Verstaatlichung der Bodenschätze – ein Anfang ist gemacht

Evo Morales erfüllt ein Wahlversprechen und verstaatlicht die Gas- und Ölreserven Boliviens
 

Am 1. Mai, pünktlich zum Kampftag der internationalen Arbeiterbewegung, machte der bolivianische Präsident Evo Morales den ArbeiterInnen und der verarmten Bauernschaft seines Landes ein besonderes Geschenk: Per Dekret ließ er die Rückverstaatlichung der nationalen Erdgas- und Erdölreserven verfügen, deren Förderung vor zehn Jahren privatisiert worden war. Diese Maßnahme bezeichnete er als „historisches Ende der Ausplünderung des Landes“.

von Anna Shadrova, Bremen

Jose Lopez, ein Einwohner von Santa Cruz, brachte seine Begeisterung zum Ausdruck: „Während der ersten hundert Tage seiner Herrschaft hat Evo nichts von den Dingen getan, die er angekündigt hatte. Aber das ist viel besser. Jetzt stehen wieder alle hinter ihm.“
Damit löste der seit dem 18. Dezember 2005 amtierende Evo Morales von der MAS (Bewegung für den Sozialismus) sein populärstes Wahlversprechen ein und gewann viel Zustimmung zurück, die nach der Wahl etwas abgeflaut war, da der neue Präsident ausschließlich zu Symbolik gegriffen hatte. Dazu gehörte beispielsweise die Halbierung seines Gehalts auf 1.850 US-Dollar oder seine öffentlichen Auftritte im bunten Pullover statt in Anzug und Krawatte.

Morales’ Verstaatlichung – ein Schaf im Wolfspelz?

Die nun vorgenommene „Verstaatlichung“ gleicht allerdings eher einem Deal mit den multinationalen Konzernen. Enteignet wurden sie nicht, sie bekamen lediglich eine Frist von 180 Tagen, um neue Verträge mit der Regierung abzuschließen. In diesen soll die Verteilung der Einnahmen neu geregelt werden, zu wesentlich schlechteren Bedingungen für die Konzerne: Die Steuern, die zuvor nur 18 Prozent betrugen, sollen in Zukunft bei 82 Prozent liegen. Gleichzeitig sollen die Ressourcen nur noch zu 18 Prozent unter ihrer Kontrolle bleiben. Multis, die sich nicht auf diese Bedingungen einlassen wollen, sollen nach Ablauf der Frist Bolivien verlassen.

Die größten ausländischen Firmen, die in Bolivien arbeiten, sind Repsol (Spanien), Total (Frankreich), BP (Britannien) und Petrobras, die dem brasilianischen Staat gehört. Die bolivianische Tochtergesellschaft von Petrobras ist für 24 Prozent der bolivianischen Steuereinnahmen verantwortlich und für 18 Prozent des Bundesinlandprodukts.

Enteignung erforderlich

Petrobras kündigte bereits an, „künftig keinen Cent mehr in Bolivien zu investieren“. Andere ausländische Investoren zeigen sich besorgt.

Dennoch handelt es sich hier nicht um eine komplette Verstaatlichung, wie sie eigentlich nötig wäre. Ein Großteil des erwirtschafteten Reichtums bleibt in den Händen der Kapitalisten. Sie sollen weiter mit den Öl- und Gasreserven Renditen erzielen können. An der Verwaltung und der Kontrolle über die Förderanlagen sollen sie ebenfalls weiter beteiligt sein. Nötig wäre hingegen die vollständige Enteignung der in Bolivien tätigen Unternehmen. Die Betriebe sollten auf die Beschäftigten übertragen werden, um eine demokratische Planung  nach den Bedürfnissen der Bevölkerung – und im Einklang mit der Umwelt – zu ermöglichen. Wichtige Kräfte im Gewerkschaftsdachverband COB fordern das im übrigen auch.

Quo vadis, Morales?

Dass Morales nun tatsächlich einen Schritt in Richtung Verstaatlichung macht, ist dem Druck der Bevölkerung zu verdanken. Die Frage der Energieversorgung ist in Bolivien ein entscheidendes Thema, an dem bereits mehrere Regierungen gescheitert sind, zuletzt Präsident Mesa.

Der Energiesektor ist die wichtigste Einnahmequelle Boliviens, und die Bevölkerung ist zurecht sauer darüber, dass die Multis kassieren, während sie verarmen. Diese aufgeladene Situation führte 2003 zu einem Aufstand, als große Teile der Gasreserven an die USA verkauft werden sollten. In der Folge wurde Präsident Gonzales Sánchez de Lozada gestürzt. Sein Nachfolger Mesa konnte sein Amt ebenfalls nicht bis zum Ende der Legislaturperiode ausüben.
Der Schritt des amtierenden Präsidenten Morales ist somit keine völlig freiwillige Sache. Die Massen haben mehr als einmal deutlich gemacht, dass sie bereit sind, aufs Ganze zu gehen und sich nicht unterkriegen lassen.

Hin zum Sozialismus?

Es ist durchaus denkbar, dass Morales weiter nach links gedrückt wird und sich gezwungen sehen könnte, die Konzerne tatsächlich zu enteignen und seiner linken Rhetorik auch in anderer Hinsicht (wie etwa in der Frage des Mindestlohns) Taten folgen zu lassen. Das würde allerdings auf den erbitterten Widerstand der herrschenden Klasse stoßen. Mit der Unterstützung des US-Imperialismus würden sie alles daran setzen, ihre Macht zu behaupten. Darum ist es nötig, generell mit der Diktatur der Banken und Konzerne zu brechen. Auf allen Ebenen sollten ArbeiterInnen und Bauern mobilisiert und in die Diskussions- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Die Kampfbereitschaft ist enorm. Allein am 1. Mai demonstrierten Hunderttausende.

Dies ist allerdings nicht das, was Morales anstrebt. Er versucht nach wie vor, zu lavieren, gute Kontakte zu den USA aufrecht zu halten und die Multis nicht völlig zu verschrecken. Aber bereits kurz vor der Wahl warnte der Vorsitzende des Bauernverbands: „Wenn die neue Regierung nichts ändert, muss sie ebenfalls gehen – und das gilt auch für Evo"