Zypern: „Ein internationalistisches und revolutionäres Programm ist nötig“

Athina Kariati
Athina Kariati

Interview mit Athina Kariati von der „Neuen Internationalistischen Linken“

Was bedeutet die Einigung zwischen Troika und zyprischer Regierung für die Zukunft des Landes?

Für Zypern wird all dies zu umfassenden Kreditbeschränkungen und umfangreichen Kürzungen sowie Privatisierungen führen. Es wird mit der Tilgung eines Viertels des zyprischen Nationaleinkommens gerechnet. „Einfache“ ZyprerInnen werden den Preis zu zahlen haben und nicht die super-reichen russischen Oligarchen oder die zyprische Elite. Vor uns liegen Jahre der wirtschaftlichen Depression ganz wie in Griechenland. Viele ZyprerInnen sagen, dies sei die schlimmste Katastrophe, die die Menschen seit dem Krieg mit der Türkei im Jahre 1974 erleben.

Die Troika sagt, sie wolle nun das zyprische „Finanzmodell“ beenden, das auf das Geld russischer und anderer Oligarchen aufgrund der niedrigen Unternehmenssteuern von zehn Prozent wie ein Magnet gewirkt habe. Die zyprischen Regierungen, darunter auch die letzte unter der Führung der AKEL (zyprische kommunistische Partei), die Anfang dieses Jahres abgewählt wurde, fanden es ganz klasse, dass das Land zum Zielhafen für „heißes“ Geld wurde. Doch die EU-Elite, die in Brüssel und Berlin sitzt, war – als das Land 2008 der Eurozone beitrat – durchaus in Sorge, dass die Rolle Zypern als „Offshore“-Bankenstandort heikel werden könnte. Die Regierungen Zyperns ließen ohnehin zu, dass die EZB das zyprische Bankensystem kontrollierte, um angebliche Geldwäsche zu verhindern. Doch die EU-BürokratInnen waren nicht in der Lage, echte Beweise für derlei kriminelle Machenschaften vorzulegen. Der Hauptgrund für den derzeitigen Aufruhr besteht darin, dass offenbar wurde, wie sehr die zyprischen Banken mit dem ökonomisch ruinierten Griechenland verbunden sind.

Die zyprische Regierung wird nicht fähig sein, die massiven Schulden zurückzuzahlen, da die Wirtschaft deutlich zurückgeht. Wie im Falle Griechenlands wird die Regierung gezwungen sein, neue Kreditverhandlungen mit der Troika aufzunehmen. Jedes neuerliche Rettungspaket wird abermals zu schwerwiegenden Forderungen nach weiterer Austerität führen. Das ist nicht haltbar und wird die Möglichkeit auf, dass Zypern zu einem bestimmten Zeitpunkt die Eurozone verlässt.

Wie haben die arbeitenden Menschen auf die Ereignisse reagiert?

Die Stimmung und den arbeitenden Menschen hat im Verlauf der Krise dramatisch gewandelt. Die Versuche der Troika, die zyprische Regierung zu zwingen, Abgaben auf kleine und große Spareinlagen einzuführen, führten unter den arbeitenden Menschen und kleinen Gewerbetreibenden zu Wutausbrüchen. Vor dem Parlamentsgebäude kam es zu großen Protestkundgebungen, an denen Tausende teilnahmen.

Nach der Ablehnung dieses Vorschlags durch das parlament, hatten viele die Hoffnung, dass ein vorteilhafterer Deal mit Russland hätte zustande kommen können, um zu einer Lösung für die Finanzprobleme zu kommen. Russische Oligarchen haben enorme Summen bei zyprischen Banken angelegt, bei denen sie Höchstzinsen bekamen. Doch die russische Regierung hat sich gehütet, mit dem Interessenbereich der EU und vor allem Deutschlands zu kollidieren. Schließlich hegt man gerade zu Deutschland bedeutende Handelsbeziehungen. Aus diesem Grund scheiterte der Versuch, Hilfe von Russland zu bekommen.

Deshalb stimmte das zyprische Parlament dafür, die Banken zu reformieren, Kapitalkontrollen einzuführen und einen „Banken-Solidaritätsfonds“ einzurichten. Die entsprechenden Gesetzestexte waren derart kompliziert, dass viele Abgeordnete sagten, sie hätten nicht verstanden, worüber sie abstimmen sollten. Die Medien unterstützten die Regierung und berichteten nicht darüber, was diese Gesetzesvorlagen für die arbeitenden Menschen wirklich bedeuteten. Nur eine Sache wurde klar gemacht: die „Laiki Bank“ würde danach nicht mehr so aussehen wie vorher, viele Angestellte würden ihren Job verlieren und die Wertpapieranlagen wären verloren. Das führte zu tagelangen Protesten – allerdings nur der Beschäftigten der „Laiki Bank“. Es war das erste Mal in der Geschichte Zyperns, dass es zu einer Demonstration von 7.000 Bankangestellten kam!

