Der große Bekannte

Nach der Landtagswahl Nordrhein-Westfalen werden die Karten um eine Wahlalternative neu gemischt – ist Lafontaine der Joker?
 
Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (NRW) am 22. Mai wird nochmals bestätigen: Rot-Grün hat abgewirtschaftet. Eine Alternative zum Einheitsbrei der etablierten Parteien ist dringend nötig. Die WASG (Wahlalternative – Arbeit und soziale Gerechtigkeit) beginnt, in diese Lücke vorzudringen – ist aber noch relativ unbekannt in größeren Schichten von Beschäftigten, Erwerbslosen, Jugendlichen und RentnerInnen.
Die Debatte um den Befreiungsschlag der Linken – der sie am besten mit fünf Prozent in den Bundestag katapultieren soll – ist eröffnet: Hilft eine Zusammenarbeit von WASG und PDS? Aber vor allem: Was macht Oskar Lafontaine? Denn seine Bekanntheit und Autorität kann aus einer kleinen und unbekannten WASG recht schnell einen bundesweit bekannten Anziehungspol schaffen. Er steht aber auch für eine politische Begrenzung der Politik auf Krisenmanagement im Kapitalismus.

Kommt Lafontaine …

Oskar Lafontaines Einsatz für die WASG kann enorme Auswirkungen zeigen: Er ist bundesweit wie kein Zweiter als prominenter „Linker“ bekannt. Er wird als der Widersacher Schröders gesehen. Trotz des damaligen Gefühls, ‘Oskar hat uns im Stich gelassen‘: Sein Abgang aus dem Finanzministerium stattet ihn heute mit dem Prädikat aus, er besitze gegenüber der ganzen Politikerriege zumindest Rückgrat und lasse nicht alles mit sich machen.
Lafontaine ist Teil des Establishment – und macht den Eindruck, doch irgendwie grundlegend dagegen zu sein. Als er am 30. August 04 als Redner bei der Leipziger Montagsdemo die Gegensätze von oben und unten benannte, als er die Ungerechtigkeiten von Hartz und Co beschrieb, so war das inhaltlich nichts besonderes. Die Zustimmung zu seiner Rede der Zehntausenden auf dem Platz erntete er dadurch, dass endlich mal einer mit Rang und Namen die Tatsachen aussprach.
Das versetzt Lafontaine wie keinen anderen in Deutschland in die Lage, mit seinem Übertritt mehr als die Häuflein Halb-Linker aus der SPD anzusprechen. Er kann einen Bezugspunkt für all diejenigen schaffen, die 1998 mit der Hoffnung auf einen Politikwechsel Kohl abgewählt haben.

Aber kommt er denn?

Lafontaine bereitet seinen Abgang aus der SPD intensiv vor. Zusammen mit WASGlern und SPD-„Linken“ betreibt er die „Saarbrücker Erklärung“ gegen Hartz. Er kündigt an, die SPD zu verlassen, sollte der Kurs der Agenda 2010 nach der Wahl in NRW nicht grundlegend geändert werden – was ungefähr so wahrscheinlich ist, wie Münteferings Anti-Kapitalismus ehrlich gemeint war.
Die meisten (Spiegel-Umfrage: 57 Prozent) hielten die Kapitalismus-Schelte des SPD-Vorsitzenden Müntefering ohnehin für reines Wahlkampftheater. Dass diese Kritik des Kapitals, das wie „Heuschreckenschwärme“ über ganze Landstriche herfalle, aber in den Debatten geblieben ist, zeigt erneut, wie tief die Entfremdung von diesem System geht. Doch einige markige Sprüche werden nicht ausreichen, diese Stimmung aufzugreifen und die SPD wiederzubeleben – und einem Kurswechsel erteilte Müntefering sofort eine Absage. Agenda 2010 und Co, die Umverteilung von unten nach oben – dem bleibt die SPD treu.
Und so gilt: „Wenn die SPD auf Schröder-Kurs bleibt und die ‘Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit‘ bei den nächsten Wahlen antritt, dann werden sich Sozialdemokraten und Gewerkschaftsmitglieder entscheiden müssen, ob sie ihrer Organisation oder ihrer Überzeugung treu bleiben wollen“, so Lafontaine in seinem neuen Buch („Politik für alle“, S. 166 f.).
Offen ist, ob und wann Lafontaine der WASG beitritt, ob er nur ihr Wahlfrontmann sein will oder ob er auf die Bildung einer neuen Linkspartei – eventuell mit Teilen der PDS – drängen wird. Aber das Wahrscheinlichste ist, dass es in welcher Form auch immer vor den nächsten Bundestagswahlen eine Linkspartei mit ihm an der Spitze gibt.

