USA: Das Problem mit dem „kleineren Übel“

lesser-evilism-2016_front-coverEine Partei der 99 Prozent ist dringend notwendig

Laut einer Meinungsumfrage würden es 25 Prozent der jungen US-AmerikanerInnen bevorzugen, wenn ein Meteor die Erde zerstört, als dass Donald Trump oder Hillary Clinton ins Weiße Haus einzieht! Unsere Autoren Patrick Ayers und Ty Moore von „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SAV in den USA) sind der Ansicht, dass es wohl nie einen besseren Zeitpunkt als diesen anlässlich der Präsidentschaftswahlen gegeben hat, um eine neue politische Partei aufzubauen, die die viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“ vertritt.

von Patrick Ayers und Ty Moore, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in den USA)

Eine Mehrheit derer, die Hillary Clinton ihre Stimme geben werden, wollen dies mit „zugehaltener Nase“ tun, wenn sie am 8. November ins Wahllokal gehen. Ihr Motiv ist eher die Sorge, dass Donald Trump Präsident werden könnte. Positiv gegenüber Hillary Clinton eingestellt sind sie nicht.

Das Problem für Clinton besteht darin, dass die WählerInnen sie nur noch stärker ablehnen, je mehr sie über ihre politische Vergangenheit in Erfahrung bringen. Schließlich hat sie eine aggressiv konzernfreundliche Agenda verfolgt, was nicht gerade zu ihrer Beliebtheit beiträgt.

Liberal eingestellte KommentatorInnen haben sich schwerpunktmäßig mit der extrem eingestellten und fanatischen Anhängerschaft von Trump beschäftigt, bei der es sich weiterhin – auch wenn sie nicht gering zu schätzen ist – um eine deutliche Minderheit von WählerInnen handelt. Verhängnisvoller Weise fehlt jedoch in den meisten liberalen Analysen (was übrigens auch für ihre politische Strategie gilt), dass die wesentliche Kraft, die Trumps Wahlkampf in Gang hält, aus der weit verbreiteten Empörung über das korrupte Polit-Establishment entsteht.

Der an den Interessen der Konzerne ausgerichtete Wahlkampf von Clinton ist nicht in der Lage, vom massenhaft vorhandenen Verlangen nach Veränderung zu profitieren. Bedauerlicherweise hat das Versagen von Gewerkschaftsspitzen und anderen progressiven Führungspersönlichkeiten, eine unabhängige und gegen das Establishment gerichtete Alternative zu Trump aufzustellen, dazu geführt, dass der politischen Rechten ein weites Feld überlassen worden ist, auf dem sie die Wut, die in der Bevölkerung herrscht, ausnutzen kann.

Umfragen zeigen, dass Bernie Sanders, der sich selbst als demokratischen Sozialisten bezeichnet, weiterhin der beliebteste Politiker Amerikas ist. Und es ist auch weiterhin klar, dass er der wesentlich erfolgreichere Kandidat gegen Trump gewesen wäre als Clinton es sein wird.

Doch wie die leidenschaftliche Unterstützung des Parteivorstands der „Democratic Party“ für Clinton gezeigt hat, wollen die führenden Köpfe der „Demokraten“ lieber ihr Bündnis mit der Wall Street und den großen Konzernen aufrecht erhalten als Trump und die Rechte in die Schranken zu weisen.

Angesichts der entsetzlichen Möglichkeit, dass Trump ins Weiße Haus einziehen könnte, ist es durchaus verständlich, dass Millionen „einfacher Leute“, die die Politik von Clinton, welche ganz an den Interessen der Wall Street ausgerichtet ist, in Bausch und Bogen ablehnen, dennoch ihr am 8. November die Stimme geben werden.

Selbstzerstörerisches Vorgehen

Gleichzeitig benutzen die meisten Gewerkschaftsvorsitzenden und andere progressive Persönlichkeiten ihre oppositionelle Haltung gegenüber Tump nur, um eine gefährliche und selbstzerstörerische Strategie des „kleineren Übels“ zu fahren, mit der unsere sozialen Bewegungen immer wieder aufs Neue dezimiert und ins Korsett von Wahlkämpfen der „Democratic Party“ gezwungen werden, die ihrerseits von Konzerninteressen geleitet wird.

Bernie Sanders selbst ist der leibhaftige Beweis dafür, wie zerstörerisch die Idee vom „kleineren Übel“ ist. Im Laufe der Vorwahlen hatte er massenhafte Unterstützung dafür bekommen, dass er die tiefen Verflechtungen zwischen Clinton und den korrupten Konzernen offen angesprochen hat. Seit Sanders damit begonnen hat, Clinton über den Klee zu loben, um Trump Stimmen zu entziehen, geht seine Glaubwürdigkeit zurück und die Teilnehmerzahlen bei seinen Kundgebungen schwinden dramatisch.

