Bremen: Zwangsumzüge als Praxistest für die LINKE in der Bürgerschaft

Unter dem Titel "Besser ist nicht gut genug!“ hat die Bürgerschaftsfraktion der LINKEN in der unten stehenden Pressemitteilung die aktuelle Senatsvereinbarung zu den Zwangsumzügen als "Verbesserung“ begrüßt, die aber noch nicht "genug“ sei.


 

von Heino Berg, Mitglied der Partei DIE LINKE in Bremen (22.8.2007)

Nach der Vorlage des neuen GEWOS-Gutachtens werden die Mietobergrenzen für Einpersonenhaushalte von 265 auf 310 Euro hoch gesetzt, was die Zahl der von Zwangsumzügen betroffenen Haushalte von 8000 auf 3200 reduzieren soll.

Diese halbherzige Reaktion der Bürgerschaftsfraktion der LINKEN steht im Widerspruch zur Haltung der Betroffenen, die mit der "Solidarischen Hilfe“ den Senatsbeschluss zu den Zwangsumzügen verurteilt und eine Fortsetzung der Protestaktionen angekündigt haben. Da die Dringlichkeitsanträge zu den Zwangsumzügen der erste (und bisher einzige) Praxistest für die Strategie der Bremer LINKEN gegenüber dem rot-grünen Senat und für die Frage waren, ob man diesen Senat zu einem "anti-neoliberalen Bündnis radikalisieren“ (C. Spehr) oder eine radikale Opposition gegen ihn organisieren sollte, verdienen sie eine genauere Analyse.

Die LINKE hatte in ihrem Dringlichkeitsantrag ihre Haltung zu den Zwangsumzügen von dem Ergebnis des GEWOS Gutachtens zur "Angemessenheit“ der Miethöchstgrenzen abhängig gemacht: "Die Fraktion DIE LINKE fordert, dass alle ergangenen Umzugsaufforderungen offiziell zurückgenommen und die Prüfverfahren ausgesetzt werden, mindestens bis die derzeit im Auftrag des Senats laufende allgemeine Überprüfung der Angemessenheit der geltenden Höchstgrenzen abgeschlossen ist.“ Auch die Übernahme der Heizkosten wurde nicht grundsätzlich, sondern nur "bis zum Erlass der neuen Verwaltungsanweisung“ gefordert. (Dringlichkeits- und Ergänzungsantrag der Fraktion der LINKEN in der Bremer Bürgerschaft)

Diese Position der LINKEN Bürgerschaftsfraktion, die ihre Forderungen nicht mehr auf der Basis einer grundsätzlichen Ablehnung der Hartz-Gesetze ausschließlich an den Interessen der Betroffenen orientiert, sondern sie vom Ergebnis eines Gutachtens abhängig gemacht hatte, wurde auf dem damaligen LINKEN-PLENUM auf Antrag von SAV-Mitgliedern zwar mehrheitlich abgelehnt, blieb aber dennoch Grundlage ihrer Dringlichkeitsanträge in der Bürgerschaft.

Nachdem sich die LINKE damit auf das Verfahren, also die Koppelung ihrer eigenen Forderungen an das Ergebnis der gutachterlichen "Angemessenheitsprüfung“ eingelassen hatte, kann sie nun für deren Umsetzung durch den rotgrünen Senat politisch haftbar gemacht werden: Zwangsumzüge gelten oberhalb der neuen Höchstgrenzen nun als "angemessen“, obwohl sie die Schwelle für sozial schwache Haushalte mit mehr als fünf Personen sogar herabgesetzt haben. Dementsprechend wird in der Presseerklärung der LINKEN nicht der Senatsbeschluss selbst als Bruch der Wahlversprechungen von SPD und Grünen gegen Zwangsumzüge beurteilt, sondern dies wird nur für den Fall angekündigt, dass er sich in Zukunft als "Einfallstor für eine zweite Welle von Umzugsaufforderungen herausstellen“ sollte.

Anstatt den Senat am politischen Inhalt der Wahlversprechen von SPD und Grünen zu messen (also der tatsächlichen Verhinderung von Zwangsumzügen), bezogen sich die Dringlichkeitsanträge der LINKEN zu ihrer vorläufigen "Aussetzung“ nur noch auf den Wortlaut der Regierungsvereinbarungen, die anstelle einer Abschaffung nur noch eine Reduzierung der menschenverachtenden Zwangsumzüge für Hartz-IV-Empfänger angekündigt hatten.

