
Die Macht lag bei den ArbeiterrÀten
Osteuropa in den 1950er Jahren: WĂ€hrend die Arbeitsnormen in den Fabriken steigen, verbessert sich die Lage der ArbeiterInnen nicht. Im Gegenteil: der Alltag fĂŒr sie ist beschwerlich, die Löhne sehr niedrig. So berichtet Pierre BrouĂ© ĂŒber Polen: âDer Angeklagte Kulas arbeitet von sechs Uhr frĂŒh bis Mitternacht und kann sich nicht ein Paar Schuhe fĂŒr 150 Zloty kaufen.â (1). Es gĂ€rt unter den ArbeiterInnen und BĂ€uerInnen.
Von Doreen Ullrich
Die Politbonzen genossen derweil ihre SonderlĂ€den, spezielle Gesundheitsvorsorge und mit Stacheldraht abgesicherte Urlaubsregionen. Das polnische PolitbĂŒromitglied Klosiewicz verdiente 40.000 Zloty und besaĂ einen Mercedes, wĂ€hrend ein polnischer Arbeiter gerade einmal 1.500 Zloty bekam. Der ungarische Minister Rakosi nannte eine Prachtvilla sein eigen. Eine ganze Kaste aus BĂŒrokraten lebte auf Kosten der ArbeiterInnen und BĂ€uerInnen.
Geheimdienste foltern
Ihre Macht sicherten die BĂŒrokraten mit Hilfe von Geheimdiensten. In Ungarn war es der AVH (Allma Vedelmi Hatosag). vermeintliche und reale Regimegegner wurden gefoltert, Menschen zu Denunziation angehalten und ein ganzes Volk in Angst versetzt. Der AVH war ein riesiger Apparat: âEs gab dort Gestapo-Folterkammern mit Peitschen, Galgen und Instrumenten zur Zermalmung der menschlichen GliedmaĂen. Es gab winzige Strafzellen. Da lagen Berge von Briefen aus dem Ausland, die durch die Zensur gehen sollten. Da standen ganze Batterien von TonbandgerĂ€ten zur Aufnahme von TelefongesprĂ€chen. Prostituierte wurden als Polizeispitzel und Lockvögel festgehalten.â (2)
Die Geheimdienstler, kurz AVOs genannt, verdienten sehr gut. WĂ€hrend der Durchschnittslohn in Ungarn etwa bei eintausend Forint lag, verdiente ein einfacher AVO etwa drei- bis fĂŒnftausend Forint, ein Offizier gerne neun- bis zwölftausend Forint.
Der Kreml profitiert
Die ProduktivitĂ€t der ArbeiterInnen kam auch dem âgroĂen Bruderâ UdSSR zu Gute. Mit unverschĂ€mten Handelsabkommen presste der Kreml die Ostblockstaaten aus. Als in Ungarn in den Gebieten von PĂ©cs reiche Uranvorkommen entdeckt wurden, beanspruchte die SowjetbĂŒrokratie diese fĂŒr sich allein, jahrelang wurde ĂŒber den Abbau des Urans geschwiegen, erst kurz vor der Revolution 1956 brach ein Physiker das Schweigen. (3)
Die russische BĂŒrokratie hatte ihre Finger ĂŒberall und musste sie haben, um ihre Privilegien und ihre Macht zu schĂŒtzen, und eine Revolution gegen sie selbst zu verhindern. Eine politische Revolution, die diese Kaste davon jagen und die eine von oben herab geplante Wirtschaft durch eine kleine Clique, durch eine Planwirtschaft mit Arbeiterkontrolle und -demokratie hĂ€tte ersetzen können. Wie das zu schaffen gewesen wĂ€re, das zeigte die ungarische Revolution 1956. Doch beginnen wir von vorn, warum stand das ungarische Proletariat auf?
