Zwangsarbeit: Geflüchtete sind nur der Anfang

Christian Herrgott, neu gewählter CDU-Landrat des Saale-Orla-Kreises in Thüringen, interpretiert seinen Namen offenbar eher in einer strafenden Rolle („Was er tat, missfiel dem Herrn, und so ließ er auch ihn sterben“, 1 Mose 38,10) als im Sinne einer „christlichen Nächstenliebe“. Schon im Wahlkampf forderte er „Bürgergeld abschaffen, Konsequent abschieben“, um in Punkto Menschenfeindlichkeit mit seinem AfD-Konkurrenten mithalten zu können. Ende Februar löste er mit seinem Vorstoß, Geflüchtete, die in öffentlichen Unterkünften wohnen, zur Arbeit für 80 Cent Stundenlohn zu zwingen, bundesweit ein großes Medienecho aus.

von Jan Hagel, Hamburg

In der Debatte geht es, entsprechend dem aktuellen rassistischen Klima, um vermeintlich faule Geflüchtete, die nur arbeiten würden, wenn der Staat sie dazu zwingt. Von der Tatsache, dass die Betroffenen in den ersten 6-9 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland gar nicht arbeiten dürfen, lassen sich CDU, AfD und rechte Medien dabei nicht stören.

Im Anschluss an die Bezahlkarten-Debatte wird damit die rassistische Hetze auf materieller Ebene („Die kosten uns Deutsche Geld!“) fortgesetzt, bürgerliche Politiker*innen profilieren sich weiter mit Forderungen nach hartem Durchgreifen.

Rechtlich wird der Arbeitszwang über „Arbeitsgelegenheiten“ nach dem Asylbewerberleistungsgesetz durchgesetzt. Wer sich weigert, bekommt die 204€ monatliche Sozialleistungen gestrichen.

Angriff auf Geflüchtete, Erwerbslose und prekär Beschäftigte

Wie schon bei der Bezahlkarte, bei der eine Ausweitung auf Bürgergeld-Empfänger*innen wohl nur eine Frage der Zeit ist, folgt der Angriff auf Erwerbslose egal welcher Herkunft gleich im Anschluss. Der Kreistagsbeschluss aus dem Saale-Orla-Kreis, der die Debatte ausgelöst hat, umfasst nicht nur „Arbeitsgelegenheiten“ im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes, sondern auch Arbeitsgelegenheiten im Sinne von §16d SGBII – das bedeutet, alle erwerbsfähigen Empfänger*innen von Bürgergeld wären betroffen. Sie müssen allerdings nicht für 80 Cent, sondern für einen Euro pro Stunde arbeiten.

Solche Ein-Euro-Jobs gibt es schon seit der Einführung von Hartz IV 2005, aber in den letzten Jahren sind sie selten geworden. Das liegt einerseits an der vorübergehenden Abschaffung der Sanktionen, so dass Menschen, die Ein-Euro-Jobs verweigerten, nicht bestraft werden konnten. Andererseits spielt eine große Rolle, dass Ein-Euro-Jobs offiziell nicht als Ersatz für reguläre Beschäftigungsverhältnisse verwendet werden dürfen, sondern nur für „zusätzliche“ Arbeiten, die ohne Ein-Euro-Jobber*innen nicht erledigt würden. Nachdem Jobcenter dagegen verstoßen hatten, wurden sie verklagt und mussten Betroffenen nachträglich Tariflöhne zahlen. Eine entsprechende Regelung gab es bisher auch im Asylbewerberleistungsgesetz.

Aber mit dem „Rückführungsverbesserungsgesetz“ hat die Ampel Kommunen und gemeinnützigen Trägern erlaubt, Geflüchtete als Ersatz für eigene Beschäftigte und Leiharbeiter*innen einzusetzen. Eine ähnliche Gesetzesänderung beim Bürgergeld wäre jederzeit möglich. Damit droht Beschäftigten in befristeten oder Leiharbeits-Jobs, die bisher zumindest den Mindestlohn bekommen, die Kündigung und Ersetzung durch zur Arbeit gezwungene Geflüchtete und Erwerbslose, die für die Arbeitgeber erheblich billiger wären.

Bürgerliche Krisenvorsorge

Die Wiedereinführung und Verschärfung von Sanktionen gegen Bürgergeld-Empfänger*innen dient neben der rechten Feindbildpflege der Vorbereitung auf zukünftige Wirtschaftskrisen. Wenn man per Sanktion den Lebensstandard von Menschen unter das Existenzminimum absenkt, zwingt man sie auch zur Arbeit in tariflosen Mindestlohnjobs oder komplett ungeregelter Ausbeutung in illegalen Arbeitsverhältnissen. Die aktuelle Sozialpolitik der Ampel ist letztlich eine Rückkehr zu den Hartz-Reformen von 2005.

Damals richtete sich der Sozialabbau gegen eine deutlich größere Zahl von Erwerbslosen, die als Arbeiter*innen für den neuen Niedriglohnsektor gebraucht wurden. Jetzt betrifft er zwar auch Millionen von Menschen, wird aber seine vollen materiellen Folgen erst entfalten, wenn durch eine Wirtschaftskrise oder Produktivitätssteigerungen der Fachkräftemangel nachlässt. Dann bekommen Betriebe ohne Tarifvertrag direkt die Chance, Löhne zu drücken und Beschäftigte zu drastisch schlechteren Bedingungen einzustellen, weil die Behörden die Betroffenen – ob mit oder ohne deutschen Pass – vor die Wahl stellen werden, einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben oder für mehrere Monate zu hungern.

Foto: Rasande Tyskar (CC BY-NC)