Robert Kurz

von Angela Bankert
 
Ein Gegenst?ck zum ?Schwarzbuch Kommunismus? ist Robert Kurz? ?Schwarzbuch Kapitalismus ? Abgesang auf die Marktwirtschaft?, das vor einem Jahr ver?ffentlicht wurde, nicht direkt. Obwohl es eindrucksvoll die Verbrechen des Kapitalismus nachzeichnet, von seiner Fr?hgeschichte mit der brutalen Unterwerfung der Menschen unter das Fabriksystem ?ber Kolonialismus, Weltkriege, Faschismus bis zum ?stummen Zwang der Verh?ltnisse?, der auch heute noch daf?r sorgt, dass millionenfach Kinder auf der Welt verhungern.
Kurz, 1943 geboren, ist Mitbegr?nder des Instituts f?r kritische Gesellschaftstheorie in N?rnberg und Mitherausgeber und Redakteur der Theoriezeitschrift Krisis. In seinem ?Schwarzbuch Kapitalismus? zeichnet er neben der ?konomischen auch die Geschichte von Philosophie und Wissenschaft des Kapitalismus nach, ein Ritt durch Geistesgeschichte der letzten 300 Jahre, von Kant und Rousseau ?ber de Sade und Darwin bis Ernst J?nger und dem postmodernen Soziologen Ulrich Beck.
Kurz schildert unter anderen die Biologisierung des Sozialen, bei der die kapitalistische Marktwirtschaft immer wieder als nat?rliche und urw?chsige Gesellschaftsgrundlage dargestellt wird. Der Konkurrenzkampf sei eben der Kampf ums Dasein, wie man ihn unter allen Lebewesen finde. Seine Fortsetzung findet der Konkurrenzkampf auf der Ebene von Nationalstaaten, ?Rassen?, Ethnien als st?ndige Begleiterscheinung des kapitalistischen Systems.
Vor allem aber arbeitet Kurz den irrationalen Kern des Kapitalismus heraus: N?mlich Arbeit nicht zur Herstellung von Gebrauchswerten, von Mitteln f?r Lebensunterhalt und -qualit?t, sondern die Arbeitskraft wird vernutzt zur Schaffung von Werten f?r die kapitalistische Geldmaschine, f?r die Produktion von Kapital zum Zweck seiner m?glichst profitablen Selbstverwertung. Die Steigerung der Produktivit?t dient nicht zur Verbesserung der Lebensqualit?t bei weniger Arbeit und mehr Mu?e, sondern zur stetigen Erweiterung von angeh?uftem Kapital.
Die kapitalistische Warenproduktion mit ihrer betriebswirtschaftlichen Logik, der Konkurrenz und der blinden Anarchie des Marktes f?hrt zu der Absurdit?t, dass immer gr??ere wirtschaftliche Potenzen mehr Arbeitshetze einerseits – strukturelle Massenarbeitslosigkeit anderseits, mehr Reichtum auf dem einen, mehr Armut auf dem anderen Pol produziert.
Kurz beschreibt den Terror der Marktwirtschaft, die alles der betriebswirtschaftlichen Rentabilit?t unterwirft, und analysiert den Irrsinn der Finanzm?rkte, die v?llig von der Realwirtschaft losgekoppelt sind.

Absolute Schranke und Zusammenbruchkrise

Kurz zeichnet die Entwicklung des Kapitalismus, die drei industriellen Revolutionen nach: die erste gepr?gt durch Dampfmaschine und ?bergang zur industriellen Produktion bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die zweite auf Grundlage von Automobilmachung und arbeitsmethodischen Ver?nderungen des Fordismus und Taylorismus etwa von den 20er bis zu den 60er Jahren, die dritte basierend auf der Mikroelektronik seit Ende der 70er Jahre.
Die Abfolge von der ersten bis zu dritten industriellen Revolution kommt bei ihm als zwangsl?ufige Entwicklung daher, da die Potenzen des Kapitalismus erst jetzt ausgesch?pft seien.
Die immanente Schranke des Systems sei erst mit der Mikroelektronik erreicht, die mehr Arbeit wegrationalisiere als durch Verbilligung der Produkte und Ausdehnung der M?rkte neu Arbeit entstehe.
In diesem Zusammenhang spricht er auch immer wieder von Zusammenbruch und Endkrise.
Die ?konomischen Potenzen h?tten aber auch zu fr?heren Zeiten ausgereicht, um unter nicht-kapitalistischem Vorzeichen den Menschen ein ausk?mmliches Leben zu erm?glichen. Statt dessen f?hrten ?berproduktion von Kapital und Waren zu schweren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krisen, und es lag nicht an der fehlenden Mikroelektronik, sondern an den politischen Konstellationen und Kr?fteverh?ltnissen, dass das System nicht gest?rzt wurde. Kurz pflegt eine ?konomistische Herangehensweise, die r?ckblickend einen Abfolge-Automatismus unter Ausschaltung aller realen historischen Gegenbewegung nachzeichnet.