Auch wenn die Erklärung von Senatorin Rosenkötter taktische Zugeständnisse in Bezug auf die Zahl der aktuell von Umzugaufforderungen betroffenen Haushalte enthält, um das Wesentliche, also die Drangsalierung von Hartz IV-Empfängern durch Umzugsdrohungen zu retten: Der rot-grüne Senat betätigt sich hier als Büttel für die Umsetzung der Hartz-Gesetze in Bremen. Er ist damit keineswegs auf dem Weg in ein "antineoliberales Bündnis“, wozu ihn der Parlamentarische Geschäftsführer der Bürgerschaftsfraktion drängen bzw. "radikalisieren“ möchte, sondern er setzt im Gegenteil die neoliberale Politik des schwarz-roten Senats nur mit anderen Mitteln fort.

Dies ist ein konkretes Beispiel für die Politik des "Kleineren Übels“, um die es bei der Strategiedebatte der Bremer LINKEN geht: Soll die LINKE die Reduzierung der Zwangsumzüge als "kleineres Übel“ (im Verhältnis zu den früheren Planungen) kritisch unterstützen und begleiten ("besser, aber nicht gut genug“) oder sollte sie diesen Senatsbeschluss gemeinsam mit den Betroffenen eindeutig als Durchsetzung von Hartz IV durch Zwangsumzüge verurteilen und zur Fortsetzung des Widerstands dagegen aufrufen?

Die Zwangsumzüge sind aber nur ein Beispiel für die neoliberale Politik des Senats unter vielen anderen: Der rot-grüne Senat hält an der von allen Hochschulangehören abgelehnten Sparmaßnahmen an der Uni fest (HEP); er setzt die Mittel- und Stellenkürzungen im Sozial- und Bildungsbereich fort; er hat die Teilprivatisierung von Krankenhäusern durch das PPP-Modell immer noch nicht aufgegeben usw. usw.

Es wird höchste Zeit, dass die LINKE ein Aktionsprogramm gegen den rot-grünen Senat vorlegt, in dem die wichtigsten Forderungen und politischen Schwerpunkte linker Oppositionsarbeit innerhalb und außerhalb der Bürgerschaft zusammengefaßt und auf dieser Basis eine Oppositionskonferenz für das Frühjahr nächsten Jahres vorbereitet werden kann. Da weder die Abgeordneten, noch deren hauptamtliche Mitarbeiter ein entsprechendes Konzept bisher zur Diskussion gestellt haben, wird die SAV Bremen und Bremerhaven dazu in Kürze einen Entwurf vorlegen.

Dokumentiert:

Besser ist nicht gut genug!

(Presseerklärung der Bürgerschaftsfraktion der LINKEN)

Mit ihrer Koalitionsvereinbarung zur 17. Wahlperiode kündigten SPD und Bündnis 90/Die Grünen an, "die Umzugsaufforderungen drastisch reduzieren“ zu wollen. Vor diesem Hintergrund erklärte Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) nun, dass "ein entscheidender Schritt“ zur Einlösung des Versprechens gemacht sei. Die Mietobergrenzen werden für Einpersonenhaushalte von 265 auf 310 Euro hoch gesetzt, für jede weitere Person im Haushalt sind 60 Euro hinzuzurechnen. Die Zahl der von Zwangsumzügen betroffenen Haushalte reduziert sich dadurch von 8.000 auf 3.200.

Grundlage dieser realitätsgerechteren Einstufung ist das neueste GEWOS-Gutachten, eine beim Hamburger Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung in Auftrag gegebene Wohnungsmarktuntersuchung, die die Neuregelung nahe legt und somit "legitimiert“. Hinter den Ansprüchen der LINKEN bleiben SPD und Grüne allerdings zurück. In unserem Bürgerschaftsantrag vom 22. Juni 2007 forderten wir, Zwangsumzüge für ALG-II- und SozialhilfeempfängerInnen zu stoppen. Dabei bleiben wir:

Wer auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen ist, darf wohn- und lebenspraktisch nicht noch mehr herabgesetzt werden. EmpfängerInnen von ALG II und Sozialhilfe brauchen Perspektiven statt weitere Verunsicherungen.

Zudem weisen wir darauf hin, dass sich die neu festgesetzten Mietobergrenzen für Familien ab fünf Personen – und damit ausgerechnet auf die sozial Schwächsten – nachteilig auswirken. Das darf nicht sein. Auch den zu begrüßenden Effekt, durch Erhöhung der Mietobergrenzen die Anzahl "angemessener“ Wohnungen zu erhöhen (von gut 63.000 auf 99.000), bewerten wir als potentiell zweischneidig.

Sollte sich die Neuregelung als Einfallstor für eine zweite Welle an Umzugsforderungen herausstellen, hat die Regierungskoalition sich um ihr Versprechen gedrückt und das in sie gesetzte Vertrauen verspielt.