Eintägiger Schulstreik in Berlin

Mittwoch, neun Uhr, fünf Tage vor den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin: Eine Gruppe von ca. 500 SchülerInnen zieht mit lautstark gerufenen Parolen wie „Bildung für alle und zwar umsonst!“ vom Prenzlauer Berg in Richtung Berlin Mitte. Dort treffen sich Schülerinnen und Schüler aus ganz Berlin zum eintägigen Schulstreik.
 

von Anne Engelhardt, Berlin

Trotz massivem Druck seitens vieler LehrerInnen und SchulleiterInnen, Tadel auszuteilen, Sechsen einzutragen oder SchülerInnen in den Klassen einzusperren, ist die Beteiligung groß und wächst während dem Marsch zum Roten Rathaus auf etwa tausend SchülerInnen an.

Tags zuvor wurde auf einigen Elternabenden das Gerücht gestreut, die NPD würde den Schulstreik organisieren. Die Eltern sollten sich überlegen, „wem ihre Kinder an diesem Tag nachlaufen werden“.

Doch die SchülerInnen fielen nicht auf diese billige Lüge rein. Sie machten an diesem Tag klar, wofür sie sich einsetzen: Neben antifaschistischen Parolen, die sich ganz klar gegen Neonazis wandten, äußerten sie mit „Streik in der Schule, Streik in der Fabrik! Das ist unsere Antwort auf eure Politik!“ ihren Protest gegen die neoliberale Politik in Berlin. Während der Demonstration drückten einige SchülerInnen ihre Wut über die etablierten Parteien durch Abreißen von Wahlplakaten aus. Dies veranlasste die Polizei dazu, insgesamt zwei Festnahmen durchzuführen.

Die hohe Motivation der SchülerInnen, trotz der vielseitigen Einschüchterungsversuche, zu streiken, ist nicht verwunderlich. Mit der Abschaffung der Lehrmittelfreiheit hat sich beim Lernen die Schere zwischen Arm und Reich innerhalb der Schulen deutlich verschärft. Bis zu 100 Euro sollen die Eltern jährlich für die Schulbücher ihrer Kinder aufbringen. Auch die Überlastung der Lehrer, der hohe Stundenausfall, der mittlerweile durch Aushilfstunden meist fachfremder LehrerInnen abgedeckt werden soll oder die massenhaften Schließungen und Zusammenlegungen von Schulen waren Thema des Streiks.

Mehr als 8.000 SchülerInnen aus Gymnasien, Berufschulen, Hauptschulen und einigen Gesamtschulen gingen an diesem Tag gemeinsam für ihr Recht auf freie Bildung und kostenlose Schulbücher auf die Straße. Auch einige StudentInnen unterstützten den Streik. Trotz der klaren Ausrichtung des Protests gegen Bildungs- und Sozialabbau, ist die Vernetzung mit anderen Betroffenen aber noch im Anfangsstadium.

Entstanden ist die Initiative „Bildungsblockaden einreißen“ vor etwa einem halben Jahr. Ihr gehören SchülerInnen und linke Gruppen an. Auch die Landesschülervertretung rief zum Streiktag auf. Mit der Idee, es „genauso zu machen wie in Frankreich“, wurden sämtliche Schulen in Berlin angeschrieben. Es meldeten sich SchülerInnen, die an ihren Schulen für den Streik warben.

Das hohe politische Bewußtsein drückten auch Transparente aus, auf denen zum Beispiel „Was ist einen Tag fehlen gegen unsere Zukunft“ zu lesen war.

Aus fast allen Stadtteilen Berlins kamen die DemoteilnehmerInnen und zogen bis 15 Uhr durch die Innenstadt Berlins. Es wurde deutlich, dass den Streikenden auch die Notwendigkeit der Vernetzung mit anderen von der neoliberalen Politik des rot-roten Senats betroffener Menschen klar ist. Die Solidaritätsdelegation des Charité-Klinikums, an dem am selben Tag drei Standorte bestreikt wurden, sprach auf der Abschlusskundgebung. Carsten Becker (Pver.di-Betriebsgruppenvorsitzender an der Charité) machte klar, was der vom Senat geplante Absenkungstarifvertrag für die Beschäftigten und PatientInnen bedeutet. Heiß begrüßt wurde von den SchülerInnen die Ansage, dass der Kampf weiter geführt wird.

Viele Erwachsene, die zufällig vom Schülerstreik gehört haben, beobachten schaulustig und solidarisch das Spektakel. „Wennse bei den Kurzen schon sparen, brauchen se uns gar nicht mehr anzukieken“, kommentierte einer kopfschüttelnd die Politik des rot-roten Senates kurz vor den Berliner Wahlen.