Nach Stalin-Ăra
DafĂŒr mĂŒssen wir bereits ins Jahr 1953 zurĂŒckblicken. Im MĂ€rz starb Stalin, das erfĂŒllte viele ArbeiterInnen mit Hoffnung auf Besserung. In der BĂŒrokratie entbrannte ein Richtungsstreit â wie weiter nach Stalin? Dadurch ermutigt, begannen ArbeiterInnen Widerstand zu entwickeln. In Berlin streikten im Juni die Bauarbeiter und schnell entstand ein FlĂ€chenbrand in der DDR. Der Arbeiteraufstand wurde von der dort stationierten russischen Armee brutal niedergeschlagen.
Auch in Ungarn wurde 1953 heftig gestreikt. Die SowjetbĂŒrokratie bestellt die ungarische Regierung ein. Der von ArbeiterInnen verhasste MinisterprĂ€sident Matyas Rakosi wurde abgesetzt und durch den âReformerâ Imre Nagy ersetzt, er versprach wirtschaftliche Liberalisierung und einige politische ZugestĂ€ndnisse, jedoch keine wirkliche Demokratie. Teile der BĂŒrokratie hofften durch Nagys Beliebtheit den Streiks und Unruhen ein Ende zu setzen. Der Richtungsstreit jedoch ging weiter, und schon 1955 wurde Nagy wieder abgesetzt und vom Hardliner Hegedös ersetzt, Nagy selbst wurde aus der Partei ausgeschlossen.
1956 hielt Chruschtschow dann seine berĂŒhmte âGeheimredeâ auf dem 20. Parteitag der KPdSU. Als Reaktion auf die Unruhen und die gĂ€rende Stimmung im gesamten Ostblock und auch in Russland, kritisierte er Stalin und dessen Verbrechen, jedoch ohne die Position der BĂŒrokratenkaste insgesamt in Frage zu stellen oder grundlegende VerĂ€nderungen zu versprechen.
Aufstand in Polen
In Polen kam es zu einem Aufstand in der Region Poznan. Mit Streiks und bewaffneten KĂ€mpfen wurden die alten BĂŒrokraten weggefegt. Ersetzt wurden sie durch Gomulka, einem âgemĂ€Ăigtemâ BĂŒrokraten, der die Zwangskollektivierung abbremste und verschiedene andere populĂ€re MaĂnahmen durchfĂŒhrte.
In Ungarn gĂ€rte es derweil ebenso. Schriftsteller, Studierende und Intellektuelle grĂŒndeten 1955 den so genannten Petöfi-Kreis. Benannt nach einem ungarischen Nationalhelden und Dichter. Hier wurde kritisch debattiert – ganz genau wurde auch beobachtet, was in Polen vor sich ging.
Als im FrĂŒhherbst 1956 LĂĄszlĂł Rajk, der bei einem stalinistischen Schauprozess zum Tode verurteilt worden war, im Zuge der âEntstalinisierungâ von Chruschtschow rehabilitiert und wĂŒrdig begraben wurde, folgten 200.000 Menschen seinem Sarg. Auch wenn Rajk selbst kein Antistalinist war, so war er ein Symbol fĂŒr die Opfer der SĂ€uberungswelle unter Rakosi.
Die ersten Versammlungen und Forderungen
Inspiriert vom Aufstand in Polen organisierten Studierende in Budapest am 21. und 22. Oktober groĂe Versammlungen. Sie solidarisierten sich mit der polnischen Bewegung und stellten Forderungen fĂŒr Ungarn auf.
An der technischen UniversitĂ€t wurde eine Resolution mit 16 Punkten verfasst. Sie forderte unter anderem den Abzug aller sowjetischen Truppen, die RĂŒckkehr Imre Nagys an die Regierungsspitze, gleichberechtigte Beziehungen zur Sowjetunion, Revision der Arbeitsnormen und des Mindestlohns, Presse- und Meinungsfreiheit. AuĂerdem solidarisierten sie sich mit den KĂ€mpfen der polnischen ArbeiterInnen.
