Tunesien: Revolution am Scheideweg

Die bürgerliche „Demokratie“ wird die Bedürfnisse der Menschen nicht befriedigen können


 

von CWI-Reportern aus Tunis (www.socialistworld.net)

Dass der ehemalige Diktator Ben Ali  am Freitag, 21. Januar aus Tunesien floh ist nicht das Ende des Aufstands in Tunesien, sondern der Beginn einer ganzen Periode der Revolution und Konterrevolution in diesem Land. 

Die Bevölkerung hat die politische Landschaft erschüttert wie nie zuvor, hat einen beispiellosen Kampfeswillen bewiesen und die Straßen und Cafés in Plätze politischer Diskussionen verwandelt.

Tausende ArbeiterInnen haben in den verschiedensten Branchen soziale Forderungen für die Verbesserung ihrer Arbeitssituation aufgestellt und in einer ganzen Reihe von Gegenden die Verwaltung übernommen und damit die Staatsmacht ersetzt.

Für eine ganze Zeit lang hing die unbeliebte Übergangsregierung von Premierminister Mohamed Ghannouchi wegen der massiven sozialen Kämpfe in der Luft.

Die Abwesenheit einer klaren politischen Alternative in Form einer kühnen revolutionären Führung, die die Arbeiterklasse und verarmten Massen repräsentiert und bereit ist die Machtverhältnisse grundlegend zu verändern, drückt sich in der jetzigen Situation aus.

Die Unterstützung der bürokratischen Führung der UGTT-Gewerkschaft für die aktuelle Regierung hat zu einem Abnehmen der Bewegung geführt und Ghannouchi erlaubt seine Stellung zu halten. Die Pause, die die soziale Bewegung eingelegt hat, könnte sich als nur sehr kurzweilig erweisen, denn die Situation ist noch immer sehr unstetig und die Unzufriedenheit der Massen noch immer groß.

Nur eine Neuauflage der alten Regierung: die Namen haben sich geändert, das Regime bleibt das selbe

Das Kennzeichen der von zwei Wochen gebildeten „Regierung der nationalen Einheit“ ist chronische Instabilität. Die Regierung ist konfrontiert mit massiver Opposition und den sich fortsetzenden landesweiten Protesten in der letzten Woche. Es gab regionale Generalstreiks in sechs der „Gouvernements“. Fünf Tage lang haben tausende Menschen, die hauptsächlich aus den ärmeren Regionen des Landes stammen, vor dem Regierungsgebäude gecampt um gegen die aktuellen Regierung zu protestieren, die noch so verbunden mit der alten Diktatur Ben Alis ist. Oberste Forderung ist die Beseitung aller Überbleibsel des alten Regimes. Aber mehr und mehr reihen sich neben die politischen auch soziale Forderungen ein.

Letzte Woche Donnerstag erwähnte Ghannouchi neue Regierungsneubildung. Es dauerte seine Zeit, bis er nach intensiven Verhandlungen damit rausrückte, was die anhaltenden Schwierigkeiten und die Spaltung der herrschenden Klasse ausdrückt eine Regierung zu bilden, die die Autorität des bürgerlichen Staates wieder herstellen vermag.

Schlecht ist, dass die Regierungsneubildung die Unterstützung der Mehrheit der UGTT-Führung bekam. Die Stimmung dafür, dass Abdessalem Jrad – der Generalsekretär und andere Mitglieder des UGTT-Vorstands ihrer Posten enthoben werden sollten, nimmt zu (oft zu hören ist auch der Slogan “Jrad, dégage!”, also „Weg mit mit Jrad!“). Die Entscheidung, die Ghannouchi-Regierung zu unterstützen treibt den Konflikt in der Gewerkschaft auf die Spitze. Dass eine neue Gewerkschaftsführung, die die Interessen der Mitgliedschaft vertritt durch einen demokratisch organisierten Sonderkongress der UGTT gewählt wird, ist dringender denn je.

Das trojanische Pferd der Konterrevolution

Alle Schlüsselpositionen im Kabinett, einschließlich der Innen-, Verteidigungs-und Außenministerien, haben den Besitzer gewechselt,und gingen an die so genannten "Unabhängigen" in der Regierung. Auch wenn die ständigen Veränderungen innerhalb der Übergangsregierung ein direkter Ausdruck ihrer Schwäche und des riesigen Drucks der Straße sind, unterscheidet sich diese neu zusammengesetzte Ghannouchi-Regierung nicht grundlegend von ihrem Vorgänger.

