Karneval, Fasnacht und Fasching – zwischen Anpassung und Rebellion

„Karnevalswagen Kardinal Meisner 2005“ von Jacques Tilly Lizenziert unter CC BY 3.0
„Karnevalswagen Kardinal Meisner 2005“ von Jacques Tilly Lizenziert unter CC BY 3.0

Über historische Wurzeln und soziale Widersprüche der „fünften Jahreszeit“

Frauen erstürmen die Rathäuser und das Volk hat die Macht übernommen! Revolution an Rhein und Main? Fast! Es ist Karneval, die 5.Jahreszeit der Masken, Narren und Jecken. Wie jedes Jahr lässt man Arbeit Arbeit sein, lässt mal heftig die Sau raus und hält der Politik den Spiegel vor. Aber wie jedes Jahr kehrt man dann auch wieder mit einem Kater zwar aber doch ohne zu murren zurück an seinen Arbeitsplatz, denn am Aschermittwoch ist alles vorbei.

von Jenni Wörl, Aachen

Karneval ist kein Phänomen, das auf den Südwesten Deutschlands beschränkt ist. Heutzutage wird Karneval in vielen Ländern der Welt gefeiert, ob die Sambaparade in Rio de Janeiro, Brasilien, der Teufeltanz in Oruro, Bolivien, der Mardi Gras in New Orleans, USA, der kanarische oder andalusische Karneval in Spanien, die Maskenbälle in Venedig, Italien oder eben Karneval, Fasnacht und Fasching in Teilen Deutschlands. Karneval hat viele Traditionen und wird in zahlreichen Formen und Farben gefeiert.

Die Vorläuferfeste der Antike

Das Bedürfnis, ausgelassen zu feiern, ist so alt wie die menschliche Gesellschaft überhaupt. Viele alte Völker verübten Fruchtbarkeitsriten nach dem Winter. Ob das altägyptische Osirisfest, der Dionysoskult im antiken Griechenland, die römischen Baccanalien oder das germanische Julfest, sie alle dienten dazu, durch Völlerei, Ausgelassenheit und sexuelle Freizügigkeit das Leben nach dem kalten Winter wieder neu zu erwecken.

Sich zu verkleiden und Masken zu tragen ist genauso alt und auch der Rollentausch ist eine alte Tradition, auch wenn er für die Untergebenen mit gewissen Risiken verbunden war. Im alten persischen Reich wurde ein Spottkönig aus verurteilten Verbrechern gewählt, der kurze Zeit Privilegien genoss, dann aber hingerichtet wurde. Bei den antiken Römern wurden bei den Festen zu Ehren des Gottes Saturn ebenfalls vorübergehend die Standesunterschiede aufgehoben. Herr und Sklave tauschten die Rollen und unter den Sklaven wurde ein Scheinkönig ausgelost, der während der Feiern regierte, aber dann zum Ende der Festzeit ebenfalls hingerichtet wurde.

Historische Wurzeln im Mittelalter

Der Begriff „Karneval“ kommt vom italienischen „carnevale“, was als Kurzform des kirchenlateinischen „carnislevamen“ so viel bedeutet wie „Fleischwegnahme“. Der Begriff „Fasnacht“ macht es noch deutlicher, denn er bezeichnet den Zeitraum vor der Fastenzeit. Im engeren Sinne ist Karneval damit ein Fest, das mit christlichen Inhalten verbunden ist, auch wenn viele Jecken die Wurzeln lieber in den heidnischen Bräuchen des Winteraustreibens sehen. Der eigentliche Karneval ist dann auch erst seit dem Mittelalter dokumentiert. Im Jahr 1094 wird der venezianische Karneval zum ersten Mal urkundlich erwähnt. In Köln wird 1234 zum ersten Mal vom närrischen Treiben berichtet.

