Opposition gegen den Vietnamkrieg in den USA: Beispiel für eine erfolgreiche Antikriegsbewegung

Die aktuellen Kriege in vielen Teilen der Welt und die massive Aufrüstung verweisen auf die essentielle Bedeutung einer großen und effektiven Friedensbewegung.

Von Alexander Kalteis, aus Bünde 

Im amerikanischen Vietnamkrieg starben über drei Millionen Menschen, davon zwei Millionen Zivilist*innen. Zudem wurden zwei Millionen verstümmelt und weitere zwei Millionen durch das Herbizid Agent Orange geschädigt.  Ab den frühen 1960ern begann die US-Intervention zugunsten Südvietnams, die binnen weniger Jahre zum Krieg ausartete. Es begann das permanente Bombardement Nordvietnams. Auf das kleine Land fielen so viele Bomben wie auf den gesamten pazifischen Raum während des zweiten Weltkrieges. Die Anzahl an Soldaten und Material wurde laufend erhöht, die Gewalt eskalierte immer weiter.

Breite Bewegung vereint gegen den Krieg

In der amerikanischen Opposition gegen den Krieg in Vietnam kulminierten die Bürgerrechts-, die Studierenden-, die Hippie- sowie eine ältere Anti-Atomwaffen-Bewegung. Darüber hinaus schlossen sich pazifistische Religionsgemeinschaften an. Bewegungsinterne Gruppen waren sich ideologisch und methodisch nicht immer einig oder grenzten sich bewusst voneinander ab.

Ein weiterer wichtiger Teil der Bewegung waren die Vietnam Veterans against the War, bei denen 2000 aktive Soldaten organisiert waren. Eine gewaltige Rolle für das Wachstum der Bewegung spielten die Medien. Während des Vietnamkrieges kamen die Kriegsberichte und Bilder unzensiert in der amerikanischen Öffentlichkeit an: Unverblümte Szenen der Gräuel durch immer brutalere Waffensysteme, wie Napalmbomben und Agent Orange. Diese Chemikalie vergiftete die Menschen und vernichtete die Ernte. Bis heute kommen Babys mit körperlichen Schäden zur Welt und viele Veteranen starben an Krebs als Spätfolge. Zahlreiche Kriegsverbrechen, Vergewaltigungen und Massaker kamen ans Licht, von denen jenes um das Dorf My Lai das bekannteste ist. Das Militär zog nach dem Krieg Konsequenzen daraus, indem es Kriegsberichte und Bilder zensierte.

Ein weiterer Wachstumsfaktor der Bewegung war die Wehrpflicht in den USA, die die Armee zu einem Massenheer machte. Nicht alle Wehrdienstleistenden mussten nach Vietnam, doch überdurchschnittlich viele der an Kampfeinsätzen Beteiligten waren Afroamerikaner sowie „Weiße“ aus der unteren sozialen Klasse. Ab 1966 wurde der Wehrdienst außerdem auf Studenten ausgeweitet.

Druck von der Straße und Widerstand an den Universitäten

Der Erfolg der Antikriegsbewegung basiert auf dem Zusammenwirken der verschiedenen Formen des politischen Kampfes. Es gab Massendemonstrationen mit Millionen Teilnehmer*innen, deren Mobilisierung der Aufklärungsarbeit der Aktivist*innen zu verdanken ist. Die Demos führten zu massivem Druck auf die Regierenden: So verzichtete Präsident Johnson auf seinen Antritt zur Wiederwahl und schlug Verhandlungen zur Beendigung des Krieges vor und sein Nachfolger Nixon ließ ein geheimes Ultimatum an Hồ Chí Minh verstreichen. Der Protest verhinderte somit eine weitere Eskalation der Gewalt und auch den Einsatz von Nuklearwaffen, der mehrfach in Erwägung gezogen worden war. Der Erfolg der Bewegung spiegelt sich auch in dem Stellenwert wider, den sie bei den Kriegsbefürworter*innen einnimmt. Die führenden Militärs konstruierten aus dem Einfluss der Opposition ihre eigene Version einer Dolchstoßlegende.

Die New Left  kritisierte an der Old Left die autoritäre und bürokratische Form der Demonstrationen, auf denen sich der*die Redner*in über die Massen erhebt. Deshalb entwickelten sie völlig neue Formen des Protests. Das Besetzen von Hörsälen auf den Universitäten zur Durchführung kollektiver Gesellschaftsanalyse in Diskussionen (Teach-ins), statt der Frontalbelehrung durch universitäre Autoritäten, wurde parallel zu den Massendemos in die Tat umgesetzt und führte zu wochenlangen Universitätsbesetzungen und Student*innenstreiks. Lehreinrichtungen, die für das Militär forschten oder ausbildeten, wurden boykottiert. Der Protest entwickelte sich kontinuierlich weiter, so hatten z.B. viele Studierende während der Semesterferien 1964 am Projekt Freedom Summer teilgenommen – eine Kampagne, bei der dabei geholfen werden sollte, so viele Afroamerikaner*innen wie möglich für die Wahl registrieren zu lassen. Zugleich leisteten sie Entwicklungsarbeit und bauten Freedom Schools und Gemeindezentren in den Südstaaten auf. Hierbei wurden die Student*innen mit der Gewalt des Ku-Klux-Klans und rassistischer Polizeiwillkür konfrontiert.

