Bremer LINKE vertagt die politische Diskussion

Zur Bilanz des 2. Landesparteitags


 

„Zur inhaltlichen Debatte über politische Themen – die von einigen Mitgliedern vehement eingefordert wurde – ist es nicht gekommen“. So fassen der Bremer Weser Kurier genauso wie der Website-Bericht der LINKEN heute den „ernüchternden“ Ablauf ihres 2. Landesparteitags zusammen. Die Diskussion über ein politisches Arbeitsprogramm, womit der Gründungsparteitag den Landesvorstand und den gestrigen Parteitag beauftragt hatte, wurde ebenso wie alle anderen Anträge auf den 9. März vertagt.

von Heino Berg, 25.2.08

Die Entscheidung gegen eine Konzentration auf die politischen Inhalte fiel bereits bei Tagesordnung: Nachdem der Landesvorstand meinen Antrag auf deren Änderung nicht verschickt hatte, konnte er mit der hauchdünnen Mehrheit von 28:27 Delegiertenstimmen durchsetzen, dass die Wahl der Bundesparteitagsdelegierten vor einer Diskussion darüber stattfand, was diese dort im Mai vertreten sollen.

Diese systematische Entpolitisierung verlängert die Führungskrise der Bremer LINKEN, die es der gegnerischen Presse (sowie Bodo Ramelow) seit Monaten erlaubt hat, den Landesverband in erster Linie mit privaten Querelen in Verbindung zu bringen, anstatt über politische Initiativen oder Aktionen berichten zu müssen.

Die anwesenden Delegierten, die selbst ohne eine vorausgehende inhaltliche Diskussion in den Kreisverbänden gewählt wurden, stimmten mit dieser knappen Mehrheit noch einmal für ihre eigene Entmündigung und bewiesen damit ihre „Leidensfähigkeit“ (C. Bernhardt).

Wegner-Affaire

Ein aktueller Grund für die Bremer Parteiführung, der inhaltlichen Diskussion über die Ziele der neuen Partei auszuweichen, bestand in der sogenannten „Wegner-Affaire“, bei der es um das Verhältnis der „LINKEN“ zur DDR, zum demokratischen Sozialismus, zur Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum sowie um die Zusammenarbeit mit Linken außerhalb der Partei geht.

Der Landesvorstand und die (gestern ohnehin abgetauchten) Bürgerschaftsabgeordneten hatten sich zu diesen Schlüsselfragen linker Politik mit keinem Wort, geschweige denn mit einer Beschlussvorlage geäußert. Ein Initiativantrag der „Antikapitalistischen Linken“ forderte die Wiederaufnahme von C. Wegner in die niedersächsische Fraktion, ohne sich von ihren Äußerungen zur DDR zu distanzieren. Dagegen hatten SAV-Mitglieder einen Alternativvorschlag formuliert, der in kurzer Zeit von 35 TeilnehmerInnen des Parteitags unterstützt wurde, darunter von Mitgliedern des Landesvorstands und von den beiden Vertretern der Linksjugend solid, die später als Bundesparteitagsdelegierte gewählt wurden. Er lautet:

"Die Bremer LINKE distanziert sich von den Äußerungen C. Wegners zur DDR. Der Landesparteitag lehnt es ab, das Ziel des demokratischen Sozialismus und der Überführung der Schlüsselindustrien mit der DDR und ihren Unterdrückungsapparat gleichzusetzen. Die Bremer LINKE unterstützt auch weiterhin, daß engagierte Gewerkschafter und Linke, die nicht der Partei angehören, auf unseren Listen kandidieren können, wenn sie für demokratische und soziale Rechte eintreten."

Eine Debatte über die (auch in den Änderungsanträgen gestellte) Systemfrage hielt die Parteiführung für unerwünscht – obwohl die stalinistischen Entgleisungen der niedersächsischen Abgeordneten demonstriert haben, wie gefährlich es gerade für eine auch aus SED und PDS hervorgegangene Partei ist, wenn sie der Diskussion darüber VOR der Nominierung von Mandatsträgern weiterhin ausweicht.

Bodo Ramelow und die Regierungsfrage

Das galt auch für Frage, wie sich die LINKE zu rotgrünen Landesregierungen verhalten sollte, über die nach den Wahlen in Hessen und Hamburg auch in der SPD heftig gestritten wird. Die Parteiführung hatte den Teil des Leitantrags, der die Bremer LINKE mit unserem Antragstext auf eine konsequente Opposition auch gegen den rotgrünen Senat festlegen sollte, als „zu umstritten“ gestrichen.

Da der entsprechende Änderungsantrag gestern nicht mehr zur Abstimmung stand, konnte der „Gastredner“ Bodo Ramelow ohne das Risiko irgendwelcher Konsequenzen eine radikale Rede gegen „jede Regierungszusammenarbeit mit der SPD in Hessen“ halten und zur Solidarität mit den Streikenden im Öffentlichen Dienst aufrufen. DAFÜR war der Applaus ihm sicher! Nur durch Zwischenrufe konnte man darauf aufmerksam machen, dass er in Berlin nicht mit den Streikenden, sondern ihrem Gegner in der rotroten Landesregierung solidarisch ist.

Auch die Tatsache, dass er in Hessen öffentlich die dauerhafte Tolerierung einer rotgrünen Minderheitsregierung angeboten hat, konnte erst nach seinem Aufbruch angesprochen werden. Die Doppelzüngigkeit linker Reden vor Parteitagen und neoliberaler Politik in Regierungen ist leider nicht nur in den etablierten Parteien verbreitet. Immerhin warnte Manfred Sohn aus der neuen LINKEN-Fraktion in Niedersachsen ausdrücklich davor, unsere Wähler dadurch zu enttäuschen, dass „wir genauso werden wie die anderen “.