Alle Positionen der Macht, ob national oder lokal, werden weiterhin von Handlangern der Partei Ben Alis, der RCD besetzt.

Daran würde auch eine Umbennenung der Partei von RCD zu PSD (Parti Socialiste Destourien, der alte Name der Partei aus der Zeit des früheren Präsidenten Habib Bourguiba), wie es von einigen Älteren in der Partei vorgeschlagen wird, damit die Partei einen etwas „unschuldigeren“ Eindruck erweckt, nichts ändern.

Die meisten der zwölf neuen Minister im Kabinett sind neo-liberale "Golden Boys", ehemalige Unternehmer, Ex-Direktoren und Manager von Banken oder privaten Unternehmen.

Der wirkliche Charakter der neuen „Demokratie“

Die RCD sitzt noch immer in den Führungspositionen des gesamten Staatsapparats. Die grundlegende Forderung der Massen für die Auflösung dieser Partei wurde nicht durchgesetzt. Die Regierung wird weiterhin von Leuten des alten Regimes gelenkt, die hinter den Kulissen Verträge mit amerikanischen und europäischen Vertretern geschlossen haben. Es gibt immer noch zahlreiche politische Gefangene.

Die gegenwärtige Regierung hat ihr wahres Gesicht erst kürzlich in der gewaltsamen Räumung der Hunderte von Menschen außerhalb der Regierungsgebäude in der Kasbah campierten gezeigt. Nach allerlei Versuchen, diese Menschen zu isolieren und zum Aufgeben zu bringen (indem versucht wurde, keine Lebensmittelversorgung des Camps durch UnterstützerInnen zuzulassen, die Leute  mit Geld, Alkohol und Drogen, etc. kaufen), hatten dann Polizeikräfte gemeinsam mit Einheiten zur Aufstandsbekämpfung brutal den Platz geräumt und das Lager der Campierenden zerstört. Sie jagten DemonstrantInnen durch die Straßen, setzten Tränengas ein und verletzten dabei mindestens 15 Menschen.

Natürlich ist diese Repression nicht vergleichbar mit den Morden an DemonstrantInnen, die noch vor Ben Alis Flucht geschahen. Eine dem ähnliche blutige Unterdrückung würde einen zweiten Flächenbrands des Aufstands nach sich ziehen. Ein unüberlegtes Unterfangen seitens der Ghannouchi-Regierung könnte  ein Wiederaufleben der Bewegung provozieren und zu dem Untergang der Übergangsregierung führen.

Diese Regierung isteht weiterhin hinter den Aktionen der Milizen des alten Regimes. In der vergangenen Woche wurden mehrere lokale Gewerkschaftsgebäude in Monastir, Gafsa, Beja und Sousse tätlich angegriffen. Am Sonntagmorgen versuchte eine Gruppe von "Unbekannten" in Le Kef den lokalen Sitz der UGTT anzuzünden.

Über Angriffe gegen einzelne Gewerkschaftsaktivisten und Linke wurden ebenfalls berichtet. Ein Mitglied der "Patriotischen Demokratischen Arbeiterpartei Tunesiens", der eine Verteilung von Flugblättern an der Avenue Bourguiba in Tunis am 26. Januar organisierte, wurde einfach von der Polizei festgenommen, auf die Polizeistation gebracht und dort zusammengeschlagen. Am Samstag, den 28. Januar wurde eine 300-köpfige Demonstration für die Rechte der Frauen von einer Gruppe von mit Schlagstöcken bewaffneter Schläger angegriffen.

Auch wenn die reaktionären Milizen sich momentan nicht trauen offen aufzutreten, so könnte ein Abschwung in der Massenbewegung dennoch von gewalttätigen Repressalien begleitet werden.

Die Erhaltung und Stärkung des bewaffneten Ausschüsse der Selbstverteidigung ist wichtig, um die Nachbarschaft, den Arbeitsplatz und die Gewerkschaftsgebäude zu schützen.

Eine wachsende soziale Wut

Die tunesische kapitalistischen Klasse, sowie die imperialistischen Kräfte (hier hauptsächlich USA und Frankreich), die größere wirtschaftlichen und strategischen Interessen des Landes haben, hatten nie irgendetwas übrig für die Einführung der Demokratie in Tunesien. Die aktuelle prekäre"Demokratie" und die erkämpften Freiheiten gibt es nur wegen dem Druck der Massenbewegung.

