In der Nacht des 30. September wurde ein Apartmentkomplex im Süden von Chicago zu einem Albtraum für die Bewohner*innen: Ihr Zuhause verwandelte sich in ein Kriegsgebiet. Bundesbeamte seilten sich aus Hubschraubern ab, warfen Blendgranaten, verwüsteten Wohnungen, schleppten Kinder nach draußen und nahmen 37 Personen fest.
Zusammengestellt aus Texten von Socialist Alternative
Die ICE (Abschiebepolizei) leitete die Razzia ohne Durchsuchungsbefehl. Hunderte von Beamt*innen verschiedener Behörden waren beteiligt, darunter die Grenzpolizei, US-Marshals, die DEA (Drogenpolizei), die ATF (Finanzpolizei) und das FBI. Kurz zuvor hatte ein ICE-Beamter einen unbewaffneten Mann in Franklin Park erschossen.
Trump hat seit dem ersten Tag seiner zweiten Amtszeit das Ziel, das Land in einen autoritären Polizeistaat umzuwandeln. Im Juli bewilligte der Kongress zusätzliche Mittel in Höhe von 170 Milliarden Dollar für vier Jahre für die Einwanderungs- und Grenzschutzbehörden. Davon gehen 75 Milliarden Dollar direkt an die ICE, wodurch diese größer wird als alle anderen Bundespolizeibehörden zusammen.
Trumps Regime hat mit der ICE noch weitere Pläne, die über Angriffe auf Migrant*innen hinausgehen. Er will sie als seine eigene Privatarmee und Terror-Einheit einsetzen, die sich gegen jede Art von Aktivität richten kann, die sie für verdächtig oder kriminell hält. Die verstärkte Repression wird besonders hart gegen Oppositionelle wie streikende Arbeiter*innen, Aktivist*innen, Linke oder Angehörige marginalisierter Gruppen vorgehen.
Das Regime nutzt friedliche Proteste gegen die Überfälle der ICE-Prügeltruppen, um die angebliche „Gewalt der Antifa” und „Krieg in den Städten” heraufzubeschwören und den Einsatz von Nationalgarde und Militär in von der Demokratischen Partei regierten Städten zu legitimieren. Trump testet damit auch, was die Demokrat*innen mit sich machen lassen. Deren Widerstand ist weitgehend symbolischer Natur und beschränkt sich auf Klagen vor Gericht und den Aufruf, Demokraten zu wählen. Letztlich setzen sie den ICE-Überfällen nichts entgegen.
Repression und Hetze
Die Regierung hat den Mord an dem rechtsextremen Aktivisten Charlie Kirk am 11. September genutzt, um ihre nationalistische, christliche-fundamentalistische Agenda zu pushen und ihre Basis zu mobilisieren. In Trumps National Security Presidential Memorandum 7 von Ende September heißt es: „Zu den gemeinsamen Merkmalen, die dieses gewalttätige Verhalten beflügeln, gehören Antiamerikanismus, Antikapitalismus und Antichristentum, die Unterstützung des Sturzes der Regierung der Vereinigten Staaten, Extremismus in Bezug auf Migration, Rasse und Geschlecht sowie Feindseligkeit gegenüber denen, die traditionelle amerikanische Ansichten zu Familie, Religion und Moral vertreten.”
Diese Feindbildbestimmung ist eine treffende Zusammenfassung von Trumps Agenda und der reaktionären Wende der herrschenden Klasse. Sie ist zudem so weit gefasst, dass sie fast jede Form politischer Opposition umfasst. Unterdessen ist die konterrevolutionäre Bewegung zur Beseitigung oder Untergrabung der noch verbliebenen Errungenschaften von Frauen, Schwarzen und LGBTIQ*-Personen seit den 60er Jahren in vollem Gange.
Neben Angriffen auf alle Institutionen der bürgerlichen Demokratie, Unis und der Wissenschaft, versucht die Trump-Regierung sicherzustellen, dass die Republikaner bei den Zwischenwahlen 2026 die Mehrheit beider Kammern des Kongresses behalten. Trump will über eine Neufestlegung der Wahlbezirke in Texas mehr Wahlbezirke schaffen, in denen die Republikaner gewinnen. Zudem wurden Maßnahmen ergriffen, um Wähler*innen aus den Wählerverzeichnissen zu streichen.
7 Millionen auf den Straßen
Der Widerstand gegen den autoritären Umbau ist stärker geworden. Beim ersten „No Kings”-Protest im Juni waren 5 Millionen Menschen bei 2000 Aktionen auf der Straße, am 18. Oktober 7 Millionen bei 2500 Aktionen.
Das Problem ist allerdings nach wie vor der Einfluss der Demokratischen Partei auf diese Proteste, die kein Interesse daran hat, eine andauernde Bewegung aufzubauen. Die Demokraten wollen die Aktionen kontrollieren, an sich reißen und dann neutralisieren. Unter Druck können sich die Dinge natürlich weiterentwickeln, beispielsweise hat Brandon Johnson, der Bürgermeister von Chicago, in einer Rede bei der No-Kings-Demonstration zu einem Generalstreik aufgerufen. Konkrete Schritte in diese Richtung unternimmt er jedoch nicht.
