Das braune Erbe

Zu einer umfassenden Entnazifizierung ist es in der Bundesrepublik nie gekommen


 

Im Dezember 2010 stellte die Fraktion der LINKEN im Bundestag eine Große Anfrage zum „Umgang mit der NS-Vergangenheit“. Über ein Jahr feilte die Bundesregierung an ihrer Antwort, viel länger als sonst üblich. Offensichtlich bemühte sie sich darum, die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik als eine Erfolgsgeschichte zu verkaufen. Dennoch ließ sich in der Antwort nicht unterschlagen, dass es in der Nachkriegszeit einen Bundeskanzler und 26 Bundesminister gab, die vor 1945 Mitglieder der NSDAP oder anderer NS-Organisationen wie SA, SS oder Gestapo waren. Unter ihnen Kurt-Georg Kiesinger, Horst Ehmke, Walter Scheel, Friedrich Zimmermann und Hans-Dietrich Genscher. Im Jahr 1952 waren 34 Prozent aller Personen im höheren Dienst des Auswärtigen Amtes ehemalige NSDAP-Mitglieder.

von Steve Kühne, Dresden

Manchmal sind es eigenartige Umstände, die unangenehme Wahrheiten ans Licht bringen. Etwa ein brennendes Wohnmobil, in dem zwei tote Bankräuber gefunden werden, die sich schließlich als die gesuchten Nazi-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos herausstellen. So geschehen 2011. Oder aber ein scheinbar biederer Rechtsstreit wegen Ruhestörung zwischen dem Direktor der Kieler Universitätsklinik, Helmuth Reinwein, und den Justizbehörden. Reinwein fühlte sich bei der Bearbeitung einer Anzeige gegen trinkfeste Burschenschaftler schlecht vertreten. Die Wut löste seine Zunge und so posaunte er, im Bestreben die Unfähigkeit der deutschen Justiz zu beweisen, heraus, dass in Flensburg mit Wissen der Behörden ein gewisser Dr. Sawade, in Wirklichkeit der steckbrieflich gesuchte Dr. Werner Heyde, Organisator der Euthanasie, als Arzt praktizierte und immer dann Gutachten verfasste, wenn NS-Opfer um Renten baten.

Beide Fälle offenbarten die Verbindungen des Staates und der bürgerlichen High-Society mit Nazis. Im ersten Fall ist es allen voran der ehemalige Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen, Helmut Roewer, der für diese Verflechtungen steht. Im zweiten Fall konnte selbst der Landesregierung von Schleswig-Holstein Mitwisserschaft und Verschleierung im Falle Heyde/Sawade nachgewiesen werden.

Es liegen 50 Jahre zwischen dem Fall Heyde/Sawade und den Verstrickungen zwischen „Nationalsozialistischem Untergrund“ (NSU) und Verfassungsschutz. Wie leicht wäre es, sie als Einzelfälle darzustellen. Doch sie offenbaren beängstigende Kontinuitäten im Personal der deutschen Eliten über das Jahr 1945 hinaus. Eine Kontinuität, die ermöglicht wurde durch den fehlenden gesellschaftlichen Bruch nach dem Ende der Nazi-Tyrannei. Die belasteten Spitzen in Militär, Gesundheit, Justiz, Polizei und vor allem der Wirtschaft blieben in vielen Fällen in Amt und Würden, weil ihre Macht vor allem auf ihrem Vermögen, ihrem Besitz beziehungsweise der Loyalität gegenüber den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen beruhte. Für die Westalliierten (USA, Großbritannien, Frankreich) wäre ein Eingriff in diese Verhältnisse ein Tabubruch gewesen, zu dem sie aus ganz eigennützigen Gründen nicht bereit waren.

