Abitur nach zwölf Schuljahren: „Nur der Untergang“

Seit 2001 wurde auch in allen westdeutschen Bundesländern mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein das verkürzte Abitur eingeführt. Die beiden letzten Bundesländer wollen zum nächsten Schuljahr folgen.


 

von Georg Kümmel, Köln

Das Hauptargument für das achtjährige Gymnasium (G8) lautet, die Hochschulabsolventen in Deutschland seien im internationalen Vergleich zu alt. Das Studium zieht sich bei den meisten Studierenden aber gerade deshalb in die Länge, weil sie sich nicht allein auf das Lernen konzentrieren können, sondern nebenbei jobben müssen. Laut Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks aus dem Jahr 2007 arbeiten 63 Prozent der Studierenden neben ihrem Studium, im Durchschnitt neun Stunden pro Woche. Würde man den Studierenden diese Belastung abnehmen, könnten sie ihren Aufenthalt an der Hochschule also um ein Fünftel bis ein Viertel verkürzen. Doch das Gegenteil ist der Fall, Studiengebühren und sinkende Bezahlung in den Nebenjobs zwingen zu noch mehr Arbeit neben dem Studium.

Kürzungspolitik

Bei Einführung der Schulzeitverkürzung beteuerten die Bildungspolitiker, dies sei keine Sparmaßnahme, schließlich bliebe die Gesamtstundenzahl bis zum Abitur gleich. Doch jetzt gibt es Forderungen und auch bereits erste Beschlüsse, die Stundenzahl zu kürzen. Die Kultusministerkonferenz hat im März 2008 beschlossen, den Schulen „größere Flexibilität“ bei der Gesamtstundenzahl zu gestatten, etwa durch Anrechnung von Projektarbeit.

Auch bei den Lehrinhalten sollte ursprünglich nicht gespart werden. Jetzt heißt das „Entrümpelung der Lehrpläne“. Wie das konkret aussieht, kann man auf der Homepage des Schulministeriums NRW nachlesen: dort wird unter dem Begriff „Verschlankung“ eine ganze Seite „Reduzierungen“ der Lehrinhalte vorgegeben. Für den Bereich Geschichte wurde unter anderem beschlossen: „Wegfall eines eigenständigen Themas ‘Friedenssicherung’“ und „Reduzierung des Themas ‘Weimarer Republik’ auf deren Untergang“.

Tatsächlich fragt man sich, ob vielleicht Spaß am Untergang das Motiv der Bildungspolitiker für die Schulzeitverkürzung war. Grotesk war nämlich auch die Art der Einführung nach dem Motto: Erst bauen, dann planen. Erst wurde das G8 per Dekret eingeführt, nun werden nachträglich die Lehrpläne geändert und danach gibt es (vielleicht) geänderte Schulbücher. In den nächsten Jahren werden jeweils zwei Jahrgänge pro Bundesland gleichzeitig das Abitur machen. Das Angebot an Lehrstellen und Studienplätzen wird sich aber nicht verdoppeln.

Ihre Interessen und unsere

Was sind die wahren Gründe für die Schulzeitverkürzung? Erstens: An der Bildung soll gespart werden. Zweitens: Die Wirtschaft will tatsächlich die Bildungsdauer verkürzt sehen. Denn je mehr Lebensjahre jemand bis zum Hochschulabschluss und zur ersten Anstellung braucht, desto mehr Geld will und muss er anschließend verdienen, damit sich ein Studium insgesamt lohnt. Ziel der privaten Wirtschaft ist aber, die Gehälter für Akademiker auf breiter Front und dauerhaft zu drücken. Statt Nachbesserungen beim G8 müssen wir fordern: Rücknahme der Schulzeitverkürzung, Weg mit den Studiengebühren, Elternunabhängige Grundsicherung für SchülerInnen und Studierende ab 16 Jahre von 500 Euro plus Warmmiete.