Frankreich brennt, Macron zittert

In ganz Frankreich wird gestreikt, Autos und Mülleimer brennen in den Innenstädten, immer wieder kommen Millionen zu riesigen Demonstrationen zusammen. Nach Angaben der Gewerkschaft CGT waren am 23. März allein in Paris 700.000 Menschen auf der Straße, landesweit 3 Millionen. ISA-Unterstützer*innen sind ebenfalls aktiv dabei in der Bewegung gegen Macrons Renten„reform“.

Von Conny Dahmen, Köln

Als eine der wichtigsten und symbolträchtigsten Maßnahmen ihrer zweiten Amtszeit will die Macron-Regierung das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 und die Beitragsjahre von 41 auf 43 erhöhen. Da der Rentenanspruch von den Einzahlungsjahren abhängt, können viele aber auch in Frankreich erst mit 67 in Rente gehen. Ein Angriff, den die Arbeiter*innenklasse in Frankreich nicht einfach hinnehmen will: bereits bei der ersten großen Demonstration gegen die Rentenreform am 19. Januar gingen, über zwei Millionen Menschen auf die Straße, darunter auch Schüler*innen und Studierende. Jugendorganisationen sowie die linke Partei France Insoumise hatten zwei Tage später dann nochmals 150.000 Menschen in Paris auf die Straße gebracht; im Februar und März wurden hunderte Oberschulen und Universitäten besetzt.

Die Teilnahme an den landesweiten Aktionstagen ist überwätigend, in der Spitze sind am 7. März auf der Straße – viele von ihnen zum ersten Mal in ihrem Leben. Zahlreiche Organisationen mobilisieren, vor allem das Gewerkschaftsbündnis Intersindicale, worin sich acht der größten Gewerkschaften des Landes verbündet haben. Dies ist zum ersten Mal seit 13 Jahren der Fall, Ergebnis des massiven Druck seitens der Gewerkschaftsbasis.

Streiks: Kein Sprit für die Konzerne, Strom für die Armen

In gewisser Weise wurde diese Bewegung bereits im Herbst vorbereitet, als es zu längeren Streikaktionen gegen die steigenden Lebenshaltungskosten gekommen war, vor allem in den Raffinerien von TotalEnergies. Damals hatten die Beschäftigten täglich neue über die Fortsetzung des Streiks abgestimmt. Da die Streikbewegung leider isoliert gehalten wurde, konnten die Behörden Personal zur Arbeit zwangsverpflichten – wie sie es auch jetzt wieder versuchen, um Transport und Flugverkehr am Laufen zu halten. Auch jetzt streiken Beschäftigte in diesen Raffinerien, bei Bahn, ÖPNV, Flugverkehr und LKW-Verkehr, was Personen- und Gütertransport massiv einschränkt. Drei von vier Flüssiggasterminals des Landes sind lahmgelegt. Auch in der Privatwirtschaft wird gestreikt, u.a. bei Autobauern wie Stellantis und Renault, bei Airbus und der Marinewerft in Saint Nazaire, aber auch z.B. in der Fleischindustrie. Es laufen Diskussionen, das Land mit einem Generalstreik komplett stillzulegen.

Eines der wichtigsten Elemente der Bewegung sind die so genannten „Robin Hood“-Aktionen, wobei Beschäftigte die Kontrolle über die private Produktion übernehmen: Streikende Arbeiter*innen der Elektrizitätswerke haben Krankenhäuser, öffentliche Sportzentren, Bibliotheken, Gymnasien, Kindergärten oder Wohnungen von Menschen mit niedrigem Einkommen auf kostenlosen Strom oder Gas umgestellt. Diese Initiativen werden landesweit koordiniert; die Entscheidungen und Aktionen werden von der Belegschaft demokratisch abgestimmt. Ein eindrucksvolles Beispiel für Arbeiter*innendemokratie!

Macron: Demokratie ist gut, Diktatur ist sicherer

Die enorme Kampfbereitschaft der CGT-Basis steht im Gegensatz zur Haltung der Gewerkschaftsführung, die auf einen parlamentarischen Sieg und auf Brüche in der Koalition zwischen der Partei Renaissance von Macron und Borne und den rechtskonservativen Républicaines gesetzt hatte. Im Senat waren die Rentenpläne bereits mit großer Mehrheit angenommen worden.

Doch nach zwei Monaten des Kampfes war der Druck auf Parlament und Regierung derart gestiegen, dass Macron Gefahr lief, die für den 16. März geplante Abstimmung in der Nationalversammlung (Parlament) zu verlieren, wo die Regierungsfraktion Renaissance nur eine relative Mehrheit hat. So teilte Premierministerin Borne den Abgeordneten kurz vorher mit, dass die Abstimmung ausfällt und das Gesetz stattdessen unter Berufung des Artikels 49.3 der französischen Verfassung per Dekret beschlossen sei. Selbst Teile der bürgerlichen Rechten waren schockiert von diesem diktatorischen Schachzug. Auf der Pariser Place de la Concorde kamen am Abend spontan über 6.000 Menschen zusammen, die den Rücktritt der Regierung forderten; landesweit gab es Spontandemos mit bis zu mehreren Zehntausend Teilnehmenden.

