Rassismus hat viele Gesichter – und hat Ursachen

Zur Rolle von Politikern, Staatsapparat und Kapitaleignern
 

Am so genannten „Herrentag“ kam es wieder zu mehreren neonazistischen Gewalttaten, vor allem gegen MigrantInnen. Das ist nichts ungewöhnliches, das machen die selbsternannten „Herrenmenschen“ jedes Jahr am „Herrentag“, und auch an anderen Tagen. Überraschend war höchstens die gespielte „Überraschung“ von Teilen der Medien und der etablierten Politik. Gerade so, als ob gesetzliche Diskriminierung von MigrantInnen, verbale Zündeleien von Politikern, groteske „Deutschtests“ und eine in populistischer Absicht geschürte Islamophobie, die jeden muslimischgläubigen Menschen unter Generalverdacht stellt, potenzieller Terrorist zu sein, neonazistischen Schlägern nicht als Steilvorlage dienten.

von Jörg Fischer, Berlin

In einem aktuellen Artikel des Internetmagazins „mut-gegen-rechte-gewalt.de“ heißt es: „In einer gemeinsamen statistischen Erhebung ziehen die acht vom Bundesprogramm CIVITAS geförderten Projekte zur Beratung von Opfern rechtsextremer Straf- und Gewalttaten Bilanz für 2004: Bei 551 Angriffen kamen 822 Menschen zu Schaden.“Wohl gemerkt: Hier handelt es sich nur um die bekanntgewordenen Zahlen und nur um die aus den ostdeutschen Bundesländern und Berlin. Gegenüber 2004 haben rechte Gewalt- und Straftaten 2005 weiter zugenommen.

Die Stichwortgeber der Neonazis

Wenn die Politik ausnahmsweise neonazistische Gewalt zur Kenntnis nimmt, so reagiert sie oftmals mit verbaler Betroffenheit und mit Versuchen, die Täter zu rechtfertigen. Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit, so die stereotypen Worthülsen, würden die neonazistischen Täter, die stets als „Einzeltäter“ dargestellt werden, zu ihren Verbrechen treiben. Das ist etwas sehr vereinfacht, etwas sehr kurzgegriffen. Würde nämlich jeder, der erwerbslos ist, zum rassistischen Schläger oder Brandstifter, dann würden etwa in den Berliner Stadtteilen Neukölln, Wedding oder Moabit jeden Tag ganze Straßenzüge und Häuserblocks in Flammen stehen.

Neonazis und ihre Handlanger verüben ihre Gewalttaten gegen jene Menschen, die nicht in ihre Wahnvorstellung einer „deutschen Norm“ oder „deutschen Leitkultur“ passen: gegen Menschen mit einer anderen Hautfarbe, gegen Menschen mit einer anderen Religion, gegen Menschen mit einer anderen politischen Überzeugung, gegen Menschen mit Behinderung.

Und genau dafür bekommen sie auch die Stichworte aus der vielbeschworenen „Mitte“ geliefert. Erinnert sei nur an das Gerülpse von der „durchrassten Gesellschaft“ von Herrn Stoiber oder an die Selektionsfantasien von Günter Beckstein, der meinte, man müsse zwischen „Ausländern unterscheiden, die uns nützen und solchen, die uns nicht nützen“. Was hinter dem letzten Zitat steckt, ist die eiskalte, inhumane Verwertungslogik einer nur am Profit einiger weniger orientierten Gesellschaft.

Die Interessen der „Wirtschaft“

Diese profitorientierte Logik steckt auch hinter so manchen Reaktionen auf neonazistische Gewalttaten. Die Sorge gilt nämlich weniger den Menschen, die Opfer rechter Gewalt werden, sondern mehr dem befürchteten Imageschaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland – gerade auch vor der anstehenden Fußball-WM, wo „die Welt“, natürlich nur der verwertbare und zahlungskräftige Teil derselben, „zu Gast bei Freunden“ sein soll und wohl eher zu „Gast bei Froinden“ zu werden droht. Und damit der Imageschaden nicht zu groß wird, wird eben nicht nur heruntergespielt, sondern werden Initiativen wie Opferperspektive oder andere antirassistische Gruppen eben als „Nestbeschmutzer“ hingestellt, öffentlich beschimpft und notfalls eben vom so genannten Verfassungsschutz denunziert und in ihrer Arbeit behindert.

Daneben erfüllen die Neonazis natürlich auch eine für manche wichtige und nützliche Aufgabe: Sie reproduzieren die vorgegaukelten Sündenbockbilder, spitzen sie weiter zu und versuchen so ihren Beitrag zur gewünschten Spaltung beizutragen – NichtmigrantInnen gegen MigrantInnen,  Noch-Erwerbstätige gegen Erwerbslose und so weiter.

Aufgaben der Linken

Zu den Aufgaben der Linken gehört es nicht nur, jeder Form von Ausgrenzung und Neonazi-Aktivitäten energisch entgegenzutreten, sondern auch die Hintermänner und die gesellschaftlichen Ursachen von Nazis und Rassisten zu benennen und Alternativen aufzuzeigen.

Eine wichtige Antwort auf die Spaltungspropaganda der Nazis ist die praktische Solidarität. Egal in welcher Form, von wem und wo: Immer wenn versucht wird, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie oder Behindertenfeindlichkeit zu schüren, muss mit aller Konsequenz dagegen vorgegangen werden. Da gibt es keine Entschuldigung für Wegschauen oder Schweigen. Wenn MigrantInnen in einem Stadtteil von Faschisten bedroht oder angegriffen werden, dann gilt es, Demonstrationen und Kundgebungen gegen rechte Gewalt und gegen die rassistische Politik zu organisieren. Wenn Nazis marschieren wollen, dann muss dagegen mobilisiert werden mit dem Ziel, Nazi-Aufmärsche zu stoppen. Thematisiert werden muss  bei diesen Aktivitäten auch die Offensive der Großen Koalition und der Unternehmer. Merkel und Müntefering muss ein Strich durch die Rechnung gemacht werden, wenn sie ablenken wollen vom „Optimierungsgesetz“ zur Optimierung der Angriffe auf Erwerbslose, Mehrwertsteuererhöhung und Gesundheitsreform.

Die Bekämpfung rechter Gewalt darf nicht dazu missbraucht werden, immer schärfere Gesetze durchzudrücken, mit denen demokratische Rechte weiter ab- und der „starke Staat“ aufgebaut wird.

Rechtsextreme Parteien wie die NPD wettern scheinbar gegen Hartz IV, geben sich scheinbar radikal. Dabei stehen sie auf dem Boden der kapitalistischen Marktwirtschaft. Mit ihrer rechten Hetze wollen sie einen Keil treiben in die Arbeiterbewegung, die sich gemeinsam zur Wehr setzen muss gegen die Angriffe der Unternehmer – wie in Frankreich, wo ArbeiterInnen, Erwerbslose und Jugendliche verschiedener Hautfarben zusammen erfolgreich Gegenwehr leisteten.

Die neue Linke muss dafür argumentieren, das Übel an der Wurzel zu packen. Die Wurzel ist das Profitsystem selber. Der Zusammenhang von Rassismus und Kapitalinteressen muss aufgezeigt, eine antikapitalistische, sozialistische Alternative muss offensiv verbreitet werden.