Gesundheitspolitik: Kürzungen und mehr Markt schaden Beschäftigten und

Mit einem sogenannten Vorschaltgesetz will die rot-grüne Regierung 3 Milliarden Euro im Gesundheitswesen einsparen und die Einführung weiterer Marktelemente forcieren. Damit soll ein Erhöhungsstopp der Krankenkassenbeiträge durchgesetzt werden. Die Kürzungen treffen nicht nur die insgesamt über 4 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen, davon allein 1,1 Millionen in den Krankenhäusern, sonder auch die Versicherten.

von Dieter Janßen
Personalratsvorsitzender Bürgerhospital Stuttgart
(Personenangabe nur zur Kenntlichmachung der Person)


 

Auch wenn ein Teil der Einsparungen (1,42 Milliarden Euro) zu Lasten von Pharmaindustrie (420 Millionen Euro) und –handel (600 Millionen Euro)und Apotheken (400 Millionen Euro) geht, bleibt es eine Regierungs-Lüge zu behaupten, Leistungen würden nicht gekürzt. Immerhin wird das Sterbegeld als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung, das bereits früher gekürzt wurde und nur noch für nach dem 31.12.1997 Versicherte gilt, um die Hälfte auf 525 Euro zusammengestrichen. Einsparsumme: 380 Millionen Euro jährlich. Zuzahlungen für Prothesen und Zahnersatz werden steigen.

Zynisch

Die offizielle Begründung, es handle sich dabei um eine versicherungsfremde Leistung, weil sie medizinisch nicht notwendig sei und Versicherte in der Regel selbst Vorsorge für die Bestattung treffen könnten ist mehr als zynisch. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Krista Sager wollte das Sterbegeld gleich ganz streichen, "denn vom Sterbegeld hat der Versicherte selber nichts mehr." Dass der Tod einen jederzeit und unvorhersehbar treffen kann, bleibt unerwähnt. Die Hinterbliebenen haben neben Schmerz und Trauer die finanzielle Belastung für die Beerdigung. Diese wird jetzt noch größer. Sie trifft die Ärmsten am härtesten.

Verschiebebahnhöfe

Irreführend ist, ausgerechnet beim Sterbegeld von einer "versicherungsfremden Leistung" zu sprechen. Haben doch die Kohl-Regierung wie auch die erste Schröder-Regierung sich großzügig bei der Gesetzlichen Krankenversicherung bedient, indem sie ihr hohe Kosten in Form von "versicherungsfremden Leistungen" aufs Auge gedrückt haben. Dies geschah und geschieht vor allem durch Belastungen der Gesetzlichen Krankenversicherung, mit denen Bundeshaushalt, Renten- und Arbeitslosenversicherung entlastet werden in Höhe von bis zu 24 Milliarden Euro jährlich. Die Hartz-Pläne umgesetzt würden ein weiteres Minus von 600 Millionen Euro durch Wegfall von Beitragszahlungen bedeuten. Auch sind in den letzten Jahrzehnten die Ausgaben der öffentlichen Hand für Gesundheit kontinuierlich gesunken. Lag ihr Anteil an den gesamten Gesundheitsausgaben 1970 noch bei 14,2 Prozent, so war er 1997 nur noch bei 10,5 Prozent. Wenn es politisch gewollt wäre, wäre es kein Problem, diesen Anteil zum Beispiel durch einen Steuerzuschuss des Bundes zur Gesetzlichen Krankenversicherung, wieder zu erhöhen und somit die Defizite zu beseitigen. Rot-grün will unsere Steuern allerdings nicht für Gesundheit, sondern zum Beispiel für Rüstung ausgeben.