… dann ändert sich die politische Landschaft

Lafontaines Zuwendung wird widersprüchlich auf die WASG wirken, aber einen Wendepunkt markieren.
Eine enorme Dynamik wird damit einsetzen und Mitgliedszahlen und Wahlunterstützung nach oben schnellen lassen. Geschieht dies jetzt – zu einem Zeitpunkt relativer Ebbe in den sozialen und betrieblichen Kämpfen – so kann das zunächst vor allem die gemäßigteren Kräfte in der WASG stärken. Die keynesianische Führung würde schlagartig viel fester im Stattel sitzen. Die Möglichkeiten, mit der Autorität Lafontaines, nicht auf Kämpfe zu orientieren sondern auf Parlamente, würde für die Kräfte um Klaus Ernst leichter.
Zunehmende Auseinandersetzungen, beim Widerstand gegen Entlassungen und Arbeitplatzvernichtung wie in Bochum bei Opel oder einer Bewegung gegen allgemeine Angriffe wie bei den Montagsdemos, werden mehr Menschen aktivieren. Sie können, durch Lafontaine verstärkt, auf die WASG schauen, von ihr Antworten erwarten und in ihr aktiv werden.
Das fordert die gemäßigteren Kräfte in der WASG auf der ideologischen Ebene noch nicht automatisch heraus: Die Flaute in sozialen und betrieblichen Kämpfen der letzten Jahre führte zu Unerfahrenheit in den Auseinandersetzungen mit den Banken, Konzernen und ihren Regierungen. Die Schwäche sozialistischer Organisationen und Parteien nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten in Osteuropa 89/90 und der Anpassungskurs der Gewerkschaftsführungen, die Privatisierungen und Lohnraub auch ideologisch verteidigen, führen zu viel Unklarheit. Das Bewusstsein über eine Alternative zu Kaptialismus und Profitlogik ist zum Teil verloren gegangen.
Doch entscheidend ist dann, dass diese sich neu engagierenden Menschen ihre Interessen verteidigen wollen. In den konkreten Auseinandersetzungen und Kämpfen kann sich schnell eine Dynamik und Bewusstseinsentwicklung entfalten. Lafontaine und Co werden sicherlich zu einiger Verbalradikalität getrieben werden. Doch die realen Erfahrungen werden AktivistInnen weiter bringen.
Ausgangspunkt der Entwicklung ist trotzdem nicht, dass heute keynesianische Ideen in der Masse der Bevölkerung verbreitet sind. Es herrscht vor allem Wut, Zorn – gepaart mit Ratlosigkeit, Alternativlosigkeit und Verwirrung. Die Ideen der keynesianischen Anhänger, von Lafontaine bis Troost (Sprecher der Memorandum-Gruppe und Mitglied im geschäftsführenden WASG-Bundesvorstand), klingen einfacher und schneller zu erreichen. Für die Masse der Arbeiterklasse wird der Weg zu anti-kapitalistischen Schlussfolgerungen über den Weg verallgemeinerter Klassenkämpfe gehen – wo diese Ideen getestet werden. Lafontaine musste bereits als Finanzminister seine Ratlosigkeit durch seine Kapitualation belegen. Es kommt darauf an, bei diesen Erfahrungen eine sozialistische Alternative einzubringen.

