SPD-Spitze verliert Urwahl um den Vorsitz
Die Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hat dem Regierungs-Establishment der SPD um Olaf Scholz einen Schlag versetzt. Die konservativen Medien schäumen. Die “Welt” bezeichnete die designierten Vorsitzenden als “Kühnerts Trojaner” und witterte dahinter den Plan, den “demokratischen Sozialismus in ein Wahlprogramm zu gießen”. Kann dieses kleine Zucken der SPD nach links zu einer Wiederbelebung führen? Ist die GroKo bald Geschichte?
Esken und Walter-Borjans haben sich für die Neuverhandlung des Koalitionsvertrags ausgesprochen. Sie fordern eine Aufweichung der Schuldenbremse, eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro und Nachbesserungen beim Klimapaket. Damit reagieren sie auch auf den Druck, den die anhaltenden Proteste der Klimabewegung erzeugt haben.
Die Nachforderungen werden nicht zwangsläufig zu großem Krach in der Koalition oder gar zum Bruch führen. Auch Vertreter*innen des Kapitals fordern inzwischen eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben, so in der gemeinsamen Erklärung von DGB und “Bund der deutschen Industrie” vom November. Daher könnte die Union nach anfänglichem Genöle kompromissbereit sein.
Gewicht des Apparats
Kompromissbereit ist die SPD immer – wenn es darum geht, an der Macht zu bleiben. Sie ist jederzeit bereit zu vergessen, was sie gestern ihren Wähler*innen oder ihren Mitgliedern versprochen hat. Daher würde selbst eine Ablehnung der CDU nicht direkt zum Bruch der GroKo führen. Die Wahl der neuen Vorsitzenden hat die Partei nicht strukturell verändert. In der Bundestagsfraktion dominiert der Flügel um Olaf Scholz. Viele Abgeordnete würden bei einer Neuwahl ihr Mandat verlieren und klammern sich deswegen an die Koalition. SPD-Apparat und rechter Flügel haben ein hohes Gewicht und haben sofort begonnen, die neuen Vorsitzenden einzumauern. So forderte DGB-Chef Reiner Hoffmann (SPD) die designierten neuen Vorsitzenden auf, die Koalition fortzusetzen.
Am Ende könnte der Kompromiss stehen, dass die GroKo fortgesetzt wird, die SPD aber schwört, ab 2021 nicht mehr dabei zu sein. Nicht ausgeschlossen ist, dass die SPD die Koalition im Lauf von 2020 verlässt, es aber nicht zu sofortigen Neuwahlen kommt, weil Merkel in der Lage ist, mit dem geltenden Haushalt bis Ende 2020 weiter zu regieren.
Nur 54 % haben sich an der Urwahl überhaupt beteiligt, trotz einer monatelangen Tour der Kandidat*innen durch Gremien und Medien. Bei der Abstimmung über den Eintritt in die Koalition im März 2018 war die Beteiligung mit 78 % weit höher. Rund 123.000 stimmten damals dagegen. Lediglich 115.000 Mitglieder haben Esken und Walter-Borjans gewählt. Ihr Erfolg basiert demnach nicht auf einer Mobilisierung der Basis, sondern auf der Demoralisierung der GroKo-Fans. Esken und Walter-Borjans reichten 28 % der Mitglieder, weil sich von den 214.000 ursprünglichen Befürworter*innen der Koalition nur 98.000 dazu aufrafften, das Duo Scholz/Geywitz zu wählen.
Die neuen Vorsitzenden waren zuvor weder prominent noch sind sie charismatisch oder mitreißende Redner*innen. Ihre wichtigste Qualität ist es, nicht Olaf Scholz zu sein, ihre zentrale politische Botschaft, dass die Partei sich nicht auf Gedeih und Verderb an die Union ketten darf.
Die Messlatte liegt tief
Die SPD steht nicht vor einer Revolution. Begeisterungsstürme oder massenhafte Eintritte sind nicht wahrscheinlich. Doch das neue Führungsduo könnte den freien Fall der SPD bremsen. Esken und Borjan haben gewonnen, weil viele SPD-Mitglieder zu Recht annehmen, dass ein “weiter so” zum Verschwinden der SPD als relevante Partei führen könnte. Indirekt haben sie ihren Erfolg der Klimabewegung zu verdanken. Auch die SPD-Mitglieder spüren deren Druck.
In Teilen der LINKEN keimen jetzt Hoffnungen, in absehbarer Zeit eine Regierung aus SPD, Grünen und LINKEN auf Bundesebene zu formieren. Doch Walter-Borjans und Esken sind nicht die deutsche Version von Jeremy Corbyn, der im Wahlkampf die Verstaatlichung von Industrien forderte. Sie stehen weder für einen klaren Bruch mit der Politik für das Kapital noch für eine Mobilisierung von unten. Sie haben kein radikales Programm gegen den Klimawandel inklusive gesellschaftlicher Planung von Energieerzeugung und Industrie, wollen weder die Hartz-Gesetze abschaffen noch die Auslandseinsätze der Bundeswehr beenden.
Die LINKE sollte sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie sie SPD und Grüne umgarnen kann. Sie selbst bleibt die einzige Alternative zu den prokapitalistischen Parteien. Sie sollte mit klarer Orientierung auf Bewegungen und soziale Kämpfe für den grundlegenden Politikwechsel eintreten, Selbstorganisierung und Widerstand befördern. Ohne den Protest auf der Straße ändert sich nichts. So kann sie gestärkt einen selbstbewussten Wahlkampf als die soziale Opposition gegen Establishment und Kapital vorbereiten. Wann immer der stattfindet.