5 Gründe für die Enteignung der Autoindustrie 

48 Millionen Autos rollen durch Deutschland – und es werden immer mehr. Pro Monat werden von den 780.000 Beschäftigten in der deutschen Automobilindustrie etwa 300.000 neue Autos gebaut. Die Autodichte steigt: 580 Autos kommen auf 1000 Einwohner*innen, trotz Klimakatastrophe. Wir müssen die Autoflut stoppen.

Von Sebastian Rave, Bremen

1. Der Individualverkehr ist klimaschädlich 

Dass die Klimabilanz der Blechkisten schlecht ist, weiß jedes Kind. 20% aller klimaschädlichen Emissionen in Deutschland werden vom Verkehr verursacht, 95% davon gehen auf das Konto von Autos – und da ist die Produktion nicht einmal mit einberechnet. Pro Person und Kilometer werden mit dem Auto etwa doppelt so viel Treibhausgase ausgestoßen wie mit U- und S-Bahn, dreieinhalb mal so viel wie im Fernverkehr mit der Bahn und anderthalb mal so viel wie mit Linienbussen. Daran ändert übrigens auch eine andere Antriebsart nicht viel. Ob Verbrenner oder Elektrisch: Der Energieaufwand, neben dem meist einzigen Passagier noch durchschnittlich 1,7 Tonnen Karosserie, Motor, Klimaanlage, Entertainment-System, Sicherheitssysteme und Batterie zu transportieren, ist enorm.

Obwohl Autos heutzutage etwas weniger CO2 ausstoßen, steigen die Gesamtemissionen aufgrund der immer fetter werdenden Karren, und weil immer mehr gefahren wird. Das Umweltbundesamt stellt ein wenig hilflos fest: “Die Umwelt- und Klimaentlastung im Personenverkehr kann letztlich nicht allein durch technische Verbesserungen am Fahrzeug oder alternativen Antrieben erreicht werden. Diese Herausforderung kann nur in Kombination mit Maßnahmen wie einer Erhöhung der Verkehrseffizienz, einer sinkenden Verkehrsnachfrage oder einer veränderten Verkehrsmittelwahl gelöst werden.” 

2. Autos fressen unseren Lebensraum auf 

Der Siegeszug des Autos geht einher mit der Zersiedelung der Städte. Weil die Mieten und Grundstückspreise weiter draußen günstiger sind, weichen immer mehr Menschen in die Außenbezirke aus und pendeln von dort zu ihrem Arbeitsplatz in die Stadt. Mit dem Auto, weil der ÖPNV zu selten fährt, dann zu voll, aber dafür zu teuer ist. Weil Arbeiter*innen zu wenig Freizeit haben, erledigen sie den Einkauf dort, wo man schnell alles auf einmal bekommt: In einem Einkaufszentrum. Mit dem Auto natürlich, weil man den wöchentlichen Großeinkauf anders nicht transportieren kann. Einkaufszentren und immer größere Supermärkte verdrängen kleinere Geschäfte in der Nachbarschaft, und schon ist man aufs Auto “angewiesen”. Die Stadt hat sich dem Auto angepasst. Jede Straße ist vollgestopft mit Autos, meist parkenden. Im Schnitt stehen die “Fahr”zeuge nämlich 95% der Zeit herum und nehmen Platz weg. Platz, der immer teurer wird. Der Verdrängungsdruck nimmt zu, und der Teufelskreis dreht eine weitere Runde im Kreisverkehr. 

3. Die Autoindustrie bestimmt die Politik

Der Grund fürs Ausbleiben der Verkehrswende: Die Autoindustrie und ihre Lobby. Keine andere Industrie in Deutschland ist so mächtig. Ehemalige Spitzenpolitiker*innen landen auf gut bezahlten Posten in der Autoindustrie: Wie Matthias Wissmann (CDU), der von 1993-1998 Bundesverkehrsminister war und von 2007-2018 Vorsitzender des Verbands der Automobilindustrie wurde. In seiner Verkehrsminister-Amtszeit wurde die Deutsche Bahn privatisiert, in seine Zeit als Lobbyist fiel der Abgasskandal, bei dem sich Audi, BMW, Daimler, Porsche und VW zu einem Kartell zusammengeschlossen hatten, um die Welt gemeinsam über ihre angeblich “sauberen” Autos zu betrügen – wovon Wissmann nichts gewusst haben möchte. Auch dem aktuellen Verkehrsminister Volker Wissing winkt nach seiner Amtszeit mit Sicherheit ein gut bezahlter Aufsichtsratsposten in der Autoindustrie, immerhin hat er erfolgreich eine Geschwindigkeitsbegrenzung verhindert, unter anderem, weil es ja nicht ausreichend Verkehrsschilder gebe. Kein Scherz.