Verlorener Schwung in der WASG

Hintergrund der Debatte ist aber auch der aktuelle Zustand der WASG. Die Wahlalternative tritt flächendeckend zu den Landtagswahlen in NRW an. Sie ist allerdings noch relativ unbekannt. Sie hat es bislang versäumt, grundlegende, klare Alternativen zur Politik für Banken und Konzerne in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Der Schwung, den die Anti-Hartz-Bewegung auch in die Wahlalternative brachte, ging zurück. Der niedrige Stand sozialer Auseinandersetzungen führt zu Leblosigkeit im Aufbau der neuen Formation. Teile des Bundesvorstands der WASG stecken viel Energie seit Jahresanfang in Ausgrenzungen von linken KritikerInnen, vor allem der SAV.
Die Debatten um das Programm offenbaren in NRW ihre praktische Bedeutung: Die SAV hat immer dafür argumentiert, einen anti-kapitalistischen Bezug, eine sozialistische Ausrichtung ins Programm aufzunehmen. Nicht, weil „Sozialismus“ allein die Wähler-Stimmen zieht. (Meinungsumfragen zeigen aber auch, dass „Sozialismus“ an sich nicht abschreckend wirkt, sondern eine Mehrheit zustimmt, dass „Sozialismus eine gute Idee“ sei, die schlecht in die Praxis umgesetzt wurde.)
Sondern weil es gerade in der Auseinandersetzung mit den KollegInnen im Betrieb und auf der Straße darum gehen muss, deutlich zu machen: Die WASG steht für einen radikal anderen Kurs.
Zum Beispiel muss die WASG deutlich machen: Wir stehen für den Kampf um jeden Arbeitsplatz und jeden Betrieb. Wenn die Interessen der Milliardäre zu Arbeitsplatzvernichtung, Verarmung und Verschwendung von enormen Produktionsmöglichkeiten führt, dann machen wir nicht halt bei den von ihnen diktierten Sachzwängen der Profitlogik. Uns geht es dann darum, die arbeitende Bevölkerung zu mobilisieren und den Kampf aufzunehmen zum Erhalt der Arbeitsplätze, zur Fortführung der Produktion gemäß den Bedürfnissen der Menschen und der Umwelt. Wenn sich der Kapitalismus Arbeitsplätze und die Sicherung menschlicher Bedürfnisse nicht leisten kann, dann können wir uns den Kapitalismus nicht leisten; dann setzen wir uns für die Überführung der Konzerne und Branchen mit Massenentlassungen in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung ein.
Die Selbstbegrenzung auf ein besseres Management im Rahmen des Kapitalismus scheint sich direkt in einer Selbstbegrenzung zum Beispiel bei den Aussagen auf den Plakaten niedergeschlagen zu haben! Wie alle Parteien wird gegen den Skandal der fünf Millionen (offiziell) Arbeitslosen plakatiert – doch ohne jede Aussage der WASG, was dagegen zu tun ist. Stattdessen steckt Rot-Grün auf dem Plakat den Kopf in den Sand. Die Realität sieht anders aus: Rot-Grün greift gerade die Arbeitslosen an, sorgt für Arbeitszeitverlängerung = Arbeitsplatzvernichtung im öffentlichen Dienst und belohnt die Jobvernichter mit Unternehmenssteuersenkungen und Steuerreformen zu Gunsten der Reichen. Die WASG muss das endlich frontal auf- und angreifen und den Kampf um massive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich in den Mittelpunkt stellen.
Der Wahlkampf wurde aber auch bundesweit schlecht vorbereitet und in NRW selbst dauerte es lange, bis Flugblätter da waren. Trotzdem haben hunderte AktivistInnen der WASG die Unterschriften gesammelt, stehen auf der Straße und machen die WASG bekannt und argumentieren für eine Alternative zum neoliberalen Einheitsangebot der etablierten Parteien. Vor allem dort kommt die WASG zur Zeit weiter: Sie entwickelt vor Ort Kampagnefähigkeit, sie gewinnt neue AktivistInnen und Mitglieder.
Doch der ausschließliche Blick auf Parlamentssitze und nicht auf den Aufbau einer lebendigen Partei, als Kraft auf der Straße und in Betrieben sowie zur Unterstützung in Paralamenten, bereitet einigen führenden Personen Kopfzerbrechen. Schon wird spekuliert über mögliche Absprachen und Bündnisse, um rechnerisch die Fünf-Prozent-Hürde zu knacken – statt die Partei so voran zu bringen, dass sie den Kampf auf allen Ebenen erfolgreich aufnehmen kann.

