Charité: Neue Spaltung?

Am Berliner Uniklinikum wird über die Einrichtung einer internen Leiharbeitsagentur nachgedacht. Gerade erst erkämpfte Gleichstellung der Beschäftigten würde so unterlaufen


 

von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in der jungen Welt, 3.9.07

Es ist nicht einmal ein Jahr her, daß ver.di an der Berliner Charité per Arbeitskampf einen Tarifvertrag durchsetzen konnte, der eine weitgehende Angleichung der zuvor sehr unterschiedlichen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen vorsieht. Doch schon droht an Europas größtem Uniklinikum erneut Ärger. Neben dem fortgesetzten Personalabbau sorgt insbesondere ein vom Management ins Spiel gebrachter Plan zur Gründung einer Arbeitnehmerüberlassungsgesellschaft (AÜG), einer betriebsinternen Leiharbeitsagentur, für Unruhe.

»Der Charité-Vorstand hat es in den zehn Monaten seit der Tarifeinigung nicht geschafft, einen redaktionell bearbeiteten, unterschriftsreifen Vertrag vorzulegen – und schon jetzt wird versucht, ihn wieder zu unterlaufen«, erklärte ver.di-Sekretär Werner Koop am Wochenende gegenüber junge Welt. So beabsichtige die Klinikleitung, neue Beschäftigte künftig nur noch in einer als GmbH geführten Tochter anzustellen, die als interne Leiharbeitsfirma agieren solle. Der Clou daran: Diese Beschäftigten würden nach dem DGB-Zeitarbeitstarifvertrag bezahlt – und damit rund 20 Prozent weniger verdienen als ihre direkt bei der Charité angestellten Kollegen. »Mit dem im vergangenen Jahr erzielten Tarifvertrag haben wir die alten Spaltungslinien zwischen Alt- und Neubeschäftigten sowie zwischen Ost und West endlich überwunden, und jetzt soll die Gleichstellung wieder beseitigt werden«, kritisierte Koop. Sollte dieses Vorhaben in die Praxis umgesetzt und hierdurch das Prinzip »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« unterlaufen werden, werde sich die Stimmung in der Belegschaft weiter verschlechtern, prophezeite der Gewerkschafter und betonte: »Das Instrument der Leiharbeit soll kurzfristige Engpässe in Unternehmen überbrücken helfen, aber nicht reguläre Arbeitsplätze dauerhaft ersetzen.« Charité-Sprecherin Kerstin Endele erklärte auf jW-Nachfrage, es gebe »keine konkreten Pläne« für die Gründung einer Leiharbeitsgesellschaft, sagte aber auch: »Ideen haben wir viele.«

Massiver Stellenabbau

Hintergrund der Initiative ist nach Koops Ansicht der fortgesetzte Stellenabbau, der in vielen Bereichen zu einem eklatanten Personalmangel geführt habe. »Man will diesen Mangel offenbar mit Hilfe einer AÜG kaschieren, anstatt die Notbremse zu ziehen und klar zu sagen: Die Charité hat in Gesundheitsfürsorge und Wissenschaft einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen – und dafür ist eine angemessene Finanzierung nötig«, so der Gewerkschaftssekretär. Das noch unter dem ehemaligen Aufsichtsratschef Thomas Flierl (Linkspartei.PDS) abgesegnete »Unternehmenskonzept 2010«, mit dem etwa 188 Millionen Euro pro Jahr eingespart werden sollen, sieht die Streichung von 3000 der ingesamt etwa 11000 Vollzeitstellen vor. 800 Arbeiter aus den Servicebereichen wurden bereits in die Charité Facility Management (CFM) ausgegliedert und teilprivatisiert. Insgesamt sind den Kürzungen laut ver.di bislang rund 1500 Arbeitsplätze zum Opfer gefallen.