Hauptproblem Massenarbeitslosigkeit und sinkende Löhne

Mit dem Vorschaltgesetz reagiert die rot-grüne Regierung auf die durch die Rezession bedingte steigende Arbeitslosigkeit bei weiterhin niedriger Lohnquote. Das bedeutet weniger Einnahmen für die Gesetzliche Krankenversicherung. Die im Schnitt bei 2,9 Prozent liegenden Tarifabschlüsse 2002 haben hier keine positive Änderung bewirkt. Während von 1975 bis 2001 die Beiträge der Gesetzlichen Krankenversicherung von 10,5 auf 14 Prozent stiegen, sank im gleichen Zeitraum die Lohnquote (Anteil der Einkommen der abhängig Beschäftigten am Volkseinkommen) von 74 auf 65 Prozent. Für 2002 erwarten die Gesetzlichen Krankenversicherungen ein Defizit von 1,5 Milliarden Euro. Das "Handelsblatt" behauptet, dass den Gesetzlichen Krankenversicherungen sogar 3 Milliarden Euro fehlen und sie sich zunehmend über Kredite finanzieren würden. Das dürfen sie offiziell gar nicht und würde bedeuten, dass die Gesetzlichen Krankenversicherungen sich in dieser Hinsicht wie kapitalistische Versicherungen verhalten würden.

Wettbewerb unter den Kassen

Als weitere Maßnahme wird die Versicherungspflichtgrenze von bisher 3375 auf 4500 Euro für neue Versicherte angehoben. So sollen 200 bis 300 Millionen Euro mehr pro Jahr in die Gesetzliche Krankenversicherung kommen. Damit soll die Flucht junger, gesunder und gutverdienender Beschäftigter in die privaten Krankenkassen gebremst werden. Die privaten Versicherer haben bereits Verfassungsklage dagegen angekündigt. Dass es diese Fluchtmöglichkeit gibt, ist Bestandteil des 1992 eingeführten Wettbewerbs unter den Kassen, den diese um den "lukrativen Kunden", also den Versicherten führen, an dem sie Geld verdienen können. Inzwischen sind bei den privaten Kassen 7,5 Millionen Vollversicherte und 7,5 Millionen Zusatzversicherte. Wer es sich leisten kann, kann mit der Zusatzversicherung Leistungen bekommen wie Chefarztbehandlung, Zweibettzimmer im Krankenhaus oder Leistungen absichern, die in den letzten 20 Jahren in der Gesetzlichen Krankenversicherung gekürzt oder gestrichen wurden. Allein diese Zahl ist ein deutlicher Hinweis auf die bereits vorhandene Zwei-Klassen-Medizin. Jede Leistungskürzung in der Gesetzlichen Krankenversicherung ist eine weitere Profitquelle für die Privatversicherungen. Sowohl private wie gesetzliche Kassen können an einem Krankenversicherten Geld verdienen, wenn er höhere Beiträge bezahlt, als er Leistungen in Anspruch nimmt. Das geht nicht bei chronisch kranken Menschen, die in der Gesetzlichen Krankenversicherung zirka 20 Prozent der Versicherten ausmachen und auf die zirka 80 Prozent der Kosten entfallen. Ergebnis des Wettbewerbs ist, dass Kassen mit "schlechten Risiken" wie vielen chronisch Kranken Verluste machen, während Kassen mit "guten Risiken" (jung, gesund, besserverdienend) Gewinne machen. Die Kassen versuchen sich die "guten Risiken" untereinander abzujagen und die "schlechten Risiken" loszuwerden.
Um die Folgen kapitalistischen Konkurrenzkampfes abzumildern, wurde bereits ein Risikostrukturausgleich eingeführt, durch den Kassen mit vielen "schlechten Risiken" einen finanziellen Ausgleich von den Kassen mit "guten Risiken" erhalten. Dabei werden inzwischen zirka 11 Milliarden Euro vor allem zugunsten der Allgemeinen Ortskrankenkassen umverteilt. Da als Grundlage aber Angaben über Alter, Einkommen, Geschlecht, Anteil mitversicherter Familienangehöriger und nicht tatsächliche Krankheitsdaten dienen (diese sind nur sehr schwer zu erheben und zu verarbeiten), gibt es auch durch den Risikostrukturausgleich weitere Ungerechtigkeiten in der Finanzierung der Kassen. Der Risikostrukturausgleich wurde somit ergänzt um weitere Ausgleichselemente wie Risikopool. Für eine zukünftige "Gesundheitsreform" wird von vielen Gewerkschaftsfunktionären ein Risikostrukturausgleich gefordert, der auch Krankheitsdaten mit berücksichtigt (sogenannter Morbiditäts-Risikostrukturausgleich). Sie vergessen, dass erst durch Einführung von Markt und Konkurrenz eine Situation mit "Gewinnern" und "Verlierern" entstanden ist, die jetzt mit viel Aufwand wieder versucht wird auszugleichen. Das ganze hätte uns erspart bleiben können, wenn überhaupt kein Wettbewerb zwischen den Kassen eingeführt worden wäre. Der erhöhte Verwaltungsaufwand der Kassen hängt u.a. mit solchen Verfahren wie dem Risikostrukturausgleich zusammen, aber auch damit, dass in der Konkurrenzsituation Geld für Werbung verbraten wird. Um hier zu bremsen, wurde im Vorschaltgesetz den Kassen ein Stopp beim Anstieg der Verwaltungskosten von Ulla Schmidt verordnet. Gleichzeitig hat sie sich – ganz volksnah – für eine Verringerung der Kassen von derzeit 370 auf 50 ausgesprochen, weil damit auch viele Kosten für Vorstandsmitglieder wegfallen würden. Sie hat vergessen zu sagen, dass der Wettbewerb bereits dafür gesorgt hat, die Anzahl der Kassen innerhalb von 10 Jahren von 1200 auf heute 370 zu verringern und dass die logische Konsequenz ist, den Konkurrenzkampf ganz abzuschaffen und eine Einheitskasse für alle zu bilden, wie das viele linke Gewerkschafter diskutieren.