„Gewerkschaftspartei“?

Als Hindernis in der Anwerbung von Leuten wie Ottmar Schreiner, Rudolf Dreßler (ehemaliger prominenter SPD-Sozialpolitiker) oder ihm selbst, macht Ex-IG-Metall-Chef Franz Steinkühler (taz, 15. April) die „Bodenübung“ der Selbstfindung der WASG aus: „Mein Gott, da sind doch alle möglichen Leute drin.“ Die taz weiter: „Damit meint Steinkühler die Sozialistische Alternative SAV und den ‘Linksruck‘, die bei der WASG mitmachen und nach Meinung der Gewerkschafter sowohl das Binnenklima als auch die Anwerbung von Prominenten ruinieren. WASG-Vorständler Joachim Bischoff gibt zu, dass Gewerkschafter es nicht gut leiden können, ständig ‘als Arbeiterverräter bezeichnet zu werden‘.“
Auf den Sozialismustagen der SAV Ende März argumentierte Joachim Bischoff noch etwas anders. Er griff die DiskussionsteilnehmerInnen der SAV dafür an, eine „Gewerkschaftspartei“ zu wollen. Wie passt die Kritik zusammen?
Mit Klaus Ernst, Thomas Händel (beide regionale IG-Metall-Bevollmächtigte), Ralf Krämer (ver.di-Hauptamtlicher der Bundesverwaltung) und anderen machten eine Anzahl von Gewerkschaftsfunktionären ihren Bruch mit der SPD öffentlich und riefen zum Aufbau einer Alternative auf. Das ist der Kern der Autorität der WASG und ihrer Fähigkeit, bundesweit Tausende zusammenzubringen. Das markiert einen Bruch auch mit den Spitzen der DGB-Gewerkschaften, die nach wie vor auf Rot-Grün orientieren.
Doch Ernst, Händel und Co sind nicht bereit, sich darüberhinaus mit den Gewerkschaftsspitzen anzulegen. Bei den Auseinandersetzungen zum Beispiel um Opel Bochum wollen sie sich lieber nicht positionieren: Allgemein wurde auch von ihnen Solidarität ausgedrückt. Doch konkret stellte sich die Frage: Unterstützt man die gegen den Willen der IG-Metall-Führung streikenden KollegInnen? Oder unterstützt man den BR-Vorsitzenden Einenkel (damals noch stellvertretender BR-Vorsitzender) in seinem Bemühen, den Arbeitsplatzabbau zu gestalten und den Streik zu beenden? Wen will man jetzt prominent in der WASG? Die Kämpfenden oder diejenigen, die bei der Abstimmung über das Streikende tricksten, um Ruhe zu bekommen?
Die SAV wehrt sich gegen eine „Gewerkschaftspartei“, im Sinne einer Unterordnung der WASG unter die Gewerkschaftsspitzen. Sie setzt sich aber dafür ein, eine politische Interessensvertretung für Beschäftigte, Erwerbslose und ihre Familien aufzubauen, die sich weder bei Angriffen auf die Gewerkschaften noch beim Kampf um Arbeitsplätze neutral verhalten kann.
Damit wird man sich mit Leuten, die Streikenden in den Rücken fallen, anlegen. Damit wird man Leute, die den Ausverkauf des Flächentarifvertrags mitorganisieren und als Erfolg feiern – wie beim Abschluss des TVöD durch die ver.di-Oberen – kritisieren. Aber damit kann man die Unzufriedenheit der Masse der ArbeitnehmerInnen aufgreifen und ihnen offensiv eine grundlegene Alternative anbieten.