Als Reaktion darauf rief der Petöfi-Kreis zu einer Demonstration am 23. Oktober auf. Im Aufruf forderte er unter anderem die Entlassung Rakosis aus Partei und Regierung, das Ende des AVHs und richtete einen Appell an Imre Nagy, die Regierung zu ĂŒbernehmen.
Der Aufruf zur Demonstration wurde tatsĂ€chlich in der Presse veröffentlicht. Das half der Mobilisierung. Noch mehr half aber, dass die Demonstration erst verboten, dann aber doch wieder erlaubt wurde. Das wurde Regierung und Partei als Zeichen der SchwĂ€che ausgelegt. Nach Feierabend stieĂen ArbeiterInnen aus den Fabriken und BĂŒros zur Studierenden-Demo hinzu. Es ging hierhin und dorthin. Das verhasste Stalindenkmal wurde demoliert, die Masse zog vor dem Parlament auf und forderte die RĂŒckkehr Imre Nagys an die Regierungsspitze.
Waffen gegen Demonstranten
Am Abend sprach Ernö Gerö, der Nachfolger Rakosis, im Radio. Menschenmengen drĂ€ngten sich vor dem RundfunkgebĂ€ude. Doch Gerös Rede war eine reine Provokation, er sprach von âGesindelâ und âkonterrevolutionĂ€ren Elementenâ. Die Demonstranten wurden wĂŒtend. Die Studierenden forderten als Antwort auf Gerö, dass ihre Resolution im Radio verlesen wird und schickten eine Delegation. Nichts tat sich, schlieĂlich nahm man an, die Delegation sei verhaftet worden. Demonstranten versuchten das RundfunkgebĂ€ude zu stĂŒrmen. Dann feuerten die AVOs Gewehrsalven auf die Menschenmenge. Da brachen die letzten DĂ€mme in der Bewegung. Das Volk bewaffnete sich, viele Armeeeinheiten verbrĂŒderten sich mit den Protesten der ArbeiterInnen und Jugend, gaben Waffen aus. Der Rest der Waffen stammte aus den Betriebswaffenkammern. Barrikaden wurden gebaut, der Kampf gegen den verhassten AVH begann.
Die BĂŒrokratie bekam es mit der Angst zu tun, sie setzte Nagy wieder ein um die Menge zu beruhigen. Gleichzeitig aber rief sie die sowjetische Armee zur Hilfe, um den begonnenen Aufstand brutal niederzuschlagen. Nagys Ernennung zum MinisterprĂ€sidenten kam zu spĂ€t, die ArbeiterInnen fĂŒhlten ihre Macht. Die Zentren des Aufstandes waren inzwischen die groĂen Bastionen der Arbeiterbewegung, das rote Cespel zum Beispiel.
Am 25. Oktober kam es zu einer weiteren Demonstration vor dem ParlamentsgebĂ€ude in Budapest, wĂ€hrend sich die ungarische Armee und auch die gerufenen sowjetischen Truppen zurĂŒckhielten oder gar mit den Demonstranten sympathisierten, verteidigten die AVOs die BĂŒrokratie mit roher Gewalt. Von den DĂ€chern schossen sie auf die DemonstrantInnen, etwa dreihundert Tote waren zu beklagen.