Wettbewerb unter den Krankenhäusern

Auch unter den Krankenhäusern führt der zunehmende Wettbewerb zur Schließung und Fusion von Krankenhäusern, zum Verkauf öffentlicher Häuser an private Krankenhauskonzerne (hinter denen wie beim Sana-Konzern das Finanzkapital in Gestalt der Privatversicherungen steckt), zur Spezialisierung auf profitträchtige Behandlungsbilder und damit auch zu einer schlechteren wohnortnahen Versorgung der Bevölkerung. Einen ungeheuren Schub in diese Richtung bedeutet die Einführung eines neuen Vergütungssystems für die Krankenhäuser. Zukünftig werden für alle Behandlungen festgelegte Preise bezahlt, sogenannte Fallpauschalen (auch DRGs genannt). Damit werden Behandlungskosten kalkulierbar und somit für Privatisierer Profite berechenbar.
Der damit verbundene Wettbewerb führt zu Überversorgung bei Behandlungen, die sich "lohnen" und Unterversorgung bei Behandlungen, die sich nicht "lohnen". Lohnend sind immer Entlassungen von Patienten innerhalb eines kürzeren Behandlungszeitraums als für den Behandlungspreis berechnet. Patienten werden noch schneller durchs Krankenhaus geschleust und auch entlassen, wenn sie noch nicht geheilt sind ("quicker and sicker").
Ziel ist der Abbau von Krankenhausbetten. Der Medizinökonom Lauterbach, der sowohl Ulla Schmidt wie auch den ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske berät, redet von 40.000 überflüssigen Betten. Dabei wird die Bettendichte in Deutschland immer mit dem europäischen Ausland verglichen, aber verschwiegen, dass diese angeblich überzähligen Betten dazu genutzt werden, Patienten aus Großbritannien, Norwegen und anderen Ländern zu operieren und zu behandeln, weil es in diesen Ländern lange Warteschlangen für Behandlungen gibt – aufgrund des dortigen Bettenabbaus. Zur Berechnung der Fallpauschalen und zur Abrechnung wird ein riesiger Verwaltungsaufwand mit immensen Kosten betrieben, die wir bezahlen müssen, genauso wie die Profite privater Betreiber. Als Grundlage für die Berechnung der Fallpauschalen wurden Tausende von Daten aus verschiedenen Krankenhäusern der ersten vier Monate 2002 herangezogen. Die ganzen Missstände in den Krankenhäusern wie Pflegepersonalmangel und überlange Arbeitszeiten der Ärzte wurden mit eingerechnet. Lediglich zur Verbesserung der Arbeitszeitsituation wurden 100 Millionen Euro für 2 Jahre zusätzlich zugestanden, nötig wären aber mindestens 400 Millionen Euro. ver.di hatte nach dem Urteil des europäischen Gerichtshofes zur Arbeitszeit noch die Schaffung von 25.000 zusätzlichen Stellen gefordert.
Inzwischen kann Bsirske offensichtlich gut mit der Sparpolitik der Regierung leben. Er feierte es sogar als Erfolg von ver.di, dass Krankenhäuser, die bereits 2003 – und nicht erst 2004 – die Fallpauschalen einführen, von der Nullrunde bei den Krankenhausbudgets ausgenommen werden, die als Teil des Vorschaltgesetzes weitere 400 Millionen Euro einsparen sollte – ganz im Sinne der ver.di-Parole das Gesundheitswesen brauche nach der Bundestagswahl "Rationalisierung statt Rationierung". Da ist es dann nur folgerichtig – wenn auch für Patienten und Beschäftigte fatal – wenn Bsirske dem Vorschaltgesetz zustimmt und ver.di nicht gegen das Vorschaltgesetz mobilisiert und dies den Krankenhausbetreibern und niedergelassenen Ärzten und Apothekern überlässt. Dabei stehen die Krankenhäuser, die von der Nullrunde ausgenommen werden, auch nicht viel besser da. Denn für sie soll es nur eine Steigerung der Budgets in Höhe der Grundlohnsummensteigerung geben. Die fällt wegen der geringen Lohnerhöhungen des letzten Jahres niedrig aus mit 0,81 Prozent für West- und 2,09 Prozent für Ostdeutschland. Auch für diese Häuser klafft eine riesige Lücke zwischen steigenden Kosten (zum Beispiel für Tariferhöhungen – sogenannte BAT-Schere) und mickriger Budgeterhöhung. Viele Krankenhausbetriebs- und personalräte fordern daher richtigerweise die volle Refinanzierung von Tariferhöhungen über die Budgets, während die Krankenhausbetreiber damit drohen Defizite durch weiteren Personallabbau auszugleichen. Allein in den letzten drei Jahren wurden so in den Krankenhäusern 18.000 Arbeitsplätze in der Pflege abgebaut.

