Nazis im Landtag – Zeit zu kämpfen!

Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg brachten großen Stimmenzulauf für DVU und NPD – warum?
 
Am 19. September zog die neofaschistische NPD erstmals seit 36 Jahren wieder in ein bundesdeutsches Landesparlament ein. Mit 9,2 Prozent liegt die Nazipartei prozentual fast gleichauf mit der Hartz-SPD, die nur noch auf 9,8 Prozent kam. Gleichzeitig schaffte die ebenfalls neonazistische DVU bei den zeitgleichen Landtagswahlen in Brandenburg den Wiedereinzug mit knapp 6 Prozent der Stimmen.
Der Wahlabend vom 19. September kannte keine Verlierer. Die PDS freute sich, die einzige Partei des alten sächsischen Landtages zu sein, die keine Verluste zu beklagen hatte. Das Minus von „nur“ 7,4 Prozent in Brandenburg feierten die Sozialdemokraten wie einen Sieg und kehrten dabei gern das einstellige Ergebnis in Sachsen unter den Teppich. Glücklich war auch die CDU, der weitere fünf Regierungsjahre in Sachsen und wahrscheinlich auch in Brandenburg ins Haus stehen. Da sind ihre horrenden Verluste eher Nebensache.

Nazis in den Parlamenten

Bei so viel Lobhudelei blieb nur noch wenig Zeit, sich mit dem Einzug der NPD in den sächsischen und dem wiederholten Einzug der DVU in den brandenburgischen Landtag zu befassen. In einigen Teilen Sachsens hatten bis zu einem Viertel (!) der WählerInnen den Nazis ihre Stimme gegeben.
Dieses Ergebnis hat drei Wurzeln: Zum einen ist es Ausdruck der tiefen ökonomischen und sozialen Krise in Deutschland, zugespitzt in Ostdeutschland. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage eines Auswegs aus der kapitalistischen Misere radikal. Zum zweiten sorgt der staatliche Rassismus und Nationalismus dafür, solche Argumente zu verbreiten. Wenn der Kampf um den Standort Deutschland mit allen Mitteln geführt werden soll, dann bieten die Nazis die radikalsten. Wenn Schily afrikanische Flüchtlinge mit Lagern und Stacheldraht schon in Afrika ohne jegliche Rechte, ohne Asylgesetzgebung und Widerspruchmöglichkeiten vor Gerichten von der Festung Europa fern halten und zurückschicken will, dann können das die Nazis kaum besser.
Zum dritten ist dieses Ergebnis ein Ausdruck der Schwäche auf der Linken, einen Ausweg aus der Diktatur der Banken und Konzerne aufzuzeigen. Die PDS wird vielfach nicht als „Anti-Hartz-Partei“ wahrgenommen. Hierzu tragen ihre Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ebenso bei wie ihr katastrophaler Wahlkampf in Sachsen. Es gab nicht einmal Plakate gegen Hartz IV, Agenda 2010 und die  Gesundheitsreform. Das machte sich die NPD zunutze.

Soziale Demagogie

Die NPD schiebt die Schuld für Verarmung den hier lebenden ImmigrantInnen zu und deckt somit jene, die dafür wirklich verantwortlich sind. Nicht ein polnischer Kollege will die Sozialhilfe abschaffen, sondern deutsche Politiker. Die NPD schreibt in ihrem sächsischen Wahlprogramm 2004, Hartz IV sei eine „Fehlkonstruktion“. Für deutsche Unternehmer ist Hartz IV keine „Fehlkonstruktion“. Sie freuen sich schon jetzt auf billige Arbeitskräfte, die für einen Euro die Stunde arbeiten müssen. Das werden sie nutzen, um tariflich Beschäftigte unter Druck zu setzen, für weniger Lohn und länger zu arbeiten.
Noch deutlicher enthüllte die NPD ihr unsoziales Gesicht im Landtagswahlprogramm vor fünf Jahren. Darin wollte sie noch Erwerbslose zu „gemeinnützigen Arbeiten und Arbeitsförderungsprogrammen“ heranziehen – also den Niedriglohnsektor ausbauen – genauso wie es jetzt Hartz IV vorsieht.