Die Banken in Zypern blieben geschlossen und die Menschen konnten nur begrenzte Geldbeträge abheben. Sorge bis hin zu echter Panik machte sich breit. Die Leute begannen damit, Lebensmittel zu hamstern, weil sie Angst bekamen, dass die Vorräte möglicherweise versiegen könnten.

Als dann aber das ganze Ausmaß des Deals ans Tageslicht kam, drehte sich die Stimmung wieder in Richtung Angst und Wut. Viele ArbeiterInnen und junge Leute waren geschockt und fassungslos, als sie begriffen, dass den zyprischen ArbeiterInnen extrem harte Zeiten bevorstehen würden. Die Privatisierungen und Vernichtung von Arbeitsplätzen sowie der zu erwartende schnelle Niedergang des Bankensektors würde die Wirtschaft des Landes abschmieren lassen. Viele Kleingewerbe und Dienstleistungsbetriebe, die von der Finanzwirtschaft abhängen, würden mit in den Sog gerissen und abgewickelt werden müssen. Auch könnte Zypern als ehedem beliebtes Touristenziel an Attraktion verlieren. Der Sprecher der Finanzausschusses im zyprischen Parlament, Nikolas Papadopolous, gestand ein, dass Zypern „auf eine tiefe Rezession, hohe Arbeitslosigkeit“ zugehe.

Sollte Zypern aus dem Euro aussteigen und zum Pfund zurückkehren?

Viele ZyprerInnen unterstützen die Idee, die Eurozone zu verlassen und die Schikanen einer nie gewählten Troika zurückzuweisen, um damit zum zyprischen Pfund zurückzukehren. Ende März sagten 67 Prozent in einer Umfrage, dass sie aus dem Euro aussteigen wollen (43,7 Prozent waren dabei „absolut sicher“ und 23,6 Prozent „sicher“). Hilfe solle man sich demnach woanders holen, z.B. von Russland. Zypern hat sich erst Anfang 2008 der Eurozone angeschlossen, weshalb die ZyprerInnen diese Währung ausschließlich mit einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise in Verbindung bringen. Viele ZyprerInnen betrachten das zyprische Pfund auch als eine Währung, die für bessere Zeiten steht. Sie sehen in der Verbindung zur EU und der Eurozone nur einen Teil der Auslandsbeziehungen des Landes. Schließlich gibt es historische, kulturelle und wirtschaftliche Verknüpfungen auch zu Großbritannien, dem Nahen Osten und beispielsweise zu Russland.

Ist eine Rückkehr zum Pfund für die arbeitenden Menschen aber wirklich eine Lösung? Sicherlich ist es sinnvoll, die Kontrolle über die eigene Währung zu haben. Damit ist sichergestellt, dass die eigene Regierung Geld drucken kann, den akuten Bedarf der eigenen Volkswirtschaft zu decken, Haushaltsdefizite zu überbrücken und liquide Mittel in die Wirtschaft zu pumpen, all die Dinge zu tun, gegen die sich die EZB beständig wehrt. Währungsabwertungen verbilligen auch Exporte. Aber für all solche Maßnahmen zahlt man auch einen Preis: teurere Importe, Inflationsanstieg und Fall der Lebensstandards. Wenn das kleine Zypern mit einer geschwächten Volkswirtschaft die Eurozone verlassen würde, geschähe dies in einem Europa am rande der wirtschaftlichen Depression mit schrumpfenden Märkten.

Die „Neue Internationalistische Linke“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Zypern) sympathisiert mit dem allgemeinen Gefühl der Masse der Bevölkerung, dass der Euro das Land ins Desaster geführt hat und deshalb verlassen werden sollte. SozialistInnen wollen den Euro der Bosse und die Austerität ebenfalls loswerden. Aber wir erklären auch, dass ein Austritt aus dem Euro alleine, auf der Basis des Kapitalismus, keine Lösung für die arbeitenden Menschen darstellen wird. Ein Austritt aus dem Euro wäre für Zypern nur eine Hilfe zum wirtschaftlichen Wiederaufbau, wenn gleichzeitig ein sozialistisches Programm zur Umgestaltung der ruinierten Wirtschaft umgesetzt würde.

Das bedeutet, die Kontrolle, das Eigentum und die Verwaltung der Banken durch eine Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle und -verwaltung in die Hände der Gesellschaft zu geben, sowie ein Ende der Schuldenzahlungen. Das ist der einzige Weg, den Boden für Wirtschaftswachstum zu bereiten.

