Demokratische Rechte verteidigen … geht nur gegen rechts

Kritische Analyse der „Corona-Rebell*innen“

Zwar stand im Mai noch eine deutliche Mehrheit hinter den Corona-Maßnahmen, aber die Zustimmung bröckelt. Eine schmale Mehrheit befürwortet die geplanten Lockerungen der Regierungen. Die kleine Minderheit entschiedener Gegner*innen aller Maßnahmen wird lauter. Doch sowohl die zentralen Akteur*innen als auch ihre Forderungen sind problematisch.

von Marcus Hesse, Aachen

In den letzten Wochen kam es in deutschen Städten zu Demos gegen die Corona-Maßnahmen, für ein Ende der Einschränkungen und „für Grundrechte“. In Berlin wurden sie als „Hygiene-Demos“ bekannt, zu denen bis zu einige Tausend Menschen kamen. Die größte Demo fand unter dem Banner „Querdenken 711“ in Stuttgart statt.

Über das Internet hat sich die von dem Arzt Bodo Schiffmann und dem Juristen Ralf Ludwig gegründete Gruppe „Widerstand 2020“ formiert, die anstrebt, sich als Partei zu gründen. Auch bekannte Figuren wie Ken Jebsen mischen mit. Dazu gesellt sich eine bunte und widersprüchliche Mischung aus Esoteriker*innen, vom Establishment entfremdeten Kleinbürger*innen und Arbeiter*innen, durch den Shutdown mit Existenzsorgen kämpfenden Kleinunternehmer*innen, verzweifelt nach irgendeiner „Bewegung“ schielenden Linken und zahlreichen offenen und getarnten Rechtspopulist*innen und Faschist*innen.

Berechtigte Skepsis gegenüber der Pharmaindustrie verbindet sich mit irrationaler pauschaler Impfgegnerschaft. Durch die Bank wird verkündet, dass man „weder rechts noch links“ sei oder geht so weit, diese Kategorien als überholt oder als „Spaltung“ zu bezeichnen. Dadurch werden die Grenzen zwischen unvereinbaren Standpunkten verwischt. Rechtspopulistische und faschistische Akteure können sich gut unter dem Schutz dieser Unklarheit verstecken.

Teile der Ausgangsbeschränkungen gingen zu weit und waren zudem wirkungslos im Kampf gegen das Virus. Die Einschränkung des Versammlungsrechts ist in vielen Städten massiver gewesen als zur Infektionsbekämpfung nötig. Auch der Frust von Eltern und die Ängste um den Arbeitsplatz sind verständlich und es ist legitim und nötig, die Maßnahmen der Regierung kritisch zu hinterfragen und zu protestieren. Darauf berufen sich auch die Corona-Rebell*innen.

Was wollen die Corona-Rebell*innen?

Aber sie gehen weiter und lehnen sämtliche Maßnahmen ab, leugnen die gesundheitliche Gefahr. Ansichten wie die des Virologen Wodarg, die von fast allen seriösen Wissenschaftler*innen bestritten werden, werden propagiert und gefeiert. Wodarg hält Covid-19 für nicht gefährlicher als eine normale Grippe. Entsprechend solle die Gesellschaft wieder zur „Normalität“ zurückkehren.

Dass die Demonstrant*innen, die sich selber gerne als „Rebell*innen gegen das Establishment“ sehen, damit unter dem Strich die Agenda der Unternehmerverbände, der Bild-Zeitung und der meisten Landesregierungen vertreten, scheint ihnen nicht aufzufallen oder stört sie nicht. Angesichts einer drohenden zweiten Infektionswelle sind es gefährliche Forderungen, deren Umsetzung das Leben besonders von älteren und bereits immungeschwächten Menschen akut gefährdet – in Zeiten, in denen etablierte Politiker wie Boris Palmer oder Friedrich Merz Sozialdarwinismus predigen.

Während sich Teile der arbeitenden Klasse, besonders im Gesundheitswesen und der Pflege, aber auch Lehrkräfte und Schüler*innen, Einzelhandels- und Amazon-Arbeiter*innen zurecht gegen eine vorschnelle Rückkehr zur „Normalität“ und mangelnden Schutz am Arbeitsplatz aussprechen, richten sich diese Demos direkt gegen die Interessen der genannten Gruppen. Sie haben damit einen im Endeffekt arbeiter*innenfeindlichen Charakter.

Rechtes Gedankengut und Verschwörungsmythen

Stark vertreten bei den Demos sind krude Verschwörungsmythen aller Art. Nun wissen wir, spätestens nach der NSU-Äffäre, dass es reale Verschwörungen gibt. Aber viele Verschwörungserzählungen sind irrational und vernebeln die Wirklichkeit.

Besonders präsent ist aktuell die, nach der Bill Gates die gesamte WHO kontrolliere und der Welt Impfungen aufzwingen wolle. Dass die WHO zu einem großen Teil von privaten Stiftern abhängt (von denen der Multimilliardär Gates bis zu 15 % kontrolliert) ist wahr und schlecht, aber was viele daraus machen, ist Quatsch und verhindert eine korrekte Analyse der unterschiedlichen und nicht selten rivalisierenden Interessen von Kapitalfraktionen, Regierungen und anderen Akteuren im kapitalistischen System. Dass das Lahmlegen weiter Teile der Wirtschaft kaum im Interesse der Konzerne sein dürfte und von vielen Regierungen nur widerwillig und zögerlich umgesetzt wurde, ist ein weiterer logischer Widerspruch ihrer „Theorie“, den die „Corona-Rebellen“ unbeantwortet lassen.

