„Vakuum auf der Linken“

Nach dem Niedergang der Rifondazione Comunista wird die italienische Metallarbeiterföderation FIOM zur wichtigsten Oppositionskraft im Land. Gespräch mit Marco Veruggio


 

Sebastian Förster sprach mit Marco Veruggio, Mitglied von Controcorrente (»Gegen den Strom«), einer marxistischen Strömung in der Partei Rifondazione Comunista

Das Unternehmen Fiat hat Ende Juni die Arbeiter seines Werkes in Pomigliano d’Arco mit einer Schließungsdrohung gezwungen, deutlich verschlechterte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Was genau geschah in Pomigliano?

In den letzten Monaten gab es vermehrt Gerüchte, daß es wegen der Krise in der Automobilbranche zu Betriebsschließungen kommen werde. Fiat-Chef Sergio Marchionne hielt dagegen und versprach, weiter in Italien zu investieren. Die Ankündigung, daß die Panda-Produktion von Polen nach Pomigliano verlegt und weitere 700 Millionen Euro investiert werden sollten, machte vielen Hoffung. Fiat legte den Branchen-Gewerkschaften diesen Vorschlag vor, machte aber klar, daß im Gegenzug die Beschäftigungsbedingungen in Pomigliano verändert werden müßten: 18 Schichten pro Woche, Reduzierung der Pausen, kein Widerspruch gegen angeordnete Überstunden. Sollte eine Gewerkschaft Arbeitskämpfe gegen die Pläne des Konzerns organisieren, würde sie mit hohen Geldstrafen belegt und streikende Beschäftigte direkt gefeuert werden können. Zudem sollte eine – noch nicht klar definierte – Obergrenze für Krankentage eingeführt werden. Wenn die überschritten würde, gäbe es kein Krankengeld mehr.

Wie haben die Gewerkschaften auf diese Erpressungsversuche reagiert?

Nur die FIOM, die Metallarbeitergewerkschaft in der CGIL, der größten Gewerkschaftszentrale Italiens, reagierte mit Ablehnung auf das Vorhaben der Fiat-Geschäftsleitung, Streikrecht und Krankengeldzahlungen einzuschränken. Zu Gesprächen über die Arbeitszeit erklärte sie sich aber bereit und brachte einen eigenen Gegenvorschlag ein. Die anderen im Betrieb vertretenen Gewerkschaften, die christliche CISL, die sozialistische UIL und die gelbe Unternehmergewerkschaft FISMIC wollten den Vertrag sofort unterzeichnen und setzten ein entsprechendes Referendum an. Das Management übte einen starken Druck auf die Belegschaft aus, mit »Ja« zu stimmen. Jedem Beschäftigten wurde eine DVD ausgehändigt, in der die Geschäftsleitung erklärte, warum das Referendum angenommen werden müsse. Die FIOM organisierte derweil Protestaktionen und Streiks im Betrieb. In anderen Fiat-Werken wie in Turin kam es zu Solidaritätsstreiks.

Dennoch konnte sich Fiat mit dem Referendum durchsetzen.

Bei einer Wahlbeteiligung von fast 100 Prozent stimmten immerhin 38 gegen die Pläne des Managements. Das kam für viele recht unerwartet, da der Druck auf die Arbeiter, mit »Ja« zu stimmen, sehr hoch war. Trotz der Niederlage in der Sache konnte die FIOM das Ergebnis als politischen Erfolg verbuchen und erhielt wegen ihrer renitenten Haltung italienweit große Aufmerksamkeit. Die Führung der CGIL, der die FIOM als Metallgewerkschaft angehört, kritisierte allerdings deren Haltung. Konsequent versuchte der CGIL-Vorstand mit Hilfe der Berlusconi-Regierung, des Partito Democratico und der Massenmedien, die Metaller zu isolieren. Die FIOM ist der CGIL-Führung schon lange ein Dorn im Auge, weil sie gemeinsam mit den öffentlich Beschäftigen und Bankangestellten die linke Opposition im Dachverband darstellt.

Nach dem Referendum drohte die Fiat-Geschäftsführung mit Kündigungen und Klagen gegen FIOM-Aktivisten. Konzernchef Marchionne kündigte an, daß er die Produktion des Multipla-Nachfolgemodells LO von Turin in das serbische Kragujevac verlegen und die Pomigliano-Arbeiter in eine neugegründeten Tochtergesellschaft ausgliedern würde, die nicht dem Industrieverband angehört und nicht an den offiziellen Tarifvertrag gebunden ist.

Wie wurde der Kampf der FIOM unter den Beschäftigten anderer Branchen aufgenommen?

Die FIOM hat einen großen Einfluß und hohen Bekanntheitsgrad in Italien. Nach den Ereignissen in Pomigliano sehen die Leute in der FIOM die einzige linke Kraft, die ihren Worten Taten folgen läßt und konsequent für die Rechte von Arbeitern eintritt. Nach den Demonstrationen und Streiks gegen Berlusconis »Sparpaket« am 25. Juni kamen viele Beschäftigte anderer Branchen auf die FIOM zu und fragten, ob sie nicht Mitglied werden könnten, darunter auch etliche Lehrer. Soziale Oppositionsbewegungen wie die »Veilchenblaue Bewegung«, eine Bürgerrechtsorganisa­tion, bezogen sich positiv auf den Kampf der FIOM.

Wie verhielt sich die Linke, insbesondere die Rifondazione Comunista zu den Aktionen der FIOM?

Andere linke Organisationen unterstützten in Presseerklärungen formell die Aktionen in Pomigliano. Rifondazione blieb aber bei einer vorsichtigen verbalen Solidarität, da sie es sich nicht mit den Funktionären des Partito Democratico wie Guglielmo Epifani in der CGIL-Spitze verderben will. Während des CGIL-Kongresses, als versucht wurde, die FIOM zu isolieren, mischte sich die Führung der PRC nicht ein und ließ die linke Opposition im Stich. Hintergrund ist die parlamentarische Ausrichtung dieser Leute, die nur ihre eigenen Interessen vertreten und nichts aus den Fehlern der Regierungsbeteiligung und dem massiven Rechtsruck der Partei gelernt haben. Diese Leute versuchen trotz allem noch immer, in einer Koalition mit dem bürgerlichen Partito Democratico zu landen. Was notwendig ist, ist eine neue Arbeiterpartei, die konsequent linke Positionen und die Interessen der arbeitenden Bevölkerung vertritt. Nach dem Scheitern der Rifondazione Comunista existiert auf der Linken ein Vakuum, das die FIOM als Branchengewerkschaft nur sehr bedingt füllen kann. Sie bietet aber einen wichtigen Ansatz für die Schaffung einer solchen neuen Partei.