Interesse am Sozialismus wächst

Marx in Europa auf dem Titelblatt des Time Magazine – Kapitalismus verliert an Legitimation


 

Überall auf der Welt hat die globale Krise des Kapitalismus zu wachsendem Interesse an sozialistischen Ideen geführt.

von Dan DiMaggio, Socialist Alternative (USA)

Das (im englischsprachigen Raum [vor allem den USA] sehr bekannte und häufig verwendete Online-Wörterbuch; Erg. d. Übers.) Merriam-Webster berichtet, dass im Jahr 2008 „Sozialismus“ der am dritthäufigsten eingegebene Suchbegriff in ihrem Online-Wörterbuch war (auf Platz eins landete das Wort „bailout“ [„Rettungspaket“; Erg. d. Übers.]). Demnach wurde „Sozialismus“ jeden Monat 125 Millionen Mal eingegeben. Millionen von Menschen wollten wissen, was Sozialismus bedeutet.

Die Verkaufszahlen für das Kommunistische Manifest sind in die Höhe geschnellt. Laut Amazon.com kam es zu einer Zunahme von 700 Prozent seit dem Zusammenbruch im Bankwesen, so die britische Zeitung The Times (9/11/08).

Vor einigen Monaten waren in Berlin sämtliche Exemplare von Karl Marx’ Das Kapital ausverkauft. Jörn Schütrumpf, Herausgeber von Marx’ Gesammelten Werken in Deutschland, meinte: „Seit 2004 haben wir jedes Jahr weniger als 100 Exemplare von Das Kapital verkauft. Innerhalb von zehn Monaten haben wir 2008 hingegen mehr als 2.500 Exemplare verkauft. Das macht deutlich, dass die Leute wissen wollen, was Marx dazu zu sagen hat, weshalb der Kapitalismus nicht funktioniert.“ (Inter Press Service, 7/11/08)

In Japan gibt es mittlerweile sogar eine Comic-Version von Das Kapital, von der innerhalb weniger Tage nach ihrem Erscheinen im Dezember 6.000 Exemplare verkauft wurden. Auch Kanikosen (engl. Titel: „The Crab Factory Ship“), ein kommunistischer Roman von 1929 über eine Gruppe von Arbeitern, die gegen die brutalen Arbeitsbedingungen auf ihrem Krabbenkutter aufbegehrten, erfährt eine Renaissance. Nach den sonst üblichen rund 5.000 jährlich verkauften Ausgaben in den Jahren zuvor, wurden 2008 über eine halbe Million Exemplare nachgefragt (brit. Zeitung The Telegraph, 18/11/08).

All dies weist auf das wachsende Verlangen hin, das Wesen der Wirtschaftskrise verstehen zu wollen. Die nächsten Jahre werden reichlich Gelegenheit dafür bieten, die sozialistische Bewegung aufzubauen, da das Versagen des Kapitalismus Millionen dazu treibt, nach Alternativen Ausschau zu halten.

Marx auf dem Titelblatt des Time Magazine

„Ein Gespenst geht um in Europa […]“: Karl Marx war in der europäischen Ausgabe des Time-Magazins vom 2. Februar auf dem Titelblatt zu sehen, was einiges über das Vertrauen der kapitalistischen herrschenden Klasse in ihr eigenes System aussagt. Das deutet auf eine ziemlich frappierende Entwicklung hin. Vor weniger als 20 Jahren noch, als die Sowjetunion zusammenbrach, wurden die Ideen von Karl Marx für tot erklärt. Der Kapitalismus schien weltweit zu triumphieren.

Jetzt aber, aufgrund der massiven und sich weiter entwickelnden globalen Wirtschaftskrise, verliert das kapitalistische System überall auf der Welt an Legitimation. In derselben Woche, in der Marx auf dem Titelbild des Magazins Time auftauchte, gab die International Labor Organization (Internationale Arbeitsorganisation, ILO, auf Druck des Internationalen Gewerkschaftsbundes eingerichtete Sonderorganisation der UNO; Anm. d. Übers.) bekannt, dass 2009 weltweit 51 Millionen Arbeitsplätze vernichtet werden könnten. Allein am Montag, dem 26. Januar, verkündeten US-amerikanische Großkonzerne die Streichung von mehr als 60.000 Arbeitsplätzen. Hunderte von Millionen rund um den Erdball sind nun mit dem Verlust ihrer Existenzgrundlagen konfrontiert. Damit einher geht die Bedrohung durch Armut, Obdachlosigkeit, Hunger und familiäre wie soziale Tragödien.