Kapital und Nazis

Skrupel gegenüber einer Zusammenarbeit mit der NSDAP hatten Deutschlands Eliten nicht. Ihre anfänglichen Einwände waren rein taktischer Natur. Zu „proletarisch“ war ihnen die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), vor allem deren Schlägertruppe, die Sturmabteilung (SA). Selbsternannte „Sozialrevolutionäre“ wie Otto und Gregor Strasser, die von Verstaatlichungsmaßnahmen sprachen, wann immer es gerade gut ankam, versetzten die Herren und Damen der feinen Gesellschaft in Schrecken. Doch da war auch eine andere Seite der NSDAP, ihr Hass auf die Arbeiterbewegung. Und da war sie wieder, die Schnittmenge zwischen den Herrschenden in der Weimarer Republik und der braunen Bande!

Es war Emil Kirdorf, der 1926 die Vereinigte Stahlwerke AG mit gegründet hatte, der Adolf Hitler auf die Idee brachte, eine Broschüre einzig für seinesgleichen zu verfassen. Hitlers „Der Weg zum Wiederaufstieg“ erläuterte Weimars Industriekapitänen, wie wenig die NS-Spitze selbst von ihren „sozialistischen“ Ideen hielt. Der Bann war gebrochen! Eine Schlägertruppe gegen die drohende Revolution, gegen SPD, KPD, SAP und Gewerkschaften, die Installation einer Diktatur zur Zerstörung aller Organisationen der Arbeiterbewegung, die Unterwerfung der gesamten Bevölkerung unter die Kapitaleigner (wie 1934 im „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ festgeschrieben), die Aussicht auf einen neuen großen Krieg – dafür war man auch bereit, die wahnsinnige Rassenideologie in Kauf zu nehmen.

Spätestens ab November 1932 gaben sich Deutschlands Industrielle bei Reichspräsident Paul von Hindenburg und seinem Umfeld die Klinke in die Hand und forderten die Ernennung ihres Ziehsohns zum Reichskanzler. Selbst einen ultimativ formulierten Brief verfassten sie und sandten ihn dem greisen deutschen Staatsoberhaupt zu. Beeindruckt schob von Hindenburg schließlich seine dem Standesdünkel entsprungenen Bedenken, Hitler könne weder Messer noch Gabel halten, beiseite und ernannte ihn zum Chef der Reichsregierung.

Die Kapitalisten der Weimarer Republik schlugen zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie hievten einen Gewährsmann in das Amt des Reichskanzlers und sie machten sich Hitler gefügig. Geradezu virtuos ging diesbezüglich Daimler-Benz vor. Der Autohersteller spendete derart viel Geld für Hitlers Kasse, dass dieser nach der Übertragung der Macht an die NS-Spitze seinem Adjutanten Rochus Misch mitteilte, er könne keine andere Automarke fahren, da diese die NSDAP in der „Kampfzeit“ (bis zum 30. Januar 1933) so großzügig unterstützt habe. Klar, dass die Auftragsbücher von Daimler-Benz immer voll waren.

Hitlers Dank: Riesengewinne

Um die Profitinteressen des deutschen Kapitals Anfang der dreißiger Jahre durchzusetzen, war eine Zerschlagung und Atomisierung der Arbeiterbewegung nötig. Eine „normale“ Militärdiktatur hätte nicht ausgereicht. Dazu bedurfte es eines Systems des Massenterrors, SA, SS, Blockwarte in jeder Straße, in jedem Wohnblock. In den Betrieben konnten Löhne gedrückt und die Rüstungsproduktion gewaltig ausgeweitet werden.

Die deutsche Bourgeoisie teilte den von den Nazis gebackenen Kuchen unter sich auf, die tschechische Industrie war bereits vor dem Anschluss der „Rest-Tschechei“ unter den deutschen Konzernbaronen vergeben. Der Krieg erschloss neue Rohstoffquellen und Absatzmärkte. Ganze Feldzüge, wie der Überfall auf die UdSSR 1941, wurden den Kapitalisten auf den Leib geschneidert. Krupp, AEG, Thyssen, HAPAG, Blohm & Voss, Daimler-Benz – sie verdienten sich an Panzern, Schiffen, Flugzeugmotoren und Geschützen eine goldene Nase.

