Nigeria: Der aufhaltsame Aufstieg von Boko Haram

Interview mit Hassan Taiwo Soweto, Mitglied der Democratic Socialist Movement (CWI in Nigeria) und jugendpolitischer Sprecher der Socialist Party of Nigeria (SPN)

Nigeria war eine britische Kolonie. Was geschah nach der Unabhängigkeit?

Die herrschende Elite nördlicher Herkunft hat Nigeria mehr als die Hälfte seiner Geschichte seit der Unabhängigkeit von Britannien beherrscht. Aber während wenig gemacht wurde, um ein Bildungs- und Gesundheitswesen zu entwickeln und Arbeitsplätze in ganz Nigeria zu schaffen, wurde im Norden noch weniger gemacht. Vor diesem Hintergrund kam eine Bewegung im Norden auf, die die Legitimität von westlicher Bildung in Frage stellte, sowohl von einem religiösen Standpunkt aus, als auch, weil die korrupte Elite selbst weitgehend westlich gebildet ist. Dieses Paradoxon ist nur möglich als Ergebnis der Jahrzehnte von Plünderung von Nigerias Reichtum durch die örtlichen kapitalistischen herrschenden Eliten aus verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen und ihre imperialistischen Herren.

Wie entstand Boko Haram?

Vielleicht das erste Mal, dass die meisten Nigerianer sich über Boko Haram bewusst wurden, war 2009, als ihr Führer Yusuf Mohammed von der Armee gefangen und der Polizei ausgehändigt wurde, die ihn erst im Fernsehen zur Schau stellte und ihn dann ohne Verfahren hinrichtete. Davor hatte die Gruppe als fundamentalistische religiöse Sekte existiert, die weitgehend vom Rest der muslimischen Community und dem Volk toleriert wurde.

In ihrer Anfangsphase verurteilte die Gruppe soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit und die Korruption besonders der Mitglieder der nördlichen herrschenden Oligarchie, die die Gruppe oft bitter als „Ungläubige“ betrachtete. Natürlich war die Lösung Boko Harams die Einführung der Scharia. Da von der Gewerkschaftsbewegung keine alternative Ideologie der Arbeiterklasse angeboten wurde, musste diese Art von religiösen fundamentalistischen Lehren, gefärbt mit manchen Formen von Radikalismus, Unterstützung unter der riesigen Schicht von Armen und der weitgehend unausgebildeten Jugend im Norden gewinnen, die sich von dem verkündeten Wohlstand des Landes außen vor gelassen fühlten.

Obendrein bot die Sekte auch ein Dach über dem Kopf, Nahrung und Unterstützung für die armen und enteigneten Jugendlichen, die ihr zuströmten. Sie wuchs schnell an und wurde eine Sekte mit einer großen jugendlichen Anhängerschaft.

Der Staat entfachte buchstäblich das Feuer des Aufstands von Boko Haram, als er 2009 gegen die Sekte hart durchgriff, um ihr die Flügel zu stutzen. Der außergerichtliche Mord an Yusuf Muhammed und das Verhaften und Einsperren der Frauen und Verwandten derjenigen, die entkamen, wurden danach der Schlachtruf für den Dschihad. Sehr bald fiel die Gruppe unter die Führung radikalerer Fundamentalisten wie Shekau, der jetzt die Sekte in eine monströse Tötungsmaschine verwandelt hat, die mit den Armeen von vier Ländern (Nigeria, Kamerun, Tschad und Niger) in der westafrikanischen Region anbandeln kann.

Wie kann und sollte die Gegenstrategie aussehen?

Die einzig wirksame Strategie, die die Arbeiterbewegung anbieten kann, ist, die Mobilisierung der Beschäftigten und der unterdrückten Massen zu beginnen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Als Beginn könnten ein eintägiger Generalstreik und ein Massenprotest, zu dem die organisierte Arbeiterbewegung aufruft, das richtige Signal sowohl an die korrupte kapitalistische herrschende Elite als auch an Boko Haram senden, dass das Volk bereit ist, sich gegen die Angriffe beider Kräfte zu verteidigen. Dadurch würde die Arbeiterbewegung in der Lage sein, zu beweisen, dass sie fähig ist, für die sozialen und wirtschaftlichen Themen wie Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit zu kämpfen, die Boko Haram und andere hinterhältige Kräfte oft ausbeuten.“