Lateinamerika-Schulung des CWI markiert Riesenschritt vorwärts

Mitte Februar trafen sich GenossInnen aus allen lateinamerikanischen Sektionen des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI – die internationale sozialistische Organisation, der die SAV angeschlossen ist) – Bolivien, Brasilien, Chile und Venezuela – in Brasilien, in der Nähe von Sao Paulo, um eine Woche lang Berichte auszutauschen, politische Diskussionen zu führen und sich ganz allgemein besser kennen zu lernen. Die Teilnahme weiterer GenossInnen aus den USA, Europa und Südafrika zeigte, wie wichtig der Aufbau unserer Internationale in Lateinamerika auch von den übrigen Sektionen genommen wird.


 

von Johannes Ullrich

Die Auftaktveranstaltung war mit über 70 TeilnehmerInnen ein voller Erfolg. Die Teilnahme von VertreterInnen der P-Sol (die neue linke „Partei Sozialismus und Freiheit“), des MTST (Bewegung der Arbeitslosen ohne Obdach) und des CLS (sozialistische Strömung in der P-Sol) sowie vielen GewerkschafterInnen spiegelte den Ruf wider, den sich die brasilianische Schwesterorganisation der SAV Socialismo Revolucionario (SR) in den letzten Jahren erarbeitet hat, vor allem durch die konsequente Politik innerhalb der P-Sol.

Die Schulung wurde mit einer Debatte über Weltperspektiven eröffnet, in der deutlich wurde, wie wertvoll eine wirkliche lateinamerikaweite Vernetzung der GenossInnen ist. Ähnlichkeiten der Angriffe neoliberaler Regierungen in Brasilien und Chile vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden Weltwirtschaftskrise wurden ebenso verglichen wie die Rückschläge und Probleme der revolutionären Prozesse in Venezuela und Bolivien. In den beiden letztgenannten Ländern sind zwar Regierungen mit radikalem, teils sogar sozialistischem Anstrich an der Macht, die mit Sozialprogrammen und einzelnen Verstaatlichungen deutliche Verbesserungen für die Massen erreicht haben. Aber bisher haben sie ihre Politik nicht konsequent auf Arbeiterdemokratie und eine geplante Wirtschaft ausgerichtet. Im Gegenteil, gerade Hugo Chávez in Venezuela scheint sich nach dem verlorenen Verfassungsreferendum Anfang Dezember stärker als bisher auf das bürgerliche Lager zuzubewegen. In die Debatte zu Weltperspektiven brachten sich auch die GenossInnen aus den USA, Südafrika, Belgien, Deutschland, Frankreich, Schweden und aus dem Internationalen Sekretariat ein. Gerade die brasilianischen GenossInnen waren sehr interessiert an den Entwicklungen der LINKEN in Deutschland, weil sich in und um die P-Sol ähnliches abspielt.

In den nächsten Tagen gab es weitere, länderspezifische Debatten und Arbeitsgruppen zu Themen wie Frauen, Gewerkschaftsarbeit, Jugend und Trotzkismus/Permanente Revolution. Wichtig war natürlich auch die Freizeitgestaltung – wer hätte gedacht, dass die brasilianische Fußballauswahl gegen das internationale Team verlieren würde? Außerdem gab es einen Crashkurs in Sachen Baseball von den venezolanischen Genossen, einen bunten Abend mit einem Wettbewerb zwischen Rio und Sao Paulo um die beste Interpretation des aktuellen Karnevalshits und nicht enden wollende Dominorunden in den Nächten.

