Sozialistische Planung statt Profitlogik

Der Treibhauseffekt heizt die Erde auf. Wirbelstürme werden heftiger. Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, wirksamen Klimaschutz zu betreiben. Und New Orleans zeigt: Er kann auch nicht mit den Katastrophen umgehen, die er auf diese Weise hervorruft.


 
Schwere Wirbelstürme beherrschten in den letzten Monaten die Schlagzeilen wie kaum jemals zuvor. Katrina überflutete nicht nur New Orleans, sondern machte auch Städte wie Biloxi in Mississippi nahezu dem Erdboden gleich. Keine zwei Monate später verschonte Hurrikan Rita die Millionenstadt Houston nur knapp. Hurrikan Stan fegte Anfang Oktober über Mittelamerika hinweg und tötete in Guatemala, El Salvador und dem südlichen Mexiko offiziell 1.150, wahrscheinlich aber weit mehr Menschen. Fast gleichzeitig tobte der Taifun Damrey über Südchina, den Philippinen und Vietnam.
Die Hurrikan-Saison 2005 hat neue Rekorde gesetzt. In den Top Ten der stärksten jemals beobachteten Atlantikstürme tummeln sich mit Wilma, Rita und Katrina gleich drei Stürme dieser Saison und einer, Ivan, aus dem Jahr 2004.

Treibhauseffekt und Hurrikane

Dass die Erde sich durch den Ausstoß von Treibhausgasen erwärmt, wird heute von ernstzunehmenden Wissenschaftlern nicht mehr bestritten. Im Laufe des letzten Jahrhunderts hat sich die Temperatur bereits um 0,6 Grad erhöht. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts rechnet man mit einem weiteren Temperaturanstieg von 1,4 bis 5,8 Grad Celsius. Zum Vergleich: In der letzten Eiszeit lagen die weltweiten Temperaturen nur um vier Grad unter denen der Neuzeit. Eine Erwämung würde also große Auswirkungen auf das Klima haben. Katrina, Rita und Wilma waren möglicherweise Vorboten dieser Veränderungen.
Damit ein Hurrikan über dem Meer entstehen kann, braucht er eine Wassertemperatur von etwa 27 Grad. Es gibt heute nur wenige Regionen, in denen der Ozean so warm ist. Je wärmer die Erde wird, desto größer werden diese Entstehungszonen, desto länger bestehen sie und desto mehr Energie können sie einem Sturm zur Verfügung stellen. Wir müssen also damit rechnen, dass der Treibhauseffekt langfristig stärkere und möglicherweise auch häufigere Stürme auslösen wird. Es gibt zwar einen natürlichen Zyklus, der regelmäßig alle 30 bis 40 Jahre für überdurchschnittlich viele Stürme sorgt und in dessen Hochphase wir uns gerade befinden. Aber selbst im Vergleich mit den letzten drei dieser Hochphasen stieg die Anzahl der Stürme um ein Drittel.
Eine weltweite Erwärmung lässt außerdem große Mengen Eis an den Polkappen schmelzen. Der Meeresspiegel kann dadurch innerhalb des nächsten Jahrhunderts um bis zu einen Meter steigen. Viele Städte an flachen Küsten werden dann ohnehin ständig mit Überflutungen zu kämpfen haben, und selbst schwache Stürme werden sich viel schlimmer auswirken als heute.
Bei diesen Aussichten ist Klimaschutz wichtiger denn je. Der Ausstoß an Treibhausgasen muss deutlich reduziert werden, um die Erwärmung zu stoppen. Seit Beginn der Industrialisierung stieg die Konzentration des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre um 25 Prozent, ein Anstieg, der hauptsächlich durch das Verfeuern von Holz, Kohle und Öl bedingt ist. Aber selbst bei Einhaltung des Kyoto-Protokolls würde sich die Erwämung im besten Fall um 0,3 Grad abzuschwächen – nicht annähernd genug.

New Orleans: Nur Fehler oder bewusste Fahrlässigkeit?