Gibt es Widerstand gegen die Troika?

Es gab Demonstrationen der Gewerkschaft der Bankangestellten vor dem Parlament. Aber die rechte Führung der Gewerkschaft hat einen für den 26. März geplanten Streik wieder abgesagt. Sie begründete dies mit „Zusicherungen“ der Regierung, dass jeglicher Arbeitsplatzabbau „freiwillig“ sein wird und die Rentenansprüche der Bankangestellten gesichert seien. Es ist unglaublich, dass die Gewerkschaftsführung Vertrauen in eine Regierung hat, die gerade erst dem Troika-Diktat zugestimmt hat!

Die Neue Internationalistische Linke spricht sich gegen jeglichen Arbeitsplatzverlust für Bankangestellte und für die Sicherung alles Rentenansprüche aus. Weder Bankangestellte noch andere ArbeiterInnen sollten für die Krise der Eurozone und das System der Superreichen zahlen müssen.

Über 2.000 SchülerInnen haben gegen den Troika-Deal demonstriert und am 27. März gab es einen Protest von 3.000 Menschen, der von der „Bewegung gegen Privatisierung und Austerität“ organisiert wurde. An dieser Bewegung sind Gruppen und Gewerkschaften der AKEL und andere linke Organisationen, einschließlich der Neuen Internationalistischen Linken, beteiligt.

Sehr viel kleinere Proteste wurden von den Nationalisten und Faschisten organisiert. Diese haben keine signifikante Unterstützung, aber versuchen sich entlang des Beispiels der griechischen Goldenen Morgenröte aufzubauen. Das ist eine Warnung für die zyprische Arbeiterklasse. Wenn die Linke das politische Vakuum nicht füllen kann, werden die Faschisten auch in Zypern wachsen können.

Bisher sind die Aktionen der Gewerkschaften nicht koordiniert und sehen keine Streikmaßnahmen gegen die Angriffe der Troika vor. Die Gewerkscahften, Jugend- und Studierendenorganisationen, Anti-Austeritätskampagnen und linke Parteien müssen den Kampf aber koordinieren. Sie sollten Massenversammlungen auf lokaler und nationaler Ebene einberufen um einen massenhaften Kampf gegen die Kürzungen vorzubereiten und eine alternative Politik entsprechend der Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu diskutieren, Massendemonstrationen und anhaltende Streiks sind der einzige Weg, Widerstand zu organisieren.

Bis zum Februar war Dimitris Christofias von der AKEL Präsident Zyperns. Was macht die AKEL jetzt?

AKEL ist die wichtigste linke Partei, stellt aber keine Führung für die Arbeiterklasse dar. Sie hat Proteste vor dem Parlament organisiert, aber präsentiert keine wirkliche Alternative. Sie sagt „Nein zur Troika!“ und „Nein zum Memorandum!“, aber das reicht nicht um die Interessen der Arbeiterklasse zum Ausdruck zu bringen.

Abgeordnete der AKEL enthielten sich bei der Abstimmung am 22. März zur Abgabe von Bankeinlagen, stimmten aber für Kapitalverkehrskontrollen und den sogenannten „Solidaritätsfonds“. AKEL-Führer sagen, sie „wollen den Präsidenten in Zeiten der Krise nicht angreifen“!

Die Partei sagt, sie habe ein 15-Punkte-Programm, dass sie bisher aber nicht öffentlich gemacht hat, sondern nur dem Präsidenten unterbreitet hat. Da sie aber während ihrer Präsidentschaft keine sozialistische Politik umgesetzt hat, ist es sehr unwahrscheinlich, dass dieser 15-Punkte-Plan eine radikale Abkehr vom krisengeschüttelten Kapitalismus bedeutet. Die Parteiführung unterstützte den Eintritt in die Euro-Zone und verteidigt diese immer noch. Unter dem Druck der Bevölkerung fordert die Partei aber eine Volksabstimmung zum Troika-Deal, ohne jedoch ernsthaft dafür eine Kampagne durchzuführen. Die AKEL-Führung agiert aber wesentlich als „verantwortliche“ Opposition zur rechten, arbeiterfeindlichen Regierung. Andere, kleinere linke Kräfte, wie ERAS, gehen weiter als AKEL und stellen Forderungen nach Verstaatlichung und höherer Besteuerung der Reichen auf, ohne jedoch ein umfassendes sozialistisches Programm zu entwickeln.

Was fordert die Neue Internationalistische Linke?