Das Ende der Diktatur Ben Ali hat all die angesammelten sozialen Widersprüche an die Oberfläche gebracht. Die Arbeiterklasse und die Volksmassen haben sich schnell bewegt, versucht die Umstände ihres alltäglichen Lebens zu verändern wie die massiven Bewegungen in den letzten zwei Wochen gezeigt haben und die nicht nur in den "traditionellen" Bereichen der Arbeiterklasse stattfanden.

Am vergangenen Mittwoch versammelten sich mehrere Dutzend Fremdenführer vor dem Tourismus-Ministerium und forderten eine bessere Anerkennung ihrer Arbeit und das Recht, eine gewerkschafltiche Vertretung zu haben. Am Tag danach haben sich mehrere hundert taubstumme Menschen auf der Avenue Bourguiba in Tunis versammelt und forderten die Schaffung von speziellen Schulen und besonderen öffentlichen Einrichtungen für Taubstumme.

Es fanden SchülerInnenstreiks in der Primar- und Sekundarstufe sowie in anderen Bereichen statt und es gab Demonstrationen von arbeitslosen Jugendlichen für menschenwürdige Arbeitsplätze.

Die kapitalistische Klasse ist offensichtlich extrem besorgt über diese Proteste. "Ben Ali ist nun weg," sagen sie. "Die Revolution ist beendet, wir brauchen Ordnung und sozialen Frieden und für die Wirtschaft neu zu starten". "Die Agitation und das Chaos repräsentieren eine Situation des Konflikts mit den Interessen des Kapitals im Allgemeinen. Es ist absolut unerlässlich, dass die Zeit der Unsicherheit sofort gestoppt wird. "(Jean-Pierre Gallay, ein Geschäftsmann im französischen " Le Quotidien ", zitiert 26/01).

Wie in Ägypten hat die katastrophale wirtschaftliche Lage unter der die die Mehrzahl des tunesischen Volk leidet sich als wesentlicher Faktor erwiesen, der schließlich zur Explosion der Wut gegen das alte Regime führte. Die Elendslöhne wurden nicht erhöht, außer wenn sich Beschäftigte in militanten Streiks wie bei der kommunale Müllabfuhr von Tunis dafür eingesetzt haben. Nach mehreren Streiktagen und Demonstrationen gewannen sie unbefristete Arbeitsverträge und fast  eine Verdoppelung ihrer Löhne von 240 auf 420 Dinar.

Die Angst vor der Steigerung der Kämpfe haben die Ghannouchi-Regierung gezwungen einige kleinere Zugeständnisse zu machen um die Lage zu beruhigen. Dazu gehören die Bereitstellung eines Notfonds von 500 Millionen Dinar, die einigen Gouvernements und Regionen zugewiesenen wurden, die „prioritär“ waren, darunter vor allem Sidi Bouzid, Kasserine und Gafsa, wo eine große Zahl von ArbeiterInnen am Aufstand beteiligt waren. Außerdem wird ein finanzieller Ausgleich wird an Familien ausgezahlt, aus denen ein Mitglied von der Polizei getötet wurde gegeben. Beschädigten Unternehmen wird ebenfalls Entschädigung bezahlt. Eine monatliche Vergütung von 150 Dinar (= 78 €) wird  arbeitslosen Hochschulabsolventen gewährt, die Teilzeitarbeitsplätze im öffentlichen Dienst akzeptieren (was Jobs entspricht, die eher als Sklavenarbeit zu bezeichnen sind).

Die zwei Klassen, die agieren

Die besitzenden Klassen versuchen zusammen mit den politischen Erben des Diktators bewusst die Revolution abzulenken und versuchen, der Bewegung den Stempel einer perfekten nationalen Harmonie aufzudrücken, die nur durch ein paar „Störenfriede“ und ihren Aktionen gestört wird, die den Übergang zur "Demokratie" gefährden.

Die Realität ist, dass hinter dieser Maske der Einheit, es zwei verschiedene Klassen mit entgegengesetzten Interessen gibt. Hinter den Aufrufen der herrschenden Klasse die Revolution zu "retten", steht nur ein Motiv: die Erhaltung ihres kapitalistischen Profitssystems - das gilt für die nationalen und ausländischen Kapitalisten gleichermaßen. Das Papier "Le Quotidien" (25/01) hielt vor Ben Alis Abflug fest: "Für Washington ist der Moment gekommen, diese verbrauchte Diktator aufzugeben und seine Nachfolge zu organisieren, bevor der Aufstand sich in eine echte Revolution verwandelt, in anderen Worten, eine echte Gefahr für das System.".

