Berlin-Wahl: Welche Aufgaben stellen sich jetzt für linke Aktive?

Wowereit will nun mit der CDU „sparen, bis es quietscht“


 

Am 18. September 2011wurde das Berliner Abgeordnetenhaus neu gewählt. Nachdem die Linkspartei beziehungsweise ihre Vorgängerin, die PDS, als Quittung für ihre Kürzungspolitik im Senat 2006 bereits mehr als die Hälfte ihrer Stimmen eingebüßt hatte, verlor sie 2011 noch einmal 14.000 Stimmen und landete in der Opposition. Die SPD unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit entschied sich für die CDU als neuen Partner.

Ende November beschloss der rot-schwarze Senat seinen Koalitionsvertrag. Dieser verheißt nichts Gutes: Geplant ist eine mögliche Teilausschreibung und damit Teilprivatisierung der S-Bahn, der Weiterbau der A 100, Stellenstreichungen im Öffentlichen Dienst und eine Verschärferung des Sozialabbaus im Zuge der Schuldenbremse, die ab 2016 greifen soll. Ein Ende der Mietexplosion ist nicht in Sicht. LehrerInnen werden weiter schlechter bezahlt, weshalb sich die Abwanderung von PädagogInnen in andere Bundesländer fortsetzen dürfte. Zudem wird die Kennzeichnungspflicht von Polizisten aufgeweicht.

Die Linkspartei, die jetzt mit 19 Abgeordneten vertreten ist, verkündete auf ihrem Parteitag nach der Wahl, dass sie sich neu aufstellen wolle. Außerdem sind die Piraten, die der LINKEN 12.000 Stimmen abjagen konnten, mit 14 Vertretern und einer Vertreterin ins Abgeordnetenhaus eingezogen.

Welche Aufgaben stellen sich vor diesem Hintergrund für linke AktivistInnen innerhalb und außerhalb des Parlaments? Was sind die wichtigsten politischen Initiativen und Forderungen?

Gerwald Claus-Brunner, für die Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus, Mitglied im Sonderausschuss zur Offenlegung der Wasserverträge, im Hauptausschuss und Vertreter im Petitionssausschuss

Wir, die Vertreter der Piratenpartei im Parlament, stehen für die unbedingte Beteiligung aller Bürger an den Prozessen und Entscheidungen, die diese auch in letzter Konsequenz betreffen. Damit auch für Unbeteiligte nachvollziehbar ist, wie Entscheidungen getroffen wurden und der Weg der Entscheidungsfindung selbst nachvollziehbar bleibt, veröffentlichen wir dies auf geeigneten Medien. Der einzelne Bürger muss aber unsererseits umfassend und neutral informiert werden, so dass hier die Möglichkeit einer Beeinflussung ausgeschlossen werden kann.

Die Piraten stehen aber auch für langfristige und zukunftsorientierte Ideen. Ein Urheberrecht, was ausschließlich dazu missbraucht wird, um Abmahnanwälten ihren Lebensunterhalt zu generieren und gute Ideen als Patente in Tresoren verschwinden zu lassen, muss reformiert werden, so dass der Einzelne, der geistige Werte schafft, auch sicher sein kann, dass diese ihr Publikum und ihre Verbreitung finden und andererseits auch sein Lebensunterhalt bestritten werden kann.

In diesem Zusammenhang kritisiere ich die bundesdeutsche Berichterstattung dahingehend, dass man – sobald man sich für die Belange der Menschen und Bürger einsetzt und diese Belange im Bezug auf unsere Wirtschaft zu betrachten sind –, immer als links oder kommunistisch diffamiert wird.

Die alte Forderung: „Du musst arbeiten, um zu essen!“ kann im Angesicht der Automatisierung und Produktivitätssteigerung schon lange nicht mehr für alle Menschen gültig sein, wenn man noch möchte, dass der einzelne Mensch auch noch ein menschenwürdiges Leben führen soll, ohne auf das Aufrechterhalten der Vitalfunktionen reduziert zu werden. Hier greift unsere Idee, allen Menschen ein Recht auf sichere Existenz und soziale Teilhabe zu garantieren.

Die Zerschlagung unserer S-Bahn lehnen wir entschieden ab und setzen uns dafür ein, dass sie als kommunaler Eigenbetrieb unter 100-prozentiger Kontrolle der Berliner wieder als leistungsfähiges und zuverlässiges Verkehrsmittel in unserer Stadt die Menschen von A nach B bringt. Der wirtschaftliche Gesamtbetrieb der S-Bahn muss frei von der reinen Absicht der Gewinnerzielung sein, da im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge ein Betrieb wie die S-Bahn im Idealfall nur eine schwarze Null bilanzieren kann. Die Gesamtheit der Berliner muss hier solidarisch zusammenstehen, um die notwendigen Mittel aufzubringen; damit erreichen wir auch, dass jeder seine S-Bahn mit anderen Augen betrachtet.