Venezuela: Bürokratisierung bedroht revolutionären Prozess

Nachdem am 08.12. das Referendum über Verfassungsänderungen verloren ging, hat der „Chavismo“ (das Chavez"sche System) leider nicht die Lehren aus der sehr hohen Wahlenthaltung gezogen. In den Jahren seit 1999 hatte Hugo Chavez jede Abstimmung mit deutlicher Mehrheit gewonnen, weil die venezolanische Arbeiterklasse und die Massen sich von seiner „bolivarianischen Revolution“ mit ihren Sozialprogrammen, einzelnen Verstaatlichungen und dem Aufbau von Basisstrukturen vertreten fühlten. Aber 2007 machte sich eine zunehmende Passivität der „Chavistas“ (Chavez-Anhänger) bemerkbar, weil der Reformprozess ins Stocken geraten war und sich die Lebenssituation der großen Mehrheit der Venezolaner nicht mehr deutlich verbesserte. Auch der Umstand, dass die beiden Hauptprojekte 2007 – die Gründung der neuen Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) und die Verfassungsreform – vor allem von oben herab betrieben wurden, trug dazu bei, dass viele Basisaktivisten demoralisiert wurden und sich Anfang Dezember über drei Millionen Chavistas weniger an der Abstimmung beteiligten als noch bei der Präsidentschaftswahl 2006.

Nötig wären also eine Beendigung des Bürokratismus in Staat und Gesellschaft, der zu einer Gängelung und Kleinhaltung von AktivistInnen der sozialen Bewegungen führt und eine Demokratisierung der Basisstrukturen der PSUV. In den Monaten vor dem Referendum kamen auch Teile der Chavistas zu dem Schluss, dass die wuchernde Bürokratie einer der Gründe für die Probleme des täglichen Lebens, wie Lebensmittelknappheit, Benzinpreisanstieg und mangelnde öffentliche Sicherheit, ist. Die venezolanische Kapitalistenklasse hat in den letzten Monaten die Preise vieler Grundnahrungsmittel auf Kosten der Massen massiv angehoben und so zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Profite erhöht und Chavez" Regime politisch geschadet. Die Funktionäre des Chavismo haben es versäumt, diese Angriffe konsequent zurückzuschlagen, denn die „Gegenmaßnahme“ bestand in Appellen und Verhandlungen mit den Bossen, nicht in Enteignungen, die auch im 21. Jahrhundert Vorbedingung für Sozialismus sind. Anstatt staatliche inländische Produktionskapazitäten zu schaffen, verlässt sich die Bürokratie auf die Öleinnahmen und kauft im Ausland Lebensmittel. Die Genossen berichteten, dass das Preisniveau in Caracas inzwischen ähnlich hoch ist wie in Europa und dass zum Beispiel eine Dose Coca-Cola 1 US-Dollar kostet – da hilft auch ein Mindestlohn in Höhe von umgerechnet 350 EUR nicht weiter. Seit Jahren nimmt der private Reichtum zu, während die Armutsrate gleich hoch bleibt. Zwar halfen die Sozialprogramme, die „Missionen“, der bittersten Armut etwas ab, aber die Ungleichheit in der venezolanischen Gesellschaft nimmt weiter zu.

Auch die venezolanischen Gewerkschaften sind zum größten Teil in der Hand von Bürokraten, deren Vorgehensweise bei ArbeiterInnen zu Empörung und Entfremdung führt. Die venezolanischen Genossen berichteten von Praktiken wie Bestechungsgeld (im Baugewerbe müssen teilweise die ersten zwei Monatslöhne als eine Art Arbeitsvermittlungsgebühr an die Gewerkschafter bezahlt werden), und Arbeiterinnen werden teilweise sogar zu sexuellen Handlungen gezwungen, um einen Job zu kriegen. Socialismo Revolucionario, die venezolanische CWI-Sektion, setzt daher in manchen Bereichen auf die Bildung von Kampfkomitees, um Arbeiterinnen und Arbeiter zu organisieren, die mit den Gewerkschaften vorerst nichts mehr zu tun haben wollen. Leider ist die Situation beim Gewerkschaftsdachverband UNT, der sich im Zuge des bolivarianischen Prozesses vor ca. 9 Jahren gegründet hatte, nicht viel anders. Ein Großteil der Funktionäre wird von oben bestimmt, es gibt nur in wenigen Bereichen Delegiertenwahlen, und die Bürokraten sind fast alle linientreu zum Chavez-Apparat. Kritische Leute, wie der bekannte Aktivist Orlando Chirino, werden diskriminiert (Chirino war bei der venezolanischen Erdölgesellschaft PdVSA angestellt und seine offensichtlich politisch motivierte Entlassung hat hohe Wellen geschlagen. Die TeilnehmerInnen der Schulung verabschiedeten eine Erklärung, in der sie sich der internationalen Solidaritätskampagne anschlossen).