Die Politik des Übertünchens, wenn es um den konzernfreundlichen Charakter der „Democratic Party“ geht, bleibt ein kapitaler und zentraler strategischer Fehler der Führungsebene von Gewerkschaften und progressiven Kräften in den USA.

Diese Strategie hat auch der „Tea Party“ und ihren erdrutschartigen Wahlsiegen bei den Kongresswahlen von 2010 und zu den gesetzgebenden Organen den Weg geebnet.

Als Obama mitten in der Finanzkrise von 2008 gewählt worden ist, bestand seine erste Amtshandlung darin, die Banken der Wall Street mit Rettungspaketen auszustatten. Während Millionen von Menschen ihre Häuser und Wohnungen verloren haben, haben diese Banken ihn mit großzügigen Wahlkampfspenden bedacht.

Die Gewerkschaftsspitzen wie auch die führenden progressiven Köpfe hatten Angst, die „Demokraten“ zu blamieren. Sie haben versagt, die enorme Wut auf die Wall Street zu mobilisieren und darüber eine linke Oppositionsbewegung aufzubauen. Stattdessen wurde den „Republikanern“ von der „Tea Party“ das Feld überlassen.

Immer dann, wenn die Linke versagt, eine mutige und kämpferische Alternative zu organisieren, die aus der Arbeiterklasse kommt und eine Herausforderung für die übliche konzernfreundliche Politik darstellt, wird die Empörung, die in der Bevölkerung aufgrund des Scheiterns des Kapitalismus existiert, hinter den Figuren kanalisiert, die rechts sind und sich als „anti-establishment“ gerieren – so wie Trump.

„Socialist Alternative“ hatte mehr als 125.000 Unterschriften zusammenbekommen, um Bernie Sanders davon zu überzeugen, dass er bis zum 8. November als unabhängiger Kandidat weiter antreten und dabei seine massenhafte Basis nutzen muss, um eine neue Partei der viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“ aufzubauen.

Nun hat er aber zur Wahl von Clinton aufgerufen, weshalb wir in allen 50 Bundesstaaten zur Wahl von Jill Stein, der Kandidatin der „Green Party“ auffordern. Auf diese Weise wollen wir dazu beitragen, dass der größtmögliche Anteil an Protest-Stimmen gegen Rassismus und eine Politik zusammenkommt, die sich nur am Interesse der Konzerne orientiert. Außerdem wollen wir damit auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, dass wir eine unabhängige Politik brauchen.

Wenn die Gewerkschaften und die Linke allgemein dafür Sorge getragen hätten, dass Clinton und Trump eine Herausforderung aus der Arbeiterklasse entgegengestellt worden wäre, dann wären wir allesamt wesentlich effektiver darin gewesen, Trump Stimmen zu entziehen. Denn bei etlichen derer, die ihn wählen werden, handelt es sich nicht um knallharte FanatikerInnen sondern viel eher um Menschen aus der Arbeiterklasse, die darauf aus sind, dem Polit-Establishment „den Marsch zu blasen“.

Jill Stein

Wir können nachvollziehen, weshalb WählerInnen in den sogenannten „swing states“ (Bundesstaaten, in denen nicht klar ist, dass entweder die „Republikaner“ oder die „Demokraten“ die Mehrheit bekommen werden; Anm. d. Übers.) sich für Clinton entschieden werden, um Trump zu blockieren. Dennoch unterstützt „Socialist Alternative“ bundesweit den Wahlkampf von Jill Stein. Wir sind der Meinung, dass das die beste Möglichkeit ist, um in dieser Phase des gesteigerten politischen Bewusstseins zu einer größeren Unterstützung für das zu kommen, was am dringendsten nötig ist: politische Unabhängigkeit für unsere Bewegungen und eine neue Partei der viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“.

Seit der Wirtschaftskrise von 2008 hat sich der „Amerikanische Traum“ in Luft aufgelöst. Damit wurde die beispiellos große Möglichkeit geschaffen, um eine sozialistische Bewegung aufzubauen und eine neue linke Partei mit Massencharakter zu schaffen. Der Kapitalismus steckt in einer anhaltenden globalen Krise, und es besteht keine Aussicht auf Rückkehr zur bisherigen Ära des freigiebigen Sozialstaats – zumindest dann nicht, wenn es zu keinen massenhaften sozialen Kämpfen und einer sozialistischen Transformation der Gesellschaft kommt.

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