Nein zur Repression der Proteste in Gaza

Mitglieder von Tnua’t Maavak Sozialisti“/„Harakat Nidal Eshtaraki bei Protesten.

Massenhafter Widerstand notwendig

Als in Jerusalem zur noblen Eröffnungsfeier der neuen US-Botschaft geladen wurde, war dieser Tag im Gazastreifen der mit den meisten Todesopfern seit dem Krieg von 2014.

Erklärung des Vorstands von „Tnua’t Maavak Sozialisti“/„Harakat Nidal Eshtaraki“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Israel/Palästina); zuerst veröffentlicht in hebräischer Sprache am 16. Mai 2018.

Im Einklang mit einer verabscheuungswürdigen Hetzkampagne hat die Regierung Netanjahu die Armee geschickt, um den Massenprotest der BewohnerInnen des Gazastreifens im Blut zu ertränken, die unter einer vor über zehn Jahren auferlegten brutalen Belagerung zu leiden haben.

An einem Tag sind rund 60 DemonstrationsteilnehmerInnen erschossen worden. Hinzu kommen Dutzende, die in den letzten Wochen bei vorangegangenen Demonstrationen ums Leben gekommen sind. Unter den Toten sind Jugendliche im Alter von 14 bis 16 Jahren und ein acht Monate altes Baby, das an den Folgen des massiven Einsatzes von Tränengas gestorben ist.

Dieses an den DemonstrantInnen verübte Blutbad – das der Aufrechterhaltung des Belagerungszustands und der Unterdrückung der palästinensischen ArbeiterInnen und Armen diente – hat Netanjahu nicht davon abgehalten, von einem „großen Tag für den Frieden“ zu sprechen!

Die Provokation der Verlegung der US-amerikanischen Botschaft unterstreicht, in welche Richtung es für die seit Jahrzehnten mit Füßen getretenen Rechte der PalästinenserInnen unter der Regierung Trump gehen wird. Die Frage eines eigenen Staates mit Hauptstadt in Jerusalem betrifft dies ebenfalls. Es geht um Rechte, die der US-Botschafter in Israel, der Hardliner und Rechtsausleger David Friedman, ausdrücklich leugnet. Dieselbe Administration, die das jetzige Blutbad voll und ganz unterstützt hat, wird auch weiterhin zynische Sprüche über den Frieden rezitieren und für den „Deal des Jahrtausends“ werben, der auf anhaltender Unterstützung für die israelische Besetzung und der Verleugnung palästinensischer Rechte basiert.

Und als ob das Schüren des Konflikts noch nicht „genug“ wäre, wird der Abschied der USA vom Atomabkommen mit dem Iran die nationalen Spannungen in der Region weiter verschärfen. Das könnte sehr zerstörerische Folgen haben und bringt die reale Gefahr eines Krieges mit sich.

Protest ist kein Terrorismus!

Entgegen der Propaganda des israelischen Establishments, mit der die Sicherheits-Hysterie angeheizt und die Protestbewegung als „terroristischer Akt“ gebrandmarkt worden ist, hat „Tnua’t Maavak Sozialisti“/„Harakat Nidal Eshtaraki“ in den vergangenen Wochen klargemacht, dass es sich dabei um eine gerechtfertigte und wichtige Form des Protests der Zivilgesellschaft handelt, die Solidarität auch von Seiten israelischer ArbeitnehmerInnen bekommen sollte.
Der „Internationale Gewerkschaftsbund“ (ITUC) verurteilt die Tötungen und Verwundungen von DemonstrantInnen durch die Regierung Netanjahu ebenso wie die Verlegung der Botschaft unter Präsident Trump. Es ist die Verantwortung der führenden Köpfe der Arbeiter-Organisationen in Israel, eine ähnlich gelagerte Haltung einzunehmen, um dazu beizutragen, eine Lösung für die abhängig Beschäftigten auf beiden Seiten der nationalen Spaltungslinie zu finden.

Beim „Großen Marsch der Rückkehr“ handelt es sich aktuell um den bedeutsamsten Protest gegen den Zustand der Belagerung. Die Mobilisierung zehntausender Menschen, die einen täglichen Überlebenskampf führen müssen, ist ein Zeichen der Hoffnung. Am Tag des Umzugs der US-Botschaft ist der Gazastreifen abgeriegelt worden und Berichte sprechen von gut 50.000 DemonstrationsteilnehmerInnen. Im Verhältnis zur Bevölkerung müssten in Israel 200.000 Menschen auf die Straße gehen, um denselben Anteil an Beteiligten zu erreichen.