Protesttage alle drei Monate werden die Angriffe des Regimes nicht stoppen. Eine Ausweitung müsste in Form einer koordinierten Verweigerung der Zusammenarbeit mit der ICE durch Beschäftigte und Gewerkschaften, massenhaften, organisierten zivilen Ungehorsams wie der Blockade der Ein- oder Ausfahrt von ICE-Fahrzeugen und Streiks erfolgen.
Die Gewerkschaften spielen eine Schlüsselrolle als Bindeglied zwischen den Kämpfen, die Arbeitende unterschiedlicher Herkunft und aus verschiedenen Branchen zusammenbringen. Die Chicago Teachers Union (CTU) hat dazu aufgerufen, in Schulen „Zuflucht-Teams“ für Schüler*innen zu organisieren, um für den Fall eines Besuchs der ICE vorbereitet zu sein. Dieses Beispiel muss von weiteren Gewerkschaften aufgegriffen werden, verbunden mit der Entwicklung einer offensiven Kampfstrategie. Die CTU könnte eine Vorreiterrolle übernehmen, indem sie einen eintägigen Streik aller wichtigen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes organisiert, um Chicago lahmzulegen.
In jeder Stadt sollten Widerstands-Bündnisse mit klaren Forderungen aufgebaut werden. Socialist Alternative schlägt als zentrale Losungen vor: 1) Keine Zusammenarbeit mit der ICE und der Nationalgarde; 2) Kein Vertrauen in die Demokraten oder die Gerichte, baut den Widerstand der arbeitenden Klasse auf, 3) Abschaffung von ICE, um das Gesundheitswesen und die Schulen zu finanzieren, 4) Vorbereitung eines eintägigen Streiks, um die Stadt lahmzulegen.
Aggressiver Imperialismus
Trump versucht, die Außenpolitik in den Fokus zu rücken, unter anderem durch militärische Provokationen gegen Venezuela und Morde an mutmaßlichen venezolanischen Bootsbesatzungen durch US-Kriegsschiffe in der Karibik. Der „Gaza-Deal” dient einerseits dazu, das außer Kontrolle geratene rechtsextreme Regime in Israel zurückzupfeifen, bevor es noch mehr Opposition in den arabischen Ländern und weltweit hervorruft, andererseits dazu, positive Schlagzeilen für Trump zu produzieren.
Angeberei und Sprüche von Trump, er sei der Super-Friedensstifter, sind jedoch eine Ablenkung. Innen- und Außenpolitik sind eng miteinander verbunden. Aus Sicht der herrschenden Klasse der USA, ist es Trumps Job, die Nation für die kommenden Konflikte mit China zu mobilisieren, ökonomisch, ideologisch, militärisch. Das Militär wird unter Kriegsminister Hegseth mit symbolischer Härte darauf vorbereitet, sowohl im Innern als auch nach außen für die Interessen der Herrschenden zu agieren. Verbündete Mächte werden verbal zu Vasallen degradiert, um zu verdeutlichen, dass die USA den Kurs bestimmen.
Aus diesen Gründen akzeptieren die US-amerikanischen Kapitalist*innen einen durchgeknallten Egomanen als Präsident. Sie halten es aus, dass Trumps Wirtschaftspolitik kurzfristig Verheerungen anrichtet – z.B. durch Zollkriege, die kaum industrielle Jobs zurück in die USA bringen, oder durch die Verfolgung und Inhaftierung migrantischer Arbeitskräfte, die dringend benötigt werden. Sie nehmen das hin, weil seine strategische Vorbereitung auf die Eskalation der weltweiten Konkurrenz aus ihrer Sicht alternativlos ist und weil Trump mit seiner brachialen Schock-Taktik, sich über Gesetze und demokratische Abläufe hinwegzusetzen, der Richtige für diesen Job ist.
Es ist nicht ausgemacht, dass er mit diesen Methoden durchkommt. Die Trump-Regierung sitzt trotz Repression und Hetze nicht sicher im Sattel. In einer Umfrage im Oktober 2025 gaben nur 34% an, mit der Wirtschaftspolitik einverstanden zu sein, 52% waren dagegen. Nur 27% sehen die wirtschaftliche Situation als gut, 72% als mäßig oder schlecht. Für die Basis der MAGA-Bewegung („Make America Great Again”) ist die wirtschaftliche Lage entscheidend.
Trump ist besiegbar
Trump ist für die herrschende Klasse wichtig, weil er eine Massenbasis an Wähler*innen hat. Wenn diese bröckelt, gibt es für Trump – oder eventuelle Nachfolger aus seiner extrem rechten Clique – zwei Möglichkeiten: Entweder teilweiser Rückzug oder weitere Verschärfung der autoritären Methoden samt Einsatz von ICE, Armee oder anderen bewaffneten Einheiten gegen politische Gegner*innen. Dann allerdings mit dem Risiko, dass die Proteste dagegen dauerhaft und solider werden, z.B. durch gewerkschaftliche Streiks, und es den Regime-Gegner*innen von heute gelingt, über die Klassenfrage eine Brücke zu Teilen von Trumps ehemaliger Basis zu bauen.
Bild: Paul Goyette – Flickr CC BY 2.0