ZwangsarbeiterInnen aus ganz Europa mussten als billige Arbeitssklaven schuften. Allein bei Krupp standen 50.000 ZwangsarbeiterInnen an der Werkbank. Nicht zuletzt deren Einsatz verdankte Krupp eine Vervierfachung des Firmenvermögens bis 1943.

Die Übergabe der Macht an die Faschisten brachte es aber auch mit sich, dass die deutschen Kapitalisten 1945 mit in den „Untergang“ geführt und für lange Zeit geschwächt wurden. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte man ab 1943 – als sich die Niederlage im Zweiten Weltkrieg immer stärker abzeichnete – umgeschwenkt. Genau das ließ sich mit Hitler und Joseph Goebbels jedoch nicht machen.

Nach 1945: Weiter wie bisher?

Im Angesicht der Niederlage flohen im Frühjahr 1945 die Großunternehmer aus der späteren Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) vor der herannahenden Roten Armee. In einem Karstadt-Lieferwagen verließ damals auch Hermann Josef Abs Berlin. Während sein enger Bekannter Hitler selbst Kinder in einen sinnlosen Kampf gegen die Rote Armee schickte, sicherte Abs die Firmenpapiere der Deutschen Bank, in deren Vorstand er saß. Ebenso hatte er 1941 im Aufsichtsrat der Kontinentale Öl AG Platz genommen, sie sollte die Ausbeutung der Ölvorkommen in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten organisieren. Auch im Skandalunternehmen I.G. Farben, welches in letzter Instanz für die Produktion von Zyklon B und die Belieferung der Vernichtungslager mit dem zur massenweisen Vergasung von Jüdinnen und Juden eingesetzten Schädlingsbekämpfungsmittel zuständig war, saß Herman Josef Abs.

Zielsicher suchte Abs im April 1945 sein Heil bei den Westalliierten. Selbst das auf der Potsdamer Konferenz auch von jenen abgegebene Bekenntnis zu Demontage, Denazifizierung, Demilitarisierung, Demokratisierung und Dekartellisierung Deutschlands machte ihm wenig Sorgen. Gewiss, man warf ihn aus dem Vorstand der Deutschen Bank und sperrte ihn für ganze drei Monate ein. Aber angeklagt wurde er nie.

Die im „Dritten Reich“ geknüpften Geschäftsbeziehungen halfen Abs wieder auf die Beine. Er stand der Kreditanstalt für Wiederaufbau vor und avancierte bald zu Konrad Adenauers Finanzberater. Als solcher half er dem ersten Bundeskanzler (1949 bis 1963), sich von einer unschönen Pflicht zu befreien: CDU-Adenauer sandte Abs nach London, dort verhandelte dieser über die Zahlung der deutschen Auslandsschulden, zu denen auch Entschädigungsforderungen von NS-Opfern zählten. Der Täter von einst erreichte in London eine Aussetzung der deutschen Zahlungen, auch an Opfer des Nazi-Terrors.

Abs kam der Umstand zugute, dass die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz der Politik Großbritanniens und vor allem der USA schon wenige Jahre nach Ende des Krieges zuwiderliefen. Sah man Deutschland noch 1945 als zukünftigen Konkurrenten, den es dauerhaft zu schwächen galt, war inzwischen der Konflikt mit dem stalinistischen Ostblock und die Furcht vor sozialistischen Umgestaltungsversuchen im westlichen Europa derart ausgeprägt, dass man den westlichen Teil Deutschlands für sich nutzbar und das Know-how der antikommunistisch eingestellten Eliten den eigenen Interessen dienlich machen wollte.