Auch bei Projekten wie zum Beispiel dem Bau einer Zentralbibliothek auf dem Tempelhofer Feld oder dem Weiterbau der A 100 stehen wir als Gegner da, der aber konstruktive Vorschläge bringt. Im Falle der A 100 sehen wir die langfristige Lösung eher in intelligenterer Nutzung der Bestandsstraßen und deren Leitsysteme. Wie sinnvoll und hilfreich wäre da schon mal die Einführung der grünen Welle auf unseren großen innerstädtischen Verkehrsachsen oder ein kundenfreundliches, flexibles und komfortables Car-Sharing-System, was ähnlich einfach gestaltet sein müsste wie das der DB-Fahrräder vor dem 1. Januar 2011. Auch die Planung von ruhendem und fließendem Verkehr muss durch ein Miteinander geprägt sein und nicht von Ausgrenzung und Abschottung. Ein Beispiel: Der Fahrradweg auf der Fahrbahn ist dadurch sicherer, dass sich die Verkehrsteilnehmer ständig im Auge haben, während der herkömmliche versteckte Radweg immer für sehr gefährliche Situationen gesorgt hat.

In einer Stadt wie Berlin, die polyzentrisch ist und keine echte singulär dominierende Stadtmitte besitzt, wäre zum Beispiel der Ausbau der Bibliotheken, die sich in der Nähe der Universitäten und Hochschulen befinden, sinnvoller als der Bau einer neuen Bibliothek für 275 Millionen Euro; mal ganz abgesehen davon, dass wir mehr als genug Schulden haben.

Eine Verwaltung, die mit kaufmännischer doppelter Buchführung arbeitet, die Effizienz belohnt und durch moderne Strukturen jederzeit klar erkennen lässt, wo es Defizite und Handlungsbedarf gibt, kann auch dazu beitragen, dass unsere Steuergelder nicht weiter sinnlos verschwendet werden und die Mitarbeiter wieder motiviert und erfolgsorientiert arbeiten können. Die Verwaltung wird durch unsere modernen Techniken auch immer öfter vom Wohnzimmer des Berliners bedient werden können, so dass die heutigen Warteschlangen mit der damit verbunden Zeitverschwendung in den Amtsstuben der Vergangenheit angehören. Die Berliner, die trotzdem zum Amt gehen müssen, weil sie direkten Rat und Hilfe von den Mitarbeitern benötigen, können mit mehr Konzentration für ihr Anliegen rechnen und sind nicht einem Abfertigungsapparat, der nach Schema F arbeitet, ausgeliefert. n

Während in der Hauptstadt der Armut 20 Prozent der BerlinerInnen auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, kann ein gewisser Michael Braun von der CDU trotz Jobverlust nicht klagen. Braun war nur für zwölf Tage Senator für Justiz, dann musste er wegen früherer dubioser Immobiliengeschäfte abtreten. Nicht aber, ohne 50.000 Euro abzusahnen – also ein Tagessatz von knapp 5.000 Euro für den Zwölf-Tage-Senator

Lucy Redler, Mitglied der LINKEN und SAV-Bundessprecherin

In wessen Interesse die neue rot-schwarze Koalition steht, wurde durch das Lob der Industrie- und Handelskammer (IHK) schnell deutlich. Rot-Schwarz wird zum Synonym für Sozialabbau und Privatisierungen werden. Die Koalition von Wowereit und Henkel will die Vorgaben zur Schuldenbremse früher als andere Bundesländer erreichen. Der Sparkurs wird also schon bald verschärft werden.

Leider kann die Koalition damit teilweise an den Vorgänger-Senat aus SPD und LINKE anknüpfen, der vor allem in der Legislaturperiode 2002 bis 2006 gezeigt hat, wie man eine Stadt kaputt sparen kann und in der Breite öffentliches Eigentum verscherbelt. Unter Rot-Rot wurden mehr als 100.000 Wohnungen privatisiert. Eine Alternative zur rot-schwarzen Kürzungsorgie ist also keine erneute Regierungsbeteiligung von Linkspartei oder Piraten an der Seite der SPD, um irgendetwas besser zu machen, sondern kann nur der Widerstand an der Seite der MieterInnen, S-Bahn-NutzerInnen, Fluglärm-AktivistInnen und A100-GegnerInnen sein. Umso merkwürdiger mutet es an, dass eine der ersten Aussagen der Piraten im Abgeordnetenhaus war, dass man sich eine Regierungsbeteiligung vorstellen könne.