Ignoranz revolution?rer K?mpfe

Dieser Schematismus kennzeichnet alle seine Analysen und Einsch?tzungen. Mit revolution?ren Situationen, Umbr?chen, ?bergangsformen, qualitativen Entwicklungsspr?ngen – ?berhaupt mit der Dialektik – hat es Kurz absolut nicht.
Die Pariser Kommune von 1871 liest er als Ausdruck von ?tiefsitzendem Hurrapatriotismus?, schlie?lich haben die Kommunarden das nationale Bezugssystem nicht verlassen, sei es ihnen vor allem um die Verteidigung der Nation gegen die Preu?en gegangen. Ma?nahmen der Kommunarden wie Abw?hlbarkeit der Abgeordneten und Beamten sei ?rein formal? und der Arbeiterlohn f?r staatliche Funktionstr?ger ?rein quantitativ? gewesen.
Die revolution?re Situation nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland und anderen Teilen Europas ist Kurz einen Satz wert: Nach einem Zitat aus dem Brief einer Kriegerwitwe an Kaiser Wilhelm, in dem sie ihn untert?nigst um Hilfe bei der ?berf?hrung des Leichnams ihres Mannes bittet, schreibt Kurz: ?In diesem Stil verlief dann ungef?hr auch die Revolution.? Punktum.
Und die russische Oktoberrevolution war lediglich Ausdruck der nachholenden kapitalistischen Entwicklung, die in diesem Fall eines Landes der Peripherie eben unter staatskapitalistische Vorzeichen durchgezogen wurde. Abzulesen schon allein daran, dass die russischen Revolution?re weder die Warenproduktion, noch Staat und Geld abgeschafft haben und die Arbeiter immer noch lang in den Fabriken arbeiten mussten…
Da Reformzugest?ndnisse von oben aus Furcht vor einer Revolution von unten nicht in sein Schema von der ?verhausschweinten Arbeiterbewegung? passen, erkl?rt er zum Beispiel die Sozialgesetzgebung Bismarcks als Ausdruck von ?Umsturz-Phantasien? der Herrschenden.
Das in der Novemberrevolution 1919 erk?mpfte Frauenwahlrecht sei schlicht Folge des ersten Weltkriegs gewesen, n?mlich Belohnung der Herrschenden f?r angeblich kreuzbrav verrichtete Frauenerwerbsarbeit in der R?stungsindustrie.
Kurz h?ngt sich, wie viele Linke, daran auf, dass wie Marx es ausdr?ckte ?Kapital keine Sache ist, sondern ein gesellschaftliches Produktionsverh?ltnis?. Allerdings hat Marx ebenfalls herausgearbeitet, dass die Eigent?mer der Produktionsmittel sich auch das gesellschaftlich Produzierte aneignen, dass der Kapitalismus ohne die Klasse der Lohnarbeiter nicht existieren kann und dass es darum geht, die gesellschaftlich organisierte Produktion auch gesellschaftlich anzueignen. Deswegen blieb f?r ihn die Frage der gesellschaftlichen Eigentumsverh?ltnisse, und wer sich die Produktion aneignet, zentral. Darum verzichtete Marx auch nicht darauf, die ausgebeuteten Menschen am einen Pol des Kapitalverh?ltnisses zu mobilisieren und am Aufbau m?glichst schlagkr?ftiger Organisationen mitzuwirken, vom Bund der Kommunisten bis zur I. Internationale.

