Widerstand gegen Absenkungstarifvertrag am Klinikum Kassel

Seit Jahren müssen sich die Kasseler Krankenhaus-Beschäftigten gegen Privatisierung, Lohnraub und Stellenabbau wehren – ver.di spielt dabei keine rühmliche Rolle.
Auf drei Mitgliederversammlungen hat ver.di am 20. November seinen Mitgliedern im Klinikum Kassel einen katastrophalen Absenkungstarifvertrag mit durchschnittlich 5,3 Prozent Lohnverzicht bis zum Jahr 2015 präsentiert und zur Abstimmung gestellt. 63 Prozent der ver.di-Mitglieder hätten für den Vertrag gestimmt, so verkündet ver.di. Verschwiegen wird dabei, dass sich nur 200 von 600 Mitgliedern an der Abstimmung beteiligt haben. 126 haben dafür gestimmt, das entspricht 20 Prozent der ver.di-Mitglieder.


 

von Leonie Blume, Kassel

Das Kasseler Großklinikum machte vor sechs Jahren bundesweit Schlagzeilen, weil die Betriebsräte und die ötv-Betriebsgruppe einen erfolgreichen Kampf gegen den Verkauf und für die Verteidigung des BAT geführt hatten.

Dass es nach wie vor eine hohe Kampfbereitschaft gibt, wurde bei einer Betriebsversammlung im Dezember 2005 deutlich, als sich von 300 Anwesenden 297 bereit erklärten, gegen Lohnverzicht und Personalabbau zu streiken. Nachdem die Beraterfirma Ernst und Young einen Personalüberhang von 150 bis 300 Stellen errechnete, ging die damaligen ver.di-Vertrauenskörperleitung um Steffi Nitschke und Eckhard Geitz mit einem Fragebogen in die Gegenoffensive. Das Ergebnis war eindeutig: Es gibt nicht zuviel, sondern zu wenig Personal auf den Stationen. 98 Prozent waren nicht bereit, auf Geld zu verzichten und 99 Prozent sprachen sich gegen weiteren Stellenabbau aus.

Neubaufinanzierung durch Lohnverzicht

Im Frühjahr verkündete die Geschäftsleitung einen 150 Millionen Euro teuren Neubau. Auf diesem Weg sollen 300 Stellen wegrationalisiert werden. Und oben drauf sollen die Beschäftigten 80 bis 100 Millionen der Investitionen durch Lohnverzicht finanzieren. Mit dem Tarifvertrag Zukunftssicherung, als Bestandteil des TVöD, wurde den Krankenhausträgern von ver.di das Instrument dafür geliefert.

ver.di wird zum Hindernis für Belegschaftsinteressen

Über die Zustimmung zu diesem Lohnverzicht bei gleichzeitigem Stellenabbau kam es zu einer harten innergewerkschaftlichen Auseinandersetzung. Bereits Anfang des Jahres hatten die ehemals durchaus kämpferischen Betriebsräte Peter Metz und Elisabeth König die Seiten gewechselt und Posten im Management angenommen. Die ehemalige ver.di-Sekretärin Birgit Dilchert wurde Arbeitsdirektorin (Jahresgehalt 140.000 Euro). Das bedeutete einen enormen Vertrauensverlust für ver.di und führte zu einer Niederlage der ver.di-Liste bei der Betriebsratswahl im April 2006. Dazu kam, dass die Funktionäre, welche die Seiten wechselten, ihre organisatorischen und persönlichen Verbindungen im Betrieb und im ver.di-Apparat nutzten, um gemeinsam mit der ver.di-Spitze in Hessen einen radikalen Kurswechsel in Richtung Co-Management durchzusetzen.

Stimmung gegen Lohnverzicht

Dass die Stimmung im Betrieb nicht für Lohnverzicht ist, zeigte sich daran, dass KollegInnen einer Station über 900 Unterschriften gegen Lohnverzicht sammelten. Dennoch wurde der Vertrauenskörper mit den Co-Managern „gleichgeschaltet“. Kritische Kolleginnen und Kollegen wurden systematisch isoliert und offen angegriffen. Steffi Nitschke blieb keine andere Wahl als von ihrer Freistellung im Betriebsrat und als Vertrauensleutesprecherin zurückzutreten. Eckhard Geitz erklärte seinen Rücktritt als stellvertretender Vertrauensleutesprecher.

Das Ergebnis…

…ist ein Tarifvertrag, mit dem die Beschäftigten den Neubau einer Klinik zahlen und gleichzeitig das Risiko der DRG-Fallpauschalen voll auf die Beschäftigten abgewälzt wird. ver.di hat alle Tricks angewandt, um die Auswirkungen des Tarifabschlusses zu beschönigen. An vielen Punkten wurden wider besseren Wissens falsche Behauptungen aufgestellt, um die KollegInnen zur Annahme des Absenkungstarifvertrags zu bringen.

Innerbetriebliche Opposition

SAV-Mitglieder haben zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen, die sich im Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di zusammengeschlossen haben, den Co-Managern im Betriebsrat und in den ver.di-Gliederungen die rote Karte gezeigt. Sie haben gegen Lohnverzicht und Stellenabbau und für einen betriebsübergreifenden Kampf aller Krankenhausbelegschaften argumentiert. Eine Zeitung und zwei Flugblätter wurden im Namen des Netzwerks als alternative Betriebszeitung herausgebracht. Die bundesweite Zeitung des Netzwerks Humanmedizin statt Profitmedizin wurde in der Belegschaft verteilt und stieß auf großes Interesse. Ende September wurden „alle interessierten Kollegen und Kollegen, egal ob sie Mitglied bei ver.di, dem Marburger Bund oder in keiner Gewerkschaft organisiert sind“, eingeladen. Anfang Dezember findet das nächste Treffen statt.

Ziel ist es, eine unabhängige Betriebsgruppe aufzubauen, um eine politische und personelle Alternative zu erreichen und die Spaltung in ärztliches und nichtmedizinisches Personal zu überwinden. Den Kampf für eine kämpferische und demokratische Gewerkschaft macht das Netzwerk nicht davon abhängig, ob Beschäftigte Gewerkschaftsmitglied sind oder nicht. Wichtig ist, dass sich KollegInnen zusammenfinden, die nicht tatenlos zusehen wollen, während Lohnraub und verschlechterte Arbeitsbedingungen unter Komplizenschaft von ver.di-Funktionären stattfindet. Dass ver.di im Klinikum Kassel ein solch schlechtes Abstimmungsergebnis für einen Absenkungstarifvertrag eingefahren hat, ist das erste positive sichtbare Resultat dieser Arbeit.

Flugblätter und weitere Materialien zu dem Konflikt finden sich auf der Website vom Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di.