»Mit einer Vielzahl von Projekten werden in den einzelnen Bereichen Rationalisierungspotentiale gesucht – letztlich geht es dabei immer um eins: um Personalabbau«, äußerte Carsten Becker, Vorsitzender der ver.di-Betriebsgruppe und Mitglied des Gesamtpersonalrats an dem Uniklinikum, im jW-Gespräch. So hätten beispielsweise Kürzungen bei den OP-Pflegern zu gravierenden Engpässen und einer Zunahme von Überstunden geführt. Für diese These spricht auch eine Antwort des Senats auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Zum Jahresende 2006 wurden demnach 11159 und zur Jahresmitte 2007 immer noch 10035 Überstunden in der OP-Pflege gezählt. Auch eine Vervielfachung der in dem Bereich eingesetzten Leasingkräfte wird darin dokumentiert. »Die Bugwelle von Überstunden, die die OP-Beschäftigten vor sich herschieben, kann nicht abgebaut werden, obwohl die Anzahl der Leasingkräfte rapide steigt«, kommentierte Heidi Kosche, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Grünen-Fraktion, das Resultat gegenüber jW.

Immer mehr Häuptlinge

»Während in der Pflege auf Teufel komm raus Stellen gestrichen werden, findet zugleich ein massiver Personalaufbau in den Leitungsstrukturen statt. Das Ergebnis: Es gibt immer mehr Häuptlinge, aber immer weniger Indianer, die die Arbeit machen«, so Becker. Die »Ausweitung der Bürokratie« führt der Personalrat u.a. auf die Bildung von 17 Zentren zurück, die alle eigenständig betriebswirtschaftlich agieren – und jeweils ihre eigene Führungsstruktur unterhalten. Auch der Landesrechnungshof hatte in seinem jüngsten Bericht im Juni dieses Jahres die »unangemessenen finanziellen Leistungen an Führungskräfte der Charité« gerügt. Die Klinikleitung habe mit 55 Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene sogenannte außertarifliche Verträge mit Jahresgehältern zumeist zwischen 90 000 und 140 000 Euro geschlossen und liege damit »erheblich über den Bezügen für Dienstkräfte in ähnlichen Positionen, deren Personalkosten aus dem Landeshaushalt finanziert werden«, so die Kontrolleure seinerzeit.

Auch in vielen anderen Fällen werde an dem Uniklinikum Geld verschwendet, kritisierte Gewerkschafter Koop. So hätten jahrelang 30 bis 50 Mitarbeiter am Standort Buch für den privaten Krankenhausbetreiber Helios gearbeitet, seien aber von der Charité bezahlt worden. »Wenn man das zusammenrechnet, kommt man allein hierdurch auf zehn bis 15 Millionen Euro, die in den Wind geschrieben wurden«, sagte Koop. Unternehmenssprecherin Endele erklärte hingegen, alles sei ordnungsgemäß abgelaufen und die Zusammenarbeit mit Helios in einem Kooperationsvertrag genau geregelt. Koop hierzu: »Dieser Vertrag bezieht sich nur auf Wissenschaft und Forschung. Nach meinen Informationen waren die betreffenden Mitarbeiter eindeutig für Helios in der Krankenversorgung tätig, bezahlt wurden sie aber von der Charité.« Fazit des ver.di-Sekretärs: »Hier weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut – und darunter leiden Forschung und Lehre ebenso wie Patienten und Beschäftigte.« Letztere wollen sich nun zur Wehr setzen. Mit diversen Aktionen wird ver.di in dieser Woche auf die Folgen des Personalabbaus hinweisen.

Ver.di-Aktionen:

Dienstag, 13 bis 16 Uhr, Campus Benjamin Franklin (CBF), Nordrampe (Klingsorstraße) und Westeingang (Hindenburgdamm)

Mittwoch, 8 bis 10 Uhr, Campus Mitte, Eingang Bettenhochhaus (Luisenstraße)

Donnerstag, 13 bis 15 Uhr, Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz

Freitag, 15 bis 20 Uhr, Sommerfest der ver.di-Betriebsgruppe, CBF, Haus 3, Raum 11 (ehemalige Krankenpflegeschule)