Interview mit Bernd Riexinger
Bernd Riexinger ist maßgeblich am Bündnis beteiligt, das die Proteste am 28. März unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ vorbereitet hat. Riexinger ist Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Stuttgart und Landessprecher der Partei DIE LINKE in Baden-Württemberg*. Mit ihm sprach Michael Schilwa.
Wie bewertest du die beiden Demonstrationen am 28. März in Berlin und Frankfurt am Main?
Beide Demonstrationen waren ein Erfolg. Schließlich war es eine Initiative von unten, die von einem relativ breiten Bündnis getragen wurde. Alle Berichterstattungen, die über Proteste berichten, beziehen sich auf den 28. März. Somit wurde ein wichtiges Ziel, nämlich den Beginn einer Protestbewegung einzuleiten, erreicht. Die Situation in Deutschland ist zwar noch nicht so, dass die Menschen massenhaft nach einer Plattform für Protest suchen, aber wie gesagt, ein Anfang ist gemacht.
Wie kann die Protestbewegung weiter aufgebaut werden?
Das Bündnis muss weiter arbeiten und zentrale Bedingung ist, dass vor Ort regionale Bündnisse gebildet werden.
von dort aus müssen auch regionale Aktivitäten und Aktionen durchgeführt werden. Dazu gehört auch qualifizierte Aufklärung über den Charakter der Krise und Perspektiven der linken Kräfte. Es gibt eine große Orientierungslosigkeit. Mit allen Kräften gilt es zu verhindern, dass eine Verzichtswelle durch das Land geht, in der Hoffnung, so Arbeitsplätze zu retten. Die praktische Orientierung liegt auf dem 1. Mai, dem 16. Mai und dem Bildungsstreik am 17. Juni.
Siehst du nicht die Gefahr, dass die bundesweite DGB-Demonstration am 16. Mai in Berlin als SPD-Wahlkampfauftakt instrumentalisiert wird?
Diese Gefahr besteht. Es gibt starke Tendenzen im DGB, auf die Fortsetzung der Großen Koalition mit einer „starken“ SPD zu setzen, um Schwarz-Gelb zu verhindern. Das wäre eine Bankrotterklärung für das politische Mandat der Gewerkschaften.
Trotzdem halte ich es für sehr wichtig, nach Berlin zu mobilisieren, damit die Demonstration ein Erfolg wird. Ein Misserfolg würde eher die Kräfte im DGB stärken, denen an einer außerparlamentarischen Mobilisierung nicht gelegen ist. Außerdem sollte unser Bündnis den DGB auffordern, uns an der Demo und Kundgebung zu beteiligen. Es ist ein Fehler, wenn der DGB meint, er könnte ohne gesellschaftliche Bündnisse die Kräfteverhältnisse alleine ändern.
Welchen Stellenwert hat für dich die Forderung nach einem Generalstreik in Deutschland?
Ich halte die Durchsetzung des politischen Streiks für ein wichtiges Ziel. Die Positionen, auch der Gewerkschaften zur Krise, müssen in erster Linie auf der politischen Ebene durchgesetzt werden. Dazu ist politischer Druck erforderlich. Das Instrument des politischen Streiks, wie es in anderen Ländern üblich ist, muss auch in Deutschland verwendet werden können.
Was sagst du zu dem Einwand, dass politische Streiks in Deutschland erstens illegal und zweitens völlig unrealistisch sind?
Nun, die Gewerkschaften haben immer mal wieder bewiesen, dass es auch in Deutschland möglich ist, politische Streiks durchzuführen. Jüngstes Beispiel sind die Proteste während der Arbeitszeit gegen die Rente mit 67 oder gegen die Angriffe auf die Tarifautonomie. Wenn der politische Wille da ist und die entsprechende gesellschaftliche Stimmung, sind Streiks während der Arbeitszeit für politische Fragen nicht unrealistisch. Wenn genügend mitmachen, ist die Frage der Legalität zweitrangig. Trotzdem ist die Forderung nach politischem Streikrecht in Deutschland unverzichtbar.
Gibt es erste (regionale) Ansätze für Kundgebungen während der Arbeitszeit?
Meines Wissens plant die IG Metall in Baden-Württemberg noch im Mai betriebliche Aktionstage. Demonstrationen während der Arbeitszeit sind zwar kein Generalsstreik, sie eröffnen aber durchaus die Möglichkeit, in diese Richtung zu gehen.
Wie könnte ein bundesweiter Streiktag konkret vorbereitet werden?
Ich glaube, dass ein solcher Streiktag in Etappen vorbereitet werden muss. Demonstrationen, wie in Frankfurt und Berlin, oder gar während der Arbeitszeit sind wichtige Schritte in diese Richtung. Auch betriebliche Aktionen und Streiks gegen Arbeitsplatzvernichtung und Massenentlassungen gehören dazu. Es ist meines Erachtens zu erwarten, dass nach der Bundestagswahl erneut Angriffe auf die sozialen Sicherungssysteme und auch auf die Tarifverträge zu erwarten sind. Auf diese Situation müssen sich die Gewerkschaften vorbereiten. Dann reichen Demonstrationen und betriebliche Aktionen nicht mehr aus. Hier könnte die Bündelung in einen gemeinsamen Aktionstag während der Arbeitszeit eine weitergehende Perspektive eröffnen. Voraussetzung ist aber, dass sich die Gewerkschaften über den Charakter der Krise bewusst werden und die aktive Mobilisierung gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Rentner und ihre Familien die zentrale gewerkschaftliche Option ist.
* Alle Funktionsangaben dienen nur zur Kenntlichmachung der Person