Als sie zurück an der Universität waren, weigerten sie sich nach diesen Erlebnissen, den  Alltagsbetrieb wieder aufzunehmen, und besetzten die Hörsäle. Neben den Teach-ins und Universitätsbesetzungen entstanden aus den Erfahrungen heraus weitere Kampagnen, deren Ziel es war, den Bewohner*innen  in einkommensschwachen Stadtvierteln das Bewusstsein zu solidarischer Selbstorganisation zu vermitteln, damit diese politisch aktiv werden konnten. Die SDS (Students for a Democratic Society, ein linker Studierendenverband) forderten von der Regierung, diese Hilfsprojekte als Ersatzdienst zur Wehrpflicht anzuerkennen. Bis dahin verweigerten die Kriegsgegner demonstrativ den Wehrdienst durch öffentliches Verbrennen ihrer Einberufungsbefehle. Die Kampagnen gipfelten in dem Projekt Vietnam Summer mit dem Aufbau von National Training Institutes zur Schulung von Mitarbeiter*innen und Informationsbüros, in denen über die Einberufung aufgeklärt wurde. Literatur, Filme und das selbst gegründete Organ Vietnam Summer News lagen hier aus.

Die Gegenkultur berief sich u.a. auf Herbert Marcuses Der eindimensionale Mensch. Dort werden die ausgegrenzten Teile der amerikanischen Gesellschaft, die Lebenswelt der Ghettos und der subproletarischen Viertel als Ausgangspunkt einer revolutionären Kultur betrachtet, da ihre subversiven Bestandteile von den Manipulationen durch die eindimensionale Gesellschaft  unversehrt geblieben sind, während das Proletariat Nordamerikas und Europas als grundsätzlich privilegiert und ins System integriert verstanden wurde.  Die Hippiebewegung verbreitete die Ideen dieser counterculture, sie bezog Stellung gegen den Krieg und für alternative Organisationsformen (Kommunen). 

Neue kreative Protestformen

Hieraus entstanden Protestformen wie das Guerilla-Theater, nach dessen Auftritten es auffällig oft zu Besetzungen und Streiks kam, und die Gentle Thursdays, die Besetzung von Flächen, deren Betreten verboten war, wobei der Protest in Form von Musik und Tanz verlief. Diese Aktionsform mobilisierte zahlreiche Kriegsgegner*innen und weitete sich zu mehrtägigen Festivals unter Bezeichnungen wie Flipped-out-Weeks über die gesamten USA aus. Zu einer dieser Veranstaltungen, dem Summer of Love, kamen 75.000 Hippies. In Haight Ashbury lebten sie wochenlang gemeinschaftlich und selbstorganisiert zusammen, gesellschaftskritische Rockbands spielten und die SDS nutzten die Versammlung für politische Diskussionen. Aus der kleinen Gruppe von KünstlerInnen war eine Gemeinschaft von 200 000 Hippies mit drei Millionen Sympathisant*innen geworden.

Die Youth International Party (YIP/Yippies) erkannte die Macht der Bilder und schaffte es mit spektakulären Aktionen, die Aufmerksamkeit der Medien zu gewinnen – z.B. die Besetzung des Pentagonvorplatzes, mit der sie auf das Hauptquartier der Militärverwaltung aufmerksam machte.

Kriegsdienstverweigerung

Ein wichtiger Teil der Bewegung waren die Kriegsdienstverweigerer, von denen viele ins Ausland flüchteten, alleine 50.000 nach Kanada. Auf die Verweigerung stand eine Haftstrafe von drei Jahren. 3250 junge Männer wurden  ins Gefängnis gesteckt, nur weil sie sich weigerten zu töten oder sich umbringen zu lassen. Daneben gab es organisierten soldatischen Widerstand: Man traf sich in Antikriegscafés zur Vernetzung mit zivilen Unterstützer*innen und druckte eigene Untergrundzeitschriften.

1366 Soldaten veröffentlichten eine Stellungnahme gegen den Krieg in der New York Times. Nicht nur desertierten immer mehr von ihnen, sondern es gab auch Befehlsverweigerungen ganzer Einheiten an der Front. Laut Schätzungen war jeder vierte Soldat in irgendeiner Form an Protesten gegen den Krieg beteiligt und viele Veteranen traten an die Öffentlichkeit. Aufgrund dieser Erfahrungen wurde die Wehrpflicht in den USA abgeschafft.

Erfolgreiche Bewegung, trotz Schwächen

Dass der Vietnamkrieg immer unpopulärer wurde und besonders bei jungen Arbeiter*innen, Studierenden, Afroamerikaner*innen und Hispanics verhasst war, lag nicht zuletzt auch daran, dass die Behauptung, hier würde „die Demokratie gegen den Kommunismus verteidigt“, nicht zog. Diese Gruppen radikalisierten sich im Zuge der Bürgerrechtsbewegung nach links und sympathisierten daher nicht selten mit Nordvietnam und der antikolonialen und antiimperialistischen FLN („Vietcong“). Legendär wurde der Ausspruch des Boxers Muhammed Ali, der seine Kriegsdienstverweigerung öffentlich damit begründete, noch nie von einem Vietcong rassistisch beleidigt worden zu sein.

Insgesamt schaffte es die Bewegung, den Krieg in der Bevölkerung unbeliebt zu machen, den Nachschub an Rekruten zu unterbinden sowie die Moral innerhalb der bereits kämpfenden Truppe zu untergraben.

Allerdings muss zum Schluss noch auf ein klares Manko der Bewegung hingewiesen werden: Die Gewerkschaften zeigten sich in den USA nicht solidarisch. Eine Antikriegsbewegung wird jedoch nur dort besonders erfolgreich sein, wo neben der Weigerung der Soldat*innen die Produktion und Lieferung von Waffen unterbunden wird.

Bild: AP Photo/Bill Ingraham)