Schon damals erfüllte Karneval für die Herrschenden den Zweck, das Volk mit rauschenden Festen zu besänftigen. Die Armen konnten einmal im Jahr ihrem elenden Dasein entkommen und ihre Unzufriedenheit abreagieren. Sie konnten sogar Kritik äußern und die etablierten Mächte lächerlich machen, geschützt durch Maske und Verkleidung. Allerdings ging das den Herrschenden irgendwann zu weit, so dass sie ab dem 16.Jahrhundert versuchten, dem bunten Treiben mit gesetzlichen Bestimmungen und Verboten Herr zu werden. Auch Teile der Kirche wehrten sich gegen die Ausschweifungen des Karnevals, vorne weg Martin Luther. Das hatte zwar zur Folge, dass der Karnevalsbrauch in protestantischen Gebieten zurückging und er stattdessen bis heute vor allem in katholisch geprägten Ländern oder Landesteilen besonders gern gefeiert wird, aber insgesamt ließ sich der Karneval nicht kontrollieren. Die Narren ließen es sich nicht nehmen, Missstände anzuprangern und Auswüchse von Bürokratie und Zensur satirisch aufs Korn zu nehmen. So stellen beispielsweise die verschiedenen Garden wie die Kölner Roten Funken, die im Laufe des 19.Jahrhunderts oder später entstanden, eine Persiflage auf unterschiedliche militärische Einheiten dar. Ursprünglich zum Zweck gedacht, sich über die Stadtwache o.ä. lustig zu machen, stellt der in dieser Weise gefeierte Karneval aber auch eine Reproduktion feudaler, reaktionärer Traditionen dar. So ist es kein Zufall, dass die Figur des Karnevalsprinzen bzw. zunächst des „Held Karneval“ zusammen mit dem Rosenmontagszug 1823 eingeführt wurde, als das Bürgertum den Karneval für sich entdeckte und ihn „romantisch“ reformierte. Dem aufstrebenden Bürgertum schien das anstößige, pöbelhafte und ungeordnete Treiben der Massen in den Straßen zu missfallen, so dass es sich anschickte, den Karneval für das Bürgertum zu erobern – bis heute.

Karneval im Faschismus

In der Zeit des deutschen Faschismus zeigt vor allem der organisierte Karneval seine eher unrühmliche Seite, indem er sich von den Faschisten instrumentalisieren ließ. Zum Zweck der Gleichschaltung wurde 1937 von den Faschisten der Dachverband „Bund Deutscher Karneval“ gegründet, dem sich alle Karnevalsvereine anzuschließen hatten, wenn sie weiterhin Karneval feiern wollten. Die Vereine wurden gezwungen, Juden auszuschließen und auch inhaltlich wurde faschistisches Gedankengut transportiert bzw. war die ideologische Beeinflussung zu spüren. Der Mainzer Karneval spielte 1935 mit der Wahl des Motto „Alles unner änner Kapp!“ zwar noch kritisch auf die Gleichschaltung durch die Nazis an und auch 1937 wurden in Mainz zum Teil noch systemkritische Büttenreden gehalten, aber zum Beispiel in Köln wurde sich den inhaltlichen Vorgaben angepasst, auch wenn man durch die sogenannte Narrenrevolte 1935 organisatorisch unabhängig blieb. So wurden nicht nur in den Kölner Rosenmontagszügen Juden verhöhnt und verspottet, sondern im Münchener Faschingsumzug nahmen sogar einzelne NS-Organisationen wie die SS-Standarte Deutschland oder Pionierbataillone der Wehrmacht teil. Insgesamt gab es nur wenige Karnevalisten, die der Vereinnahmung des Karnevals durch die Faschisten Widerstand entgegensetzten. Einer der wohl bekanntesten ist Karl Küpper, der 1939 wegen „Verächtlichmachung des Deutschen Grußes“ Redeverbot erhielt. Zum erhobenen Arm hatte er nicht „Heil Hitler“, sondern „So hoch liegt bei uns der Dreck im Keller.“ gesagt.