Nicht nur bei Ken Jebsen und anderen Wortführer*innen der „Corona-Rebell*innen“ bekommt die Kritik am Staat, an Abstandsregeln und Maskenpflicht, eine neoliberale und antikommunistische Stoßrichtung nach Art amerikanischer „Libertarians“: So wird individuelle Freiheit („Ich will machen was ich will!“) vor die Interessen der Gesamtheit gestellt, gegen Staatseingriffe in die Wirtschaft und Verstaatlichungen gewettert und Merkels pro-kapitalistische Politik zur „DDR 2.0“ erklärt. Kaum eine*r der Hauptakteur*innen und Demoaufrufe äußert sich bezeichnenderweise zur Situation von Beschäftigten, zur Situation von Pflegekräften oder zu den 12-Stunden-Tag-Plänen der Regierung. Eine Klassenanalyse fehlt völlig.

Was „Widerstand 2020“ angeht, so erweisen sich deren Ideen beim näheren Hinsehen als Rechtspopulismus reinsten Wassers. Hinter Phrasen von „Transparenz“ und „anderer Politik“ pflegt man eine Nähe zur AfD. Ihre führenden Repräsentant*innen fielen durch rechte Äußerungen über die „Reinheit des Volkskörpers“ auf. Für die AfD aber dürfte sich eine Formierung der neuen Gruppe als Wahlpartei als problematisch erweisen, da ihr damit eine ernste politische Konkurrenz erwachsen würde.

Kennzeichen von nahezu allen „Hygiene-Demos“ ist die starke Präsenz und Akzeptanz von radikalen Rechten. Vielerorts dominieren sie die Demos, treten als beklatschte Redner*innen auf. Aber auch dort, wo die Zusammensetzung vielfältiger ist, fehlt eine klare Abgrenzung nach rechts.

Aufgaben für die Linke

In der politischen Linken herrscht Uneinigkeit über den Umgang mit den Demos. Die starke Präsenz und streckenweise Dominanz rechter und verschwörungsmythischer Ideen wird gesehen. Zugleich erfordert die berechtigte Unzufriedenheit mit repressiven Maßnahmen wie Lockdowns, die besonders arme Menschen treffen, politische Antworten von links. Eine Erklärung der Bundesvorstands und des NRW-Landesvorstands NRW der LINKEN lehnt eine Teilnahme an „Hygiene-Demos“ klar ab.

Antifa allein reicht nicht

Einige Antifa-Gruppen rufen zu Gegendemos auf und bezeichnen alle, die dort hingehen, pauschal als „Nazis“ oder „Antisemit*innen“. Das allein ist nicht zielführend.Im Zentrum muss jetzt stehen, eigenständige Kundgebungen und Aktionen durch DIE LINKE und linke Bündnispartner zu organisieren und eine Klassenposition zu den Maßnahmen der Bundesregierung einzunehmen. Bürgerliche Medien nutzen die verworrene Situation und versuchen eine vermeintliche Nähe linker und rechter „Extremisten“ zu konstruieren. Die mangelnde Abgrenzung mancher Linker zu diesen Demos macht es der bürgerlichen Propaganda unnötig leicht.

Wir als Sozialist*innen sind unversöhnliche Gegner*innen dieser Regierung und der etablierten Parteien. Die Regierung Merkel hat keineswegs klug gehandelt, sondern zwei Monate lang nicht auf die sich entwickelnde Pandemie reagiert. Mit dem Lockdown hat sie lediglich die Notbremse gezogen, aber nicht-systemrelevante Bereiche weiter arbeiten lassen, weil für sie der Profit im Mittelpunkt steht. Diese Regierung wird die Kosten der Krise den lohnabhängigen Menschen und den kleinen Selbstständigen aufbürden und die großen Konzerne entlasten. Darin sind sich CDU, SPD, Grüne, FDP und AfD einig.

Sozialist*innen stehen an vorderster Front beim Kampf für demokratische Rechte, gegen alle unnötigen Beschränkungen und gegen Versuche, die Lasten der Pandemie auf die arbeitenden und armen Menschen abzuwälzen, die unter den harten Maßnahmen des Lockdowns besonders leiden.

Die Linke muss ein Programm und eine Strategie entwickeln, die Menschen in Kurzarbeit ebenso hilft wie ruinierten und um ihre Existenz bangende kleine Selbstständige und Freiberufler*innen. Bedeutend sind die Kämpfe um Aufwertung, mehr Lohn, bessere Personalbemessung und für Arbeitssicherheit von Beschäftigten im Gesundheitswesen und der Pflege, und Streiks von Erntehelfer*innen wie in Bornheim. Linke Interventionen oder eigene Aktionen sind hier nötig.

Das alles muss in strikter Abgrenzung von rechten Kräften und von der Leugnung und Verharmlosung der Pandemie erfolgen.