Das steckt hinter allen Appellen, die Massen sollen sich beruhigen und den revolutionären Prozess aussetzen. Sie sollen passiv warten, bis Demokratie und soziale Gerechtigkeit in ihre Hände fallen. Doch die letzten Ereignisse haben deutlich gezeigt, dass die Massen nur auf ihre eigenen Kräfte und Initiative vertrauen können, um  Fortschritte erreichen zu können.Letztendlich ist der Aufbau einer Arbeiterpartei notwendig, um ihre Wut in einen Kampf um die politische Macht zu verwandeln.

Letztlich  können die Menschen nur durch die Überwindung des Kapitalismus durch eine organisierte Massenbewegung und eine Partei der Arbeiterklasse, der Bauern und Armen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Die Gesellschaft könnte dann auf sozialistischer Grundlage neu aufgebaut werden, was die Voraussetzung der Erreichung wirklicher politischer und sozialer Emanzipation ist. Die jüngsten Ereignisse haben uns mit zahlreichen Beispielen illustriert, dass ein solches Ziel erreicht werden kann.

Die Zeitung "Le Quotidien" berichtete am 25. Januar, dass in der Stadt M"sakenis "Zivilisten vorübergehend die Macht übernehmen! … Sie haben für einige Tage völlig unabhängig von staatlichen Kräften gelebt. Die Menschen in M"Sakenis haben ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen, und haben sogar ihre eigene zivile Polizei gebildet. Es wird gesagt, dass kein einziger Polizist zurück in die Stadt möchte, nachdem die  offizielle Polizei aus ihren eigenen Gebäude gefegt wurde (…) Das einzige Ziel dieser Bürger ist es sich um die alltäglichen Aufgaben zu kümmern und Frieden und Sicherheit in der Stadt zu bewahren. (…) Alle sind sehr respektvoll zueinander, Hilfsbereitschaft und Solidarität herrschen. Es gelang ihnen die Milizen des alten Regimes,sowie die Plünderer zu verdrängen."

Ein paar Tage später berichtete der gleichen Zeitung, dass die Stadt Beja , "gelähmt durch eine beispiellose Streikbewegung. Arbeiter, Lehrer,Angestellte, Frauen, Männer, Jugendliche, Alte undRentner“ war. „ Die ganze Stadt war auf den Straßen. (…) Die 500 Arbeiter der Zuckerfabrik haben den Geschäftsführer und seine korrupten Mitarbeiter verjagt und einen "Heils-Ausschuss" gegründet.

Am nächsten Tag, in Thala: "Der Bürgermeister ist aus der Stadt geflüchtet. Der Rest von denen, die angeblich die Behörden vertreten, haben ihre Posten verlassen, verlassen die Stadt, um ihr eigenes Schicksal zu retten (…) Es muss gesagt werden, dass seit der Flucht von den lokalen Behörden, die Bewohner das Ruder übernommen haben, die Verwaltung der Angelegenheiten der Stadt in einer meisterhaften Art und Weise lenken (…). Die Bewohner haben sich in Volkskomitees versammelt um die öffentlichen und privaten Güter"zu schützen.

Was für eine Antwort auf all die Stimmen, die sagen, dass die jetzige Regierung "die einzig mögliche" ist - und verhindert, dass das Land ins Chaos zu stürzt, dass Unordnung, Anarchie und ein politisches Vakuum herrschen!

Die Arbeiterklasse und die Volksmassen haben deutlich gezeigt, dass sie selber die Macht ergreifen können. Das zentrale Problem ist, dass sie nicht über eine Partei verfügen um sich zu organisieren und die notwendigen Schritte zu unternehmen. Eine Partei wäre notwendig um die unterschiedlichen Erfahrungen zusammen zu bringen und die Bewegung auszudehnen, das alte Regime hinwegfegen kann und eine alternative Regierung der Arbeiter und Volksmassen schafft.

Das Fehlen einer solchen Führung, die in der Lage ist, in jeder Phase des Kampfes die erforderlichen Maßnahmen formulieren, um die Bewegung nach vorne zu bringen, hat zu Skepsis unter den Menschen geführt, die ursprünglich die Revolution unterstützt haben. Sie geben sich jetzt damit zufrieden, dass diese Regierung besser als die vorherige ist und sehen keine andere ernsthafte Alternative. Einige Leute aus der Mittelschicht wurden mobilisiert, die jetzt gegen die "Abenteurer" protestiere , die den Kampf bis zum Ende fortsetzen wollen.