Den wohl nachhaltigsten Einfluss auf den Karneval nahmen die Faschisten auf die Mariechentänze. Bis dahin wurden auch weibliche Rollen des Karnevals von Männern verkörpert. Die Karnevalsvereine hatten nicht gerade ein fortschrittliches Frauenbild, sondern vertraten die Ansicht, dass die Tänze zu schwer für Frauen und die Witze außerdem zu derbe seien, so dass Karneval in der Hauptsache Männersache war. Seit den 30er Jahren übernahmen auf Geheiß der Faschisten immer mehr Frauen die weiblichen Rollen des Karnevals. Das hatte aber nichts mit Emanzipation zu tun, sondern mehr mit Homophobie. Dass Männer in Frauenkleidern auftraten, passte nicht in das faschistische Männerbild.

Geburt des alternativen Karneval

In Folge der gesellschaftlichen Umbruchzeit der 70er und der daraus resultierenden größeren politischen Aktivität vieler Menschen in Deutschland wurde einigen Jecken der herkömmliche Karneval zu angepasst und traditionell. Sie fingen an, ihre eigenen Karnevalssitzungen zu veranstalten. 1984 fanden die ersten dieser alternativen Sitzungen, die Stunksitzung in Köln und das Pink Punk Pantheon in Bonn, statt. Andere Städte wie Aachen, Mainz oder das Münsterland haben ebenfalls ihre Alternative. Im Gegensatz zum herkömmlichen Karneval wird bei den alternativen Karnevalssitzungen die Politik von links aufs Korn genommen. Da wird eine Bankerjagd veranstaltet, Vader Abraham und seine Natoschlümpfe singen über den Afghanistan-Krieg und die 10 Gebote werden unter Mitsprache verschiedener Lobbyisten neu geschrieben. An keiner der etablierten Parteien wird ein gutes Haar gelassen und auch die Partei Die Linke muss sich Kritik gefallen lassen.

Einen alternativen Karnevalsumzug gibt es seit 1991. Während des Irak-Kriegs herrschte unter der Bevölkerung eine breite Stimmung, dass man nicht feiern könne, wenn woanders in der Welt Krieg herrsche. So ließen die offiziellen Veranstalter Karneval ausfallen, die Karnevalsumzüge wurden abgesagt. Bezugnehmend auf eine Tradition von nächtlichen Karnevalsumzügen im 19.Jahrhundert fand stattdessen in Köln am Abend des Karnevalssamstag unter dem Motto „Kamelle statt Bombe“ zum ersten Mal der Geisterzug statt. Antikriegsaktivisten und Jecke demonstrierten gemeinsam gegen den 2.Golfkrieg, der aus ihrer Sicht nur aus Profitinteressen geführt wurde. In den Folgejahren wurde der Geisterzug zur festen Institution des Kölner Karneval. Es folgten weitere Geisterzüge z.B. 2003 unter dem Motto „Colonia Corrupta!?“, mit dem auf den Kölner Korruptionsskandal rund um eine umstrittene Müllverbrennungsanlage und damit verbundene Schmiergelder Bezug genommen wurde. Seit 2006 findet in Köln-Ehrenfeld ein alternativer Geisterzug statt, da vielen der offizielle Geisterzug in den letzten Jahren zu bürgerlich und unkritisch geworden ist.

Keine Plattform für Rassismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung!

In den letzten Jahren boomt die Fasnacht. Neue Narrenzünfte sprießen aus dem Boden. Viele sind begeistert und der Südwesten Deutschlands befindet sich im Fasnet-Fieber. Allerdings steht dabei für viele Party machen und Spaß haben im Vordergrund. Die saisonalen Stimmungslieder haben an Bedeutung gewonnen, während die Inhalte weniger wichtig geworden zu sein scheinen. Kritische Stimmen nehmen diese Entwicklungen zum Anlass, den herkömmlichen Karneval als zu unpolitisch zu bewerten und nehmen sogar eher eine Anbiederung an die Herrschenden wahr. Kein Wunder! Anstatt die Politik zum Beispiel für die Agenda 2010 am Schlawittchen zu packen, wurden in den letzten Jahren mehrere namhafte Politiker geehrt, die unter anderem für Rassismus und unsoziale Kürzungspolitik verantwortlich sind. Den international bekannten Orden „wider den tierischen Ernst“ des Aachener Karnevalsvereins erhielten zum Beispiel Edmund Stoiber (2000), Guido Westerwelle (2001), Friedrich Merz(2006), Jürgen Rüttgers (2010) und Karl Theodor zu Guttenberg (2011). Vorläufiger Höhepunkt bildete die Ehrung Thilo Sarrazins 2009 durch die Mainzer Ranzengarde. Allerdings regte sich zurecht Widerstand, als er 2011 die Laudatio auf den aktuellen Preisträger halten sollte. Unter dem Motto „Mer wolle “n net roilosse“ wurde während seiner Rede dagegen protestiert, dass Rassismus dadurch salonfähig gemacht wird, dass man Rassisten wie Sarrazin eine Plattform gibt. Abgesehen von solchen skandalträchtigen Vorfällen ist der politisch-kritische Aspekt im offiziellen Karneval vielleicht nicht ganz verloren, aber die politische Kritik bleibt an der Oberfläche und selbst der alternative Karneval ist flacher geworden und bedarf einer schärferen Würzung.