Die Hurrikane von 2005 waren nicht nur außergewöhnlich stark, sie richteten auch extreme Verwüstungen an. Der Sachschaden, den Katrina und die nachfolgende Überflutung angerichtet haben, dürfte bei etwa 200 Milliarden Dollar liegen. Im Chaos von New Orleans kamen über tausend Menschen ums Leben. Die Ärmsten, darunter vor allem AfroamerikanerInnen, waren am schlimmsten betroffen. Betroffen sind zum Beispiel auch die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in der Stadt – dadurch dass einen Monat nach Katrina angekündigt wurde, 30 Prozent der Stellen im öffentlichen Dienst zu streichen.
In New Orleans haben alle Maßnahmen versagt, vom vorbeugenden Hochwasserschutz über die Evakuierung bis hin zur Hilfe nach dem Sturm. US-Präsident George Bush persönlich sah sich gezwungen, die Verantwortung für „Fehler“ zu übernehmen und diagnostizierte „ernsthafte Probleme bei der Reaktionsfähigkeit auf allen Ebenen“. Michael Brown, Chef des US-Katastrophenschutzes FEMA, verlor seinen Job. So peinlich das für Bush und Brown persönlich ist, es ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Katrina offenbarte keine kleinen Fehler, sondern eine grundfalsche Herangehensweise. In den Vorjahren waren die Gelder für den Hochwasserschutz in New Orleans massiv gekürzt worden. Programme zur Hurrikan-Vorsorge, zum Beispiel durch den Bau erhöhter Häuser gegen Überflutungen, waren ersatzlos gestrichen worden. Die FEMA wurde von der Bush-Regierung in das neue Heimatschutz-Ministerium gezwängt und mit loyalen, aber unfähigen Chefs ausgestattet. Teile des Katastrophenschutzes wurden privatisiert, Gelder wurden in den „Kampf gegen den Terror“ umgeleitet.

„Ein Unglück, das darauf wartet, zu geschehen“

Die Gefahr für New Orleans ist seit langem bekannt und wird durch menschliche Eingriffe in die Natur ständig verschärft. Das Delta des Mississippi ist ein riesiges, flaches Gebiet, das durch den Fluss selbst geschaffen wurde. Der Mississippi führt Sedimente mit sich, die sich im Delta ablagern und neues Land entstehen lassen. Doch durch Begradigungen und Eindeichungen hat sich der Flusslauf geändert, und heute wird der neue Boden viel weiter hinaus in den Golf von Mexiko gespült und im tiefen Wasser abgeladen. Dazu kommt, dass weite Gegenden, die früher Marschland waren, trockengelegt wurden, um Platz für die Vorstädte von New Orleans und für Industrie zu schaffen. Dadurch trocknete der schlammige Boden aus, verhärtete sich und sackte ab. Beide Faktoren führen dazu, dass das Delta jährlich um 60 bis 80 Quadratkilometer schrumpft. Sümpfe und Mangrovenwälder, die Sturmfluten brechen und Wasser aufsaugen können, verschwinden im Meer. „New Orleans ist ein Unglück, das darauf wartet, zu geschehen“, schrieb das Journal Scientific American schon im Jahr 2001. Da war New Orleans gerade noch einmal haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Im September 1998 änderte Hurrikan Georges in letzter Minute seinen Kurs, verfehlte die Stadt und blies seine eigene Flutwelle auseinander.
Das Delta ist das beste Beispiel dafür, welche Schäden rücksichtslose Bautätigkeit, die nur auf kurzfristigen Profit ausgerichtet ist, anrichten kann. Was man tun müsste, ist längst bekannt. Nach Hurrikan Georges wurden Pläne aufgestellt, das Delta zu renaturieren und damit zu retten. Doch das wäre teuer – das Projekt mit dem Namen „Coast 2050“ würde 14 Milliarden Dollar kosten. Nur kleine Teile wurden bisher umgesetzt.
Eigentlich war auch Katrina noch nicht der schlimmste mögliche Fall, ein direkter Treffer auf die Stadt New Orleans. Das Auge des Sturms mit den stärksten Winden zog hundert Kilometer weiter östlich über die Stadt Biloxi hinweg. Das Wasser kam nicht wie befürchtet in einer monströsen Flutwelle, die Zehntausende sofort getötet hätte. Es lief langsam in die Stadt, als die aufgeweichten Dämme nachgaben – zu einem Zeitpunkt, an dem der Sturm bereits weitergezogen war. Dass es trotzdem zur Katastrophe kam, liegt darin, dass seit Jahren systematisch am Hochwasserschutz gespart wurde. Allein bei den Deichen am Lake Pontchartrain, dort, wo der Deich schließlich brach, wurden die Gelder von 14 auf 5,7 Millionen Dollar zusammengestrichen. 2004 wurden dort die Arbeiten wegen Geldmangel komplett eingestellt.