Neuer Schub für die Bewegung

Mit dem formalen Beschluss der Rentenreform ist der Kampf nicht vorbei, im Gegenteil: Die Menschen sind nun durch diese halb-diktatorischen Methoden noch wütender und entschlossener als in den letzten Jahren. In einigen Bereichen sind die Aktionen radikaler geworden, es gibt täglich Proteste, neue Streiks, Katz und Maus-Spiele mit der Polizei, die die Demonstrierenden überall und nirgends suchen muss. Auch deren härteres Vorgehen zeigt die Schwäche der Regierung Macron: mehr Tränengaseinsätze, willkürliche Verhaftungen, Misshandlungen, es gibt sogar Beschwerden über sexuellem Missbrauch bei Verhaftungen. Hiermit soll mehr Gewalt seitens des Protests provoziert werden, um die Bewegung zu spalten und die Gegenseite zu einen.

Doch bisher funktioniert das nicht,: Selbst in Bereichen, wo es keinen Streikaufruf von gewerkschaftlicher Seite gab, wird nun gestreikt. Die CGT konnte den Hafen von Le Havre komplett lahmlegen, im örtlichen AKW musste ein Reaktor abgeschaltet werden. Die Müllabfuhr ist seit Wochen komplett im Ausstand, in Paris stapeln sich bereits weit über 10.000 Tonnen Müll in den Straßen. Auch die Privatunternehmen, die die Stadt als Streikbrecher*innen angeheuert hatte, werden bestreikt, die Müllverbrennungsanlagen ist stillgelegt. Neben der Müllabfuhr haben Beschäftigte in einer Reihe von Branchen bereits zum unbefristeten Streik aufgerufen, wie die Bahn (SNCF), der öffentliche Nahverkehr in Paris (RATP), der Energiekonzern EDF, einige Raffinerien, … Die Frage ist, wie es nun weitergehen soll, wie diese Dynamik auf andere Sektoren ausgedehnt und verstärkt werden kann.

Generalstreik als nächster Schritt?

Die Unterstützung für einen unbefristeten Streik hat seit der Anwendung von Artikel 49.3 zugenommen, nach Informationen des französischen Nachrichtensenders BFMTV lag sie Ende März bei 58%. Weitere 68 % sind gegen die Rentenreform und 67 % wollen, dass der Widerstand weitergeht. Dabei ist vielen klar, dass immer wieder neue Massendemonstrationen und einzelne Streiktage allein, ohne Verbindung zueinander und ohne Eskalationsstrategie, nicht ausreichen werden.

In ihrem Flyer zum Aktionstag am 23.März schreiben die französischen ISA-Unterstützer*innen: „Die Wut und Motivation, den Angriff auf die Renten zu Fall zu bringen, sollten in einen Aufruf zu einem unbefristeten Generalstreik mit täglichen Abstimmungen umgewandelt werden. (…). Wir sind die Mehrheit. Wenn wir uns organisieren, ist die Macht in greifbarer Nähe.“

Ein solcher unbefristeter Generalstreik ist ein zentraler Schritt. Mittlerweile geht es aber um mehr als die Renten, auch mehr als die Auswirkungen der Inflation, es geht um den Sturz von Macron-Borne und der gesamten Austeritätspolitik– und am Ende auch um den Sturz des Kapitalismus, der die Menschheit in den Abgrund reißt.

Während die Arbeiter*innen wie immer den Preis für alle Krisen zahlen sollen, verzeichnen französische Konzerne Rekordgewinne: der Klimakiller TotalEnergies erzielte 2022 einen Nettogewinn von 19 Milliarden Euro für 2022, den höchsten in seiner Geschichte. Die börsennotierten Unternehmen des CAC 40 (französischer Leitindex) konnten 80,1 Milliarden Euro an ihre Aktionäre ausgeschüttet. Anstatt jedes Jahr ihre 157 Milliarden Euro an staatlichen Subventionen einzustreichen gehören diese Konzerne enteignet und unter der Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten in Gemeineigentum überführt, wie auch die Schlüsselsektoren der Wirtschaft (Finanzen, Energie, Verkehr, Landwirtschaft, Bau usw.…). Dann können wir mit einer demokratischen und ökologischen Planung der Wirtschaft eine menschenwürdige Zukunft für alle gewährleisten und den Planeten retten und den Grundstein für den Sturz des kapitalistischen Systems und einer sozialistischen Gesellschaft legen.