfall bekannt wurde, war die aktuelle Ausgabe der Zeitung in der ganzen Stadt ausverkauft – eine spontane Solidaritätsbekundung der Hongkonger*innen für unzensierten Journalismus.

Die Führung in Beijing geht aggressiv gegen die Demokratiebewegung vor und riskiert dabei internationale Sanktionen, die das Finanzzentrum Hongkong beeinträchtigen könnten. Sie ist bereit, dieses Risiko einzugehen, weil sie fürchtet, dass die Proteste in Hongkong die Bevölkerung auf dem Festland ermutigen könnten, ihre seit langem aufgestaute Wut über wachsende soziale Ungleichheit, Ausbeutung, Repression und nationale Unterdrückung zum Ausdruck zu bringen. Xi Jinping und seine Anhänger*innen sitzen auf einem brodelnden Vulkan. Innerhalb der KP muss er sich mit rivalisierenden Gruppen auseinandersetzen, die fürchten, dass seine autoritäre Politik den Beziehungen zum Westen und damit der Wirtschaft schaden könnte. Das brutale Vorgehen in Hongkong ist deshalb vor allem ein Versuch Xis, Stärke zu demonstrieren.

Die politische Lage in China und Hongkong entwickelt sich in Richtung Revolution und Konterrevolution. Die kommenden Massenkämpfe in China selbst sind dabei der Schlüssel. Für Sozialist*innen und Aktivist*innen in Hongkong ist das Leben gefährlich geworden. Das ist eine Warnung für Sozialist*innen auf der ganzen Welt. China zeigt, dass in der neuen Phase, in der wir uns befinden, scharfe Wendungen und explosive Konflikte zunehmen werden.