Russische Soldaten laufen ĂŒber
Die ersten sowjetischen Panzer rollten in dem selben Zeitraum auf Budapest zu. Den russischen Soldaten wurde erklĂ€rt, sie hĂ€tten es mit KonterrevolutionĂ€ren zu tun. Doch was ihnen in den StraĂen der ungarischen Hauptstadt begegnete, war das Volk. MĂ€nner und Frauen redeten auf sie ein, erklĂ€rten ihre Forderungen. Es gab VerbrĂŒderungsgesten. âAuf dem Wege zum ParlamentsgebĂ€ude begegneten sie einem sowjetischen Panzer, der Panzer hielt an, ein Soldat steckte den Kopf heraus, und die Vordersten der Menge begannen zu erklĂ€ren, dass sie unbewaffnet und friedliche Demonstranten seien. Der Soldat sagte ihnen sie sollten auf den Panzer springen, einige taten das, und der Panzer setzte sich zusammen mit dem Zug in Bewegung (âŠ). Der sowjetische Kommandant sagte gerade, âIch habe Frau und Kinder die in der Sowjetunion auf mich warten, ich habe gar kein Verlangen in Ungarn zu bleibenâ.â (4)
Auch die ungarische Armee lief auf die Seite des Aufstandes ĂŒber. Soldaten und Offiziere forderten wie die ArbeiterInnen und die Jugend den Abzug der sowjetischen Truppen, die MachtĂŒbernahme von Nagy und Aburteilung der fĂŒr die SchieĂereien Verantwortlichen.
Generalstreik und ArbeiterrÀte
Als Reaktion auf die Gewaltorgie der AVOs und ihrer BĂŒrokratie beschlossen die ArbeiterInnen den Generalstreik. âWir rufen alle Ungarn zum Generalstreik auf. Solange die Regierung nicht unsere Forderungen erfĂŒllt, solange die Mörder keine Rechenschaft ablegen mĂŒssen, solange werden wir der Regierung mit dem Generalstreik antwortenâ, hieĂ es in einem Flugblatt (5)
Mit dem Beginn des Generalstreiks entstanden ĂŒberall in Ungarn ArbeiterrĂ€te. Sie waren wohl das beeindruckendste Element der ungarischen Revolution.
âSie waren Organe des Aufstandes â eine Versammlung von Abgeordneten, die von Fabriken, UniversitĂ€ten, Bergwerken und Armee-Einheiten gewĂ€hlt worden waren â und gleichzeitig Organe einer volkstĂŒmlichen Selbstverwaltung, der das bewaffnete Volk vertraute. Als solche besaĂen sie eine ungeheure AutoritĂ€t, und es ist nicht ĂŒbertrieben, wenn man behauptet, dass bis zu dem sowjetischen Angriff vom 4 . November die tatsĂ€chliche Gewalt im Land in ihren HĂ€nden lag.â (6)
Schon am 1. November gab es ĂŒberall im Land ArbeiterrĂ€te, sie stellten Forderungen auf, wie den Abzug der sowjetischen Truppen, Auflösung des AVHs oder auch Lohnerhöhungen. Die RĂ€te sorgten auch fĂŒr die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Produktion in den Betrieben, die Verteilung von Lebensmitteln. AuĂerdem organisierten sie den Kampf. Einige RĂ€te forderten auch eine regionale und nationale Vernetzung. In Budapest wurde spĂ€ter ein zentraler Rat gegrĂŒndet.
Ein Reporter des britischen Observers beschrieb die RĂ€te so: âPhantastisch ist, dass trotz Generalstreik und ohne zentral organisierte Industrie die Arbeiter die wichtigsten Dienstleistungen auf eigene Faust nach eigener Zielsetzung und Vorstellung erledigen. ArbeiterrĂ€te haben in den Industriebezirken die Verteilung wichtiger Waren und Nahrungsmittel unter die Bevölkerung ĂŒbernommen, um am Leben zu bleiben. Die Kohlebergleute bauen tĂ€glich so viel Kohle ab, dass die Kraftwerke und KrankenhĂ€user in Budapest und anderen groĂen StĂ€dten damit versorgt werden können. Eisenbahner organisieren ZĂŒge, die zu bestimmten Zwecken an bestimmte Orte fahren.â (7)
War die Revolution antisozialistisch?