„Antifa-Komitees“ in Betrieben und Stadtteilen

Die Furcht der Allierten vor einer sozialistischen Umwälzung in Deutschland war alles andere als grundlos. Die Arbeiterklasse erwies sich zwar als zu geschwächt, um den Faschismus von innen heraus zu schlagen. Es existierten jedoch etliche Widerstandsgruppen. Diese traten gemeinsam mit vielen früheren Mitgliedern von SPD, KPD, SAP, Gewerkschaften in Aktion, als das NS-Regime zusammenbrach.

Spontan gebildete Betriebsräte oder Betriebsausschüsse übernahmen im Frühsommer 1945 in vielen Fällen die Leitung der Fabriken. Das ging Hand in Hand mit der Bildung von „Antifa-Komitees“ beziehungsweise „Volkskomitees“ in den Stadtteilen. Neben der Versorgung der Bevölkerung ging es in erster Linie darum, versprengten Nazieinheiten das Handwerk zu legen. In den folgenden Monaten und Jahren drehte sich ein beträchtlicher Teil der betrieblichen Kämpfe um die ausbleibende Entnazifizierung. Dies war häufig von der Forderung nach Enteignung der Unternehmen begleitet. Wie radikal die Stimmung war, zeigte sich beispielsweise in der hessischen Volksabstimmung im Dezember 1946, als 72 Prozent für die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien votierten. Daraufhin ließen die Allierten alle weiteren geplanten Volksabstimmungen verbieten!

Entnazifizierung? Fehlanzeige!

Etliche Manager und Großunternehmer, die den Nazis gern geholfen hatten, entgingen unter den Westalliierten jeder Konsequenz für ihr Handeln im „Dritten Reich“. Keiner stand vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal.

Auch Abs‘ Duzfreund Hans-Günther Sohl entging einer Strafe. Als Vorstandsvorsitzender der Vereinigten Stahlwerke AG und Wehrwirtschaftsführer in der Eisenindustrie war er in die Führung des Krieges eingeweiht, verantwortete den Einsatz von ZwangsarbeiterInnen und KZ-Häftlingen in der Rüstungsindustrie. Dennoch waren 18 Monate Internierung das Schlimmste, was ihm geschah.

Als wollten sie selbst ihre „Denazifizierungspolitik“ ad absurdum führen, beauftragten die US-amerikanischen Besatzungsbehörden Sohl mit der „Dekartellisierung“, also Zerstückelung, der Vereinigten Stahlwerke AG – damit sollte ein Wiederaufstieg der deutschen Konkurrenz auf dem Weltmarkt erschwert werden. Freilich blieben die verkleinerten Stahlbetriebe in privater Hand und in die Aufsichtsräte und Vorstände setzte Sohl alte Kollegen, ebenso belastet wie er selbst.

Sohl selbst übernahm den Vorstandsvorsitz der Thyssen AG, die den Rechtsnachfolger der Vereinigten Stahlwerke AG darstellte. Bis 1976 kletterte er die Leiter noch weiter hinauf. In diesem Jahr wurde der erklärte Gegner der Mitbestimmung Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

Selbst, wenn es hier und da Haftstrafen für NS-belastete Unternehmer gab, waren diese spätestens Anfang der fünfziger Jahre wieder frei. Schon acht Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur saßen 39 Prozent der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der 50 größten deutschen Unternehmen aus dem Jahre 1942 wieder in Firmenleitungen.

Bundeswehr: Alte Soldaten in neuen Uniformen

Die Wehrmachtsführung war einer jener Elitezirkel, der ganz besonders schwer belastet aus der NS-Zeit herauskam. Sie plante die Vernichtungsfeldzüge gegen Polen und die UdSSR und half bei der Durchführung des Holocaust. Doch selbst diese simplen Wahrheiten hielten die Westalliierten nicht davon ab, die Führung der Wehrmacht davonkommen zu lassen.