Der Kampf in Venezuela muß vor allem gegen die Bourgeoisie geführt werden. Aber Aufgabe von SozialistInnen ist es in dieser Situation auch, die Notwendigkeit der politischen Unabhängigkeit der Gewerkschaften vom Chavismo zu betonen. Im Kampf um innergewerkschaftliche Demokratie kann es notwendig sein, mit Kampfkomitees und Basisnetzwerken den Kampf gegen die Bürokratie und für ArbeiterInnenrechte aufzunehmen.

Die Genossen betonten, dass die Arbeitskämpfe in Venezuela deutlich zugenommen haben – Beispiele sind Coca-Cola, die Stahlindustrie und der öffentliche Dienst – und dass daher die Kapitalisten versuchen könnten, sich für neue Angriffe auf den rechten Flügel der Chavez-Bürokratie zu stützen. Aber sie hätten bessere Möglichkeiten, wenn es ihnen gelänge, das Regime loszuwerden. Verteidigungskomitees, die auch genutzt werden könnten, um Formen von Arbeiterselbstverwaltung umzusetzen, sind ein notwendiges Mittel, um eine solche schwere Niederlage der Arbeiterklasse zu verhindern und wieder in die Offensive zu kommen.

Bolivien: Verfassungsstreit und Selbstverteidigungskomitees

Das wichtigste Wahlversprechen von Evo Morales, eine neue Verfassung für Bolivien, ist immer noch nicht vollständig umgesetzt. In den letzten Monaten hat sich der Streit zwischen der MAS-Regierung und den an Bodenschätzen reichen, südöstlich gelegenen Provinzen noch einmal verschärft. Die lokalen Eliten fürchten die Teile des Verfassungsentwurfes, welche mehr Rechte und eine größere Umverteilung zugunsten der indigenen Bevölkerung mit sich bringen würde. Sie schrecken weder vor rassistischer Propaganda gegen die „collas“ (ein abschätziger Ausdruck für indigene Bolivianer) noch vor Mord durch faschistoide Schlägerbanden, die „christliche Jugend“, zurück. Wie groß die Gefahr eines Bürgerkrieges ist, zeigt sich daran, dass diese Provinzen einseitig ihre „Autonomie“ erklärt haben. Aber ein offener Zerfall Boliviens ist selbst den herrschenden Klassen im Rest Amerikas, einschließlich der USA, zu heikel. Es ist nicht ausgeschlossen, dass radikalisierte Jugendliche aus den Nachbarländern wie Chile oder Peru der indigenen Bevölkerung in Bolivien zu Hilfe kommen würden, was einen enorm radikalisierenden Effekt auf die Massen in ganz Lateinamerika hätte. Allerdings sind die rechten Kräfte im Südosten so rabiat, dass es nicht sicher ist, ob sie im Zaum gehalten werden können. Es gibt inzwischen apartheidähnliche Zustände, mit Restaurants, die Indigene nicht mehr bedienen und ähnlichem.

Die vor wenigen Tagen bekannt gewordene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes des Landes, welcher den mit einfacher Mehrheit der MAS-Abgeordneten festgesetzten Termin für die Abstimmung über die neue Verfassung nicht akzeptierte, zeigt einmal mehr, dass sich Evo Morales nicht auf pseudodemokratische Abkommen mit der Bourgeoisie einlassen darf, sondern sich auf die immer noch vorhandene Massenbasis unter der indigenen Bevölkerung und der Arbeiterklasse stützen sollte. Insbesondere in El Alto, der Nachbarstadt von La Paz, sind die Massen sehr kämpferisch und gehen immer wieder für ihre Rechte auf die Straße.