Die Piraten wurden vor allem aus Protest und aufgrund ihrer linken Slogans im Wahlkampf gewählt. Aus dieser Unterstützung konnten die Piraten bisher wenig machen und unterscheiden sich politisch – außer durch „Livestream“ und „Transparenz“ – wenig vom politischen Alltagsbetrieb im Parlament. So ist auch zu erklären, dass die Partei nach einem ersten Höhenflug in jüngsten Bundesumfragen auf vier Prozent abstürzte. Unterstützung erhalten Parteien, die deutlich machen, dass sie sich grundlegend vom Establishment abheben und mit der ganzen Sippe nichts zu tun haben. Ein nettes linkes Korrektiv sein zu wollen oder einfach alles ein bisschen besser machen zu wollen, reicht da nicht aus.

Welch einen Unterschied hätten die Piraten gemacht, wenn sie beispielsweise am ersten Tag auf einer Pressekonferenz verkündet hätten, dass ihre Abgeordneten nicht von der parlamentarischen Arbeit profitieren, sondern alle Bezüge, die über einen durchschnittlichen Lohn eines Arbeiters oder einer Angestellten hinausgehen, an politische Projekte und Bewegungen abführen?

Welch einen Unterschied hätte die Partei gemacht, wenn alle Abgeordneten, die ganze 15-köpfige Fraktion, in den ersten Tagen nach der Wahl anstatt sich mit dem Klein-Klein der parlamentarischen Spielregeln auseinanderzusetzen, auf der Straße gewesen wären, um – wie Gerwald – Unterschriften fürs Volksbegehren zu sammeln oder die streikenden CFM-Beschäftigten zu unterstützen?

DIE LINKE hat auf dem letzten Landesparteitag Opposition auch außerhalb des Parlaments angekündigt. Davon ist bisher jedoch wenig zu spüren. Wenn sie glaubwürdiger Bestandteil der außerparlamentarischen Bewegung sein will, muss sie als Erstes eine schonungslose Bilanz der letzten zehn Jahre Rot-Rot vorlegen. Nötig ist eine Kraft, die ihren Schwerpunkt nicht in parlamentarischen Ausschüssen, sondern auf der Straße, in den Betrieben und den Schulen und Unis sieht. Davon ist die Berliner Linkspartei weit entfernt. Trotzdem stellt sie auf Bundesebene – mit ihrem Programm, das sich gegen Kapitalismus ausspricht, mit ihrer Mitglieder- und Wählerschaft, mit ihrer Verbindung zu Aktiven in gewerkschaftlichen und sozialen Bewegungen – derzeit den einzigen substanziellen Ansatz für eine linke, sozialistische Partei für Beschäftigte, Erwerblose und Jugendliche dar. Die Piraten dagegen vertreten weder in Berlin noch auf Bundesebene einen Klassenstandpunkt auf der Seite von Lohnabhängigen und Erwerbslosen, sondern präsentieren sich als neue Bürgerrechtspartei.

Um den Ansatz in der LINKEN zu verteidigen, ist ein Kurswechsel der Bundespartei und vor allem auch eine politische und auch personelle Alternative zur heutigen Führung der Linkspartei in Berlin nötig.

Sollte das S-Bahn-Volksbegehren in die zweite Stufe gehen, könnten DIE LINKE und die Piraten ihre Präsenz und Bekanntheit in der Fläche nutzen, um zu helfen, das Begehren zu einem Erfolg zu machen und den politischen Druck auf die Landes- und Bundesregierung und das DB-Management zu erhöhen. Nötig ist, den Widerstand nicht nur organisatorisch, sondern auch politisch mit Forderungen wie der Wiedereingliederung der CFM in die Charité zu stärken.

Als Mitglied der LINKEN setze ich mich für eine Alternative in und außerhalb des Parlaments ein, die die kapitalistischen Mitspielregeln im Parlament von Schuldenbremse bis Sachzwangpolitik nicht akzeptiert. Eine Partei, die, statt kleineres Übel sein zu wollen, gegen jedes Übel mobilisiert. Voraussetzung dafür ist eine Systemalternative und die Bereitschaft, sich mit dem IHK-Präsidenten Eric Schweitzer und seinen Freunden auf ganzer Front anzulegen.