Schweden: Nein zum NATO-Beitritt

Mit einer einem Staatsstreich ähnlichen Geschwindigkeit hat die sozialdemokratisch geführte schwedische Regierung den NATO-Beitritt beschlossen. Halbherzige Versuche einer Debatte innerhalb der Sozialdemokratie wurden beiseite gewischt, ohne dass Kritiker*innen zu Wort kommen konnten. Noch im März hatte Ministerpräsidentin Magdalena Andersson erklärt, dass eine schwedische NATO-Mitgliedschaft zur Destabilisierung der politischen Lage in Europa beitragen würde – nur um zwei Monate später zusammen mit Finnland den Beitritt zu beantragen.

Von Katja Raetz, Stockholm

Ursachen für das schnellen Umschwenken sind sowohl innen- als auch außenpolitisch. Schon seit Jahren hatte sich der schwedische Staat der NATO angenähert. Das schwedische Selbstverständnis, bündnisfrei zu sein und für Frieden und Entspannung zu sorgen, entspricht nicht der Wahrheit. Auf Druck der USA hat Schweden z.B. den UN-Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet. Schwedisches Militär nahm auch die letzten Jahre regelmäßig an NATO-Manövern teil, etwa im Baltikum, Nordschweden und auf der Insel Gotland.

Laut dem Friedensforschungsinstitut Sipri gehörte Schweden 2021 zu den Top-15-Waffenexporteuren weltweit. Unter anderem werden schwedische Waffen im Krieg im Jemen eingesetzt. Krieg und Aufrüstung bedeuten für den größten schwedischen Waffenproduzenten Saab reelle ökonomische Interessen. Schon im vierten Quartal 2021 lag der Gewinn des Konzerns mit rund einer Milliarde Kronen (knapp 100 Millionen Euro) vor Steuern über den Erwartungen. 2022 ist die Aktie von Saab um 80% gestiegen. Der Krieg in der Ukraine war der Vorwand, den das bürgerliche Establishment und die Waffenlobby brauchten, um die Annäherung in einen Anschluss umzuwandeln.

Minderheitsregierung

Mit dem Eintritt von Schweden und Finnland hätte die NATO direkten Zugriff auf die wichtigen arktischen Regionen. Diese ist durch die Klimaveränderungen, das Abschmelzen der Pole und die offene Nordpassage wichtiger geworden. Mit einem Beitritt würde sich außerdem die NATO-Grenze mit Russland von derzeit 1215 Kilometer auf 2600 Kilometer verlängern.

Die Eile hat auch innenpolitische Gründe. Schweden hat seit der letzten Wahl eine Minderheitsregierung aus Sozialdemokrat*innen (bis November 2021 zusammen mit den Grünen). Diese braucht immer auch Unterstützung anderer Parteien, um Gesetzesvorschläge und den Haushalt im Parlament durchsetzen zu können. Dies konnte gelingen, da die ehemalige Allianz aus vier bürgerlich-konservativen Parteien zersplittert ist und diese jeweils eigene Vereinbarungen mit der Regierung getroffen haben. Das führt gleichzeitig immer mal wieder zu Regierungskrisen, zuletzt Anfang Juni, als der Innenminister Morgan Johansson ein Misstrauensvotum nur knapp überstand. Gleichzeitig ist in den letzten Jahren ein neuer, rechtskonservativer Block im Entstehen begriffen, aus konservativen „Moderaten“ und rassistischen „Schwedendemokraten“, die sich unter anderem mit Forderungen nach härteren Strafen, mehr Abschiebungen und mehr Polizei und Militär zu profilieren versuchen.

Für Magdalena Andersson war es deshalb wichtig, Führungsstärke zu beweisen, nicht zuletzt, da im September gewählt wird. Die Linkspartei ist die einzige im Parlament vertretene Partei, die nicht auf NATO-Kurs ist. Sie hatte jedoch keinerlei Initiative ergriffen, außerparlamentarische Proteste zu organisieren. Schon im März, vor dem NATO-Beschluss, stimmten alle Parteien im Parlament, einschließlich der Linkspartei, für eine Aufstockung des Militäretats auf 2% des BIP, was dem Mindestziel der NATO entspricht. Zuvor hatte die Regierung die größte Aufrüstung der Neuzeit eingeleitet und die Verteidigungsausgaben zwischen 2014 und 2025 um insgesamt 85% erhöht.

Um innenpolitisch profitieren zu können, ist für die aktuelle Regierung ein schneller Beitritt wichtig, noch vor den Wahlen im September. Je länger der Prozess andauert, desto mehr Zweifel können aufkommen. Auch können sich dann andere Fragen wie die steigenden Lebenshaltungskosten in den Vordergrund schieben. Im Gegensatz zu Finnland, wo die Unterstützung für die NATO nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine schnell anstieg und wo sogar die Linke, die dort Teil der Regierungskoalition ist, sich für den Anschluss ausgesprochen hat, ist die Unterstützung in der schwedischen Bevölkerung verhalten. Trotz einer enormen Propagandakampagne gibt es keinen verbreiteten Enthusiasmus, auch wenn eine Mehrheit für den Beitritt ist.

Wachsende Kriegsgefahr

Der türkische Präsident Erdogan hat der NATO einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem er den Beitritt erst einmal ablehnte. Durch seine Forderungen nach Auslieferung kurdischer Aktivist*innenen und Austausch von Geheimdienstdaten wird die Scheinheiligkeit der angeblich demokratischen NATO deutlich. Erdogan geht es vor allem um mehr Waffen und Geld, um seine Position innenpolitisch zu stärken. Schwedens Außenministerin Ann Linde hat schon angedeutet, dass die Regeln für Waffenexporte geändert werden könnten.

Es ist möglich, dass bei den kommenden Gipfeltreffen ein Deal mit der Türkei ausgehandelt wird, der dann sicherlich vor allem zu Lasten kurdischer Aktivist*innen und anderer Oppositioneller in der Türkei gehen wird. Für Schweden bedeutet das einen qualitativ neuen Schritt, mit dem der Staat noch stärker zur militärischen Aufrüstung im Ostseeraum beitragen wird, was zu erhöhten Spannungen und einer wachsenden Kriegsgefahr führen kann. Der Widerstand gegen den NATO-Beitritt darf sich davon nicht entmutigen lassen. Für Sozialist*innen gilt es, gegen alle imperialistischen Mächte zu kämpfen, für sofortige militärische Abrüstung.

Im Kampf gegen NATO und Militarismus kann gleichzeitig die Grundlage für eine sozialistische Wiedergeburt der Arbeiter*innenbewegung, für eine neue Arbeiter*innenpartei und demokratische, kämpferische Gewerkschaften gelegt werden.

Ausführlicher Artikel auf Schwedisch von unserer Schwesterorganisation, Rättvisepartiet Socialisterna (ISA in Schweden), anlässlich des Beschluss im Parlament im Mai: https://www.socialisterna.org/nej-till-svenskt-natomedlemskap-2/

Foto: Fronttransparent „Inget sevskt stöd till Nato’s krig!“ („Keine schwedische Unterstützung für NATO-Kriege!“), dahinter, oben, rotes Banner der Vänsterpartiet (Linkspartei) mit der Aufschrift „Nej till Nato. Ja till fred och frihet!“ (Nein zur NATO. Ja zu Frieden und Freiheit!“) mit dem Parteilogo darunter. Urheber*in: Natalia Medina via Offensiv https://www.socialisterna.org/vi-ar-manga-som-ar-emot-usas-krigsallians/