Wir fordern eine Lösung auf Basis der Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung: Streichung der Schulden; Verstaatlichung der Banken und Arbeiterkontrolle und -verwaltung im Interesse der gesellschaftlichen Bedürfnisse. Wir fordern eine Garantie für die kleinen Bankeinlagen, Rentenansprüche und eine Streichung der Privatschulden der arbeitenden Menschen, nicht aber der Konzerne.

Ein solches Programm, das eine Zurückweisung der Forderungen der Troika bedeutet, würde sofort die Frage der Währung aufwerfen. Eine Arbeiterregierung müsste bräuchte einen Plan für einen Exit aus dem Euro und die Wiedereinführung einer nationalen Währung, ohne damit jedoch die Illusion zu verbreiten, dass dies alleine auf der Basis des Kapitalismus eine Lösung darstellen könnte, sondern dass eine solche Maßnahme Teile eines sozialistischen und internationalistischen Programms sein müsste.

Wir sagen auch: Nein zu Privatisierungen! Besteuert die Superreichen! Enteignet den enormen Reichtum der Gangster-Oligarchen und der superreichen zyprischen Elite! Für die Überführung der wichtigen Industrien und Firmen in öffentliches Eigentum, um die Wirtschaft demokratisch entsprechend der Bedürfnisse der Mehrheit planen zu können

Wir treten für unmittelbare staatliche Maßnahmen ein, wie für finanzielle Subventionen und billige Kredite für Kleinunternehmen und kleine Landwirte, um diesen wichtigen Sektor der zyprischen Wirtschaft und die dort vorhandenen Arbeitsplätze zu retten. Von Schließung bedrohte Kleinunternehmen könnten in Form demokratischer Genossenschaften reorganisiert werden, bei Garantie gewerkschaftlicher rechte und eines Mindestlohns, der zum Leben reicht.

Wir rufen die zyprischen ArbeiterInnen auf, sich mit den Arbeiterbewegungen in Griechenland und dem Rest Europas zu verbinden. Das sind unsere wirklichen Verbündeten, nicht die herrschenden Klassen und Regierungen der EU. Es muss eine neue, starke Linke in Zypern aufgebaut werden, die das Ziel haben muss eine Regierung im Interesse der arbeitenden Menschen zu bilden. Die zyprische Gesellschaft steht vor einer verzweifelten Situation: nur eine mutiges, internationalistisches und revolutionäres Programm kann die Krise im Interesse der Massen lösen. Es wird zu großen Klassenkämpfen in den nächsten Monaten und Jahren kommen, die der Linken die Möglichkeit geben werden sich aufzubauen und auf der Basis eines sozialistischen Programms um die Macht zu kämpfen.

Wäre eine Arbeiterregierung nicht isoliert?

Eine Arbeiterregierung würde vom europäischen Kapitalismus mit Feindseligkeit begegnet und aus dem Euro und der EU geworfen werden. Sie müsste sofort Kapitalverkehrskontrollen einführen, um einen weiteren Kapitalabfluss zu verhindern. Auf der Basis einer demokratisch geplanten Wirtschaft und einem Außenhandelsmonopol, könnte eine Arbeiterregierung ein Notprogramm starten, das auch massive Investitionen in das öffentliche Gesundheitswesen, das Bildungssystem und das Sozialwesen enthalten würde, um Vollbeschäftigung zu erreichen.

Wir denken aber nicht, dass das kleine Zypern dann ganz alleine gegen einen feindseligen europäischen Kapitalismus stehen würde. ArbeiterInnen in ganz Europa haben gejubelt, als das zyprische Parlament gezwungen war, das erste Paket der Troika abzulehnen. Man kann sich vorstellen, wie positiv die ArbeiterInnen in Europa auf einen Arbeiterstaat in Zypern reagieren würden.

Ein sozialistisches Zypern hätte eine große Anziehungskraft für die Arbeiterklasse und die Armen in ganz Europa. In Griechenland und den anderen krisengeschüttelten Ländern wie Spanien, Portugal, Italien und Irland würden ArbeiterInnen sofort reagieren. Das würde den Weg bereiten für gemeinsame Kämpfe der arbeitenden Bevölkerung Europas gegen Austerität und die Herrschaft des Kapitals. Das könnte den Kampf auf eine höhere Ebene heben: für die Schaffung einer Konföderation sozialistischer Staaten. Die demokratisch wäre und auf Gleichberechtigung basieren würde – anders als die wie eine Zwangsjacke wirkende Eurozone, die von den großen kapitalistischen Nationen dominiert wird.

Athina Kariati lebt in Nikosia und ist Mitglied der Neuen Internationalistischen Linken, der zyprischen Sektion des Komitees für eine Arbeiterinternationale. Das Interview erschien in einer längeren Fassung am 31. März 2013 auf www.socialistworld.net