Die Intervention unserer GenossInnen konzentrierte sich in den letzten Monaten in Cochabamba auf den Aufbau der „Antifaschistischen Jugendkoordination“. Diese Gruppe war Mitte 2007 als Selbstverteidungsbündnis gegen die Gewalt der faschistoiden Schlägerbanden entstanden und hatte im Herbst zwei Großdemonstrationen in Cochabamba mit etwa 10.000 TeilnehmerInnen organisiert. Danach gab es einen intensiven Diskussionprozeß um die Haltung zum Verfassungsentwurf. Dieser ist zwar kein kompletter Bruch mit Großgrundbesitz und dem Kapitalismus insgesamt, aber seine Annahme wäre doch ein großer Schritt vorwärts für die bolivianischen Massen. Leider gab es in der Koordination sowohl reformistische, MAS-nahe Jugendgruppen, die unkritisch ein „JA“ zur Verfassung unterstützen, ohne auf die Schwächen des Entwurfs hinzuweisen, als auch ultralinke Gruppen, die wegen mangelnder Radikalität eine „NEIN“-Kampagne forderten, ohne zu realisieren, dass eine Ablehnung der Verfassung objektiv eine Stärkung der Rechten bedeuten würde. Unsere GenossInnen von Alternativa Socialista Revolucionaria argumentierten konsequent für eine Verteidigung der erreichten Fortschritte – und dies schließt ein „JA“ zum Verfassungsentwurf ein – bei gleichzeitiger Betonung, dass die Massen selbst aktiv werden und für eine revolutionär-sozialistische Ausrichtung der MAS kämpfen müssen, um den Kapitalismus wirklich zu überwinden.

Ein großer Schritt vorwärts für die bolivianische Sektion, aber auch das CWI in Lateinamerika insgesamt, ist die Gewinnung des ersten Quechua sprechenden Genossen in Cochabamba. Der junge Genosse war auch bei der Sommerschulung und bereicherte die Diskussionen über das Verhältnis von sozialen Bewegungen zur MAS sehr.

Kuba: Durch Arbeiterdemokratie und Abschaffung der Privilegien geplante Wirtschaft verteidigen!

Wenige Tage vor dem überraschenden Verzicht Fidel Castros auf die aktive Politik nahm auch Kuba einen wichtigen Teil der Diskussionen während der Schulung ein. GenossInnen betonten, dass sich Kuba nur auf der Grundlage der Planwirtschaft so lange gegen das US-Embargo behaupten konnte. Dennoch gibt es Bestrebungen, vor allem in Teilen der Armeebürokratie, Schritte hin zu den „freien Marktkräften“ zu unternehmen. Diese könnten sich in Zukunft verschärfen, würden aber in jedem Fall vor dem Hintergrund des kommenden Weltwirtschaftsabschwungs auf stärkeren Widerstand stoßen – nicht nur auf Kuba selbst, sondern auch durch Solidaritätsbewegungen im Rest Lateinamerikas. Die kürzlich im Internet veröffentlichte Fragestunde von Studenten mit dem kubanischen Parlamentspräsident zeigte nochmals überdeutlich, dass Sozialismus die Demokratie braucht wie der Mensch den Sauerstoff, und dass neben echter Arbeiterkontrolle in der Wirtschaft auch Meinungsfreiheit allgemein eine Bedingung für den Erhalt der Fortschritte der kubanischen Revolution ist.

