Boom der Privatschulen: Klassenbildung statt Bildung in Klassen

In Deutschland bekomme ich nur gute Bildung, wenn meine Eltern das entsprechende Geld haben. Das erkannte sogar die UN und spricht von einem Verstoß gegen die Menschenrechte, da das Recht auf Bildung nicht mehr gegeben sei.


 

von David Redelberger & Hans-Christian Funke, Kassel

Im Bildungssystem ist bekanntermaßen Einiges im Argen: Schulklassen mit mehr als 30 SchülerInnen, immer mehr LehrerInnen sind überarbeitet und überfordert, so dass immer weniger Zeit für die eigentlichen Unterrichtsinhalte bleibt. Eine unterschiedliche Förderung einzelner – die für Kinder aus „bildungsfernen Schichten“ besonders wichtig wäre – ist in diesem System ausgeschlossen. Die Lernmittelfreiheit existiert nur noch auf dem Papier: Immer öfter müssen wir Schulbücher selbst kaufen, ganz abgesehen von denen, die sowieso zusätzlich gebraucht werden (für Klausurvorbereitungen etc.). Vor allem auf Druck verschiedener Unternehmerverbände wurden in ganz Deutschland die Lehrpläne stark verdichtet. Dies führt zu einer massiven Mehrbelastung der SchülerInnen. Um den Anforderungen einigermaßen gerecht zu werden, müssen die Eltern private Nachhilfe bezahlen. Kurz gesagt: das deutsche Bildungssystem ist ungerecht, marode und hält viele Kinder und Jugendliche mehr vom Lernen ab als es sie dazu anregt.

Elite braucht Eliteschulen

Es ist also nicht verwunderlich, wenn manche Eltern ihr Kind auf eine Privatschule schicken – ist doch dort das Lernen viel angenehmer und effektiver: Kleine Klassen, erstklassige Ausstattung mit LehrerInnen, Medien, Gebäuden usw.

Im Schuljahr 2005/06 hatten bundesweit 4.637 Privatschulen ihre Pforten geöffnet, das ist gegenüber 1992 ein Zuwachs von 43,5 Prozent. Jeden Tag wird zur Zeit eine neue Privatschule eröffnet.

Doch wer bezahlt diese Schulen? Ein großer Teil des Budgets der Privatschulen stammt aus der Staatskasse, wird also durch unsere Steuern mitfinanziert. Außerdem erheben Privatschulen Schulgeld. So beträgt zum Beispiel die Anmeldegebühr der „International school hannover region“ 2500 €. Wer sein Kind dort in Klasse 11 oder 12 schickt, zahlt 10.990 € pro Jahr. Während man also für (staatliche) Bildung schon viel Geld aufwenden muss, braucht man für private Schulbildung sehr viel Geld.

Daher ist es auch vor allem in entsprechend wohlhabenden Kreisen angesagt, sein Kind auf eine Privatschule zu schicken, viele Privatschulen richten sich auch besonders danach aus. So stehen in Nordrhein-Westfalen zwei privaten Hauptschulen 95 private Gymnasien gegenüber.

Das EU-Abkommen “General agreement of trade in services” (GATT) ermöglicht nun auch im Bildungssektor eine weitgehende Privatisierung der bisher staatlichen Bildung. Während sich Privatschulen auf dem Vormarsch befinden (in Bayern besuchen bereits 9,8 Prozent der SchülerInnen eine Privatschule), werden staatliche Schulen dicht gemacht. So wurden zum Beispiel in Sachsen im Zeitraum von 2000 bis 2005 591 öffentliche Schulen geschlossen, die Zahl der Privatschulen stieg im gleichen Zeitraum um 54.

Bildung ist keine Ware!

Das Recht auf allgemeine Schulbildung ist das Resultat langjähriger revolutionärer Kämpfe im 19. und 20. Jahrhundert. Ein Rückfall in Zeiten, in denen der Geldbeutel der Eltern für die Bildung der Kinder entscheidend war, darf nicht hingenommen werden! Einige der heutigen Schulen (meist besonders geförderte Projektschulen) zeigen Ansätze davon auf, wie Bildung entsprechend den Bedürfnissen der SchülerInnen aussehen könnte: Kleine Klassen mit maximal 15 SchülerInnen, mehrere Lehrer pro Klasse und Mitbestimmung der Schüler.

Ein Bildungssystem, das nicht nach den Interessen der Profitwirtschaft organisiert ist würde weitere Aspekte beinhalten: Ein direkter Kontakt zu Betrieben in der jeweiligen Region würde eine breit angelegte, praxisnahe und abwechslungsreiche Allgemeinbildung, unabhängig vom späteren Beruf der SchülerInnen, ermöglichen. Das Ellenbogendenken in der Schullaufbahn gehörte der Vergangenheit an. Alle, wirklich alle, könnten eine gute Bildung genießen und jedeR könnte sich in seinen Interessensgebieten weiter spezialisieren.

Als ersten Schritt in diese Richtung müssen die Gewerkschaften, zusammen mit außerparlamentarischen Oppositionsgruppen und der Linken den Kampf für eine bessere, eine schülerorientierte, differenzierende und kostenfreie Bildung aufnehmen.