Der Grund auch hier: Man wollte die Fähigkeiten der Wehrmachtsführung in der Auseinandersetzung mit dem Ostblock nutzbar machen. Als sich die Beziehungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion verschlechterten, entschlossen sich die USA und Großbritannien, eine bis dahin ausgeschlossene deutsche Wiederbewaffnung zuzulassen – während Hunderttausende unter dem Motto „Ohne mich“ gegen die drohende Remilitarisierung demonstrierten.

Nicht weniger als 40 Wehrmachtsgeneräle und 10.000 Wehrmachtsoffiziere wurden in die Reihen der Bundeswehr aufgenommen. Zahlreiche waren belastet, bei den Wenigsten wurden überhaupt Bemühungen unternommen, die Vorwürfe wegen NS- und Kriegsverbrechen zu untersuchen. Der alte Geist zog in die Truppe ein und bald zahlreiche Skandale nach sich.

So ließ die Bundesregierung Gutachten über den Zustand der neuen Bundeswehr sehr gern General a.D. Erich von Manstein anfertigen. Der Panzergeneral aus Hitlers Wehrmacht hatte nach dem Überfall auf die Sowjetunion unter anderem mehrere tausend gebrauchter Uhren für seine Soldaten bestellt. Diese waren nachweislich ermordeten Jüdinnen und Juden abgenommen worden. Ebenso plante er gemeinsam mit den Einsatzgruppen der SS die Ermordung von KommunistInnen in den besetzten Gebieten. Soldaten, die dagegen protestiert hatten, ließ er über einen Tagesbefehl am 20. November 1941 schlicht wissen: „Für die Notwendigkeit der harten Sühne am Judentum, dem geistigen Träger des bolschewistischen Terrors, muss der Soldat Verständnis aufbringen.“

Zahlreiche Bundeswehr-Kasernen wurden nach überzeugten Nazis benannt, wie die Dietl-Kaserne in Füssen. Der General der Gebirgsjäger, Eduard Dietl, war bekennender Antisemit.

Verfassungsschutz und BND: Alte Ziele, altes Personal

Reinhard Gehlen war Chef von Hitlers Ostspionage. Gehlen marschierte an vorderster Front mit, als die Sowjetunion 1941 überfallen wurde. Er wertete alles aus: Briefe von SoldatInnen, Zeitungsartikel, abgefangene Funksprüche. Sein Wissen über die Sowjetunion war fundiert und modern recherchiert. Im Sommer 1945 wurde er verhaftet und in die USA ausgeflogen. Dort machte er sich schnell beliebt, hatte er doch derart viel brisantes Material über die UdSSR noch vor Kriegsende beiseite geschafft, dass er seine Fähigkeiten im Spionagegeschäft gut unter Beweis stellen konnte. Im Juli 1946 wurde Gehlen vom Nachrichtendienst der US-Armee beauftragt, Informationen über die UdSSR zu sammeln. Rasch entstand eine Behörde, angefüllt mit allerlei ehemaligen und teilweise noch immer überzeugten Nazis.

Auch die Bundesregierung, die seit ihrem Bestehen 1949 enge Kontakte zur „Organisation Gehlen“ pflegte, störte sich an der Personalauswahl wenig. Gut sieben Jahre später entstand aus der von Altnazis durchsetzten „Organisation Gehlen“ der Bundesnachrichtendienst (BND), der Auslandsgeheimdienst der BRD. Der CIA schätzte den Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder im BND auf 28 Prozent.

Doch der Verfassungsschutz war keineswegs besser! Karl-Heinz Siemens leistete ihm über Jahre hervorragende Dienste. Er schleuste sich in die Leitung der westdeutschen „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ) ein und hatte großen Anteil an ihrem Verbot 1951. Er wurde gelobt und ausgezeichnet. Es gab nur einen kleinen Schönheitsfehler. Siemens war im „Dritten Reich“ Mitglied der „Leibstandarte-SS Adolf Hitler“. Nun kämpfte er eben im Namen des Verfassungsschutzes gegen den „Linksextremismus“.