Rot-grüne Krise

Klar ist: Auch in NRW wird Rot-Grün abgestraft für die Politik für Banken und Konzerne. Der Test für die Bundestagswahl wird nochmals deutlich machen, wie tief die Entfremdung von ArbeitnehmerInnen gegenüber der SPD geworden ist. Steigende Arbeitslosigkeit, Attacke gegen Arbeitslose und Arme („Hartz IV“), gegen Kranken und Gesunde („Gesundheitsreform“, Zehn-Euro-Eintritt beim Arzt, steigende Kosten für alle ArbeitnehmerInnen für Krankengeld und Zahnersatz), Kriegseinsätze in aller Welt („Verteidigung am Hindukusch“), Geschenke an Reiche (Senkung des Spitzensteuersatzes) und Unternehmer (Unternehmenssteuer-Senkungen) – diese Politik bezieht ihre Überlebensstrategie ausschließlich daraus, dass es keine Alternative (oder nur noch „größere Übel“) dazu gebe.
Der Niedergang macht sich auch in den Mitgliedszahlen der SPD bemerkbar, die erstmals seit 50 Jahren die 600.000 unterschritten haben (Spiegel online, 9. April).
Nach der Landtagswahl in NRW kann sich der Absturz von Rot-Grün allerdings nochmals beschleunigen. Die Unternehmer haben deutlich gemacht: Es darf aus ihrer Sicht keine „Reform“-Pause geben. Rücksichtnahmen auf die Bundestagswahl sind nicht vorgesehen in ihrer Agenda. Die nächsten Angriffe (Pflegeversicherung, neue Runde bei der Gesundheits- und Rentenpolitik, Mitbestimmungsrechte der Gewerkschaften, …) stehen an. Für sie wird sich die Frage stellen, ob eine geschwächte, rot-grüne Hängepartie noch ein Jahr lang ihre Wünsche erfüllen kann.
Wachsender Druck aus den Chefetagen, verbreitet durch die Medien, kann auch dazu führen, dass die Spannungen innerhalb von SPD und Grünen steigen, dass die Option des Ausstiegs aus dem gemeinsamen Abstieg für die Sicherung persönlicher Abgeordneten-Diäten als der bessere Weg erscheint.
Wenn einzelne sogenannte „linke“ Abgeordnete – zum Beispiel Ottmar Schreiner vom Arbeitnehmerflügel der SPD – die Schlussfolgerung ziehen und unter Lafontaines Einfluss die SPD in Richtung neuer Linkspartei verlassen, dann werden auch die parlamentarischen Rechenkünste ein Überleben von Rot-Grün in Frage stellen und Neuwahlen wahrscheinlich machen.

Wirtschaftliche Entwicklung und Klassenkampf

Die Wirtschaft stagniert. Angesichts der Krisensignale der Weltwirtschaft ist es jederzeit möglich, dass es zu einer schweren Weltwirtschaftskrise kommt. Wenn es nicht nur kriseln sollte, wenn es kracht, dann werden die Kapitalisten eine Offensive starten, die alle heutigen Angriffe in den Schatten stellen.
Das kann auch eine neue Runde von bitteren Abwehrkämpfen einläuten – verallgemeinert auf verallgemeinerte Angriffe hin, aber vor allem in einzelnen Betrieben, wie schon jetzt bei der Dr.-Heines-Klinik, der Eichbaum-Brauerei oder beim Autozulierfer Dräxlmaier. Auch eine Kombination von einzelnen, erbitterten Kämpfen und allgemeinem Schock und teilweise Lähmung durch die noch heftigere Keule der Arbeitslosigkeit bei Massenentlassungen ist möglich.
Die neue Regierungs- und Arbeitgeberoffensive wird auf jeden Fall die Wut unter Erwerbslosen und Beschäftigten auf die kapitalistische Politik und das Profitsystem noch erheblich steigern.
Die WASG – erst recht mit Lafontaine an der Spitze – könnte auch bei solchen Kämpfen und bei einer solchen Stimmung wie ein Katalysator wirken: Die Bewusstseinsentwicklung beschleunigen, Menschen aktivieren und die Konflikte zuspitzen – inklusive der Debatte in der WASG, um einen Ausweg aus der kapitalistischen Misere.

