Tönnies und Co. enteignen!

Schwein

Ende Juni hatten sich schon über 2500 Kolleg*innen in der deutschen Fleischindustrie mit dem Corona-Virus infiziert. Allein bei “Wurstkönig” Tönnies im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück waren es über 1000 Fälle (Stand 21.06.). Die Schulen im Kreis Gütersloh wurden bis zu den Ferien geschlossen, 7000 Menschen sind in Quarantäne. Erneut sind die Lebensbedingungen der vorwiegend osteuropäischen Kolleg*innen in den Fokus geraten. Durch undurchsichtige Werkvertragskonstruktionen sind die Bedingungen schwer zu ermitteln, unter denen diese Kolleg*innen arbeiten.

von Peter Narog, Saarbrücken

Die Infektionsgefahr ist in den Transportmitteln und Unterkünften besonders hoch. Würden in Deutschland aufgewachsene Kolleg*innen für mehrere Monate „entsendet“, würden sie zurecht kostenlose Unterkunft erwarten und auf einer zusätzlichen täglichen Auslöse bestehen. Den Kolleg*innen aus Osteuropa wird stattdessen eine saftige Miete für die beengten und heruntergekommenen Unterkünften vom geringen Lohn abgezogen.

Nicht nur diese Zustände sind unwürdig sondern auch die öffentliche Debatte. NRW-Ministerpräsident Laschet nannte die Einreise von “Bulgaren und Rumänen” als Ursache des Ausbruchs. BILD mutmaßte, die Arbeiter*innen hätten sich am langen Wochenende zu Fronleichnam bei Besuchen in der Heimat angesteckt. So werden die Opfer zu Tätern gemacht. Einer der Täter ist aber Laschet selbst: Die Landesregierungen schauen bei den Schweinereien in den Schlachtbetrieben seit Jahrzehnten genauso weg wie der Bund.

Kaufentscheidungen sind keine demokratische Kontrolle

Grünen-Chef Harbeck beklagt, Fleisch sei zu billig, Vertreter*innen der Fleischindustrie berufen sich darauf, dass Verbraucher*innen meist zum billigeren Produkt greifen. Warum die Umstände, unter denen das Fleisch produziert wird, nicht von den Entscheidungen der Fabrikbesitzer*innen abhängen sollen, sondern davon, ob chronisch unterbezahlte Arbeitnehmer*innen, Studierende und Hartz-IV-Empfänger*innen sich teures Bio-Fleisch kaufen oder nicht, erschließt sich nicht. Ganz zu schweigen davon, dass ihnen die Herstellungsbedingungen dieses Bio-Fleisches auch nicht bekannt sind. Nur wem die Produktion gehört, kontrolliert die Produktion.

Lebensmittelproduktion in öffentliches Eigentum

Eine Welle der Empörung ist nicht genug, die gab es zum Thema Fleischproduktion schon öfter. Runde Tische und Selbstverpflichtungen, wie 2015 mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel unter Beteiligung der Gewerkschaft NGG, haben nichts Entscheidendes geändert. Das „Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft“ von 2017 ist nichts weiter als eine Haftungsregelung bei Gesetzesverstößen, die weiterhin nicht aufgedeckt werden. Zoll und andere staatliche Institutionen sind offenbar nicht in der Lage, die sowieso schon niedrigen Mindeststandards durchzusetzen. Nur die Arbeiter*innenbewegung kann nicht nur bessere Standards erkämpfen, sondern dies auch durchsetzen.

Betriebsräte müssen die Belange dieser Kolleg*innen vertreten, egal ob sie nominell dafür zuständig sind oder nicht. Die NGG muss den Schulterschluss suchen, egal ob diese Beschäftigten schon Gewerkschaftsmitglieder sind oder nicht. Werkverträge sind in allererster Linie dazu da, Belegschaften zu spalten, Sprachbarrieren tun ihr übriges. Hier sollten wir die Unterstützung osteuropäischer Gewerkschafter*innen suchen, um diese zu überwinden. Es gilt gemeinsame Strukturen aufzubauen und den Kampf gemeinsam zu führen. Solidarität ist unsere stärkste Waffe – setzen wir sie ein!

Zu alledem kommen dann noch regelmäßige Lebensmittelskandale, Massentierhaltung, Rodung von Wäldern für Massentierzucht sowie die Futtermittelproduktion und der Hunger in großen Teilen der Welt. Mensch, Tier und Umwelt sind im Kapitalismus nur lästige Kostenfaktoren. Tönnies und andere Fleischbetriebe haben über lange Zeit bewiesen, dass sie unverantwortlich mit den Beschäftigten, Tieren und unserer Gesundheit umgehen. Ihnen muss die Kontrolle darüber entzogen werden. Die Produktion von Lebensmitteln sollte unter die volle Kontrolle der Beschäftigten und der Allgemeinheit gestellt werden. Nur eine planvolle Produktion ohne Profitinteressen können die Probleme in ihrer Gesamtheit lösen.