Im Osten nichts Neues?

Foto: https://www.flickr.com/photos/112078056@N07/ CC BY-NC 2.0
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Bewaffnete Kämpfe in der Ost-Ukraine dauern an

Die Konflikte, die in der Ukraine früher mit Knüppeln und Schlagringen ausgetragen wurden, werden heute im ganzen Osten der Republik mit Flugzeugen, Panzern, schwerer Artillerie und Lenkflugkörpern geführt. Eine Polizeiaktion hat sich zu einem klassischen Militärkonflikt entwickelt, tausende Soldaten der Kiewer Regierung und ostukrainische Separatisten sind bereits umgekommen oder verletzt, zehntausende Flüchtlinge überqueren die Grenze zu Russland.

von Dima Yansky, Aachen

Einerseits sind in fast allen Städten des Ostens Kräfte der Zentralregierung am Werk: Polizei, Gerichte, Verwaltung. Die meisten Betriebe überweisen nach wie vor Steuern nach Kiew. Andererseits existieren in diesen Gebieten sogenannte Volksrepubliken. Diese bestimmen nur wenige Bereiche des Lebens, eher erweisen sie sich als Staat in seiner primitivsten Form, als Gruppe bewaffneter Männer, welche versuchen, Ortschaften zu kontrollieren und Kämpfe zu führen.

Diese „Republiken“ sind nicht in Folge von Massenprotesten entstanden. Die Anti-Maidan-Aktionen in der Ost-Ukraine haben nie einen Massencharakter erreicht. An den größten Demonstrationen beteiligten sich fünf- bis zehntausend Menschen. An der Spitze dieser „Volksrepubliken“ stehen Berufspolitiker, zwielichtige Geschäftsleute und ehemalige Beamte des alten Regimes.

Basis der „Volksrepubliken“

Wie konnte es dazu kommen, dass eine relativ kleine Gruppe von AktivistInnen Landstriche in der Größe Belgiens unter ihre Kontrolle bringen konnte? Zunächst hatte sich der Großteil der Bevölkerung im Osten gegenüber der neuen Regierung passiv bis ablehnend verhalten; aber in den letzten zwei Monaten wuchs die Ablehnung. Aus Angst vor Repressalien seitens der neuen ukrainischen Regierung haben sich viele der ehemaligen Armeekräfte, Sondereinsatzpolizisten und Geheimdienstler auf die Seite der „Volksrepubliken“ geschlagen. Sie wurden von tausenden Mitgliedern der ostukrainischen pro-russischen, nationalistischen Organisationen und von lokalen Gruppen linker, teils stalinistischer Kräfte unterstützt. Dazu stießen hunderte Nationalisten und Kosaken aus den russischen Grenzgebieten. Die sogenannten neuen Republiken rekrutierten Miliz-Mitglieder aus den Schichten, die am stärksten von der wirtschaftlichen Krise betroffen waren: Arbeitslose, verarmte Armeeveteranen, kleine bankrotte Geschäftsleute.

Verlauf der Kämpfe

Als die neue ukrainische Regierung ihre sogenannte „Anti-Terror-Operation“ startete, standen ihr kleine, jedoch gut ausgerüstete Kräfte von hoch motivierten Nationalisten und verzweifelten Menschen, die nichts zu verlieren haben, gegenüber. Die Hoffnungen der Kiewer Regierung auf einen schnellen Sieg versanken im Sumpf von Stadtbelagerungen und Scharmützeln. Immer öfter sterben ZivilistInnen. Auch wenn viele ArbeiterInnen im Osten nicht in die Hände von Wladimir Putin fallen möchten, so wollen sie doch den Abzug der Kiewer Truppen sowie Autonomierechte für die Region.

Gemeinsame Gegenwehr von unten stärken

Es ist keine Frage, dass Linke die Kiewer Regierung, die auf die NATO, rechte Nationalisten und auf private Armeen setzt, ablehnen müssen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass wir automatisch die undurchsichtigen Strukturen der sogenannten Volksrepubliken unterstützen können. Ihre Zusammenarbeit mit russischen Nationalisten, die Tändeleien mit dem russischen Staat und die immer wieder auftretende Loyalität gegenüber lokalen Oligarchen hat nichts mit den Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu tun.

Auch wenn es angesichts der Kriegssituation unglaublich schwer erscheint, bleibt kein anderer Weg, als für Selbstverteidigungskomitees und für den Aufbau unabhängiger Organisationen der arbeitenden Bevölkerung einzutreten sowie Streiks wie die der Bergarbeiter für Lohnerhöhungen beziehungsweise für die pünktliche Auszahlung der Löhne zu unterstützen. In den letzten Wochen traten zudem die Beschäftigten der Kugellagerfabrik von Charkiw in den Ausstand.

Auch in Kiew und Dnepropetrovsk gab es Friedensdemonstrationen. In der West-Ukraine blockierten die Eltern einberufener Soldaten die Einberufungszentralen. In Lwiw befinden sich Bergarbeiter in einem Streik.

Der unabwendbare Bankrott der Ukraine, der blutige Krieg im Osten, die durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgezwungenen Kürzungen und die galoppierenden Preise werden zu neuen sozialen Unruhen führen. Entscheidend wird es sein, dass Beschäftigte und Erwerbslose, ganz gleich welcher Nationalität oder Religion, in der ganzen Region – gegen die reaktionären Kriegstreiber und Oligarchen – den Schulterschluss suchen.