Niederlande: Oppositionelle Sozialistische Partei in Umfragen stärkste Kraft

ArbeiterInnen brauchen eine Partei mit einem sozialistischen Programm gegen Kürzungen, und keine Koalitionen mit kapitalistischen Parteien!


 

von Pieter Brans, Socialistisch Alternatief (niederländische Schwesterorganisation der SAV) Amsterdam

In der letzten Zeit hat in den Niederlanden die Sozialistische Partei deutlich an Unterstützung gewonnen und ist jetzt in einigen Umfragen mit über 30 Prozent stärkste Partei. In der internationalen Presse wurde behauptet, dass die Popularität der Partei wegen ihrer Ablehnung gegenüber Brüssel und seinen Sparpaketen wächst. Das stimmt zum Teil. Die Sozialistische Partei hat bis zu einem gewissen Grad die sozialdemokratische PvdA (Partei der Arbeit) als die Partei abgelöst, die als Interessenvertretung der ArbeiterInnen wahrgenommen wird. Als sie 2006 25 von insgesamt 150 Parlamentssitzen bekam wurden große Hoffnungen in die SP gesetzt. Als sie trotz der beginnenden Weltwirtschaftskrise 2007/8 die Interessen der ArbeiterInnen nicht genügend vertrat machte sich Enttäuschung breit. Davon profitierte seinerzeit hauptsächlich die Partei für die Freiheit (PVV) um Geert Wilders, eine rechtspopulistische Partei, die anti-islamische Politik mit verbaler Ablehnung von Sozialkürzungen kombinierte.

Die PVV ist jetzt Teil der Regierung. Sie stellt keine Minister, aber toleriert die Koalition aus Liberaler Partei und Christdemokraten, den traditionellen Parteien des niederländischen Kapitalismus. In diesem Arrangement deckt die PVV mit ihrer antiislamischen Rhetorik die Kürzungen der Regierung im Umfang von 18 Mrd. Euro. Offensichtlich hat die Partei für die Freiheit auf große Teile ihres sozialen und ökonomischen Programms verzichtet, zum Beispiel bei Renteneintrittsalter, das von 65 auf 67 Jahre angehoben werden soll. Jetzt, wo die Kürzungen beginnen sich auszuwirken und weitere Kürzungen angedacht sind (die Regierung wird im März über ein weiteres schmerzhaftes Kürzungspaket von 5-10 Mrd. Euro entscheiden) verlieren die Regierung und die PVV an Popularität. Einige anti-islamische Maßnahmen wurden eingeführt, etwa ein Burkaverbot, aber sie haben vorwiegend symbolische Bedeutung (fast niemand hat in den Niederlanden jemals eine Burka gesehen). Die Kürzungen sind jedoch Realität.

SP in Koalitionen auf kommunaler Ebene

Deshalb bewegt sich eine große Gruppe von WählerInnen von der Partei für die Freiheit zur Sozialistischen Partei, die von vielen NiederländerInnen als einzige Opposition im Parlament gesehen wird, die den Namen verdient. Es ist gut möglich, dass viele von diesen WählerInnen nach 2006 von der SP zur PVV gewandert waren. Aber während viele WählerInnen ihre Sehnsucht nach einer Anti-Kürzungs-Partei zeigen, geht die SP-Führung in Richtung Koalitionen mit prokapitalistischen Parteien. In einigen Städten und Provinzen wie Brabant beteiligt sich die SP schon an Lokalregierungen. Der aktuelle Parteivorsitzende Emile Roemer war in Brabant Beigeordneter in einer kommunalen Koalition mit der liberalen VVD. Er hat angekündigt, auch auf nationaler Ebene mit den Liberalen koalieren zu wollen. Zu seiner Enttäuschung hat der aktuelle Vorsitzende der Liberalen und Ministerpräsident erklärt, dass er Herrn Roemer zwar persönlich mag, eine Koalition aber nicht für realistisch hält! Aber eine Koalition der SP mit anderen „Mainstream“-Parteien wie der PvdA, den „Grünen Linken“ oder vielleicht den Christdemokraten ist für kommende Wahlen eine mögliche Variante.

SozialistInnen lehnen die Zusammenarbeit mit anderen Parteien zu konkreten Themen nicht grundsätzlich ab, solange Kürzungen und andere Angriffe auf die Rechte und Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen prinzipiell abgelehnt werden. Aber die Beteiligung an einer Koalition oder die Tolerierung einer Regierung, die Arbeiterrechte und Lebensstandards angreift muss entschieden abgelehnt werden.