Brasilien: „Dritte Etappe“ der PT, die P-Sol und der Aufbau des CWI

Die Einleitung zur Diskussion über Brasilien gab Genossin Jane Barros aus Rio de Janeiro. Sie stellte die erste Phase von Lulas Arbeiterpartei PT dar: Von der Gründung nach der Überwindung der Militärdiktatur Anfang der 80er bis zum Schwenk auf die Präsidentschaftswahlen im Jahre 1989 hatte sie eine klare sozialistische Ausrichtung und war zusammen mit dem Gewerkschaftsdachverband CUT das wichtigste Organisations- und Kampfinstrument der Arbeiterklasse. Ab 1989 begann allerdings die zweite Phase, geprägt von einer zunehmenden Ausrichtung auf die Parlamente und insbesondere die Präsidentschaftswahlen. Seit dem Wahlsieg 2002 und dem Schwenk zur Umsetzung neoliberaler Politik wie der Rentenreform kann man von der dritten Phase sprechen, in der die PT als Instrument der Arbeiterklasse vollständig verloren ging, die aber auch zur Gründung der P-Sol (Partei Sozialismus und Freiheit) führte. Nicht nur viele Millionen WählerInnen waren unzufrieden mit der Sozialdemokratisierung der PT, sondern auch eine ganze Schicht politischer AktivistInnen, und 2003 wurde die Initiative zur Gründung einer neuen linken Partei gestartet. Die klare Klassenperspektive der P-Sol war wichtig, um die brasilianische Linke zusammen zu halten und eine Atomisierung zu verhindern, die angesichts des Verlustes der PT durchaus drohte. In die Präsidentschaftswahlen 2006 ging die P-Sol mit einer Position des „Nein zu Rückschritten“ und konnte auf Anhieb 7 Millionen WählerInnen mobilisieren.

Allerdings zeigten sich während der Wahlkampagne auch schon Tendenzen eines Teils der P-Sol-Führung, die sozialistische Programmatik zu verwässern, „um mehr Stimmen zu kriegen“ bzw. die eigenen Positionen abzusichern. Socialismo Revolucionario, die brasilianische cwi-Sektion, hat diesen Kurs von Anfang an bekämpft und konnte auf dem ersten Kongress der P-Sol Mitte 2007 viele oppositionelle Gruppen um sich scharen. Diese linke Strömung hat sich zu dem Sammelpunkt für SozialistInnen in der P-Sol entwickelt, und die GenossInnen sehen gute Chancen, über diese Arbeit auch ein substantielles Mitgliederwachstum zu erreichen.

Die Klassenkämpfe sind 2007 in Brasilien stark angestiegen. Es begann mit den Demonstrationen am Internationalen Frauentag und ging mit einer von CONLUTAS und Intersindical, zwei kämpferischen neuen Gewerkschaftsdachverbänden, einberufenen Aktionskonferenz am 25.03. weiter. Dort nahmen 6.000 soziale Aktivisten, Studenten, GewerkschafterInnen, Mitglieder der Landlosenbewegung und viele andere teil und verständigten sich auf weitere Proteste im Laufe des Jahres. Die Studentenbewegung besetzte 2007 viele Universitäten und erreichte Verbesserungen in der Mittelausstattung und die Rücknahme von Kürzungen auf Bundesstaatsebene, so z.B. in Sao Paulo, wo unsere GenossInnen eine wichtige Rolle bei der Besetzung der Universität USP spielten. Der Höhepunkt des Jahres war eine landesweite Demonstration in Brasilia, der tausend Kilometer im Landesinneren gelegenen Hauptstadt, an der trotz hoher Fahrtkosten 20.000 AktivistInnen teilnahmen. Dort wurde sich auch auf einen Termin für den ersten Kongreß der CONLUTAS (Nationale Koordinierung der Kämpfe, ein Zusammenschluß kämpferischer Gewerkschaften) geeinigt, der im April diesen Jahres stattfinden wird und von dem die brasilianischen GenossInnen sich wichtige Impulse auch für Linke in der P-Sol erwarten.