Von Stalinisten auf der ganzen Welt wurde und wird behauptet, dass die Revolution von 1956 antikommunistisch und konterrevolutionĂ€r war. So schrieb der britische Daily Worker (Zeitung der britischen KP): âIn Ungarn geht es um die sozialistischen Errungenschaften der letzten 12 Jahre oder eine RĂŒckkehr zum Kapitalismus, zum GroĂgrundbesitz und zum Horty Faschismus…â (8)
Die ArbeiterrĂ€te machten deutlich, dass sie nicht zum Kapitalismus zurĂŒck wollten. Ja, sie wollten die sowjetischen Truppen aus dem Land haben und die UnabhĂ€ngigkeit Ungarns. Doch sie konnten sich noch gar zu sehr an die Zeit der GroĂjunker und Banker erinnern. Dahin wollten sie nicht zurĂŒck.
So erklĂ€rt Radio Györ fĂŒr den dortigen Arbeiterrat: âWir wollen nicht die Wiederkehr des alten kapitalistischen Systems, wir wollen ein freies und unabhĂ€ngiges Ungarn.â (9)
Der neu gebildete Nationalrat der Freien Gewerkschaften veröffentlichte in seiner Resolution weitreichende wirtschaftliche Forderungen, die deutlich belegten, dass ein ZurĂŒck zum Kapitalismus nicht gewollt war. So stand im Punkt 1: âBildung von ArbeiterrĂ€ten in sĂ€mtlichen Betrieben damit a) die Arbeiterselbstverwaltung eingefĂŒhrt wird und b) die staatliche Zentralverwaltungswirtschaft grundlegend geĂ€ndert wird.â (10)
Nachdem die Armee sich auf Seiten der Arbeiter*innen geschlagen hatte, lieĂ sie FlugblĂ€tter verteilen und forderte unter anderem; âEine wirklich demokratische Basis fĂŒr den ungarischen Sozialismusâ (11)
Und die Studierenden erklĂ€rten: âWir haben uns nicht erhoben, um die Basis der ungarischen Republik zu Ă€ndern, aber wir wollen die Art von Sozialismus und Kommunismus, die dem entspricht, was Ungarn will. Daran sind wir uns alle einigâ (12)
Zeit der Doppelherrschaft
Die ArbeiterrĂ€te setzten Nagy unter Druck, er musste diese sogar anerkennen und zu ihrem Aufbau aufrufen, auch versprach er Verhandlungen ĂŒber den Abzug der Sowjettruppen zu fĂŒhren. Das war der Zeitpunkt einer Doppelherrschaft. Auf der einen Seite standen die Arbeiter-, Bauern- und SoldatenrĂ€te, die die Macht ausĂŒbten. Auf der anderen Seite stand die von Nagy organisierte stalinistische Regierung.
Von den ArbeiterInnen unter Druck stehend, erklĂ€rt Nagy, dass es tatsĂ€chlich Verhandlungen mit Moskau gebe. Er erklĂ€rte den Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt und die NeutralitĂ€t Ungarns, auĂerdem versprach er die Auflösung des AVHs.
Die AufstĂ€ndischen sahen sich ihrem Sieg nahe, es gab GerĂŒchte, dass die russischen Panzer sich aus Budapest zurĂŒckziehen. War es das? Hatte man gesiegt? Nagy rief zu Ruhe und Ordnung auf, niemand solle mehr âprovozierenâ oder âstörenâ, damit der Abzug der russischen Truppen garantiert werden könne. Diesen Aufruf befolgten zwar die ArbeiterInnen nicht, sie waren nach wie vor misstrauisch und setzten ihren Streik fort. Doch ein Teil der Armee und auch die Polizei begann wieder, Nagys Anweisungen Folge zu leisten.
Die Konterrevolution
Zur gleichen Zeit plante der Kreml bereits die Gegenoffensive, zu groĂ war die Angst, dass die ArbeiterrĂ€te vollends die Macht ergreifen könnten. Der BĂŒrokratie in Moskau war auch klar, dass selbst Nagy die ArbeiterInnen nicht kontrollieren konnte.
