Wahlen in den Niederlanden: Sozialistische Partei stagniert

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Nachdem eine zeitlang ein Kopf-an-Kopf-Rennen der konservativen „Volkspartij voor Vrijheid en Democratie“ (VVD) mit der linken Socialistische Partij (SP) die Hoffnung auf ein politisches Erdbeben in den Niederlagen oder vielleicht gar einer Linksregierung aufkommen ließ, ist mit dem Wahlausgang in den Niederlanden nun anscheinend doch alles beim Alten geblieben.

von Conny Dahmen, Köln

Die rechtsliberale VVD wurde mit 26,4 Prozent (41 Sitze) stärkste Fraktion, die PvdA konnte mit 24.7 Prozent (39) ein regelrechtes Comeback hinlegen. Der SP blieben mit 9,7 Prozent der Stimmen 15 Sitze wie zuvor, nachdem sie noch einige Wochen zuvor in Umfragen bei bis zu 39 Sitzen gelegen hatte. Immerhin behält die rechtsextreme und islamfeindliche „Partij voor de Vrijheid“ (Wahlverein des Rassisten Geert Wilders) nur noch 15 von ehemals 24 Sitzen.

Haben die „unberechenbaren“ niederländischen WählerInnen wirklich die „radikalen Euro-Skeptiker abgestraft“, wie die bürgerliche Presse behauptet?

Der Hintergrund dieser neuerlichen vorgezogenen Parlamentswahlen war der Zusammenbruch der rechten Regierungskoalition von VVD und CDA (Christdemokraten), unter Tolerierung der PvdF, im März gewesen, anlässlich von Auseinandersetzungen um die Ausweitung eines Kürzungsprogramms von 18 Milliarden € um weitere 12,5 Milliarden zur „Stabilisierung der Staatsfinanzen“. Obwohl das Steuerparadies Niederlande mit einer Staatsverschuldung von 65 Prozent weit unter dem EU-Durchschnitt liegt, hatten die bürgerlichen Parteien und Medien im Wahlkampf dieses Thema immer wieder in den Vordergrund geschoben und als Druckmittel für ihre Kürzungspolitik benutzt.

Trotz des Rekordergebnisses des VVD haben die drei ehemaligen Koalitionsparteien zusammen 7 Sitze verloren. Die PvdA konnte wahrscheinlich die meisten der ehemaligen Wähler von „Groen links“ (Grüne Linke), die von 7 auf 3 Sitze absackten, für sich gewinnen. Trotzdem haben viele potenzielle SP-WählerInnen am Ende doch für die Sozialdemokraten gestimmt.

Gründe dafür waren wohl weniger deren Beteiligung an den Kürzungsregierungen in den 90ern oder die Unsummen, welche die PvdA 2008 den „bedrohten“ Banken in den Rachen geworfen hat, sondern die inkonsequente Politik der SP.

SP als „Neue Sozialdemokratie“?

Nachdem die SP zuvor eine Kampagne unter dem Motto „65 ist 65“ geführt hatte, knickte sie vor kurzem doch noch ein und schlägt jetzt vor, das Rentenalter im Jahr 2025 auf 67 Jahre und später möglicherweise noch weiter anzuheben – zur „Haushaltskonsolidierung“! Nach der Veröffentlichung dieser Forderungen brach der Rückhalt der SP vor allem bei ihrer wichtigsten Wählergruppe zwischen 55 bis 64 Jahren von 28 Prozent auf 19 Prozent (letzte Umfragewerte).

Immer wieder zeigte sich die SP- Führung deutlich bereit zu Kompromissen und zur Beteiligung an Regierungskoalitionen mit den bürgerlichen Kürzungsparteien. So hatte der SP-Spitzenkandidat Roemer, der eine zeitlang in den Medien als möglicher neuer niederländischer Premier gehandelt worden war, bereits am Anfang des Wahlkampfes seine Position, EU-Mitgliedsstaaten mit hohen Haushaltslöchern nicht unter Strafe zu stellen, zum Teil zurückgezogen. Auch in anderen Fragen setzte sich die SP-Führung kaum von bürgerlichen Kräften ab: statt einer vollständigen Schuldenstreichung für Griechenland fordert sie nur mehr Zeit zur Haushaltskonsolidierung. Anders als bei den Wahlen 2006, wo die SP auf der Grundlage ihrer wichtigen Rolle bei Massenprotesten und besonders der Kampagne gegen die EU-Verfassung noch 27 Sitze holen konnte, wurde sie diesmal von der Arbeiterklasse und Jugend kaum als kämpferische Opposition gegen die EU der Bosse wahrgenommen. Ein klares kämpferisches und antikapitalistisches Profil hätte weit mehr ArbeiterInnen und Jugendliche anziehen können, einer vermeintlichen „neuen Sozialdemokratie“ (in einigen Statements erklärtes Selbstverständnis der SP!) zogen viele ArbeiterInnen und Erwerbslose dann aber doch die alte PvdA vor.

Deren Spitzenkandidat Diederik Samson, der in dem personen- und medienfixierten Wahlkampf ein schärferes Profil als Roemer aufbauen konnte, konnte bei einigen Themen links antäuschen. Mit Forderungen nach mehr Arbeitsplatzsicherheit und staatlicher Förderung des Gesundheitssystems konnte er der SP sicherlich einige Stimmen abjagen, zumal die bürgerlichen Medien dankbar alles aufgriffen, um die PdvA als Herausfordererin des VVD zu promoten.

SP: klare Opposition statt Anbiederung!