Sie rufen Parolen wie "Wir  unterstützen die Übergangsregierung des freien Tunesiens!", "An das tunesischen Volk: geht wieder zur Schule, geht zurück an die Arbeit!". Sie fürchten dass soziale Unruhen und populistischen Maßnahmenihre wirtschaftlichen Interessen bedroht könnten . Andere ärmeree Schichten (Ladenbesitzer, Taxifahrer und andere Selbständige, die unter den Auswirkungen des drastischen Rückgang des Tourismus leiden, gehen einer Medienkampagne auf den Leim, die ihre Angst vor dem Unbekannten ausnutzt.

Wie es weiter nach vorne gehen kann

Revolutionen entwickeln sich niemals geradlinig. Ein Abebben der Bewegung und Rückschläge sind unvermeidlich, vor allem, wenn es nicht eine Partei mit einiger Verankerung gibt, die in der Lage ist, die Arbeiterklasse und die Volksmassen hinter einem klaren revolutionären Programm zu vereinen. In einer solchen Situation können sich abrupte Explosionen der Wut und Gewaltausbrüche unter denen entwickeln, die sich der  Früchte der Revolution bestohlen fühlen.

Dennoch ist ein breiter Aufschwung des Kampfes der Massen wahrscheinlich wenn sich die Illusionen in die jetzige Regierung verflüchtigen.Es ist nicht ausgeschlossen, dass angesichts des anhaltenden Widerstands der Massen die Ghannouchi-Regierung  zerfallen könnte.

Die anhaltende sozialer und politischer Instabilität kann die herrschende Klasse in eine radikalere Position drücken. Ein Militärputsch mit einer schwachen, vor allem aus Wehrpflichtigen bestehenden Armee scheint unwahrscheinlich. Vor allem auch weil wichtige Teile der einfachen Soldatenschaft mit der Revolution haben mit der Revolution  sympathisieren wäre ein Militärputsch aus Sicht der kapitalistischen Klasse zu abenteuerlich.

Diese Regierung könnte auch gezwungen sein, in einem Versuch ihre beschädigte Autorität wiederherzustellen „linkere“ politische Teile der Oppositions- und Gewerkschaftsbewegung miteinzubeziehen, möglicherweise auch Vertreter aus der islamischen Ennahda-Partei. Ihr wichtigster Führer, Rached Ghannouchi,   nach 20 Jahren Exil wieder auf tunesischen Boden, blieb sehr zweideutig in Bezug auf die Besetzung neuer Ministerposten. Sein Beharren darauf, dass seine Partei für Frauenrechte und Demokratie einsteht, und die Demonstrationen, die am Tag seiner Rückkehr  stattfanden und die "moderaten Islam, aber nichtreligiösen Extremismus" gut hießen zeigten, dass der Boden für islamistischen Fundamentalismus im Moment nicht sehr fruchtbar in Tunesien ist.

Was auch immer in den nächsten Tagen und Wochen geschieht, diese "neue" Regierung wird eine Regierung der Krise sein, die mit einer Arbeiterklasse konfrontiert ist, die noch nicht das letzte Wort gesprochen und ihre Angst der Vergangenheit überwunden hat. Eine völlig neue Periode hat sich in Tunesien eröffnet, in  der sozialistische Kräfte sich den wichtigsten und dringensten Aufgabe stellen müssen. Die Fortsetzung der Revolution und die Notwendigkeit, sich für zukünftige Kämpfe vorzubereiten macht es erforderlich, die Strukturen, die von unten durch den revolutionären Prozess entstanden sind auf allen Ebenen zu erweitern und zu gemeinsam zu koordinieren.

