Stimmen aus der Krankenpflege: Ruhe vor dem Sturm

Wir tragen Masken, keine Maulkörbe

Marie Rosa, Intensivpflegerin, Flensburg:

Bisher sind wir verschont worden. Das fühlt sich wie die Ruhe vor dem Sturm an, gibt uns aber Zeit, uns vorzubereiten: Wir versuchen Intensivbetten freizukriegen, die sind aber dauerhaft zu 80-90 % belegt. Meine Kolleg*innen haben es neben ihrer Arbeit und ihrer familiären Stresssituation geschafft, eine Station mit neun Betten auf einem stillgelegten Flur auf die Beine zu stellen, die demnächst Covid-Patient*innen aufnehmen kann. Wir haben aber dafür kein Personal. Jetzt arbeiten wir Pfleger*innen aus anderen Bereichen, wie OP oder Anästhesie ein um die neue Station zu betreuen, aber in zwei Wochen kann man kein Intensivpflegepersonal ausbilden. Uns fehlt es sowohl an Masken und Kitteln als auch an Desinfektionsmitteln. Wir haben 30 Flaschen Desinfektionsmittel für 13 Betten für den ganzen April, das verbrauchen wir sonst in einer Woche. Wir sollen beim Material sparen, auch wenn wir dabei die hygienischen Standards nicht einhalten können. Wir werden auch nicht auf Corona getestet. Auch bei Symptomen nicht, außer bei Fieber. Wir haben Angst, eine Spirale in Gang zu setzen, und auch andere Patient*innen anzustecken. Dass nicht getestet wird, liegt daran, dass die Labore überlastet sind, weil es nicht genug Personal gibt – überall wurde gespart.

Ari Häcker, Krankenpfleger, Stuttgart:

Auch in Stuttgart wird das Krankenhauspersonal nicht getestet. Ich arbeite auf einer Onkologischen Station, also mit Patient*innen mit hohem Risikopotenzial. Wir haben alle ein ungutes Gefühl, Erkrankungen an unsere schwer kranken Patient*innen weiterzugeben. Wir dürfen einen Mundschutz pro Tag verwenden – wahrscheinlich noch besser als gar nichts. Wir haben nur noch die schwerstkranken Patient*innen. Das wird sich aber ändern, wenn die Covid-19-Stationen überlaufen, oder wenn die anderen Patient*innen aus der Intensiv zu uns kommen müssen. Wir fordern, dass wir alle durchgetestet werden, damit wir wieder ein Selbstvertrauen in der Patient*innenversorgung gewinnen. Auch die Bevölkerung müsste komplett durchgetestet werden.

Lea Lemmler, Pflegeschülerin, Bonn:

Das erste Mal wurde mir der Pflegenotstand bei meinem freiwilligen sozialen Jahr vor ein paar Jahren bewusst. Ich musste als Praktikantin Nachtdienste mitmachen, wegen Personalmangel. Nach meinem FSJ war ich in den Nachtdiensten als Unterstützung für drei Stationen zuständig mit jeweils nur einer examinierten Kraft auf 25 Betten. Jetzt merke ich, dass das noch gar nichts war. Man arbeitet 8 Stunden, macht kaum oder keine Pausen, und läuft so 10-15 Kilometer. Im Frühdienst fängt man um 6 Uhr an, arbeitet bis 12 Uhr, pfeift sich schnell ein Brot rein und hetzt dann weiter.

Wir haben auch Fälle von Pflegekräften, die gar kein Privatleben mehr haben, im Schwesternwohnheim wohnen und für diesen Job leben. Solche Menschen muss es geben, weil die Kliniken sonst zusammenbrechen würden. Zur Zeit haben wir keine Besucher, was echt angenehm ist. Wir haben aber nur dünne Schutzmasken, die wir so lange tragen müssen, bis sie „durchgefeuchtet“ sind, und am nächsten Tag noch weiter tragen. Bei uns werden auch keine Tests gemacht, so dass wir die ganze Zeit befürchten müssen, auch die kranken Menschen im Haus zu infizieren.