Die P-Sol-Basis ist weiterhin sehr kämpferisch und führt erfolgreiche Kampagnen wie das Referendum gegen die Privatisierung des größten brasilianischen Minenunternehmens, Vale do Rio Doce. Der wichtigste innerparteiliche Kampf in den nächsten Jahren wird sich um die Präsidentschaftswahlen 2010 drehen. Da Lula kein drittes Mal kandidieren darf, die PT kein anderes populäres Zugpferd hat und die andere brasilianische „Volkspartei“, die konservative PSDB, immer noch mit den 8 Jahren neoliberaler Präsidentschaft von Fernando Henrique Cardoso in Verbindung gebracht wird, stehen die Chancen für die P-Sol gut, deutliche Stimmengewinne zu erreichen. Der rechte Flügel, und hier insbesondere die ab 2005 eingetretenen ehemaligen PT-Parlamentsabgeordneten, wird versuchen, progressive und sozialistische Positionen an den Rand zu drängen, aber die Gegenwehr ist groß. Zum Beispiel verlor Heloisa Helena, die populärste P-Sol-Politikerin und Präsidentschaftskandidatin 2006, die Abstimmung auf dem P-Sol-Kongreß Mitte 2007, auf der es um die Illegalisierung der Abtreibung ging. Helena, die sich als „christliche Sozialistin“ bezeichnet, hatte versucht, eine reaktionäre Resolution durchzubringen, die den Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper genommen hätte. Unsere GenossInnen waren maßgeblich daran beteiligt, dass eine linke Allianz zustande kam und zeigte, dass nicht die öffentliche Bekanntheit entscheidet, sondern die politischen Positionen. Die prinzipienfeste Rolle, die Socialismo Revolucionario seit Gründung der P-Sol gespielt hat, hat uns zu einem Referenzpunkt für unbeugsame KämpferInnen um sozialistische Ideen gemacht. Dieses Profil wird die brasilianische CWI-Sektion in den kommenden Debatten hoch halten, den Kampf um eine sozialistische P-Sol weiterführen und den Widerstand gegen die innerparteiliche rechte Bürokratie organisieren.

Es ist klar, dass die brasilianische Arbeiterklasse und die Massen weiterhin auf die Partei Sozialismus und Freiheit gucken. Unsere oberste Aufgabe ist der Wiederaufbau der Arbeiterbewegung, daher ist es wichtig, die starke Position des CWI in der Partei über die nächsten Jahre zu halten und wenn möglich auszubauen, um die fortgeschrittensten und aktivsten Schichten der Bewegung erreichen zu können.

Chile: Neue Generation von AktivistInnen bringt Große Koalition in große Schwierigkeiten

Trotz der heroischen Traditionen der chilenischen Arbeiterbewegung ist seit dem Ende der Militärdiktatur 1990 eine neoliberale große Koalition von der "Sozialistischen Partei" bis zu den Christdemokraten an der Macht (die sogenannte Concertación). Zum niedrigen Niveau der Klassenkämpfe hat neben dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten sicherlich auch die Art der Machtübertragung an die Concertacion und die unter Pinochet erfolgte Zerschlagung der Gewerkschaften beigetragen. Dennoch wird der Neoliberalismus auch in Chile seit einigen Jahren mehr und mehr in Frage gestellt. Dies drückte sich in der Vergangenheit unter anderem im Ergebnis der Präsidentschaftswahlen aus, in dem die Präsidenten Lagos (2002) und Bachelet (2006) in die zweite Runde mussten. Die enormen Hoffnungen in den Amtsantritt von Michelle Bachelet – deren Familie direkt unter der Diktatur gelitten hat und die selbst im Gefängnis war – dass sie Schluss machen würde mit der Umverteilung und dass das Wirtschaftswachstum nicht mehr zu größerer sozialer Ungleichheit führen würde, bedeuteten auch große Enttäuschungen, als die neue Präsidentin die alte neoliberale Politik weiter verfolgte. Dies war ein Hauptgrund für die neue Qualität von Protesten und Arbeitskämpfen seit 2006.