Nachdem die politischen Inhalte den Gastrednern vorbehalten blieben, musste der Parteitag zu den ermüdenden Satzungsdetails und den Kandidatenvorstellungen zurückkehren, anstatt diese Kandidaten in der politischen Debatte kennen lernen und mit einem inhaltlichen Mandat beauftragen zu können. Überraschungen blieben deshalb aus: Nur die Wahl der beiden „solid“-Vertreter spiegelte die Unzufriedenheit vieler Delegierter.

Rechenschaftsbericht

Den Grund für diese „politikfreie“ Parteitagsregie erfuhren die Delegierten aus dem später von A. Troost vorgetragenen Rechenschaftsbericht des Landesvorstands. Dieser konnte erstens als öffentliche Aktivität nur die Veranstaltungen zum Lokführerstreik und zu den Krankenhausprivatisierungen vorweisen. Was in beiden Fällen nicht auf Initiativen des Landesvorstands, sondern von SAV-Mitgliedern zurückging, die der Landesvorstand erst nach monatelanger Verschleppung und auf Druck von Kreismitgliederversammlungen durchführen musste – ohne allerdings die dort beschlossenen Aktivitäten umzusetzen.

Zweitens vermerkt der Bericht Auseinandersetzungen im Landesvorstand darüber, ob seine Vertreter Landesparteitagsbeschlüsse außer Kraft setzen und diese damit zu Showveranstaltungen degradieren dürfe. T. Brinkmann und eine knappe Mehrheit im LV hatten den Parteitagsbeschluss zur Förderung einer offenen Kommunikation unter den Parteimitgliedern aufgehoben und zu diesem Zweck sogar die Website „abschalten“ lassen. Wenn sich die Parteiführung wochenlang mit solchen „vordemokratischen“ Anmaßungen ihrer Schatzmeisterin beschäftigt, anstatt endlich das umzusetzen, was sie auf Parteitagen selbst beschlossen hat, wird es niemanden wundern, dass die Führung der Bremer LINKEN in der Öffentlichkeit nicht mit konsequenter Oppositionspolitik, sondern eher mit internen Querelen in Verbindung gebracht wird.

Drittens erwähnt der Bericht den Auftrag des Gründungsparteitages, ein politisches Arbeitspogramm / Leitantrag zur Umsetzung des Wahlprogramms auszuarbeiten und dafür eine Arbeitsgruppe zu bilden. Da wir Änderungsanträge zu diesem Arbeitsprogramm eingebracht hatten, die inzwischen auch von einer Kreismitgliederversammlung sowie von der AG „Antikapitalistische Linke“ unterstützt werden, wollen A. Troost und T. Brinkmann das Projekt „Arbeitsprogramm“ und damit die Kursbestimmung des Landesverbandes nun vollständig in der Versenkung verschwinden lassen: Laut Rechenschaftsbericht plant der LV jetzt nur die „Erarbeitung eines verbindlichen Programms für die nächste Bürgerschafswahl“. Damit würden Landesvorstand und Fraktion in den nächsten 4 Jahren ohne jedes inhaltliche Mandat der Parteibasis vor sich hin wursteln können!

Konsequenzen für den Fortsetzungsparteitag am 9.3.

All dies konnte von den Parteitagsdelegierten zwar kritisch kommentiert, aber nicht korrigiert werden. Ein für Landesvorstand und Fraktion verbindliches Arbeitsprogramm steht ja erst am 9. März zur Diskussion – und zwar durch unsere Zusatzanträge selbst dann, wenn der Landesvorstand seinen auf Allgemeinplätze beschränkten Leitantrag wie angekündigt zurückziehen sollte.

Dabei wird es vor allem darum gehen, ob der Landesverband durch einen Oppositionsratschlag und eine Kundgebung gemeinsam mit Gewerkschaftern und sozialen Bewegungen praktische Aktionen gegen den unsozialen Haushalt des Senats auf den Weg bringt. Die von A. Troost vorgeschlagene „Armutskonferenz“ der Partei “DIE LINKE“, die nach der bisherigen Planungen nur die üblichen Vorträge zu bereits Bekanntem vorsieht, ist dafür ein Baustein, aber kein Ersatz! Die LINKE kann und muß von der bloßen Beschreibung der Armut zu ihrer wirklichen Bekämpfung übergehen, in dem sie den Betroffenen die gemeinsame Aktion mit den noch beschäftigten KollegInnen und ihren Organisationen ermöglicht. Die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst haben bereits mit Streikaktionen begonnen. Ihre Forderungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Haushalt, den der rotgrüne Senat im April über die Bühne bringen will. Deshalb sollte die Solidaritätsveranstaltung zum Tarifkampf, den ein Initiativantrag aus Bremerhaven auf dem Landesparteitag vorgeschlagen hat, nicht nur so schnell wie möglich umgesetzt, sondern auch mit der Vorbereitung der Haushaltskundgebung verbunden werden.

Nach dem unbefriedigenden Ablauf des Parteitages freuten sich Delegierte und Mitglieder über den Einzug der Hamburger LINKEN in die Bürgerschaft. Von der Begeisterung des Wahltags in Bremen war diesmal nur noch wenig zu spüren. Und das lag sicher nicht nur daran, dass der Wahlerfolg in Hamburg mit 6,4% geringer als erwartet ausgefallen ist …