Am 4. November rollte die zweite russische Invasion in Budapest ein. Diesmal war der Kreml besser vorbereitet, er schickte Soldaten aus dem asiatischen Teil der Sowjetunion, die nicht mit den Ungarn kommunizieren konnten. Wo sich die Soldaten befanden, wurde Ihnen nicht erklĂ€rt. âVerschiedene einfache sowjetische Soldaten haben den Leuten in den letzten beiden Tagen gesagt, sie hĂ€tten keine Ahnung davon gehabt das sie nach Ungarn gekommen waren. Sie hĂ€tten zuerst geglaubt, sie seien in Berlin und kĂ€mpften gegen deutsche Faschisten.â (13)
Mit aller HĂ€rte schlugen die circa sechstausend russischen Panzer die Revolution im ganzen Land nieder. âGroĂe Teile der Stadt â vor allem Arbeiterviertel â liegen praktisch in TrĂŒmmern. Vier Tage und NĂ€chte lang wurde Budapest unausgesetzt bombardiert. Ich sah, wie die einst schöne Stadt zur Unterwerfung gebracht wurde, indem sie zerschossen, zerschlagen, zerschmettert und ausgeblutet wurde.â (14)
Imre Nagy flĂŒchtete in die jugoslawische Botschaft, er wurde spĂ€ter mit anderen Regierungsmitgliedern ermordet. Eine pro-russische Regierung unter Janos Kadar wurde installiert.
Die ArbeiterInnen versuchten indes, die Revolution zu halten und leisteten den sowjetischen Truppen heroischen Widerstand, auch wenn deutlich war, dass sie den Sowjettruppen militÀrisch unterlegen waren. Zehn Tage lang hielten erbitterte KÀmpfe an, aber die militÀrische Niederlage war nur eine Frage der Zeit.
Die neue Regierung um Janos Kadar ĂŒbte sich in der Zuckerbrot-und-Peitsche-Taktik. Die KĂ€mpferInnen wurden als KonterrevolutionĂ€re betitelt, eine Propagandaschlacht gegen die Revolution begann, wĂ€hrend gleichzeitig Versprechungen nach RĂŒckzug der sowjetischen Truppen und demokratischen Rechten gemacht wurden. Einige der schlimmsten Stalinisten wurden von Kadar aus der Partei geworfen, im selben Atemzug ging er gegen die ArbeiterrĂ€te vor.
Kadar forderte die ArbeiterInnen auf, in die Fabriken zurĂŒckzukehren, noch weigerten diese sich, aber die Doppelherrschaft begann zu bröckeln. Als fĂŒr die Regierung klar wurde, dass Versprechungen nichts helfen wĂŒrden, begann sie ihre Drohungen auszuweiten und die Forderung nach Streikende immer wieder zu bekrĂ€ftigen. Kadar erklĂ€rte: â…ein Tiger kann nicht durch irgendwelche Köder gezĂ€hmt werden, man kann ihn nur zĂ€hmen und dazu zwingen, sich friedlich zu verhalten, indem man ihn totschlĂ€gt…Jeder Arbeiter soll sofort und bedingungslos seine Arbeit so gut er kann wieder aufnehmen, anstatt SchriftstĂŒcke zu entwerfen und Forderungen zu kritzeln.â (15)
ArbeiterrÀte werden aufgelöst
Im Dezember begann mit der Verhaftung von zwei fĂŒhrenden Mitgliedern des zentralen Arbeiterrates von Budapest, die zu weiteren Verhandlungen mit Kadar geladen waren, eine Welle von Verhaftungen. Erst wurden nur einzelne Köpfe der RĂ€te verhaftet und als Aufhetzer, Spione des Kapitalismus oder Faschisten diffamiert. Als das die RĂ€te nicht schwĂ€chte, nahmen Kadars Handlanger auch die einfachen Mitglieder der RĂ€te mit. Eine SĂ€uberungswelle begann. Am 9. Dezember löste Kadar die ArbeiterrĂ€te auf, fĂŒgte aber hinzu, dass er sie in Betrieben und Bergwerken bestehen lassen wolle.