Den Anfang machten die "Pinguine", also Oberstufenschüler (sie werden wegen der in Chile obligatorischen Schuluniform, welche schwarz und weiß ist, so genannt), mit einer überwältigenden Protestwelle, an der 2006 über 600.000 Schüler teilnahmen (Chile hat lediglich 17 Millionen Einwohner!). Ihre Bewegung brachte Strukturen hervor, die in sich die tiefe Ablehnung des politischen Establishments widerspiegeln: Entscheidungen wurden stets auf Vollversammlungen getroffen, und die einzige gewählte Funktion waren "SprecherInnen". Verhandlungen, auch mit Ministern, wurden also nicht von zwei oder drei Delegierten geführt, sondern mit weit über 100 SchülerInnen. Das brachte die Herren und Damen Politiker zur Weißglut, weil sie die Bewegung nur sehr schwer kontrollieren konnten. Die Proteste endeten erst nach für chilenische Verhältnisse weit reichenden Zugeständnissen und dem Rücktritt zweier Minister.

In 2007 kehrte dann auch die Arbeiterklasse in die Kampfarena zurück und warf gleich die schlagkräftigsten Bataillone in die Schlacht: Die Kupferminen und die Holzfabriken, also die beiden wichtigsten Exportindustrien Chiles, wurden bestreikt. Ziel der Minenarbeiter war die Überwindung des tarifvertraglosen Zustands, denn in Chile durfte seit den Zeiten der Militärdiktatur nur auf Betriebsebene verhandelt werden. Mit der Schaffung von Branchenverbänden hatten die Kapitalisten diese Regelung bereits de facto unterlaufen, und durch die Streiks gelang es den Kumpels, sich ebenfalls zu vernetzen. Trotz brutaler Repression mit dem Einsatz von bewaffneten Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei setzten sich die Streikenden durch und es gibt nun ein landesweites Tarifwerk. Die Holzarbeiter forderten anfangs nur bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn, aber durch die ebenfalls heftigen Repressionen, bei denen ein junger Arbeiter getötet wurde und zu deren Begründung die Gesetzgebung aus Diktaturzeiten benutzt wurde, radikalisierten sie sich zusehends. Sehr wichtig war der Schulterschluss mit den Mapuche, einem indigenen Volk im Süden Chiles, welches seit Jahrhunderten unterdrückt wird und für seinen kämpferischen Widerstand bekannt ist. Die Proteste dauerten bis ins Jahr 2008 hinein, mit Solidemos in allen größeren Städten für inhaftierte Mapucheaktivisten und einer steigenden Politisierung der chilenischen Bevölkerung insgesamt. Ein weiterer wichtiger Exportzweig, die LachsarbeiterInnen, streikte ebenfalls.

Für 2008 läßt sich auf dem veränderten Bewusstsein der ChilenInnen aufbauen: Beispielsweise sagen nur noch 46 Prozent, dass "die Marktwirtschaft das beste System ist, meine Probleme zu lösen". Und das in dem Modellland des Neoliberalismus mit seiner beständigen Propaganda der großen Medienkonzerne! Die GenossInnen von Socialismo Revolucionario berichteten, dass ihr Blog über 3.000 Besuche monatlich hat und dass das Interesse an sozialistischen Analysen und Perspektiven deutlich angestiegen sei. Insofern gibt es gute Chancen für den Aufbau des CWI während der Klassenkämpfe der kommenden Periode.

Enthusiastisches Ende einer Woche voller Diskussionen und Aktivitäten

Die Abschlussveranstaltung der Schulung war geprägt von jungen GenossInnen, die ihre Begeisterung über die Möglichkeit zum Lernen und zur Vernetzung mit anderen zum Ausdruck brachten und die betonten, wie wichtig der Internationalismus generell und in Lateinamerika im Besonderen ist. Die brasilianische Sektion, die mit mehr als 50 GenossInnen und sieben InteressentInnen vertreten war, erlebt dies derzeit in ihren eigenen Reihen, denn zum ersten Mal sind wir auch im Nordosten, im Norden und im Süden des Riesenlandes vertreten. Es wurden Schritte zur engeren Vernetzung der lateinamerikanischen CWI-Sektionen vereinbart, unter anderem eine gemeinsame Zeitschrift. Am Ende waren sich alle einig, dass diese Woche erst der Anfang war und dass die Kräfte des CWI in Lateinamerika 2008 deutlich wachsen können!