Revolution?re Praxis? Fehlanzeige

Das Handlungskonzept im Epilog des Buches ist mehr als d?rftig. Die ?h?ssliche Weltmaschine des Kapitals? soll zum Stehen gebracht und verschrottet werden. Die ?herrschenden gesellschaftlichen Formen, Kategorien und Kriterien? seien ?schlicht abzuschaffen?. Man soll also das System am Kragen packen und einmotten, doch er selbst schreibt ?ber knapp 800 Seiten, dass es gar keinen Kragen habe.
Kurz propagiert eine Art ?Gegengesellschaft, die bestimmte soziale R?ume gegen die kapitalistische Logik er?ffnet, aus denen Markt und Staat vertrieben werden.? Wo diese Phrase etwas konkreter wird, l?uft es auf Teilzeitarbeit im Marktsektor kombiniert mit einer Art genossenschaftlicher T?tigkeit in selbstbestimmten sozialen R?umen hinaus, international vernetzt durch die neue Kommunikationstechnologie. Wo, wie und mit wem dies praktisch laufen soll, insbesondere wie der Staat aus solchen R?umen vertrieben werden soll, erkl?rt er zur ?m??igen Frage?. ?Es handelt sich … allein um eine Bewusstseinsfrage?, n?mlich die Gehirnw?sche des Liberalismus abzusch?tteln.
Woher soll die neue Praxis kommen, wo doch alle verhausschweint und verdummt sind, die kapitalistischen Werte verinnerlicht haben? Es m?sse ein ?ideeller und organisatorischer Fokus entstehen?. Und man reibt sich die Augen: ?Es ist nach wie vor die Linke im weitesten Sinne, die allein daf?r in Frage kommt.? ?Die? Linke, und obendrein noch ?im weitesten Sinne?, die er zuvor auf knapp 800 Seiten sarkastisch denunziert hat, soll dann pl?tzlich wieder zum Hoffnungstr?ger werden.
So bleibt am Ende nur tiefer Pessimismus: Am wahrscheinlichsten sei gegenw?rtig, dass der Bewusstseinsprung nicht mehr vollzogen werde. Einer aufgekl?rten Minderheit empfiehlt Kurz eine ?Kultur der Verweigerung? als ?Emigrant im eigenen Land? durch Dienst nach Vorschrift, Sabotage und innere Distanz.
An Stelle von Kurz? Resignation ist es dringlicher denn je, eine Kraft aufzubauen, die sich ernsthaft mit den bisherigen Versuchen zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft befasst, die Lehren daraus zieht und dazu beitr?gt, dass es beim n?chsten Anlauf klappt.

Artikel zu ATTAC

Attac konnte in dem Jahr nach den Demonstrationen gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Genua von 400 auf ?ber 8 000 Mitglieder anwachsen. In ?ber einhundert St?dten gibt es Attac-Gruppen. Dutzende Organisationen ? Gewerkschaften, Friedensgruppen, Nichtregierungsorganisationen, Erwerbslosengruppen, politische Organisationen ? haben sich Attac angeschlossen. Damit ist Attac der wichtigste organisatorische Ausdruck der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung in der Bundesrepublik.
Die SAV-Ortsgruppen sind Teil von Attac und viele SAV-Mitglieder sind in Attac-Gruppen aktiv. Wir sind Teil von Attac, weil es ein wichtiges Forum f?r die Organisierung von Widerstand gegen die kapitalistische Globalisierung, gegen Privatisierungen und gegen Krieg ist und weil Attac viele der neuen Generation von AktivistInnen organisiert und hier wichtige politische Debatten gef?hrt werden. Das bedeutet nicht, dass wir eine unkritische Haltung zu Attac einnehmen. Die offizielle Attac-Politik ist sehr begrenzt und geht nicht ?ber den Rahmen der kapitalistischen Marktwirtschaft hinaus. Wir treten f?r eine antikapitalistische Ausrichtung von Attac ein und sind der Meinung, dass der zuk?nftige Erfolg von Attac davon abh?ngt, ob sich Attac in diese Richtung weiter entwickeln kann oder bei einer begrenzten und reformistischen Politik und Praxis verharrt.
Die nachfolgenden Artikel fassen die Analyse der Attac-Politik, vor allem der zentralen Forderung nach einer Tobin-Steuer, und die praktischen Vorschl?ge der SAV f?r Attac zusammen