Die gleichen Politiker*innen sind dafür verantwortlich, dass das Dienstwagenprivileg genauso erhalten wird wie die Steuererleichterung für Diesel – ebenso wie immer neue Autobahnbauprojekte. Der Bundesverkehrswegeplan von Verkehrsminister Wissing sieht 3.300 Kilometer neue Autobahnen und Bundesstraßen sowie die Erweiterung von 2.749 Kilometern Fernstraßen bis 2030 vor. Die streifenweise Zubetonierung der Landschaft setzt sehr viel CO2 frei, Treibhausgassenken wie Moore werden zerstört, und mehr Verkehr induziert. Mit dem Verkehrswegeplan erfüllt das Verkehrsministerium alle Wünsche der Autoindustrie. Das Problem heißt Lobbyismus, und eine Autoindustrie, die mit ihrem wirtschaftlichen Gewicht die Politik in der Hand hat.

.4 E-Autos: Keine Verkehrswende

Die Autokonzerne zwingen sich gegenseitig in ihrem Konkurrenzkampf dazu, immer mehr Autos zu verkaufen, um ihre Marktanteile zu erhalten. Eine Studie von OECD und der Internationalien Transportarbeiterföderation ITF  geht davon aus, dass im Jahr 2050 bis zu 2,4 Milliarden Autos durch die Welt fahren – aktuell sind es etwa 900 Millionen. Selbst wenn ein großer Anteil davon elektrisch angetrieben sein wird, und selbst wenn der dafür benötigte Strom nicht aus fossilen Quellen kommt, ist das nicht nachhaltig. Denn die Karosserien müssen trotzdem gebaut werden, die Herstellung der Milliarden Tonnen Stahlblech kostet viel CO2, und es ist noch keine nachhaltige Batterie in Aussicht. Bei der Herstellung der aktuell dominierenden Lithium-Ionen-Akkus werden pro Kilowattstunde Kapazität im Mittel 110 Kilogramm CO2 emittiert. Für den Abbau des benötigten Lithiums werden ganze Landstriche zerstört, und trotzdem würden die aktuellen Reserven nicht reichen, um ausreichend Autos auf E-Antrieb umzustellen. 

Ein weiteres Problem ist, dass die Umstellung auf E-Antrieb hunderttausende Arbeitsplätze vernichten würde, wenn er nach kapitalistischen Methoden erfolgt. Elektromotoren haben deutlich weniger Komponenten als Verbrenner-Motoren . Der reduzierte Arbeitsaufwand würde im Kapitalismus nicht dafür genutzt werden, dass die wöchentliche Arbeitszeit in der Produktion verkürzt oder Kolleg*innen früher in den verdienten Ruhestand geschickt werden würden, sondern schlicht zur Wegrationalisierung von bis zu 116.000 Arbeitsplätzen bei einem Marktanteil von 80% E-Autos allein in Deutschland. Dabei bräuchte man die Kolleg*innen – für eine andere Art der E-Mobilität: Der öffentlichen E-Mobilität mit Bussen und Bahnen. 

5. Die Verkehrswende erfordert die Umstellung der Produktion

Die Autokonzerne machen jährlich 411 Milliarden Euro Umsatz. Sehr viel davon kommt bei sehr wenigen Manager*innen und Großaktionär*innen an, die sich mit Händen, Füßen, und ihren Verbindungen zur Politik daran klammern. Aber das Verkehrswesen kann nicht länger dem Markt überlassen werden. Wenn der Umstieg zu einem klimagerechten Verkehr gelingen soll, ist eine gesamtgesellschaftliche Planung nötig, die mit der Produktion beginnt. Wir brauchen viel weniger Autos, aber viel mehr Busse und Bahnen. Für die dafür notwendige Umstellung der Produktion sind wir auf das Know-How der Beschäftigten angewiesen. Eine Entwertung der Qualifikationen der Arbeiter*innen, Techniker*innen und Ingenieur*innen durch die chaotische, kapitalistische Antriebswelle zu E-Fahrzeugen können wir uns nicht leisten. Die IG Metall muss sich für die Produktionsumstellung einsetzen, um die Arbeitsplätze zu erhalten und einen Beitrag dazu zu leisten, allen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen.

Foto; VW-Werk in Wolfsburg. Vanellus Foto, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons