Grüne Regierungsrealität

Wie keine andere Partei werden Bündnis 90/Die Grünen mit dem Thema Klima- und Umweltschutz identifiziert. Kein Wunder, das ist ihre Gründungsmission. Die FridaysForFuture-Bewegung hatte das Thema vor Corona wieder auf die öffentliche Agenda gesetzt. An vielen Orten engagierte sich die Grüne Jugend stark in der Bewegung. So manche FFF-Aktive verknüpfen einige Hoffnung und Erwartungen mit der Partei. Einige haben angekündigt, für den Bundestag auf Listen der Grünen zu kandidieren, wie der Ex-Bundessprecher von FFF, Jakob Blasel.

Von Angela Bankert, Köln

In den 1980er Jahren legten die Grünen viel Wert auf die Verankerung in Bewegungen. Viele kamen auch aus der Umwelt- und Friedensbewegung. Inzwischen sind der enge Bezug zu Bewegungen, das Primat der Partei vor der Fraktion, Mandatszeitbegrenzung und Rotation der Ämter passé. War früher vom Zusammengehören des parlamentarischen Standbeins und des Bewegungs-Spielbeins die Rede, so sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner heute, Partei und Bewegung „haben eben verschiedene Rollen“. Was dabei herauskommt und was von einer schwarz-grünen Bundesregierung zu erwarten ist, davon kann man bei den Landesregierungen in Hessen und Baden-Württemberg einen Eindruck gewinnen.

Knüppel frei in Hessen

In Hessen verteidigte der grüne Verkehrsminister Tarek Al-Wazir die Räumung der Baumhäuser im Dannenröder Forst und die Rodung eines Stück Waldes ausgerechnet für eine Autobahn. Der Bau des Verbindungsstücks der A49 mit der A5 wird durchgezogen, mit Verweis auf die Zuständigkeit des Bundes.

Noch in den 1990er Jahren hat selbst der Ober-Realo Joseph Fischer, damals grüner Umweltminister in Hessen, die Bundespolitik nicht einfach exekutiert, sondern Spielräume gesucht und genutzt, um eine Atomanlage in Hanau stillzulegen. Er verhinderte die Inbetriebnahme der Hanauer Brennelemente-Fabrik von Siemens, indem er alle Register von Sicherheitsanforderungen und -prüfungen zog.

Auch im Bereich der Innenpolitik tolerieren sie weiterhin den hessischen Innenminister Peter Beuth im Amt, der im Zusammenhang mit der Affäre um rechte Netzwerke in der Polizei längst abgesägt gehört. Rücktrittsforderungen werden nicht erhoben.

Zur Regierungsbilanz der hessischen Grünen schrieb die ZEIT unter dem Titel „Schuld und Grüne“ unlängst: „Lieber verscherzen es sich die Grünen mit der Natur als mit der CDU.“ Und weiter: „Wer als Veränderungspartei antritt und schon vor ein paar Verwaltungsvorschriften einknickt, steht irgendwann vor einem Glaubwürdigkeitsproblem.“

Grüne Autopartei

Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, forderte eine Kaufprämie für Verbrennungsmotoren, warnt vor übermäßiger Kritik an der deutschen Autoindustrie und legte den Klimaaktivist*innen letztes Jahr nahe, doch lieber zurück in die Schule zu gehen. Sein Verkehrsminister Winfried Hermann war früher als MdB im Verkehrsausschuss noch ein vehementer Streiter gegen das Projekt S21. Doch inzwischen ziehen die Grünen in Land und Kommune das Katastrophen-Projekt durch. Zehn Milliarden Euro werden für die Vernichtung eines funktionierenden Bahnhofs und die Verringerung der Beförderungskapazitäten ausgegeben, um profitträchtige Immobilien in der Innenstadt freizusetzen.

Auch in Sachen Feinstaubbelastungen in der Autostadt Stuttgart wurde nichts unternommen, bis die Umwelthilfe klagte und Beugehaft für Kretschmann beantragte, weil Gerichtsurteile zu Fahrverboten nicht umgesetzt wurden. Ein schärferes Polizeigesetz ging mit Zustimmung der Grünen durch, das präventive Fußfesseln sowie Software für die Polizei zum Mitlesen verschlüsselter Chats ermöglicht.

Schon nach der ersten Amtsperiode der Grünen, damals noch mit der SPD, lobte der Chef der Bekleidungsfirma Trigema, Wolfgang Grupp, den Ministerpräsidenten Kretschmann, er habe seine Sache „sehr gut gemacht“ und müsse im Amt bleiben. Grupp gab bekannt, er als traditioneller CDU-Wähler werde zum ersten Mal für die Grünen stimmen.

Nun ist auf Landesebene deutlich weniger politischer Handlungsspielraum als auf Bundesebene. Stimmt. Darum ist es für jede bewegungsorientierte Partei die große Frage, ob man sich in Landesregierungen ein- und festbinden lässt. Das gilt ebenso für die Partei DIE LINKE. Denn egal welche politische Konstellation auf Landesebene, egal welches Bundesland: nirgendwo gibt es den berühmten „Politikwechsel“ hin zu einer „sozial-ökologischen Transformation“ zu besichtigen. In Parlamenten und Regierungen wird nichts Grundlegendes bewegt, was nicht vorher breit in der Gesellschaft verankert und wofür gekämpft wurde. Climate Change verhindern bleibt Handarbeit.