Mordsgeschäfte

Im Kapitalismus zählt nichts als Profit. Man stelle sich vor, der Aufsichtsrat eines in New Orleans ansässigen Konzerns hätte eines Tages eine moralische Erleuchtung gehabt und beschlossen, große Teile seines Gewinns für den Hochwasserschutz zu spenden. Das hätte dem Konzern geschadet und ihn im Konkurrenzkampf möglicherweise zugrunde gerichtet.
Was für lokalen Hochwasserschutz gilt, das gilt auch auf globaler Ebene für den Klimaschutz. Besonders für die US-Wirtschaft wäre das Kyoto-Abkommen ein Wettbewerbsnachteil. In Westeuropa stagniert der CO2-Ausstoß. China, neben den USA das Land mit dem am schnellsten ansteigenden CO2-Ausstoß, ist von der vorgeschriebenen Reduktion ausgenommen. Die US-Industrie müsste also die meisten und teuersten Umweltschutzmaßnahmen durchführen. Die Kosten würden weniger als die Hälfte dessen betragen, was die USA bereits in den Irak-Krieg gepumpt haben. Aber diesen Wettbewerbsnachteil sind die USA nicht bereit hinzunehmen und stellen sich gegen das Abkommen. Noch einmal – es geht hier lediglich um ein Programm, das die Erderwärmung im besten Fall minimal abbremsen wird.
Die Kapitalisten gehen mit ihrer Haltung persönlich kaum ein Risiko ein. Der größte Schaden bleibt an öffentlichen, steuerfinanzierten Kassen hängen und damit an der arbeitenden Bevölkerung. Zwar haben die Hurrikane im Golf von Mexiko die Ölförderung ausgebremst, gaben den Mineralölkonzernen aber gleichzeitig die Gelegenheit zu drastischen Preiserhöhungen. In Deutschland zeigten die Marktgesetze ihr wahres Gesicht in etwas kleinerem Rahmen beim Oderhochwasser 2002, als die Preise von Sandsäcken in den Baumärkten der Region von 20 Cent auf einen Euro hochgetrieben wurden. Und wenn das Wasser schließlich abfließt, ist der Wiederaufbau der verwüsteten Gebiete meist ein Milliardengeschäft.

Ohne Plan in die Katastrophe

In einer Wirtschaft, die nach der Profitlogik funktioniert, kann es keine „Inseln der Vernunft“ geben. In einzelnen Ländern kann es in wirtschaftlichen Aufschwungphasen sein, dass mehr Geld für den Katastrophenschutz übrigbleibt – meistens, wenn die Katastrophe bereits eingetreten ist und der Druck steigt, etwas zu unternehmen. Auf diese Weise wurden nach der Sturmflut von 1953 die großen Deiche in den Niederlanden gebaut. Heute, in einer Zeit von Stagnation und Krise der kapitalistischen Wirtschaft, sind solche Projekte selbst in Europa kaum noch denkbar.
Die einzige Alternative besteht darin, mit der Profitlogik des Kapitalismus grundsätzlich zu brechen. In einer sozialistischen, demokratisch geplanten Wirtschaft könnten Entscheidungen zur Langzeitvorsorge getroffen werden. Das betrifft den direkten Hochwasserschutz durch Deiche und Pumpen, Stadtentwicklung und Landschaftsbau zum Beispiel an Flussläufen, aber vor allem auch einen grundlegenden Strukturwandel weg von fossilen Brennstoffen. Entwicklung und Nutzung von regenerativen Energien werden heute seit Jahrzehnten verschleppt. Der Wechsel zu solchen sauberen Energiequellen und Förderung von Energiesparprogrammen wären langfristige Projekte, die im kapitalistischen Chaos keine Chance haben.
Vor allem aber könnte eine sozialistische Gesellschaft endlich die Armut wirksam bekämpfen. Für den Schutz vor Naturkatastrophen ist das unverzichtbar. Denn je ärmer die Menschen heute sind, desto schlimmer werden sie von Katastrophen getroffen. In New Orleans lebt mehr als ein Viertel der Bevölkerung in Armut. Der tödlichste Sturm des Jahres 2005 aber war gar nicht Katrina, sondern ein Hurrikan, der eigentlich keiner war. Als Stan über Mittelamerika tobte, war er die meiste Zeit nur ein starker Tropensturm. Er überschritt nur kurz die Schwelle zu einem Hurrikan der niedrigsten Stufe Eins, und seine Windgeschwindigkeit war nie höher als 130 Stundenkilometer – Rita und Katrina waren doppelt so stark. Trotzdem starben allein in Guatemala über 1.000 und vielleicht sogar 2.000 Menschen in verarmten Bergdörfern, die durch Erdrutsche zerstört wurden.
Der Kapitalismus ist ein wahnsinniges System. Wissenschaft und Technik wurden enorm weiterentwickelt, die Arbeitsproduktivität extrem gesteigert, heute wird (von der Arbeiterklasse) weltweit das 17 fache dessen produziert, was vor hundert Jahren erwirtschaftet wurde. Ungeheurer Reichtum – der ungeheure Armut schafft. Während im letzten Jahr eine Billion Dollar für Rüstung ausgegeben wurde, fehlt 1,2 Milliarden Menschen der Zugang zu sauberen Trinkwasser und sind 841 Millionen unterernährt (so der Economist vom 13. September 2003). Die Natur lässt uns nicht mehr unbegrenzt Zeit, dieses chaotische, krisenhafte und gewalttätige System endlich abzuschaffen.

von Stefan Hammelstein, Köln