Nazis raus aus sozialen Protesten!

Die NPD erklärt gern, „antikapitalistisch“ und „sozial“ zu sein. Doch sie ist das genaue Gegenteil! Statt alle ArbeiterInnen und Arbeitslose im Kampf gegen Hartz IV zu vereinen, spaltet sie diese nach Nationalität, Religion und Hautfarbe. Deshalb haben Nazis in sozialen Protesten wie den Montagsdemos  nichts zu suchen. Wir müssen sie daran hindern, diese für ihre Zwecke zu missbrauchen. Auf den Montagsdemos muss die Politik der Nazis entlarvt und geschlossen gegen diese vorgegangen werden. Der Aufbau von starken Ordnerdiensten ist nötig.
Die Weigerung der Gewerkschaftsspitzen, für die Montagsdemos und den 2. Oktober zu mobilisieren und Antworten jenseits der Herrschaft der Profite aufzuzeigen, ist hier mitverantwortlich dafür, den Nazis bei rückständigeren Teilen Einflussmöglichkeiten eröffnet zu haben.

Wie weiter?

Die Wahlen in Brandenburg und Sachsen haben gezeigt, dass soziale Proteste und der Kampf gegen Nazis und Rassisten untrennbar miteinander verbunden sind! Nur wenn wir Lösungen für die sozialen Probleme zeigen, werden wir weiteren Zulauf für die braunen Rattenfängern verhindern können. Wir müssen ihre Lügen widerlegen.
Deshalb kann der Kampf gegen Nazis nicht gemeinsam mit Parteien geführt werden, die für Sozialabbau stehen, das rassistische Zuwanderungsgesetz mittragen und auf diese Weise Rassismus unter die Bevölkerung streuen. Dies ermöglicht überhaupt erst Wahlergebnisse wie jenes vom 19. September.
Mehr denn je ist es notwendig eine neue Partei aufzubauen, die Erwerbslose, Erwerbstätige, Jugendliche und MigrantInnen im Kampf gegen Sozialabbau und Rassismus vereint! Denn diesen Kampf können wir nur gemeinsam führen – auf Staat und Polizei brauchen wir nicht zu hoffen.