Bundesleitung der SAV, 2. Mai 2005

Die Stellungnahme als pdf-Datei zum Download

Lafontaine

Oskar Lafontaine, 61, wurde bundesweit bekannt durch seine scharfe Kritik an SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt bezüglich der atomaren Nachrüstung in Europa („Nato-Doppelbeschluss“) und der „zivilen Nutzung“ der Kernkraft. Seit damals gilt er als Linker.
Er positioniert sich, zum Beispiel mit der Saarbrücker Erklärung, gegen Hartz IV und Agenda 2010. Er trat dazu schon auf einer Leipziger Montagsdemo auf. Dieser Protest gegen die Schröder-SPD unterstützt seine Popularität.
Axel Troost vom geschäftsführenden Bundesvorstand der WASG: Lafontaine „besitzt eine reiche parlamentarische Erfahrung, von der wir profitieren könnten“ (Die Welt, 13. April). Worin besteht diese Erfahrung?
Er war Saarbrücker Oberbürgermeister, dann Ministerpräsident des Saarland, SPD-Vorsitzender und – bis zu seinem überraschenden Rücktritt – erster Finanzminister im Kabinett Schröder.
Er kassierte als Ministerpräsident zu unrecht Pensionsgelder als Ex-OB und musste diese Zurückzahlen. Seine Antwort auf Kritik war, dass er das restriktivste Pressegesetz aller Bundesländer einführte.
Als Ministerpräsident organisierte er zusammen mit den Gewerkschaftsspitzen den „sozialverträglichen“ Abbau Tausender Arbeitsplätze in der Stahlindustrie. Mehrere große Stahlwerke wurden dicht gemacht.
Er ging Ende der 80er Jahre in die Offensive, bei Arbeitszeitverkürzung auf einen Lohnausgleich zu verzichten. Er argumentierte für flexiblere Arbeitszeiten und längeren Maschinenlaufzeiten.
Im Wahlprogramm der SPD von 1998, das unter seiner Regie geschrieben wurde, wurde die Forderung nach einem staatlich geförderten Niedriglohnsektor aufgenommen, inklusive der Forderung nach Zwang zur Arbeitsaufnahme von SozialhilfeempfängerInnen und Erwerbslosen . Als Finanzminister schlug er vor, Arbeitslosenunterstützung nur noch an Bedürftige zu zahlen. (wsws.org, 12. August 04)
Er organisierte mit dem damaligen Parteivorsitzenden Björn Engholm die „Petersberger Wende“: Danach stimmte die SPD einer Einschränkung des Asylrechts zu und brachte die Beteiligung deutscher Soldaten an Uno-Militäreinsätzen auf den Weg. Über die Vorschläge des SPD-Innenminister Schily, Europa durch Flüchtlingslager in Nord-Afrika abzuschotten, schrieb er in der Bild-Zeitung: „Schily hat Recht“.