Ein nationales Treffen alle dieser Kräfte, eine nationale Versammlung der Delegierten aus den verschiedenen lokalen, Volks- und der Arbeiträte, wäre ein gewaltiger Schritt in diese Richtung. Es wäre die Grundlage für die Wahl einer echten revolutionären Regierung - der beste Ausdruck des revolutionären Willen und der Wünschen der großen Masse der arbeitenden und verarmten Menschen im ganzen Land. Wie ein Demonstrant in den Straßen von Tunis  am vergangenen Freitag erklärte: "Wir haben die Revolution gemacht, so ist es nur logisch, dass wir das Recht, unsere Minister selber auszuwählen. "

Die jüngste Weigerung der Polizei von Sfax Verstärkung zu schicken um die  Protestbewegung und die Besetzung in der Hauptstadt zu unterdrücken hat gezeigt, wie die revolutionäre Stimmung auch Teile der Streitkräfte ergriffen hat. Die Schaffung von revolutionären Komitees in der Armee und der Polizei, die demokratisch von der Basis aus organisiert wären, ihre eigenen Vorgesetzten wählen und -abwählen und alle reaktionären Elemente aus ihren Reihen verjagen könnten würde die Regierung schnell in ihrem Reaktionsvermögen schwächen können.

Forderungen des CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale)

Für die Ausweitung und Koordinierung der Volkskomitees in Stadtbezirken, an der Arbeit und den Fabriken, den Schulen und Universitäten. Ausweitung der Räte auf die Streitkräfte und die Polizei um Verschwörungen reaktionärer Offiziere zu verhindern.

Für lokale, regionale und landesweite Versammlungen demokratisch gewählter VertreterInnen dieser Kommitees.

Nieder mit der Ghannouchi-Regierung! Für eine Regierung der ArbeiterInnen und Armen, die sich auf die Volkskomitees und Gewerkschaften stützt.

Für freie Wahlen, das Recht politische Parteien zu gründen und für völlige Meinungsfreiheit innerhalb dieser. Für eine revolutionäre konstituierende Versammlung unter der Kontrolle der Volkskomitees, die über die Zukunft des Landes entscheiden soll.

Für Arbeiterkontrolle über Produktion und Vertrieb, für die Öffnung der Geschäftsbücher um Korruption, Steuerhinterziehung und Mafiageschäfte zu verhindern.

Für Volkstribunale und über die Feinde der Bevölkerung, Attentäter und Folterer des alten Regimes zu urteilen.

Für eine Verstärkung der Selbstverteidigungskommitees der arbeitenden und verarmten Bevölkerung um die Überfälle der konterrevolutionären Milizen zu stoppen.

Für die volle Anerkennung demokratischer Rechte: der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, der Pressefreiheit und der Freiheit, seine Religion auszuwählen. Für die sofortige Aufhebung der Sperrstunde überall. Für die sofortige Freilassung aller politischen Gefangengen.

Für ein Ende der Freihandelszonen, für die volle Anerkennung aller gewerkschaftlichen Rechte in allen Branchen.

Für die baldmöglichste Einberufung eines außerordentlichen Kongresses der UGTT und Abwahl aller Führer, die Regierung unterstützt haben und Wahl einer neuen kämpferischen Führung.

Für die Beschlagnahmung aller Vermögen und Unternehmen der Ben Ali- und Trabelsi-Mafia durch den Staat und unter demokratischer Kontrolle durch die arbeitende Bevölkerung. Ihr Reichtum könnte verwendet werden, umProjekte des sozialen und öffentlichen Einrichtungen zu finanzieren und Tausende von Arbeitsplätzen schaffen wird.

Boykott und Nichtzahlung aller Schulden. Für die Verstaatlichung aller Vermögenswerte aller ausländischen Unternehmen , die mit Verlagerung drohen, ebenfalls unter Arbeiterkontrolle und -verwaltung. Stopp der Kapitalflucht durch sofortige staatliche Kontrolle und staatliches Außenhandelsmonopol.

Für einen umfassenden Plan um Armut und Arbeitslosigkeit zu bekämpfen: für die Aufteilung der Arbeit auf alle und eine sofortige Anhebung des Mindestlohns. Für die Erstellung von Notfall-Fonds zur Sozialhilfe für Arbeitslose, Rentner, Behinderte, Obdachlose …

Für eine neue Partei der Arbeiter und Armen und ein Programm für die Verstaatlichung aller großen Industrien und Ländereien sowie der Banken.

Für eine sozialistische und demokratische Planung der Produktion, um die Bedürfnissen aller Menschen zu befriedigen, nicht die gierigen Interessen einer Handvoll von privaten Unternehmen, multinationalen Konzernen und Banken.

Solidarität mit den Brüdern und Schwestern, die in Äypten, Jemen, Algerien, Jordanien und anderswo kämpfen. Für eine sozialistische Föderation des Maghrebs, die sich über die ganze Region erstreckt.