Köln-Kalk: Ein Stadtteil wird kriminalisiert.

Auch in Deutschland wird die öffentliche Videoüberwachung durch die Polizei ausgebaut. Begründet wird dies fast ausschließlich mit sogenannten Brenn- oder Kriminalitätsschwerpunkten. Doch hilft da mehr Überwachung? Experten sind sich auffällig uneinig. Dennoch werden unsere Persönlichkeitsrechte tagtäglich massiv verletzt.

Von Christian Kubitza, Köln

Laut einer Erhebung aus 2022 wird die Liste der am meisten kameraüberwachten Großstädte weltweit deutlich von Shanghai angeführt, wo pro 1.000 Einwohnende 372,8 Kameras installiert sind. In Berlin – auf Platz 11 – sind es 6,24. Hierbei wurden sämtliche öffentliche Kameras erfasst, also auch die in Bussen und Bahnen, an Bahnhöfen, öffentlichen Gebäuden, Verkehrsknotenpunkten usw. Der öffentliche Raum in Köln wird mittlerweile mit etwa 4.000 Videokameras überwacht. Etwa 100 wurden seit 2019 von der Polizei an sogenannten Kriminalitätsschwerpunkten installiert , zuletzt 26 im Stadtteil Kalk und angrenzend. Dabei werden “zufällig” gleich drei linke Treffpunkte dauerhaft mitüberwacht, aber natürlich auch Eingänge zu Anwaltskanzleien, Arztpraxen, Apotheken und sämtlichen Wohnungen.

Kalk ist das einzige Viertel außerhalb der Innenstadt, in dem solche Kameras hängen. Die Kölner Initiative „KAMERAS STOPPEN“ hat vor und nach der Installation der Kameras mehrere Demos in Kalk organisiert, an denen sich auch die SAV beteiligt hat.

Einer der Aktivist*innen, David, wohnt keine zwanzig Meter von einer vollbeweglichen Kugelvideokamera entfernt an Kalk Post. Vor deren Installation habe er keine behördlichen Informationen erhalten. Er berichtet von einem Gefühl ständiger Überwachung. „Die Kamera könnte die ganze Zeit in meinen Nacken filmen, während ich am Schreibtisch sitze und arbeite. Das ist natürlich auch eine Einschränkung von Lebensqualität.“ Auch traut er der behördlichen Aussage nicht, seine Wohnung werde auf keinen Fall gefilmt. „Die Videodaten werden aufgezeichnet und nach 14 Tagen automatisch gelöscht, sofern sie nicht als Beweismittel im Strafverfahren dienen“, so die Kölner Polizei. Überprüfen kann man das als Normalbürger*in genauso wenig wie die Behauptung, dass die Kameras nicht in Wohnungen und Büros filmen.

David berichtet auch, dass sich die Kleindealer – vermeintliches Ziel der Überwachung – einfach in die Nebenstraßen verlagert haben. Die Kameras hätten auch keinen Einfluss darauf, ob oder wie schnell die Polizei kommt, wenn es mal Auseinandersetzungen auf dem Platz gibt.

Jede einzelne Aufnahme verletzt die informationelle Selbstbestimmung aller Personen, die auf den Bildern zu sehen sind. Insoweit stellt die Videoüberwachung des öffentlichen Raumes einen Verstoß gegen das Grundgesetz und die Menschenrechtskonvention dar. Eine Einschränkung kann daher nur gesetzlich und in Ausnahmefällen erfolgen. Hierfür zieht die Polizei in NRW ihr Polizeigesetz, hier §15a, heran. Dort ist geregelt, dass eine Videoüberwachung und -aufzeichnung erfolgen darf, wenn es der Verhütung von Straftaten dient und „an diesem Ort wiederholt Straftaten begangen wurden und die Beschaffenheit des Ortes die Begehung von Straftaten begünstigt, solange Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an diesem Ort weitere Straftaten begangen werden oder zweitens Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort Straftaten von erheblicher Bedeutung verabredet, vorbereitet oder begangen werden und jeweils ein unverzügliches Eingreifen der Polizei möglich ist.“ [Hervorh. d. Verf.]

Die vermeintliche Verhütung von Straftaten durch Videoüberwachung wird von Kriminolog*innen und Soziolog*innen, wie z.B. Dr. Jens Hälterlein von der Uni Freiburg, stark angezweifelt. Im Gegensatz zu Deutschland ist die Präventionswirkung von Videoüberwachung in England vergleichsweise gut erforscht. Bei Gewaltdelikten konnte kaum eine präventive Wirkung festgestellt werden, bei Eigentumsdelikten eine etwas größere. Das Oberverwaltungsgericht NRW hat trotz der recht überschaubaren Erfolge der Videoüberwachung Klagen von Anwohner*innen bisher mit Verweis auf § 15a PolGNRW abgeschmettert. Lediglich bei Versammlungen und der An- und Abreise zu solchen, darf nach dem OVG nicht videoüberwacht werden.

Weder ist diese Videoüberwachung sinnvoll, noch ist es zu rechtfertigen, dass jede Person auf der Straße rund um die Uhr überwacht, aufgezeichnet und damit praktisch unter Generalverdacht gestellt wird, weil sie in diesem Stadtteil lebt. Das Ganze könnte in naher Zukunft noch verschärft werden: In Berlin und Mannheim gab es bereits Pilotprojekte, wo die Software der Kameras automatisch sogenannte untypischen Bewegungen wie Schlagen, Rennen oder Fallen erkannte und daraufhin einen automatischen Alarm auslöste.

Der Widerstand gegen diesen Irrsinn muss weitergehen, genauso wie der Kampf für bezahlbaren Wohnraum, bessere städtische Infrastruktur und vernünftige Jobs. Ein lebenswerte Stadt ist die beste Gewalt- und Drogenprävention.