Die Wirtschaftspolitik Lafontaines

Seine wirtschaftpolitischen Vorschläge beziehen sich auf Keynes: Staatliche Intervention sollen dafür sorgen, dass mehr Nachfrage entsteht und der Kapitalismus funktioniert. Er stellte als Finanzminister dabei die Maastricht-Kriterien (Euro-Stabilitätspakt) jedoch genausowenig in Frage, wie die Haushalts- und Sparpolitik seiner (CDU-)Vorgänger, die er weiterführte.
Als Lafontaine zur Finanzierung staatlicher Eingriffe mit dem Gedanken spielte, die Banken und Konzerne – aber auch nur in engen Grenzen – höher zu besteuern (bei den Rücklagen der Energiekonzerne), brach „eine Revolution des Kapitals” (Handelsblatt) aus. Kapitalabzug und  Investitionsboykott stand im Raum, massiver Widerstand kam auf.
Schröder beeilte sich gegen Lafontaine den Druck der Bosse weiterzugeben: „Es wird einen Punkt geben, wo ich die Verantwortung für eine solche Politik nicht mehr übernehmen werde.“
Und Lafontaine? Er sprach davon, dass die SPD gedacht habe, sie sei an der Macht, dabei wäre sie nur an der Regierung. Am Tage nach Schröders Zurechtweisung kapitulierte er – und trat zurück.
Es ist durchaus möglich, auch trotz solcher Drohungen und Kampfansagen des Kapitals an die Profite der Banken und Konzerne heran zu kommen. Aber dazu muss die Frage der gesellschaftlichen Kontrolle über Produktion und Verteilung aufgeworfen werden: Wenn ein Konzern damit droht, Arbeitsplätze zu verlagern oder zu vernichten, dann hilft nur ein gemeinsamer, internationaler Kampf für den Erhalt und Ausbau der Produktion gemäß den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen. Die Entscheidung, was mit dem von Beschäftigten produzierten Reichtum, ihren Betrieben und so weiter geschieht, darf nicht von einer kleinen Minderheit der Aktionäre oder Eigentümer entschieden werden. Die Diktatur der Profite muss gebrochen werden.
Doch genau diesen Schritt will Lafontaine nicht gehen.

Schnuppermitgliedschaft bei der PDS?