Mit einem neuen und vollstĂ€ndigen Generalstreik am 11. und 12. Dezember bĂ€umte sich das ungarische Proletariat gegen diese MaĂnahmen auf. Das gesamte Land lag lahm. Doch gegen die Ăbermacht der russischen Armee hatten sie kaum eine Chance. Als im Januar die ArbeiterInnen von Cespel erneut demonstrierten, gab es wieder Tote. Danach löste sich der Rat von Cespel auf, die Niederlage war deutlich zu spĂŒren.
Die Konterrevolution schlug in der nĂ€chsten Phase hart zu. UnzĂ€hlige wurden verhaftet und ermordet. Mehr als 20.000 Menschen lieĂen wĂ€hrend der ungarischen Revolution ihr Leben, viele Zehntausende wurden mit Einsetzen der Konterrevolution ins GefĂ€ngnis gesteckt. Die Regierung unter Kadar saĂ wieder fest im Sattel, die ArbeiterrĂ€te waren am Ende… die Revolution niedergeschlagen.
Warum die Niederlage?
Der Kreml war entschiedenster Gegner der Revolution. Ein unabhĂ€ngiges Ungarn, organisiert von ArbeiterrĂ€ten, wĂ€re eine Bedrohung fĂŒr die Macht der BĂŒrokratie in Moskau gewesen. Die Herrschenden im Westen nutzten die ungarische Revolution zur Propaganda gegen den Kommunismus. Sie hatten gegen die Massaker gegen das ungarische Volk aber nichts einzuwenden, denn eine wirkliche Arbeiterdemokratie wĂ€re auch fĂŒr sie gefĂ€hrlich geworden und hĂ€tte im Westen ArbeiterInnen zum Kampf inspirieren können. So stand das ungarische Volk allein da.
Die bittere Lehre: Auf âReformerâ wie Nagy kann die Arbeiterklasse nicht setzen. Revolutionen mĂŒssen zu Ende gebracht werden und die Macht gĂ€nzlich in die HĂ€nde demokratischer Organe der Bevölkerung, wie den ArbeiterrĂ€ten, ĂŒbergehen. So richtig die GrĂŒndung der ArbeiterrĂ€te war, so verkehrt waren die Appelle an Nagy, die Macht zu ĂŒbernehmen.
Der ungarischen Revolution fehlte eine revolutionĂ€re Partei, die eine Strategie zur Errichtung einer wirklichen Areiterdemokratie hĂ€tte aufzeigen können. Teil einer solchen Strategie wĂ€ren Appelle an die Arbeiterklasse in anderen LĂ€ndern Europas gewesen, der ungarischen Revolution zur Hilfe zu kommen. Dann hĂ€tte ein Sieg der Arbeiterklasse in Ungarn das Gesicht Europas Ă€ndern und das Tor zu den Vereinigten Sozalistischen Staaten von Europa aufstoĂen können.
Trotz allem war die ungarische Revolution ein Ausblick darauf, wie die ArbeiterInnen die Macht ĂŒbernehmen können. Vor allem die Entstehung und Organisierung der ArbeiterrĂ€te sind eine wichtige Lehre fĂŒr kĂŒnftige KĂ€mpfe und Revolutionen. Auch wenn das heutige Ungarn unter Orban noch weit von Ereignissen wie 1956 entfernt ist, so ist die ungarische Revolution nicht vergessen und schlummert das selbe Potential immer noch in den ArbeiterInnen um sich vom Joch der UnterdrĂŒckung zu befreien und die eigenen Geschicke selbst in die Hand zu nehmen.