Nichts davon jedoch hat bisher die unersättliche Gier der „Bankster“ gezähmt. Laut Presseberichten zahlten die großen Banken an der Wall Street 2008 insgesamt 18,4 Milliarden US-Dollar an Boni aus. Das ist die sechsgrößte Zahl überhaupt. Der neue Präsident Barack Obama nannte dies „beschämend“, obgleich seine Regierung gleichzeitig eben mal weitere 350 Milliarden US-Dollar an die Banken übergab und sich darauf vorbereitet, noch mehr auszuteilen, wenn das nächste Konjunkturpaket erst einmal geschnürt ist. Auf den Riesen-Konzern Exxon Mobil scheint das wenig Eindruck zu machen: Das Unternehmen kündigte in der vergangenen Woche an, dass 2008 ein Rekordergebnis von 45,2 Milliarden US-Dollar erzielt wurde, das höchste Ergebnis, das je ein Unternehmen eingefahren hat (damit wurde das bisherige Rekordergebnis bei Exxon aus dem Jahr 2007 von 40,6 Milliarden US-Dollar noch übertroffen).

Rund um den Erdball sind die Illusionen darüber, dass der Kapitalismus eine anständige Zukunft bieten kann, rasch zusammengebrochen. Das Time Magazine schreibt dazu: „Niemand, der jünger ist als 80 Jahre, hat solch einen schnellen weltweiten Vertrauensverlust und ein solch rasches Absacken an wirtschaftlicher Aktivität erlebt. Die Märkte haben versagt und somit die gängige Weisheit zunichte gemacht, wie die Wirtschaft effizient zu organisieren sei. Es ist, als ob ein intellektueller Nebel aufgezogen und das globale Ordnungssystem zusammengebrochen sind. Die Welt wurde einsam zurückgelassen und tastet hilflos nach einem Ausweg.“

In diesem Artikel wird auch der ehemalige britische Premierminister Tony Blair zitiert: „Fragt die Experten, was zu tun ist, und die ehrlichste Antwort darauf wäre: »Ich weiß es nicht«.“ Sogar Alan Greenspan, früherer Kopf der US-Notenbank Fed und ehedem bekannt unter dem Namen „Der Maestro“, räumte ein: „Ich verstehe immer noch nicht ganz, wie es dazu [zu der Krise] gekommen ist.“ Gefangen von der Logik des Profit-Systems, sind sie nicht in der Lage Antworten zu geben. Marx beschrieb dieses Phänomen im Kommunistischen Manifest wie folgt: Der moderne Kapitalismus „gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.“

Ferner lieferte Marx auch eine ziemlich eindeutige Erklärung für die Gründe der kapitalistischen Krise (vgl. Auszüge aus dem Kommunistischen Manifest am Ende dieses Artikels). Der Artikel im Time Magazine hingegen zitiert Erzbischof Reinhard Marx (der kürzlich sein eigenes Buch mit dem Titel „Das Kapital“ geschrieben hat), wie dieser einen Brief an seinen revolutionären Namensvetter schreibt: „[Der Kapitalismus] wehrte länger, als Sie es damals im 19. Jahrhundert erwartet hatten. Aber ist es möglich, dass es sich beim Kapitalismus nur um eine Episode der Geschichte handelt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhören wird, weil das System in Folge ihrer inneren Widersprüche zusammenbrechen wird?“

Marx zeigte sehr präzise, weshalb der Kapitalismus eben wegen dieser inneren Widersprüche – vor allem wegen des Widerspruches zwischen privatem Eigentum einer winzig kleinen aber megareiche Minderheit an Kapital (Fabriken, Banken etc.) und der gesellschaftlichen Natur der Produktion (in der sich Millionen für die Herstellung von Gütern abplacken und die Profite von besagter Elite kontrolliert werden) – dazu verdammt ist, regelmäßig Krisen zu durchlaufen. Um diesen Profit zu realisieren, zahlen die Arbeitgeber den Beschäftigten nur einen Teil des Wertes aus, den sie hergestellt haben. Das führt dazu, dass die ArbeiterInnen nicht in der Lage sind, all die Waren zurückzukaufen, die sie produziert haben. Das führt dann zu Krisen aufgrund von Überproduktion und Überkapazitäten.