„Die schrumpfende PDS will mit einer Mitgliedschaft auf Probe neue Mitstreiter gewinnen. Die Schnuppermitglieder dürften die Partei ein Jahr lang kennen lernen, ohne Beiträge zu zahlen, kündigte Bundesgeschäftsführer Rolf Kutzmutz am Samstag bei einem bundesweiten Forum zur Parteireform in Magdeburg [an]. Mit diesem Konzept solle der massive Mitgliederschwund gestoppt werden. Die PDS hat nach eigenen Angaben deutschlandweit 61 600 Mitglieder. Anfang der 1990er Jahre waren es mehr als 150 000. Zwei Drittel der Mitglieder sind im Rentenalter.“  (Frankfurter Rundschau, 4. April 05)
Als ähnliches Angebot aus ähnlicher Verzweiflung könnte man Andre Briés Vorschlag gegenüber der WASG verstehen: Er argumentiert  („Sozialismus“, 4/2005) für „eine wirklich offene Liste der PDS zur gemeinsamen Plattform der demokratischen Linken bei der Bundestagswahl 2006“.
Joachim Bischoff, Bundesvorstand der WASG und ehemaliges Mitglied im PDS-Vorstand (zuständig für Westausdehnung): „Von der Wahltaktik her macht es Sinn“ gemeinsam – WASG und PDS – anzutreten. Inhaltliche Diskussionen seien schon nötig, denn die PDS mache in ihren Regierungsbeteiligungen neoliberale Politik. Doch: „Niemand wird bestreiten, dass es für zwei Linksparteien keine realistische Chance gibt.“ (taz, 1. April).
Dagegen hält Klaus Ernst (jW, 1. April): „Wenn wir auf einer PDS-Liste anträten, würden wir im Westen auch als der westliche Arm der PDS wahrgenommen. Dann bräuchten wir gar nicht erst zu kandidieren, dann würden wir keine Stimmen kriegen. Briés Vorschlag ist Unfug.“
Die eine Seite ist das restriktive Wahlgesetz zur Bundestagswahl, das Listenverbindungen und Absprachen vereitelt: Antreten können nur Parteien und jede Partei muss für sich, bundesweit fünf Prozent (oder drei Direktmandate) erzielen. Von daher bleibt nur die Kandidatur auf der Liste einer Partei (Brié schlägt seine vor) – oder eine gemeinsame Neugründung.
Doch die andere Seite ist die des aktiven Aufbaus einer neuen Partei für Beschäftigte, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen.
Dafür bietet die PDS keinen Ansatz. Einerseits bezeichnet sie nach wie vor die Diktatur einer abgehobenen Bürokratie in der DDR oder der Sowjetunion als Sozialismus – das führt nicht nur im Westen zu enormer Distanz bei ArbeiterInnen.
Andererseits – und das ist entscheidend – trat sie nie als grundlegende Alternative auf. Sie gestaltet in den Landesregierungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin die neoliberale Kürzungpolitik mit, sprich: sorgt für die Umsetzung von Hartz IV, für Ein-Euro-Jobs, trägt ihren Teil zur Zerstörung des Flächentarifvertrag im öffentlichen Dienst bei. Sie sichert die Profite bei den Abzockern der Berliner Bankgesellschaft und betreibt – aktuell – die Einschränkung gewerkschaftlicher Rechte bei BVG (Nahverkehr), BSR (Stadtreinigung) und Wasserbetrieben in Berlin („Senat will die Macht der Gewerkschaften einschränken“, Berliner Morgenpost am 1. April). Sie setzt der Privatisierungspolitik der Berliner Krankenhäuser (Vivantes) oder der BVG nichts entgegen, sondern bereitet sie durch Kürzungen und Kahlschlag mit vor.
So verhinderte sie, trotz der Hoffnungen einzelner Gewerkschafter Anfang der 1990er, eine Unterstützung in der Arbeiterbewegung im Westen zu gewinnen oder im Osten neue AktivistInnen anzusprechen und zu begeistern. Daher dümpelt sie als ostdeutsche Regionalpartei vor sich hin.
Eine Kandidatur der WASG auf der Liste der PDS würde den Ansatz zum Aufbau einer kämpferischen Alternative enorm zurück werfen.
Aber Briés Vorschlag kann auch anders interpretiert werden. Es könnte der erste Schritt sein, die PDS darauf vorzubereiten, für eine neue Linkspartei einzutreten. Vor allem wenn Lafontaine zur WASG stößt und Zehntausende einbezieht, sie zum Bezugspunkt für zukünftige soziale, betriebliche und gewerkschaftliche Auseinandersetzungen wird, dann kann das die PDS an den Rand drücken.
Der Sog einer solchen Entwicklung kann Teile der PDS – oder die PDS – insgesamt dazu bringen, bei einem solchen Projekt einzusteigen. Und weitsichtigere Strategen der PDS könnten versuchen, dabei früh aufzuspringen, um möglichst davon zu profitieren.
Auch eine solche Fusion oder Zusammenschluss wird widersprüchliche Auswirkungen haben. Vor allem bei linken AktivistInnen könnte das die Hoffnung schüren, endlich eine starke, linke, einheitliche Alternative zu schaffen. Doch werden damit die neoliberalen Regierungsmitglieder in Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern an Bord gespült, dann drohen schnell harte und zugespitzte Auseinandersetzungen.
Die SAV setzt darauf, mit dem Aufbau der WASG zu einer kämpferischen und sozialistischen Arbeiterpartei neue AktivistInnen zu erreichen: vor allem die Beschäftigten und Erwerbslosen, die im letzten Jahre gegen Sozialkahlschlag und Hartz aktiv wurden oder diejenigen, die in den kommenden Auseinandersetzungen politisiert werden.
Hier hilft kein schnuppern bei den neoliberalen Akteuren sondern nur klare, inhaltliche Positionierung gegen alle Parteien, die Sozialkahlschlag und Privatisierungen mitbetreiben.