Gegen Kommerzialisierung – holen wir uns unseren Karneval zurück!

Auch wenn sich der Karneval gerade dadurch auszeichnet, dass man ihn auch ohne dicke Brieftasche feiern kann, denn ein Kostüm aus alten Klamotten kann wohl fast jeder zusammen schustern, so zieht doch ein großer Industriezweig seinen Profit aus unserer Feierlaune. Laut Handelsblatt-online gehen Schätzungen für die bundesweiten zusätzlichen Einnahmen durch den Karneval von drei bis fünf Milliarden Euro aus. Das ist ein Riesengeschäft! Für die Teilnahme und vor allem die inhaltliche Gestaltung des offiziellen Karnevals muss man tief in die Tasche greifen. Den Gipfel des Kommerz bildet da der Karneval in Rio de Janeiro, bei dem Zuschauer des Umzugs Eintrittsgeld berappen müssen. Es ist aber wohl nichts neues, dass das Prinzenamt hierzulande mit nicht unerheblichen Kosten verbunden ist, die normale Arbeiter oder Angestellte in der Regel nicht aufbringen können. Die Karten zu den verschiedenen Karnevalssitzungen sind auch nicht billig. Ein anderes Problem stellt die Verfügbarkeit dar. Wer kennt es nicht, dass die Sitzungen in der Regel schon am Tag des Vorverkaufsbeginns ausverkauft werden, besonders die des alternativen Karnevals. Die Teilnahme an den großen Festumzügen ist ebenfalls schwierig, da sie oft nur über die Vereine möglich ist und meist stark reglementiert und kostenpflichtig ist. Private Fußtruppen beim Aachener Rosenmontagszug zahlen mindestens 75 Euro bei maximal zehn Personen, darüber hinaus acht Euro pro Person. Für einen größeren Mottowagen inklusive zwanzig Personen zahlt man 250 Euro Gebühr und da sind die jeweiligen Kosten für die Herstellung des Wagens oder der Kostüme noch nicht einberechnet. Es liegt auf der Hand, dass solche Kosten für die Karnevalsvereine nur über erhebliche Spenden zu stemmen sind. Die Möglichkeit zur Teilnahme am Karneval sollte aber nicht beschränkt sein. Sie sollte weder davon abhängen, ob man genug Geld hat, ob man am ersten Tag des Vorverkauf der Karnevalssitzungen stundenlang in der Schlange stehen kann oder was der Chef zum bunten Treiben denkt.

Es ist wichtig, dass wir uns unseren Karneval wieder zurückholen, ihn selbst gestalten und ihn vor allem als Inspiration begreifen, auch außerhalb der tollen Tage die bestehenden Verhältnisse in Frage zu stellen.

  • Gegen Rassismus, Sexismus und andere Diskriminierung im Karneval
  • Schluss mit Kommerzialisierung und Zwei-Klassen-Karneval
  • Nein zu Karneval durch finanzielle Großspender, stattdessen zensurfreie öffentliche Förderung Kulturschaffender des Karnevals
  • Karneval bzw. alternativen Karneval selbst organisieren und wieder politisieren
  • Gemeinsamer Kampf für eine Gesellschaft, in der man nicht mehr vor der Realität flüchten muss