Auf kapitalistischer Grundlage können diese Krisen nur behoben werden, durch – wie Marx schrieb – die „erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften […] (und) durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte.“ Genau das ist es, was sowohl hinter den Fabrikschließungen und Entlassungen weltweit, wie auch dem zunehmenden Wettbewerbsdruck auf den Märkten steht und sich beim Weltwirtschaftsforum in Davos präsentierte, wo man die wachsende Furcht vor einem US-Protektionismus bemerken konnte.

So warnte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Time Magazine, dass, wenn Regierungen „nicht zu zeigen in der Lage sind, dass wir eine soziale Ordnung für die Welt herstellen können, in der solche Krisen nicht mehr möglich sind, dann werden wir mit energischeren Fragen konfrontiert sein, wie z.B. ob dies wirklich das richtige Wirtschaftsystem ist.“

In vielen Ländern der Welt konnten wir bereits Massendemonstrationen erleben, wie z.B. vergangene Woche den Streik in Frankreich mit einer Million TeilnehmerInnen oder die Serie von Demonstrationen in Island, dem Land, das von der Wirtschaftskrise bisher am härtesten getroffen wurde und wo dadurch die Regierung gestürzt worden ist. Überall auf der Welt ist es zu gestiegenem Interesse an sozialistischen Ideen gekommen, da Millionen nach einer Alternative zur Krise suchen, die das kapitalistische System verursacht hat.

Oder wie das Time Magazine Erzbischof Marx in seinem Brief an den revolutionären Karl Marx zitiert: „Es gibt da eine Frage, die mir keine Ruhe lässt: Am Ende des 20. Jahrhunderts, als der kapitalistische Westen den kommunistischen Osten im Kampf der Systeme bezwang – waren wir da zu voreilig, Sie und Ihre ökonomischen Theorien verworfen zu haben?“

Das ist eine Frage, die die unternehmerische und politische Elite wie auch deren Ideologen rund um den Globus in den bevorstehenden Jahren noch in Bedrängnis bringen wird. Eine wachsende Zahl an ArbeiterInnen und Jugendlichen wird dazu gebracht, sich mit den Ansätzen des ursprünglichen Marxismus (nicht mit der Perversion der in den stalinistischen Staaten zu finden ist) zu beschäftigen. Und darin werden sie die umfassende Erklärung für die systemimmanenten Gründe für die jetzige Krise finden und die Notwendigkeit für den Kampf um eine revolutionäre Transformation der Gesellschaft, indem der winzigen gierigen Gang der „Banksters“ und den korrupten Eliten die Macht und der Wohlstand genommen und in die Hände der übergroßen Mehrheit, der ArbeiterInnen der Welt, überführt wird.

Auszüge aus dem Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels:

„Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. […] Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel.“

„Es tritt hiermit offen hervor, dass die Bourgeoisie unfähig ist, noch länger die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben und die Lebensbedingungen ihrer Klasse der Gesellschaft als regelndes Gesetz aufzuzwingen. Sie ist unfähig zu herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muss, statt von ihm ernährt zu werden.“

„Unter unsern Augen geht eine ähnliche Bewegung vor. Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor. Seit Dezennien ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte der Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse, gegen die Eigentumsverhältnisse, welche die Lebensbedingungen der Bourgeoisie und ihrer Herrschaft sind. Es genügt, die Handelskrisen zu nennen, welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichtet. In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre – die Epidemie der Überproduktion. Die Gesellschaft findet sich plötzlich in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt; eine Hungersnot, ein allgemeiner Vernichtungskrieg scheinen ihr alle Lebensmittel abgeschnitten zu haben; die Industrie, der Handel scheinen vernichtet, und warum? Weil sie zuviel Zivilisation, zuviel Lebensmittel, zuviel Industrie, zuviel Handel besitzt. Die Produktivkräfte, die ihr zur Verfügung stehen, dienen nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse; im Gegenteil, sie sind zu gewaltig für diese Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen gehemmt; und sobald sie dies Hemmnis überwinden, bringen sie die ganze bürgerliche Gesellschaft in Unordnung, gefährden sie die Existenz des bürgerlichen Eigentums. Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen. – Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“

Homepage der Socialist Alternative: www.socialistalternative.org