Fehlender Widerstand der Gewerkschaften

Ein weiterer Faktor, der zum Wachstum der SP in den Umfragen beiträgt ist der Mangel an gewerkschaftlichem Widerstand. Im September 2011 schlossen die Gewerkschaftsspitzen ein Rentenabkommen mit der Regierung und den Unternehmen, durch das alle Investitionsrisiken auf die ArbeiterInnen abgewälzt werden. Die Mehrheit der Mitglieder der größten Gewerkschaften in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst lehnten den Vertrag ab, aber weil viele kleine Gewerkschaften die Mehrheit der Stimmen im größten Gewerkschaftsbund der Niederlande, dem FNV stellen kam er trotzdem zustande. Das führte zu einem unlösbaren Konflikt zwischen dem FNV und den Vorsitzenden der größten Gewerkschaften, die etwa 60% der Mitglieder des FNV vertreten. Ein Ex-Banker und PvdA-Politiker wurde als „Vermittler“ eingesetzt und der Gewerkschaftsbund FNV „aufgelöst“. Im kommenden Jahr wird ein Plan für eine neue Gewerkschaftsbewegung ausgearbeitet, unter Federführung eines weiteren sozialdemokratischen Politikers, der viele Sozialkürzungen verantwortet hat. Das bedeutet, dass große gewerkschaftliche Mobilisierungen gegen die Kürzungen der Regierung, wie die in Belgien und Britannien, momentan nicht möglich sind und ArbeiterInnen sich auf die parteipolitische Ebene orientieren.

Der Zuwachs der SP in den Umfragen zeigt das Potential für eine antikapitalistische, sozialistische Alternative, aber bis zu den Kommunalwahlen 2014 wird es keine größeren Wahlen geben und bis dahin könnte die Situation für die SP sehr anders aussehen, besonders wenn die Führung ihre „koalitionsorientierte“ Politik beibehält.

Die niederländische herrschende Klasse ist stark vom europäischen Binnenmarkt und dem Euro abhängig und besorgt über die Ablehnung der EU unter den WählerInnen. Nur die Partei für die Freiheit und die SP sprechen sich gegen die EU aus. Aber die Haltung der PVV ist für die anderen Regierungsparteien kein großes Problem, weil sie zusammen mit der PvdA eine EU-freundliche Mehrheit im Parlament bilden können. Daher wechseln viele PvdA-UnterstützerInnen zur SP. Wenn eine Regierung unter Beteiligung der SP gebildet würde, könnte die herrschende Klasse ein ernsthaftes Problem bekommen.

Große wirtschaftliche Gefahren

In den Niederlanden gibt es keine großen Äußerungen des Klassenkampfs wie etwa Generalstreiks, aber viele kleine Kämpfe, zum Beispiel Widerstand von ArbeiterInnen gegen Kürzungen für Beschäftigte mit Behinderung und gegen Kürzungen bei der Krankenversicherung, Studierendproteste gegen die Streichung von Stipendien und Aktionen von Beschäftigten im ÖPNV. Gegen die Schließung einer Mitsubishi-Fabrik in Südholland wurden Streikpläne aufgestellt.

Das Land steht vor potentiell großen wirtschaftlichen Gefahren, z.B. Hypotheken. In den Niederlanden stehen 7 Millionen Quadratmeter Büroflächen leer. Viele Menschen sind „Selbstständig“, haben aber geringe oder gar keine Einkommen und tauchen nicht in Arbeitslosenstatistiken auf.

Eine sozialistische Partei mit einem kämpferischen sozialistischen Programm könnte in dieser Situation einen riesigen Unterschied machen. Aber eine Sozialistische Partei, die versucht den Kapitalismus besser zu verwalten als die kapitalistischen Parteien oder diese sogar aufruft, mit ihr künftige Koalitionsregierungen zu bilden ist für die ArbeiterInnen und Armen in den Niederlanden kein wirtklicher Fortschritt.

Für ein sozialistisches Programm!

Die einzige echte Möglichkeit für die Sozialistische Partei, große Popularitätsverluste durch weitere Katastrophenkoalitionen mit kapitalistischen Kürzungsparteien auf kommunaler und möglicherweise nationaler Ebene zu vermeiden ist eine Orientierung auf Beschäftigte, Arbeitslose und Jugendliche durch entschlossenen Widerstand gegen Kürzungen und die Abschaffung des Wohlfahrstaates; mit einer klaren sozialistischen Alternative: Jobs für Alle, bedarfsgerecht finanzierte Bildung und Gesundheitsversorgung, gute und erschwingliche Wohnungen, Ablehnung imperialistischer Kriege und so weiter. Nur wenn die großen Banken und Konzerne unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die ArbeiterInnen in öffentliches Eigentum überführt werden können die riesigen Ressourcen der Gesellschaft eingesetzt werden um die Berdürfnisse der Arbeiterklasse zu erfüllen. Die SP muss sich auch radikal verändern, sie braucht offene und demokratische Strukturen um für neue Schichten der ArbeiterInnen und der Jugend attraktiv zu sein. Ein klares sozialistisches Programm und entschlossener gewerkschaftlicher Widerstand gegen Kürzungen können die Arbeiterklasse über ethnische und religiöse Spaltungslinien hinweg vereinen und wirken so gegen die giftigen Lügen der PVV.