Einkaufsmodell

Als weiteren Erfolg in den Verhandlungen um das Vorschaltgesetz verbucht ver.di für sich, dass es erstmalig gelungen ist den Vertragszwang zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern zu lockern. Nunmehr steht es Krankenhäusern frei zu entscheiden, ob sie an den neuen Behandlungsprogrammen für chronische Erkrankungen, in diesem Fall Herzerkrankungen, teilnehmen und dafür Vergütung zusätzlich zum Budget erhalten. Es ist zwar sinnvoll, dass Krankenhäuser die Möglichkeit bekommen, ambulant zu behandeln, gleichzeitig wird mit dieser Regelung jetzt die Tür aufgestoßen für das sogenannte Einkaufsmodell, bei dem die Krankenkassen sich aussuchen können, mit welchen Ärzten, Krankenhäusern und anderen Leistungsanbietern sie Verträge abschließen und mit welchen nicht. Wenn meine Krankenkasse mit einem bestimmten Krankenhaus oder Arzt keinen Vertrag abschließt, werde ich nicht behandelt außer ich bezahle selber. Die Kassen werden ihre Macht nutzen, um die Kosten der Leistungsanbieter zu senken. Da rund 70 Prozent der Kosten im Krankenhaus Personalkosten sind, bedeutet das weitere Verschlechterungen beim Personal und natürlich auch Qualitätseinbußen der Behandlung. Bsirske behauptet mit diesem Wettbewerb könne die Qualität und die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen verbessert werden. Das ist bitter – denn so argumentieren neoliberale Privatisierer auch.

Vor Behandlung Medizin studieren?