Demonstrationen über mehrere Wochen mit tausenden und sogar zehntausenden TeilnehmerInnen haben zu keiner/m einzigen verletzten oder gar getöteten IsraelIn geführt. Im Vergleich dazu starben ungefähr 110 PalästinenserInnen im Gazastreifen und rund 10.000 wurden verletzt, die meisten durch scharfe Munition. Allein schon diese nackten Zahlen relativieren das Geschrei des Establishments in Israel von der „Gewalt“ und der angeblichen Gefahr, die von diesen Demonstrationen ausgeht. Die Opferzahlen zeigen, wer am meisten und organisierter Gewaltausübung zu leiden hat. Es handelt sich um einen einseitig geführten Krieg gegen DemonstrantInnen, in dem auch Scharfschützen und Panzer zum Einsatz kommen.

Verzweifelte Handlungen von Einzelpersonen oder Gruppen, wie die zahlreichen Brandanschläge mit Lenkdrachen, an denen Brandsätze befestigt sind, oder die Zerstörung von Gasleitungen am Eingang zum Gazastreifen, haben geringe Schäden verursacht. Doch sie sind zuerst und vor allem das Resultat schrecklichen und erzwungenen täglichen Elends durch eine arrogant und rücksichtslos vorgehende kapitalistische Regierung in Israel.

Die Rolle der „Hamas“

Aufgrund der Blockade haben die BewohnerInnen des Gazastreifens nur vier Stunden am Tag Strom, leiden unter dem Mangel an Trinkwasser, dem Kollaps der Infrastruktur, einer der höchsten Erwerbslosenquoten der Welt, schwerwiegenden Restriktionen in puncto Bewegungsfreiheit, mangelhafter medizinischer Versorgung und dem Beschuss von Seeleuten, Bäuerinnen, Bauern sowie DemonstrantInnen. Vor diesem Hintergrund hat es auch Berichte über Selbstmordfälle gegeben.

Es ist richtig, dass die rechtsgerichteten Führungen von „Hamas“ und der „Palästinensischen Autonomiebehörde“ zur Verschlimmerung der Lage beitragen. Sie tun dies auf ihre jeweils eigene Weise. Die wesentliche Kontrolle über den Gazastreifen obliegt jedoch der rechtsgerichteten Regierung Israels. Im Zusammenspiel mit der Regierung Ägyptens führt dieser Umstand dazu, dass die Blockade als Teil einer Politik der Kollektivstrafe gegen rund zwei Millionen Menschen durchgesetzt wird. Die Hälfte dieser Menschen ist jünger als 18 Jahre. Eigentlich wollte man mit dieser Methode einen politischen Machtwechsel in Gaza herbeiführen. Dieser seit langem durchgeführte Ansatz kann als gescheitert bewertet werden.

Das Establishment in Israel ist außer sich vor Freude, als hätte es fette Beute gemacht, da die „Hamas“ angibt, 50 der in den letzten Wochen zu Tode gekommenen Personen seien angeblich ihre Mitglieder gewesen. Als ob die politische Zuordnung der Opfer etwas an der Tatsache verändert, dass es sich bei ihnen um unbewaffnete DemonstrantInnen gehandelt hat, die für niemanden eine Gefahr dargestellt haben und die mit scharfer Munition erschossen worden sind. Ebenso belanglos ist die Behauptung des Militärs, wonach 24 der Toten vom 14. Mai den Angaben zufolge in der Vergangenheit einen „Hintergrund feindseliger terroristischer Aktivitäten“ gehabt hätten. Das sind demagogische Ausflüchte. Die Armee hat ohne Rücksicht auf die politische Ausrichtung oder politischen Vergangenheit der Menschen das Feuer eröffnet und Leute erschossen bzw. verwundet.

Es sollte in diesem Zusammenhang auch festgehalten werden, dass die Demonstrationen – während es so erscheint, dass die Hamas beteiligt war und die Demonstrationen zum Teil beeinflusste – nicht nur an sich gerechtfertigt waren. Diese Demonstrationen sind augenscheinlich von sämtlichen politischen Strömungen unterstützt worden. Mobilisiert hatten auch BewohnerInnen des Gazastreifens, die keiner politischen Richtung zuzuordnen sind.