CDU und FDP: Auffangbecken für Altnazis

Geradezu ein Paradebeispiel für die personellen Kontinuitäten zwischen BRD und „Drittem Reich“ lieferte Hans Globke. Unter Adenauer war er CDU-Kanzleramtschef. Im Hitler-Faschismus verfasste er Kommentare zu den Nürnberger Rassegesetzen und gehörte zu jenen, die durchsetzten, dass Jüdinnen und Juden ein „J“ in ihrem Pass zu tragen hatten. Während des Krieges war Globke wahrscheinlich sogar für die Deportation griechischer Jüdinnen und Juden in Vernichtungslager in Polen verantwortlich.

Aber Globke war kein Einzelfall. Nehmen wir die Bundespräsidenten Karl Carstens (CDU) und Walter Scheel (FDP), die NSDAP-Parteibücher hatten. Oder Bundespräsident Heinrich Lübke (CDU), ein KZ-Baumeister. Oder Hans Filbinger, der von 1966 bis 1978 Ministerpräsident Baden-Württembergs war, bis vier Todesurteile bekannt wurden, die er als NSDAP-Mitglied und Marinerichter 1943 und 1945 beantragt oder gefällt hatte.

Gab es eine Alternative?

In der bundesdeutschen Lehrbuch-Historikermeinung figuriert Adenauer noch immer als Held, weil es ihm gelungen sei, all die NS-Belasteten zu integrieren. Gerade den Industriellen gelang es ausgezeichnet, sich hinter der „Kollektivschuldthese“ – die alle Deutschen, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihren Einflussmöglichkeiten, zu Schuldigen machte – zu verstecken. Warum hätte man denen ihr Eigentum, ihre Fabriken wegnehmen sollen, wenn sie doch genauso schuldig waren wie alle anderen auch? Doch dies verdreht die Tatsachen. Die Großindustriellen und konservativen Eliten wollten Hitler und sie hatten ihre überragende Macht genutzt, um ihn zu installieren. Der Krieg und der Terror der Nazis waren das Resultat ihrer Politik.

Aber es gab nach 1945 eben auch den weit verbreiteten Wunsch, die Eigentumsformen zu ändern, die Betriebe zu verstaatlichen. Und es gab neue Strukturen, die Antifa-Ausschüsse, die allerorten aus dem Boden schossen. Wenn die Kapitalisten, die Hitler ans Ruder gebracht hatten, entmachtet, wenn die Großbetriebe in öffentli-ches Eigentum überführt und eine demokratisch geplante Wirtschaft ins Leben gerufen worden wäre, dann hätten die Antifa-Ausschüsse Träger der politischen und wirtschaftlichen Macht werden können. Durch eine Vernetz-ung und einen Zusammenschluss dieser räteähnlichen Ansätze, die in vielen Betrieben und Stadtteilen existierten, auf örtlicher, regionaler und überregionaler Ebene, hätten diese Organe – mit gewählten und jederzeit abrufbaren, rechenschaftspflichtigen VertreterInnen, frei von Privilegien – zur Keimzelle für eine sozialistische Demokratie in Deutschland werden können, als Schritt hin zu einer sozialistischen Umwälzung international. Leider gab es damals keine starke politische Kraft, die dafür eintrat.

Der Euthanasiearzt Dr. Werner Heyde nahm sich in der Untersuchungshaft 1964 das Leben. Die nachfolgende Untersuchung belegte seine Verbindungen bis in die Landesregierung Schleswig-Holsteins. Dass er jahrelang unter dem Decknamen Fritz Sawade als Arzt in der BRD praktizieren konnte, war nur möglich, weil die alten Eliten noch immer im Amt waren und mitspielten. Sie aber zogen Menschen nach, die ihrer Geisteshaltung entsprachen. Etwa einen Helmut Roewer, dessen politische Vorlieben den Terror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ erst befördert haben. Das braune Erbe der BRD – es belastet uns bis heute!