Um den Wolf Wettbewerb akzeptabler zu machen, wird er in den Schafspelz Qualität gekleidet. Dazu wird die Illusion des informierten Patienten aufgebaut, der sich kritisch die "Gesundheitsdienstleistung" seiner Wahl anhand von Qualitätsberichten aussuchen kann, die Krankenhäuser und Ärzte im Internet veröffentlichen sollen. Dieser "Kritikfähigkeit" des Patienten soll auch die im Vorschaltgesetz enthaltene Patientenquittung dienen, mit der der Patient den Arzt bezüglich der Kosten kontrollieren soll. Dieser Weg führt dazu, dass Gesundheit immer mehr zur Ware wird. Eigentlich sollte das Verhältnis zwischen Patient und Arzt von Vertrauen geprägt sein und nicht von finanziellen Erwägungen. Damit der Patient entscheiden kann, ob der Arzt die richtige Untersuchung und Behandlung durchführt, müsste er genauso gut informiert sein wie der Arzt. Außerdem dürfte er sich nicht einer hilfebedürftigen Situation befinden, seine Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit dürfte nicht durch sein Leiden getrübt sein.

Ärzte- und Apothekerproteste

Wenn diese Abhängigkeit der Patienten von den Ärzten nicht bestehen würde, könnten sie von den Ärzten nicht immer wieder für ihre Zwecke instrumentalisiert werden. Es ist zu erwarten, dass sowohl die niedergelassenen Ärzte (220 Millionen Euro Einsparung), als auch die Zahnärzte (100 Millionen Euro) und Apotheker ihre Einsparungen an die Patienten weitergeben. Die niedergelassenen Ärzte sollen pro Arzt und Monat 160 Euro weniger verdienen und drohen mit dem Abbau von 10.000 Arbeitsplätzen. Auch die Unternehmer und die Beschäftigten der Zahntechnik wehren sich gegen die Absenkung der Preise für zahntechnische Leistungen um fünf Prozent (100 Millionen Einsparung): am Abend vor der Beschlussfassung des Vorschaltgesetzes im Bundestag gab es in Stuttgart einen Protest-Autokorso von Zahntechnikern. Dabei ist das bestehende Versorgungssystem bereits heute nicht in der Lage eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Es mehren sich die Berichte aus ländlichen Gebieten, vor allem in Ostdeutschland, dass dort Arztpraxen schließen, weil keine Nachfolger gefunden werden. Grund: im Osten kommt ein Arzt nur auf 70 Prozent des Einkommens im Vergleich zum Westen. Auch die Apotheker sehen die wohnortnahe Versorgung gefährdet und kündigen gar den Abbau von bis zur Hälfte der 140.000 Arbeitsplätze in den Apotheken an. Apothekervereinigungen behaupten mit dem Vorschaltgesetz würde das zu versteuernde Apothekereinkommen um zwei Drittel verringert.

Arzneimittelprofite

Zweifellos ist es so, dass über völlig überhöhte Arzneimittelpreise die Versicherten mit ihren Beiträgen die Profite der Pharmaindustrie, des Pharmahandels und der Apotheken mitfinanzieren. Bisherige Versuche, diese Profite zu beschneiden, schlugen fehl. Jüngstes Beispiel: als die Regierung 2001 eine auf zwei Jahre begrenzte vierprozentige Absenkung bestimmter Arzneimittel forderte, ließ sie sich diese Maßnahme von der Pharmaindustrie in einem Ablasshandel für eine Einmalzahlung von 204 Millionen Euro an die Krankenkassen abkaufen. Darüber hinaus bietet der Pharma-Markt genügend Schlupflöcher, die die Profiteure nutzen, um ihre Gewinne zu sichern. Auch diese Auseinandersetzung wird letztendlich auf dem Rücken der Patienten ausgetragen. Wie soll der Patient entscheiden können ob er das teurere Medikament benötigt, oder das billigere, das aber etwas anders wirkt? Im Zweifelsfall wird er sich für das teurere entscheiden, falls er es sich leisten und er es selbst bezahlen kann in der Hoffnung, dass dieses ihm besser hilft. Diese Entwicklung wird sich mit der Einführung der sogenannten Positivliste im Frühjahr 2003 verstärken, wenn damit das Angebot der verordnungsfähigen Medikamente eingeschränkt und weitere 400 Millionen Euro eingespart werden sollen.

