Haiti: Leid ist vermeidbar

Von echter und verlogener Hilfe


 

Tage und Wochen nach den Erdbeben vom 13. und 20. Januar sind die Bilder die gleichen: Chaos, Elend, Verzweiflung. Aber welchen Schaden ein Erdbeben anrichtet hängt nicht von der Stärke des Bebens alleine ab – sondern davon, wie die Rahmenbedingungen im jeweiligen Land sind.

von Sonja Grusch, Wien

Haiti ist das ärmste Land der westlichen Hemisphäre, 2/3 der Bevölkerung lebten vor dem Beben unter der absoluten Armutsgrenze. Durch Kolonialismus und Imperialismus wurde Haiti ausgeblutet, von Eigenversorgung auf Exportwirtschaft umgestellt. Heute müssen fast alle Lebensmittel teuer importiert werden, u.a. auch weil 1994 Haiti gezwungen wurde, Importzölle de facto zu streichen und so die Reste heimischer Nahrungsmittelproduktion der Kaffee- und Mangoproduktion weichen mussten.

Echte und verlogene Hilfe

Die Hilfsbereitschaft der „normalen“ Menschen ist enorm. Und damit auch ein Beispiel dafür, wie sozial Menschen sein können, obwohl wir seit über 200 Jahren einer Propaganda ausgesetzt sind, die im wesentlichen auf Egoismus und Ellenbogen-Denken setzt. Im krassen Gegensatz dazu die Politik der Herrschenden: Ca. 600 Millionen Dollar gibt die USA täglich für die Besetzung von Irak und Afghanistan aus. Die UNO will 500 Millionen Dollar für Haiti aufbringen – ein Bruchteil der 100 Milliarden Dollar die in den letzten Monaten weltweit für die Banken“rettung“ investiert wurde. In Haiti hingegen kommen nicht einmal die Hilfslieferungen zu den Betroffenen, die es real gibt. Denn US-SoldatInnen haben Vorrang. Die USA nutzt die Katastrophe um 12.500 SoldatInnen an diesem strategisch interessanten Punkt zu stationieren – nur 200 km Luftlinie von Kuba entfernt. Schon gibt es Streit zwischen Frankreich und den USA darüber, wer wieviel politischen Einfluss hat.

Welche Ordnung braucht es?

Als Hauptgrund für die mangelhafte Verteilung der Hilfsgüter wird angeführt, dass es kaum staatliche Strukturen gäbe. Für UNO & Co. stellt der Aufbau solcher Strukturen nun eine wichtige Aufgabe in den nächsten Jahren dar. Was das bedeutet, hat sich im Irak, in Afghanistan, am Balkan … gezeigt. Marionetten der Geberländer werden von oben eingesetzt, die Bevölkerung wird kaum gefragt. Die Ergebnisse haben mit Demokratie nichts zu tun. Aber auch die demokratischen Missstände in Haiti sind das Ergebnis imperialistischer Politik. Die SklavInnen erkämpften sich 1804 die Unabhängigkeit von Frankreich, mussten dafür aber enorme Summen an „Entschädigung“ zahlen – somit fehlte Geld im Land zum Aufbau einer Industrie. Die USA hielt Haiti teilweise besetzt, teilweise wurden Diktatoren unterstützt, die die Bevölkerung weiter ausbluteten. An demokratischen Strukturen hatten sie kein Interesse, im Gegenteil unterdrückten die von ihnen unterstützten Diktatoren Gewerkschaften und Arbeiterparteien.

Wenn die „Hilfe“ von oben, von imperialistischen Strukturen und ihren Interessen bestimmt wird, wenn die Menschen zu passiven, wartenden und leidenden Objekten degradiert werden, dann sind weitere Jahre und Jahrzehnte von Elend, Terror und Leid vorgezeichnet. Es gibt Berichte über die Selbstorganisierung der Erdbebenopfer – zur Bergung von Verschütteten, von ÄrtztInnen, durch die Bevölkerungen in Kommunen etc. Nun ist es notwendig, demokratische Strukturen von unten, von den Opfern selbst aufzubauen. Sie können sich in Komitees zusammenschließen um die Verteilung von Hilfsgütern zu organisieren. Sie sind die, die Lebensmitteln aus verschütteten Geschäften holen und verteilen können und Plünderung und Gewalt durch kriminelle Banden verhindern können. Sie stellen sicher, dass die Spenden nicht bei korrupten PolitikerInnen landen sondern bei den Bedürftigen und tatsächlich für den Wiederaufbau genutzt werden. Nur wenn die Menschen selbst, vor Ort, entscheiden, sich organisieren und sich den Aufbau selbst organisieren, dann ist ein neues, anderes Haiti möglich, dass wie ein Phönix aus den Trümmern aufsteigen kann.