Doch die PvdA wird in einer neuen Regierungskoalition, die vermutlich aus PvdA und VVD und evtl. CDA oder anderen bürgerlichen Kräften bestehen wird, sofort massive Sparprogramme umsetzen. Einschnitte im Gesundheitswesen, Bildung und bei der Rente, Ausweitung der Arbeitszeiten bei niedrigeren Löhnen sind bereits in Planung. Nichtsdestotrotz kann es auch bald zu Spannungen im Kabinett kommen, welche die Arbeiterklasse für ihren Widerstand nutzen kann.

Die niederländische Wirtschaft wird dieses Jahr um ein Prozent schrumpfen, die Arbeitslosenrate dagegen ist innerhalb eines Jahres um ein Prozent gewachsen, auf 5,3 Prozent. Einer kürzlichen Umfrage zufolge lehnen siebzig Prozent der niederländischen Bevölkerung weitere Kürzungen ab und fordern stattdessen Investitionsprogramme. An diese Stimmung kann die SP selbst mit ihrem etwas begrenzten Programm anzuknüpfen, das sich klar gegen die Austeritätsprogramme in Europa, höhere Besteuerung der Reichen und staatliche Investmentprogramme ausspricht.

Als kämpferische Oppositionspartei kann sie immer noch zu einem Bezugspunkt und einer wirklichen Alternative für die Arbeiterklasse werden, wenn jetzt notwendigen Schlussfolgerungen aus der Wahlniederlage der SP gezogen werden. Viele der enttäuschten SP- AktivistInnen und SympathisantInnen werden jetzt den Ansatz der SP-Führung in Frage stellen und über die Ausrichtung der Partei diskutieren wollen.

Letzten Freitag sprach sich Roemer für eine „Zentrum-Links-Koalition“ von PvdA, SP, CDA und D66 („Links“liberale) aus, eine Konstellation, bei der sich die SP unvermeidlich zum Erfüllungsgehilfen von Kürzungspolitik machen und die Partei als linke Alternative zerstören würde. Anstatt weiterhin auf vermeintliche Gemeinsamkeiten mit bürgerlichen Kräften zu setzen, sollte die SP sofort Widerstand gegen die drohenden Angriff auf die Masse der Beschäftigten, Erwerbslosen, RentnerInnen und Jugendlichen organisieren und eine Bewegung gegen die Kürzungen mit anderen Kräften gemeinsam aufbauen. So kann sie auch der PvdF das Wasser abgraben, die zwar zurzeit mit ihren rassistischen Ideen und ihrer Mitverantwortung für Kürzungen wenig Zuspruch erfährt, vor dem Hintergrund wachsender gesellschaftlicher Polarisierung aber wieder zu einem politischen Faktor werden kann.

SP, LINKE, SYRIZA müssen zu echten Arbeiterparteien werden!

Anstatt den Kapitalismus netter gestalten zu wollen, sollte die SP diesem Widerstand mit sozialistischen Forderungen ihren Stempel aufzudrücken: Arbeitsplätze, kostenloser Bildungs- und Gesundheitsversorgung und bezahlbare Wohnungen für alle, Überführung der Banken und Großkonzerne in Gemeineigentum unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten – auf Basis eines solchen Programms kann die SP nicht nur weitere UnterstützerInnen, sondern auch neue AktivistInnen unter den Schichten gewinnen, die keine Zukunft mehr im Kapitalismus haben.

Um die SP zu einer Kraft zu machen, welche die niederländische Arbeiterbewegung aufbauen und damit letztendlich die Perspektive für eine sozialistische Zukunft eröffnen kann, setzt sich „Offensief/ SocialistischAlternatief“, die niederländische Schwesterorganisation der SAV, in der SP für wirklich offene und demokratische Debatten und Strukturen und eine kämpferisch-sozialistische Ausrichtung der Partei ein.

Dafür setzen sich SAV-Mitglieder auch in der Partei DIE LINKE ein, welche die massive Wahlniederlage der SP als deutliche Warnung verstehen sollte. Die Krise der LINKEN und die relativ schwachen Werte bei Meinungsumfragen sind auch eine Folge einer oftmals einseitigen Schwerpunktsetzung auf die rein parlamentarische Arbeit und einer Vernachlässigung von sozialen und gewerkschaftlichen Kämpfen, der Selbstdarstellung als „linkes Korrektiv“ von rot-grün und die damit einhergehende Orientierung auf Regierungsbeteiligungen mit diesen beiden Hartz-IV-Parteien. Nötig ist eine kämpferische Partei, die sich klar von den etablierten Parteien unterscheidet und sich den herrschenden Verhältnissen nicht anpasst. Eine zweite Sozialdemokratie braucht niemand, sie wird unweigerlich den Weg der ersten gehen und wie die griechische PASOK damit enden, der Arbeiterklasse auch noch ihre letzten Rechte und das letzte Hemd zu nehmen.

Auch in Deutschland, wo sich bereits die ersten Krisenanzeichen bemerkbar machen, wird die Lage bis zu den Bundestagswahlen 2013 verändern und der Druck auf die Arbeiterklasse steigen. DIE LINKE muss sich jetzt nicht nur klar gegen Kürzungen und jegliche Bündnisse mit pro-kapitalistischen Parteien aussprechen, sondern auch den Kampf gegen die Kahlschlagspolitik in Europa maßgeblich mitorganisieren, mit Forderungen, die den Kapitalismus nicht kurieren wollen, sondern seine Grenzen sprengen.