von Steve Kühne, Dresden

Nicht aus heiterem Himmel
Zum Wahlerfolg der NPD in Sachsen

Vor gut zehn Jahren begann die NPD mit der Ausarbeitung ihres „Drei-Säulen-Konzepts“: „Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe, Kampf um die Parlamente“ – Teil dieses Konzeptes ist auch die Errichtung sogenannter „National befreiter Zonen“, in denen die Neonazis das Straßenbild dominieren und die Alltags(jugend)kultur beherrschen. Einer der regionalen Schwerpunkte war von Anfang an Sachsen. 
Der Erfolg der beiden miteinander kooperierenden Naziparteien DVU und NPD in Brandenburg und Sachsen kam nicht überraschend und auch nicht aus heiterem Himmel. Bereits bei den Wahlen im Saarland, die zwei Wochen vor den Urnengängen in den ostdeutschen Bundesländer stattfanden, war die NPD aus dem Stand auf vier Prozent gekommen, ihrem bis dahin höchsten Landtagswahlergebnis seit 1968; zwischen 1966 und 1968 hatte die 1964 gegründete NPD den Einzug in sieben Landesparlamente geschafft und war bei der Bundestagswahl 1969 nur knapp an der Fünf-Prozent-Marke gescheitert.
Finanziell nach der Europawahl vom Juni diesen Jahres mit rund einer Million Euro aus der Staatskasse bestens ausgestattet, führten die Neonazis im Freistaat einen sehr aufwendigen Wahlkampf: In Millionenauflage wurden Zeitungen und Flugblätter mit neonazistischer Propaganda, Hunderttausende von Wahlplakaten und sogar ein Flugzeug mit Schleppbanner eingesetzt.
Bereits die letzten Kommunalwahlen in Sachsen zeigten, wie stark die NPD in der „Mitte der Gesellschaft“ verankert ist – in kleineren und mittleren Städten kam sie auf bis zu 25 Prozent der Stimmen, in der Landeshauptstadt Dresden schaffte sie unter der Bezeichnung „Nationales Bündnis Dresden“ mit vier Prozent den Sprung in den Stadtrat. Ihre Kandidaten – unter ihnen Ärzte, Handwerker, Fahrlehrer, Angestellte – organisieren in ihren Schwerpunktgebieten schon seit Jahren vermeintliche „Nachbarschaftshilfen“ und versuchen sich sozusagen als die „netten Nazis von nebenan“ zu verkaufen. 
Ein besonderes Augenmerk legte die NPD auch bei diesem Landtagswahlkampf auf einen regelrechten „Kulturkampf von rechts“, so wurden von der Partei noch kurz vor dem Wahltag etwa 30.000 CDs mit neonazistischen Liedern und einem entsprechenden Beiheft an Jung- und Erstwähler verteilt. Bundesweit läuft derzeit eine ähnliche Kampagne vornehmlich aus den Reihen der gewalttätigen und eng mit der NPD verbundenen „Freien Kameradschaften“, in deren Rahmen unter dem Titel „Aktion Schulhof“ etwa 250.000 gepresste CDs und eine unbekannte Anzahl gebrannter CDs mit einschlägiger Musik und einem ebenfalls dazu passenden Beiheft in der Nähe von Schulen an Jugendliche kostenlos verteilt werden.
Auch hier zeigt sich, dass das Konzept der Neonazis nicht ganz erfolglos ist – subkulturelle Elemente und der Aufbau einer regelrechten Erlebniskultur verfehlen ihr Ziel nicht, zumal die Neonazis auch weiterhin sicher sein können, dass ihre Agitation im Zusammenhang mit den Spaltungsstrategien der Herrschenden steht, die darauf abzielt, Menschen gegeneinander auszuspielen (zum Beispiel EinwandererInnen gegen NichteinwanderInnen, Ost- gegen Westdeutsche).
Dazu kommt, dass der NPD-Erfolg den für Sozialraub verantwortlichen Agenda-2010-Parteien gut in das Konzept passt, den Widerstand gegen die Angriffe auf die Lebensverhältnisse der Menschen, etwa in Form der Montagsdemonstrationen, zu diskreditieren. Bereits vor den Wahlen war es auffällig, wie sehr man sich bemühte, in denunziatorischer Absicht die Proteste gegen Hartz IV in Verbindung mit den Nazifaschisten zu bringen.
So wurden maßgebliche Vertreter der Agenda-Parteien nicht müde, die MontagsdemonstrantInnen als „von Linksextremisten und Nazis aufgehetzt“, zu beschimpfen und zu beleidigen. Das Wissenschaftszentrum Berlin analysiert dagegen, dass die NPD nur von gut zwei Prozent der Montagsdemonstranten in Berlin, Leipzig, Magdeburg und Dortmund gewählt würde.
Der 19. September hat daneben eine bereits zu beobachtende Entwicklung bestärkt: Die Bedeutung der NPD, der am aggressivsten auftretenden neofaschistischen Partei, innerhalb des braunen Sumpfes ist deutlich gestärkt worden, und die Strategie der beiden braunen Parteien DVU und NPD, sich bei Wahlen abzusprechen und nicht mehr gegenseitig Konkurrenz zu machen, soll mit Hinblick auf die Bundestagswahl 2006 fortgesetzt werden.

von Jörg Fischer, Berlin/Köln