Es gibt auch kritische Stimmen unter den ProtestteilnehmerInnen zu der Rolle, die die „Hamas“ dabei gespielt hat. Die „Hamas“ selbst bietet absolut nicht die Methode des Massenwiderstands als Ausweg aus der Misere an. Was sie hingegen mit Sicherheit tut, ist zu versuchen, die Entwicklung des Protests für sich nutzbar zu machen, um öffentliche Sympathien für sich zu generieren. Diese Zustimmung hat sie nämlich verloren, weil sie keine effektive Strategie gegen die Krise im Gazastreifen anzubieten hat. Die BewohnerInnen des Gazastreifens – und nur sie – sollten das Recht haben, ihre Führungsfiguren demokratisch zu wählen, und die Möglichkeit, gescheiterte FunktionsträgerInnen abzuwählen, wenn sie nicht in ihrem Interesse handeln.

Die Regierung Netanjahu entscheidet sich für die militärische Konfrontation

Die wirkliche Bedrohung, die durch die Proteste auf die Tagesordnung gekommen sind, bestand nicht in der „Auslöschung Israels“, wie Netanjahu giftete. Er selbst weiß, wie irrwitzig dieses Argument angesichts des Kräfteverhältnisses zwischen tausenden von DemonstrantInnen und der stärksten Armee des Nahen Ostens ist. Die wirkliche Bedrohung für das Establishment in Israel war, dass die palästinensischen Massen – Frauen und Männer, Junge und Alte – sich überhaupt getraut haben aufzubegehren. Damit haben sie geschafft, die bestehende Ordnung aus unhaltbarer Unterdrückung und Armut zu stören und Veränderung zu fordern.

Als Teil der Regierungspropaganda wird die Behauptung neu aufgelegt, nach der die Versuche von DemonstrantInnen, den riesigen Zaun um den Gazastreifen zu überwinden, deren Erschießung rechtfertigt – nicht die Auflösung der entsprechenden Kundgebung oder Verhaftungen sondern tatsächlich die Erschießung. Genauso wird von der rechtsgerichteten israelischen Regierung auch das Recht in Anspruch genommen, die verarmte Bevölkerung der Gazastreifens weiter mit allen Mitteln – auch dem Mittel des Tötens – in einem erzwungenen Belagerungszustand zu halten.

SozialistInnen lehnen die Parteinahme mit den Aktionen der kapitalistischen Regierung rundherum ab und unterstützen das Recht der BewohnerInnen des Gazastreifens auf Protest, Widerstand, Selbstorganisation und auch auf Verteidigung gegen die militärische Aggression. Wenn die rechtsgerichtete Regierung nicht erleben will, dass die Massen durch den Belagerungsring durchbrechen, dann hindert sie niemand daran, die Belagerung aufzuheben und das Recht auf Bewegungsfreiheit sowohl den Menschen als auch für Warenverkehr einzuräumen – auf klar geregelte Art und Weise an den Grenzpunkten.

Die wahre Bedrohung, der die Regierung Netanjahu mit mörderischer Repression entgegenwirkt, war die Ausweitung des massenhaften Kampfes der Bevölkerung, die das rechtsgerichtete Regime in Israel dazu hätte zwingen könne, von der Politik der Besatzung abzugehen, und mit der die PalästinenserInnen allgemein in die Lage gekommen wären, einen Weg aus der Misere zu finden. Mit diesem Ansatz ist schließlich der Aufbau eines effektiven Kampfes zur Veränderung der Lage vor Ort möglich. Bleibt zu hoffen, dass die Proteste trotz der barbarischen Repression gegen die DemonstrantInnen im Gazastreifen dort insofern von Erfolg gekrönt sein werden, als dass sie für eine breite Erneuerung von unten sorgen mit der Forderung nach Wandel.

Die Regierung Netanjahu zieht es unterdessen vor, angesichts der Massenproteste der Bevölkerung eine neue Runde militärischer Auseinandersetzungen mit der „Hamas“ einzuläuten. Aus diesem Grund wurden Kampfjets entsendet, um Bomben über den Gazastreifen abzuwerfen. Das war die Antwort auf verschiedene Versuche von DemonstrantInnen, durch den Zaun um das weltgrößte Gefängnis zu brechen. Auch die Politik der angedrohten Ermordung von Führungspersonen der „Hamas“ wurde neu aufgelegt. Mit ihren Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Belagerung und Besetzung verstärkt die Regierung Netanjahu die Gefahr eines neuen blutigen Krieges.