Wer legt was fest?

Die entscheidende Frage ist: wer legt wie nach welchen Gesichtspunkten fest, welche Medikamente zur Positivliste gehören? Die selbe Frage gilt auch für die Festlegung, welche Untersuchungen und Behandlungsmethoden von der Gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden. Solange Kostenträger (Versicherungen) ein Interesse an möglichst niedrigen Kosten und Leistungsanbieter (Krankenhäuser, Ärzte, Apotheker, Pharmaindustrie, Zahntechnische Labors und alle anderen Unternehmer im Gesundheitswesen) ein Interesse an möglichst hohen Profiten haben, lässt sich schlecht feststellen, was der Gesundheit im Einzelfall dient oder schadet. Erst wenn jegliches Profitstreben im Gesundheitswesen ausgeschaltet wird und an seine Stelle das Interesse tritt, Krankheiten möglichst zu vermeiden und Kranken entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen zu helfen, ist es möglich aufgrund von Erfahrungswerten und wissenschaftlichen Studien bei bestimmten Erkrankungen Behandlungsleitlinien mit bevorzugten Medikamenten vorzuschlagen. Ansonsten verkommen Behandlungsleitlinien und Positivlisten zu reinen Sparprogrammen in erster Linie zu Lasten der Patienten.

Geschäft Gesundheit

Das Geschäft mit der Gesundheit ist ein riesiger Markt. Mit 260 Milliarden Euro Umsatz entspricht es zehn Prozent des Bruttosozialprodukts. Die Kapitalisten wollen in diesem Markt Profite machen, ohne dass sie als Beitragszahler gleichzeitig dafür zur Kasse gebeten werden. Allein die Gesetzlichen Krankenversicherungen haben mehr als 130 Milliarden Euro Ausgaben, davon fließen zirka 55 Milliarden Euro in die Krankenhäuser. Solange an Krankheit Geld verdient werden kann, gibt es beim Kapital kein wirkliches Interesse an der Vermeidung von Krankheiten. Eine Forschungsarbeit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ermittelte ein Kostenvolumen für die direkte Behandlung von Krankheiten, bedingt durch körperliche Belastungen bei der Arbeit in Höhe von 29 Milliarden Euro und in Folge von psychischen Belastungen bei der Arbeit in Höhe von 27 Milliarden Euro jährlich allein in Deutschland. Dies zeigt die Möglichkeiten von echter Prävention auf, allerdings haben die Unternehmer kein Interesse daran.

Gesundheit darf keine Ware sein

Wer dafür kämpfen will, dass Gesundheit keine Ware ist und Menschen nicht die Krankheitsopfer von Arbeitsbedingungen und gesellschaftlichen Bedingungen sind, muss für eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft eintreten. Auch in allen reichen kapitalistischen Staaten sterben Arme früher und werden eher krank. Arbeitslosigkeit und Armut sind das größte Krankheitsrisiko. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Gewerkschaftsspitzen, die es sich in diesem System bequem gemacht haben, diesen Kampf führen. So forderte der DGB-Vorsitzende Sommer nach der Bundestagswahl eine "Hartz-Kommission" für das Gesundheitswesen. Mittlerweile hat Ulla Schmidt eine Kommission mit dem Wissenschaftler Rürup an der Spitze eingesetzt. Die Ergebnisse sollen 2003 vorliegen und 2004 umgesetzt werden. Den Kampf gegen die Kürzungen im Gesundheitswesen und gegen diese "Gesundheitsreform" müssen wir selbst organisieren.

Das SAV-Programm zum Gesundheitswesen

1. Rücknahme aller bisherigen Verschlechterungen

Weg mit allen Zuzahlungen, Eigenbeteiligungen, Leistungskürzungen, Mittelkürzungen bei der Krankenhausfinanzierung.

Weg mit den Fallpauschalen.

Rücknahme aller Privatisierungen und von Outsourcing

Weg mit der Zweiklassenmedizin.