Zudem lehnt die rechtsgerichtete Regierung wiederholt und weiterhin Vorschläge zur Deeskalation des Konflikt und der Rehabilitation der Gazastreifens ab. Derartige Ansätze liegen seit Jahren auf dem Tisch und hätten die schrecklichen kriegerischen Auseinandersetzungen verhindern können, die schmerzliche Verluste und eine Zerstörung gigantischen Ausmaßes im Gazastreifen nach sich gezogen haben und die auch mit dem Raketenbeschuss sowie Anschlägen auf israelische ZivilistInnen einhergehen.

„Tnua’t Maavak Sozialisti“/„Harakat Nidal Eshtaraki“ wird auch in Zukunft davor warnen, dass die Sicherheitsbedrohung Nummer eins für die israelischen ArbeiterInnen aus der Regierung Netanjahu und ihrer Politik „für Kapital und die Siedlungen“ sowie ihrer zerstörerischen nationalistisch-erlöserischen Agenda besteht. Dabei kommt es auch noch zur Zusammenarbeit mit seinen Imitatoren, den Herren Lapid (Liberale) und Gabbai (SozialdemokratInnen) von den sogenannten Oppositionsparteien.

Angesichts dieser Gefahr muss beiderseits der nationalen Trennungslinie ein Kampf vorbereitet und eine Alternative in Form von sozialistischer Veränderung vorangebracht werden. Auf diese Weise kann der Pfad des Verderbens verlassen werden, der bis in den Abgrund führt und von Netanjahu, Trump und ihren Partnern angeführt wird.

„Tnua’t Maavak Sozialisti“/„Harakat Nidal Eshtaraki“ fordert:

  • Schluss mit den Schüssen auf DemonstrantInnen! Schluss mit der kriegslüsternen Politik! Schluss mit der Hetze, Protest ist kein Terrorismus!
  • Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission, der israelische, palästinensische und internationale VertreterInnen von unabhängigen Arbeiter-, Menschenrechts- und kommunalen Organisationen angehören müssen und die die Todesumstände von DemonstrantInnen aufgeklärt. Auch die die politische Führungsebene darf davon nicht ausgenommen werden.
  • Für ein Zusammengehen der Arbeiterorganisationen in Israel mit den Arbeiterorganisationen weltweit, um gemeinsam die Tötung von DemonstrantInnen und die Aufrechterhaltung des Belagerungszustands und der Besatzung zu verurteilen sowie den Einsatz für den Frieden zu unterstützen.
  • Solidarität mit den Protesten der EinwohnerInnen des Gazastreifens. Ja zu gemeinsamen Demonstrationen von Jüdinnen, Juden und AraberInnen, Israelis und PalästinenserInnen gegen Belagerung, Besetzung, Armut, Ungleichheit und Netanjahus Regierung des Kapitals und Siedlungsbaus. Ja zum Kampf für Frieden und soziale Gerechtigkeit!
  • Ja zur Ausweitung des Protest der Bevölkerung, ja zum Kampf der Massen der PalästinenserInnen für nationale und soziale Befreiung. Es müssen demokratische Aktionskomitees gegründet werden, um bei der Organisierung von Protesten und der Verteidigung der Demonstrationen zu helfen.
  • Schluss mit der Politik des „Konfliktmanagements“. Die Belagerung der BewohnerInnen des Gazastreifens muss aufhören, die Besatzung muss ein Ende haben. Schluss mit verordneter Armut und Elend, Schluss mit den Räumungen, Schluss mit der nationalen Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung.
  • Das Recht aus Selbstbestimmung darf nicht länger verweigert werden: Ja zu einem unabhängigen, demokratischen, sozialistischen und gerechten palästinensischen Staat mit Hauptstadt in Ost-Jerusalem neben einem demokratischen und sozialistischen Israel, wodurch gleiche Rechte für alle gewährleistet werden.
  • Für eine gerechte Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge. Das historische Unrecht, dass durch die „Nakba“ verübt worden ist, muss anerkannt werden: Zerstörung hunderter Dörfer und Umsiedlung hunderttausender EinwohnerInnen. Auch das Recht der Flüchtlinge, die eine Rückkehr wünschen, muss anerkannt werden. Dabei muss ein abgesichertes Leben und gleiches Recht für alle EinwohnerInnen sichergestellt werden.
  • Einsatz für Frieden in der Region. Solidarität mit den Kämpfen im Nahen Osten und dem Rest der Welt gegen korrupte Eliten, Unterdrückung und Armut. Gleiche Rechte für alle Nationalitäten. Für Demokratie und sozialistischen Wandel.