2. Keine weiteren Verschlechterungen

Stoppt GATS und TRIPS. Weg mit den internationalen Institutionen neoliberaler Globalisierung (WTO, IWF, Weltbank, EU-Kommission).

Nein zur Privatisierung der Krankenversicherung.

Keine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für ArbeitnehmerInnen, Studierende und RentnerInnen. Finanzierung über staatliche Zuschüsse oder einseitige Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für die Unternehmer.

Nein zu Bettenabbau, Krankenhausprivatisierungen und -schließungen.

Nein zu Lohnabsenkung und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen bei den Krankenhausbeschäftigten.

3. Für eine Gesundheitsreform im Interesse der Mehrheit

Optimale und ganzheitliche Behandlung aller PatientInnen entsprechend den medizinischen Möglichkeiten.

Vorbeugen statt heilen. Deshalb massiver Ausbau von präventiver Gesundheitsversorgung in allen Bereichen der Gesellschaft.

Schaffung von integrierten staatlichen Gesundheitszentren (Polikliniken) als Angebot für die PatientInnen. Für eine bessere Zusammenarbeit von ÄrztInnen und TherapeutInnen.

massives staatliches Investitionsprogramm zur Sanierung von Krankenhäusern, zur Verbesserung und Förderung der Gesundheitsvorsorge und Forschung. Finanzierung eines solchen Programms durch Steuern auf die Profite von Pharmakonzernen, Banken und Versicherungen und die Reichen.

Als ersten Schritt: Zusammenführung aller Krankenkassen zu einer einzigen öffentlichen Krankenkasse bei Arbeitsplatzgarantie für alle Beschäftigten. Aufhebung der Pflichtversicherungsgrenze und Überführung der Privatversicherungen in Gemeineigentum. Unternehmervertreter raus aus den Aufsichtsräten der Krankenkassen – die Beiträge für die Krankenversicherung werden von den ArbeitnehmerInnen erwirtschaftet.

Ziel ist ein für PatientInnen kostenloses staatliches Gesundheitswesen finanziert durch die Gewinne der Banken und Konzerne.

Überführung der Pharma-, Bio-, und Gentechnikkonzerne sowie der Medizingeräteindustrie in Gemeineigentum. Demokratische Kontrolle und Verwaltung durch gewählte VertreterInnen der Beschäftigten und der Allgemeinheit.

Keine überbezahlten und korrupten Manager in Krankenhäusern, Gesundheitsämtern, Krankenkassen und sonstigen Gesundheitseinrichtungen. Demokratische Wahl aller Personen mit Leitungsfunktionen durch Beschäftigte und Allgemeinheit. Kontrollrecht und Recht zur jederzeitigen Abwahl.

4. Für gesunde Arbeits-, Lebens- und Umweltbedingungen

Arbeitslosigkeit macht krank. Deshalb Arbeit für alle

Arbeitsstress macht krank. Deshalb bessere Arbeitsbedingungen und radikale Verkürzung der Wochen- und Lebensarbeitszeit bei vollem Lohn und voller Rente

Armut macht krank. Deshalb einen garantierten Mindestlohn beziehungsweise eine soziale Mindestsicherung von 750 Euro plus Warmmiete für jede/n ab 18 Jahre

Für eine Umstellung des Verkehrswesen, der Nahrungsmittelproduktion und der gesamten Produktion im Interesse von Mensch und Umwelt.

5. Für eine sozialistische Gesellschaft

In einer Gesellschaft in der die Profitproduktion Ziel der Produktion ist, bleibt der Mensch und seine Gesundheit auf der Strecke. Wir brauchen ein Gesundheitssystem frei davon. In allen Gesundheitseinrichtungen müssen PatientInnen, PflegerInnen, ÄrztInnen und TherapeutInnen gemeinsam demokratisch entscheiden. Mit der kapitalistischen Wirtschaft lässt sich dies nicht vereinbaren. Deshalb müssen die Produktionsmittel in Gemeineigentum überführt werden und nach den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt produziert werden. Erst dann können Bedingungen entstehen, die Krankheiten vermeiden und optimal heilen.